Fünftes Kapitel

Noch im Morgengrauen holte die Phoenix die Anker ein, setzte Segel und lief mit der Flut aus. Wenige Stunden später suchten Abby und Andrew Rachels Mann auf. Es war eine erschütternde Begegnung. Der Fassbinder wiederholte immer wieder, dass es Rachels Wille gewesen sei und er sie schließlich mit seinem Segen habe gehen lassen, weil es sie mit ihrem bevorstehenden Tod versöhnt und ihr Seelenfrieden gegeben habe. Und dabei liefen ihm die Tränen über das von tiefen Linien durchzogene Gesicht.

»Ich habe sie wirklich… geliebt, auch wenn die Eheschließung beim Heiratsmarkt im Frauengefängnis ein nüchterner Handel gewesen ist«, sagte er beim Abschied leise und blickte mit gequälter Miene an ihnen vorbei, als spräche er zu sich selbst. »Ja, ich habe Rachel geliebt. Aber ich habe es ihr all die Jahre nicht einmal gesagt. Und nun … nun ist es zu spät dafür.«

Bis ins Innerste aufgewühlt und mit rot geweinten Augen trat Abby mit Andrew die Rückfahrt zum Hafen an. Den Hut mit dem Schleier legte sie neben sich auf die Sitzbank der Kutsche, während sie ihr tränenfeuchtes Taschentuch immer wieder zum Gesicht führte. Ihr war, als wollten ihre Tränen nie mehr versiegen.

Andrew streichelte ihre Hand. » Rachel wollte, dass du glücklich bist, nicht traurig«, sagte er, selbst bedrückt und mit blassem Gesicht.

»Ich weiß«, murmelte sie. »Es geht mir nur so zu Herzen, wie John von ihr gesprochen und dabei so entsetzlich verloren ausgesehen hat.«

Andrew schwieg einen Moment, weil es darauf nichts Tröstendes zu sagen gab. Dann versuchte er sie aufzumuntern und auf andere Gedanken zu bringen. »Wir holen das Baby, laden die beiden Kisten mit den Eisenwaren auf und dann machen wir, dass wir so schnell wie möglich nach Parramatta kommen! Wenn das Wetter so klar und trocken bleibt, dürften wir schon am frühen Nachmittag auf der Farm sein, wo Megan und Timothy untergekommen sind. Megan kann es gar nicht erwarten, dich endlich wiederzusehen. Freust du dich nicht auch?«

»Und ob ich mich freue«, sagte Abby mit einem schwachen Lächeln. »Lass mir nur etwas Zeit. Es ist noch alles so frisch und so schmerzhaft. Ich kann mich nicht so schnell damit abfinden, was Rachel für mich getan hat und wie sehr ihr Mann jetzt unter ihrem Verlust leidet.«

»Natürlich. Es tut mir Leid, wenn du das Gefühl hast, ich bin zu ungeduldig mit dir und gehe zu leicht über die Sache mit Rachel und ihrem Mann hinweg, als würde mich das nicht beschäftigen«, sagte er entschuldigend. »Du musst mir glauben, dass es nicht so ist. Ich mache mir einfach Sorgen um dich und möchte nur…«

Andrew führte den Satz nicht mehr zu Ende, denn in diesem Moment griff Stuart Fitzroy auf dem Kutschbock hart in die Zügel und brachte das Gespann recht abrupt zum Stehen. Ärgerlich rief er jemandem zu, er solle sich gefälligst beeilen und die Straße freigeben. Und dann fügte er noch hinzu: »Wer nicht weiß, wie man ein Fuhrwerk richtig belädt, hat auch auf dem Kutschbock nichts zu suchen!«

»Das klingt, als wäre die Straße vor uns versperrt«, sagte Abby und wurde sofort unruhig. Immerhin passierten sie auf dem Weg zum Hafen den südöstlichen Rand der berüchtigten Rocks.

»Ich werde mal nachsehen, was da vorn los ist. Bestimmt hat da nur jemand Probleme mit seinem Ochsengespann und es geht gleich weiter. Du bleibst jedoch besser in der Kutsche«, sagte Andrew und stieg aus.

Er drückte den Kutschenschlag hinter sich zu, doch in der Eile achtete er nicht darauf, dass das Schloss auch wirklich einrastete. Der Schlag fiel nicht richtig zu, und als Stuart Fitzroy wenige Augenblicke später vom Kutschbock stieg und der Wagen leicht nachfederte, sprang die Tür mit dem verhängten Fenster sperrangelweit auf.

Andrew war in dem Moment schon vorne bei den Pferden und nahm mit Fitzroy das Hindernis in Augenschein, das ihnen die Weiterfahrt verwehrte. Dabei handelte es sich um ein zu hoch beladenes Fuhrwerk, dessen nachlässig gesicherte Bretterladung verrutscht war. Einige Dutzend Bretter lagen über die Straße verstreut.

Abby zögerte kurz, dann beugte sie sich vor, um nach dem Innengriff des Kutschenschlags zu greifen und die Tür schnell wieder zuzuziehen.

In diesem Moment geschah etwas, das ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ. Unter den Schaulustigen, die aus den umliegenden Werkstätten und Tavernen auf die Straße kamen, befand sich auch eine Frau in dreckiger Kleidung und mit wirr herabhängendem, strähnig fettigem Haar. Und diese Frau, die eben jetzt auch noch zu ihr herüberblickte, war niemand anderes als – Cleo!

Der Schreck fuhr Abby derart in die Glieder, dass sie mitten in der Bewegung erstarrte. Ihr Gehirn war ein, zwei Herzschläge lang wie leer gefegt.

Cleo reagierte nicht weniger fassungslos. Ihr fiel das Kinn herunter, wohl weil sie im ersten Moment meinte, ihren Augen nicht trauen zu können, wähnte sie Abby doch an Bord der Phoenix und damit schon auf hoher See.

Dann jedoch riss sie den Arm hoch, deutete wild fuchtelnd auf Abby und schrie außer sich vor Wut: »Holt die Frau da aus der Kutsche! … Sie ist ein entlaufener Sträfling! … Das ist Abby Lynn!… Die Frau ist von der Phoenix geflohen!« Sie stieß die Leute, die vor ihr standen, aus dem Weg und stürzte auf die Kutsche zu.

Entsetzt packte Abby den Türgriff und wollte den Kutschenschlag schnell schließen.

Doch Cleo kam ihr zuvor. »Zu spät! Ich hab dich erkannt, auch mit der Perücke! Weiß der Teufel, wie du es geschafft hast, von der Phoenix zu fliehen, aber du entkommst deiner Strafe dennoch nicht! «, rief sie triumphierend, riss ihr die Tür aus der Hand und fuhr fort, mit schriller Stimme ihren Namen zu rufen und sie als entflohenen Sträfling zu bezichtigen.

Andrew war sofort zur Stelle, und obwohl auch ihn das Entsetzen gepackt hatte, bewies er in dieser Situation eine bewundernswerte Geistesgegenwart. »Wer bist du? Und was fällt dir ein, meine Frau zu belästigen, Weib? Mein Gott, du stinkst ja wie aus einem Branntweinfass gezogen! Verschwinde und schlaf gefälligst deinen Rausch aus, bevor ich dich einsperren lasse!«, herrschte er sie an und wollte sie von der Tür schieben.

»Fass mich nicht an! Die Frau da ist eine Entlaufene! Sie heißt Abby Lynn Chandler«, schrie Cleo mit sich überschlagender Stimme und schlug Andrews Arm zur Seite. »Ich weiß auch, wer du bist!… Du bist Andrew Chandler und du wirst genauso gesucht wie Abby!«

Stuart Fitzroy drängte sich durch den Halbkreis der Menschen, der sich augenblicklich um die Kutsche gebildet hatte. Er trug einen langen, schwarzen Wollumhang, der nicht ohne Grund sehr weit geschnitten war. Am Morgen, als Fitzroy ihr in die Kutsche geholfen hatte, war Abby aufgefallen, dass er rechts und links unter dem Cape je eine Muskete in extra dafür angefertigten Schlaufen stecken hatte.

»Überlassen Sie das besser mir und steigen Sie wieder ein, Mister Mackenzie«, sagte Stuart Fitzroy mit grimmiger Miene und umschloss Cleos rechten Unterarm mit schmerzhaft eisernem Griff. »Ich weiß, wie man mit Gossenweibern dieser Sorte umzugehen hat und welche Sprache sie verstehen.« Er zerrte sie von der Kutsche weg.

»Lass mich los, du Mistkerl ! … Du steckst mit ihnen unter einer Decke! … Das da ist eine Entlaufene … ich kenne sie aus dem Gefängnis !… Sie hat da Monate eingesessen!… Sie und ihr Mann werden gesucht!«, kreischte Cleo.

In dem Moment bahnte sich ein Rotrock seinen Weg durch die Menge. Er benutzte seinen Gewehrkolben, um sich mit groben Hieben Platz zu verschaffen. Das Fehlen jeglicher Rangabzeichen verriet, dass er ein einfacher Soldat war. Er konnte kaum älter als achtzehn oder neunzehn sein und sein rosiges, rundliches Gesicht ähnelte einem frisch aufgegangenen Hefeteig.

»Was geht hier vor? Was hat das Geschrei zu bedeuten?«, rief er mit betont schroffer Stimme, um sich trotz seiner Jugend Respekt zu verschaffen.

Als Abby die Uniform sah, wich ihr alles Blut aus dem Gesicht. Ein Zittern durchlief sie wie ein Schüttelfrost. Ihr war, als spürte sie plötzlich wieder die schweren Eisen an Händen und Beinen. Sie wollte aufspringen und ihre Rettung in der Flucht suchen. Doch ihr Körper weigerte sich. Wie gelähmt saß sie in der Kutsche auf der Kante der Sitzbank.

»Dieses liederliche Weibsstück belästigt meine Herrschaft!«, sagte Fitzroy empört. »Sie muss ein paar Becher zu viel Fusel getrunken haben!«

»Von wegen Herrschaft!«, schrie Cleo mit verzerrtem Gesicht. »Das da ist ein entlaufener Sträfling! Ihr Name ist Abby Lynn oder Abby Chandler und sie ist gestern erst auf die Phoenix gebracht worden, weil man sie nach Norfolk Island verbannt hat … und dieser Mann da ist in Wirklichkeit kein anderer als …«

»Nun reicht es mir aber! «, fiel Andrew ihr ins Wort. »Gebieten Sie den unverschämten Reden dieser… dieser wohl betrunkenen Frau endlich Einhalt, Soldat! Sonst sehe ich mich gezwungen, meinem Kutscher freie Hand zu lassen, und das dürfte dann eine wenig erfreuliche Szene geben!«

»Das wird dir nichts nutzen!«, zeterte Cleo und spuckte ihm vor die Füße. »Du wirst genauso wie deine Abby auf Norfolk Island landen und euer Baby …«

»Schweig!«, herrschte der Soldat sie nun an. »Du redest nur, wenn du von mir dazu aufgefordert worden bist, und keine Sekunde eher, sonst lernst du mich kennen!«

Cleo verstummte, doch in ihren Augen funkelte eine mörderische Wut.

»Ich glaube, du kannst sie jetzt loslassen. Der Soldat hier scheint alles unter Kontrolle zu haben«, sagte Andrew mit einem Ton der Genugtuung zu Fitzroy und schmeichelte damit geschickt dem jungen Soldaten. Und kopfschüttelnd fügte er hinzu: »Diese Frau muss wirklich nicht bei Sinnen sein. Anders kann ich mir ihren … absurden Ausbruch nicht erklären.«

»Kein Wunder! «, rief da jemand spöttisch aus der Menge, noch bevor der Soldat etwas sagen oder fragen konnte. »Cleo hat ja mal wieder die ganze Nacht durch mit ihren Freunden aus den umliegenden Freudenhäusern gesoffen. Der alte Hennessey drüben vom Black Dog hat sie heute Morgen sternhagelblau hinten in seinem Hof gefunden. Dass Cleo sich noch nicht den letzten Rest Verstand aus dem Hirn gesoffen hat, ist das eigentliche Wunder.«

Cleo gab einen wütenden Zischlaut von sich und spuckte in die Richtung des Sprechers.

Der Soldat musterte den Mann, der eine schwere Lederschürze vor der Brust trug und offensichtlich ein rechtschaffener Handwerker war, dessen Wort man Glauben schenken konnte. Dann wandte er sich Andrew zu und fragte reserviert, aber nicht unfreundlich : »Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf… Sir?«

»James Mackenzie, freier Kolonist und Händler aus Taunton in Cornwall, und das ist meine Frau Agnes«, sagte Andrew und bewahrte dabei eine Haltung, wie sie einem Gentleman trotz aller Erregung und Empörung anstand. Er warf einen ärgerlichen Blick auf Cleo und fuhr dann kopfschüttelnd fort: »Dass sich dieses Gesindel so manche Frechheiten herausnimmt, daran habe ich mich inzwischen gewöhnt. Aber diese Unverschämtheit geht wirklich zu weit!«

»Mackenzie? Dass ich nicht lache! Das sind Lügen! Nichts als dreckige Lügen!«, kreischte Cleo außer sich vor Rage, weil man ihr nicht glaubte. »Die beiden sind Verbrecher!«

Der Soldat fuhr zu Cleo herum, griff in ihr wirres Haar und zerrte ihren Kopf schmerzhaft in den Nacken. »Noch ein Wort und ich sorge dafür, dass man dich heute noch ans Dreibein bindet und dir die Neunschwänzige zu schmecken gibt, hast du mich verstanden?«

Cleo erstarrte.

Er ließ sie los, stieß sie mit einem Ausdruck des Abscheus von sich und wandte sich wieder Abby und Andrew zu. Sein prüfender Blick blieb für einen langen Moment auf Abby ruhen und wanderte dann wieder zu Andrew, der in einen eleganten schwarzen Anzug mit grauer Seidenweste und passendem Krawattentuch gekleidet war. Der junge Mann zögerte sichtlich, was er tun sollte.

Andrew spürte, dass sein und Abbys Schicksal auf des Messers Schneide stand. Er erinnerte sich plötzlich an etwas, was Frederick Burke gestern zu ihm gesagt hatte. Die Beerdigung, zu der er gehen musste! Schnell zog er seine Taschenuhr heraus, ließ den Deckel aufspringen und sah mit gefurchter Stirn auf das Zifferblatt.

»Ich denke, wir sind hier lange genug aufgehalten worden, Soldat«, sagte er freundlich, aber mit der Stimme eines Mannes, der es gewohnt ist, dass man ihm mit Respekt begegnet und dass sein Wort etwas zählt. »Und wenn wir uns nicht beeilen, kommen wir noch zu spät zur Beerdigung von Missis Jane Coburn, der Frau unseres guten Freundes Major Robert Coburn, die der Tod so jäh aus unserem Kreis gerissen hat. Möge der Herr ihrer Seele gnädig sein. Und die Beerdigung von Missis Coburn zu verpassen würde meiner Frau, die sehr eng mit ihr befreundet war, noch mehr Schmerz und Kummer bereiten, als es schon ohnehin der Fall ist.«

Der Soldat nickte. »Ja, ich habe von dem tragischen Reitunfall gehört«, sagte er mit veränderter Stimme und bedachte Abby noch einmal mit einem vorsichtig prüfenden Blick. Ihre rot geweinten Augen und ihre elegante schwarze Kleidung mit der dezenten moosgrünen Paspelierung bestätigten offensichtlich, was ihr Mann gesagt hatte. Diese Frau trauerte um ihre verstorbene Freundin. Und wer so gut mit Major Coburn befreundet war, den wollte sich ein einfacher Gefreiter nicht zum Feind machen, indem er den Worten eines verkaterten Gossenweibes Glauben schenkte. Zudem hätte jeder in Sydney davon gewusst, wenn es einem Sträfling von der Phoenix gelungen wäre, vom Schiff zu fliehen – einmal ganz davon abgesehen, dass eine solche Flucht ein Ding der Unmöglichkeit war. So etwas hatte es noch nie gegeben.

Andrew schob die Uhr wieder in die Westentasche und tat so, als wäre damit alles gesagt. Er nickte dem Soldaten knapp zu und stieg einfach in die Kutsche.

Und der Soldat ließ es geschehen!

»Nichts für ungut, Sir. Sie werden es bestimmt noch zur Beerdigung schaffen, Sir!… Ma’am!« Der junge Rotrock tippte höflich an seine Mütze.

Andrew schenkte ihm ein gnädiges Kopfnicken.

Abby sah noch, wie Cleo sie mit gebleckten Zähnen und mit vor ohnmächtiger Wut hochrotem Gesicht anstarrte. Dann warf der Soldat den Kutschenschlag zu und Stuart Fitzroy kletterte auf den Kutschbock.

Andrew griff nach Abbys Hand. Keiner sagte etwas. Bis aufs Äußerste angespannt warteten sie, dass die Kutsche sich endlich in Bewegung setzte. Wie furchtbar lang doch Sekunden sein konnten.

Und dann der Moment der Erlösung, als die Pferde sich ins Geschirr legten und das Gefährt anruckte! Sowie sie um die nächste Straßenecke gebogen waren, ließ Fitzroy die Pferde in ein schnelles Tempo fallen. Er wusste, dass jetzt höchste Eile geboten war.

Abby stieß laut den Atem aus. »O mein Gott! … O mein Gott!«, flüsterte sie und ein Schauder lief ihr über den Körper. »Um ein Haar hätten sie uns gehabt – uns beide!«

»Ja, das war knapp«, murmelte Andrew und sank wie ausgelaugt gegen das Rückenpolster. »Unser Schicksal hing wirklich nur an einem seidenen Faden. Hätten wir Pech gehabt und anstelle des jungen Burschen wäre einer der Offiziere aufgetaucht …« Er beendete den Satz nicht, sondern stöhnte nur auf und sagte dann leise: »Nicht auszudenken!«

Wenig später hielt die Kutsche auf der Rückseite von Frederick Burkes Geschäft. Sie vergeudeten nicht eine einzige Sekunde. Fitzroy kümmerte sich um die beiden Kisten mit Eisenwaren, die schon zum Aufladen bereitstanden. Indessen stürzte Andrew ins Haus und holte den Korb mit ihrem Baby. Als er aus dem Haus kam, kletterte Fitzroy gerade wieder auf den Kutschbock und griff zu den Zügeln. Die Kutsche rollte schon wieder los, kaum dass Andrew Abby das Baby übergeben und die Tür hinter sich zugezogen hatte.

»Was wird jetzt passieren?«, fragte Abby beklommen, als sie durch Sydney ratterten.

Andrew zuckte die Achseln. »Ich weiß es nicht«, gab er ehrlich zu. »Der Soldat hat ihr zum Glück nicht geglaubt und das hat uns das Leben gerettet. Alles andere ist im Augenblick nicht so wichtig.«

»Ja, aber wie ich Cleo kenne, wird sie nicht so schnell Ruhe geben«, erwiderte Abby. »Sie wird Danesfield und Grenville aufsuchen und ihnen erzählen, dass sie mich gesehen hat. Sie wird Stein und Bein schwören, dass eine Täuschung völlig ausgeschlossen ist.«

»Damit wird sie wohl einige Stunden warten müssen. Denn Danesfield und Grenville sind jetzt gerade mit den meisten anderen Offizieren bei der Beerdigung oben in Brickfield. Ehe Cleo mit ihnen sprechen kann, sind wir schon längst aus der Gegend verschwunden.«

»Trotzdem werden Danesfield und Grenville heute noch von ihr zu hören bekommen, dass sie mich mit dir gesehen hat. Und ich glaube nicht, dass die beiden Cleos Geschichte einfach als Unsinn abtun werden.«

Andrew stimmte ihr darin zu. »Aber sie werden ihr Wort auch nicht sofort für bare Münze nehmen, sondern erst einmal Erkundigungen einziehen. Vermutlich werden sie dem nächsten Schiff, das nach Norfolk Island segelt, ein Schreiben an den dortigen Kommandanten mitgeben, damit dieser sich mit der Angelegenheit befasst.«

»Man wird von ihm eine genaue Beschreibung der Person verlangen, die als Abby Lynn Chandler dort eingetroffen ist«, folgerte Abby. »Und die Antwort wird Cleos Behauptung bestätigen, nicht wahr?«

»Das mag sein«, räumte Andrew ein und schob den Vorhang ein wenig beiseite. Sie hatten die letzten Häuser von Sydney hinter sich gelassen. Damit war die Gefahr, vielleicht doch noch aufgehalten zu werden, gebannt. Fitzroy jagte die Pferde nun im Galopp über die Parramatta Road ins Buschland hinaus. »Aber darüber werden Monate vergehen. Und falls Danesfield und Grenville schließlich Gewissheit erlangen, dass auf der Phoenix vor dem Auslaufen ein Rollentausch stattgefunden hat, dann hat die Wildnis dort draußen längst unsere Spuren verwischt. Also mach dir keine Sorgen, mein Schatz.«

Abby hob Jonathan, den auch das Geratter nicht aus seinem tiefen Schlaf zu reißen vermocht hatte, aus dem Korb und schmiegte sich, mit ihm im Schoß, an die Seite ihres Mannes. »Ich wünschte, wir wären schon dort draußen im Busch«, seufzte sie. »Und mit den anderen Siedlern auf dem Weg zu unserer neuen Heimat, wo immer wir diese auch finden mögen.«

»Ja, ich auch«, sagte Andrew, legte seinen Arm um sie und blickte auf seinen Sohn, der nun zwischen ihnen lag. »Und wir werden sie finden, unsere neue Heimat, und wir werden dort für uns und unsere Kinder etwas aufbauen, auf das wir und unsere Nachkommen eines Tages stolz sein werden, das schwöre ich dir!«