Kurze Zeit später flatterte dann endlich ein Brief von Salberg ins Haus. Gespannt öffnete Rose das Schreiben, überflog den Text und schnappte nach Luft. Der Chirurg war offenbar so begeistert von der Pension und natürlich ihrer Lage, dass er das ganze Anwesen gleich kaufen wollte. Er bot fünf Millionen!
Noch vor einigen Monaten hätte sie gejubelt und es angesichts dieser Summe vermutlich auch geschafft, Herbert und Annemarie von einem Verkauf zu überzeugen. Doch inzwischen war das Haus wieder gut gebucht, auch die Stammgäste reisten wieder an, und sie, Rose, wollte alles dafür tun, dass Frau Trautmann zur Dauerkundin wurde. Das Familienunternehmen König hatte die Krise überwunden. Aber vorsichtshalber wollte sie ihrem Vater das Angebot trotzdem unter die Nase halten. Niemand konnte sagen, was die Zukunft bereithielt.
Sie erwischte Herbert, als er gerade den Rasenmähertraktor aus dem Gerätehaus holte. In den letzten Tagen war es frühsommerlich warm gewesen, und die Grünflächen waren kräftig gewachsen. Seit Herberts Herzattacke ließ Florence ihn nicht mehr Auto fahren, was ihm gar nicht gefiel, denn er war ein leidenschaftlicher Fahrer gewesen, dem auch hohe Geschwindigkeiten Spaß bereiteten. Da war der Traktor ein eher harmloser Ersatz, auf dem er viele Extrarunden drehte.
»Was gibt es denn, mein Röschen?«, begrüßte er seine Tochter, schob die Sonnenbrille nach oben und schaute sie neugierig an.
»Papilein …«, begann sie.
Sofort unterbrach er sie. »Oh, oh, Papilein klingt nach Hiobsbotschaft. Was ist passiert?« Er setzte die Brille wieder auf, stieg auf den Schalensitz und startete den Motor.
Rose hob die Stimme. »Nichts, ganz im Gegenteil. Wir könnten reich werden.«
Herbert schaltete den Motor wieder aus. »Hast du reich gesagt? Lass hören.« Er schob die Sonnenbrille wieder nach oben und schaute seine Tochter erwartungsvoll an.
Rose hielt ihm das Schreiben des Investors hin.
»Ich hab die Lesebrille nicht dabei. Was steht denn da?«
Rose las langsam vor und sagte dann: »Ist das nicht ein super Angebot? Stell dir mal vor, wir wären …«
»Vergiss es!« Herbert fuchtelte wild mit den Händen durch die Luft. »Mein Besitz wird nicht verscherbelt, egal zu welchem Preis.«
»Nicht aufregen, Papilein«, beruhigte sie ihn. »Das Thema Verkauf ist doch schon lange vom Tisch. Der Laden läuft wieder, die Zukunft sieht rosig aus.«
»Und warum zeigst du mir dann diesen Wisch?«
»Nun, ich dachte, der Marktwert des Anwesens würde dich interessieren. Natürlich nur rein theoretisch.«
»Hm … da hast du recht. Danke, Röslein, schön zu wissen, dass wir so wertvoll sind.« Herbert platzierte die Sonnenbrille wieder auf seiner Knubbelnase, startete den Traktor erneut, ließ den Motor einmal aufheulen und tuckerte fröhlich winkend davon.
Rose marschierte zurück in ihr Büro, wo sie Salfelds Brief beantwortete.
Sehr geehrter Herr Salfeld,
herzlichen Dank für Ihr Schreiben und das Angebot, das mich sehr überrascht hat. Leider steht unser Haus nicht zum Verkauf. Wir bleiben eine familiengeführte Pension garni, in der man kurze oder lange Urlaube verbringen kann. Wenn Sie, wie bei Ihrer Besichtigung angesprochen, weiterhin an der Anmietung von Zimmern interessiert sind, freuen wir uns auf eine Zusammenarbeit.
Mit freundlichen Grüßen
Rose König
Geschäftsführerin
Ausdrucken, ab damit in ein Kuvert und Marke drauf. Später würde sie den Umschlag zum Briefkasten bringen. Doch jetzt war es Zeit, für einen Cappuccino, bevor sie online endlich nach einem Kleid für die Hochzeit suchen wollte.
Beim letzten Gespräch mit Nico über Brautkleider hatte sie ihn gefragt, ob sie diesmal alles »richtig« machen und in einem weißen Kleid Ja sagen sollte oder ob ihm auch eine Hochzeit in Jeans und Shirt gefallen würde. Worauf er geantwortet hatte: »Ich heirate kein Kleid, sondern dich, und du bist die allerschönste Frau der Welt, egal, was du anhast. Ich komme einfach auch im Freizeitlook, und dann passen wir zusammen wie Topf und Deckel.« Nach dieser zauberhaften Liebeserklärung hatte Rose das klassische Brautkleid aus Spitze oder Tüll von der Liste gestrichen.
Den Cappuccino neben sich auf dem Schreibtisch, gab sie »festliche Kleider« in die Suchmaschine ein, klickte den Link zu den Bildern an und betrachtete geduldig einzelne Angebote, als ein jubelndes »Rose, Rose!« sie aufschreckte.
Iris war plötzlich vor dem Schreibtisch aufgetaucht und schwenkte ein Kuvert. »Stell dir vor, Christian hat die Scheidungspapiere unterschrieben! Ich kann es immer noch kaum glauben.« Sie nahm einige Bogen aus dem Umschlag, legte sie auf den Tresen und strich sie vorsichtig mit der Hand glatt.
»Endlich! Wie wunderbar.« Rose freute sich mit ihrer Schwester, schob den Stuhl zurück und ging um den Schreibtisch herum, damit sie sie umarmen konnte. Dann begutachtete sie die Unterschrift. »Tatsächlich, er hat eingewilligt. Aber was hat die Meinung dieses Sturschädels denn geändert?«
»Mein Umzug zu Fritz. Als ich ihm davon am Telefon erzählt habe, konnte ich an seinem Schnaufen hören, dass er es endlich kapiert hat. Manchmal helfen nur drastische Schnitte, damit sich was bewegt. Aber genug davon.« Iris linste neugierig auf den Bildschirm. »Was machst du denn gerade?«
»Ich suche ein Kleid für meine Hochzeit. Nichts Übertriebenes und auch kein traditionelles weißes, eher was Außergewöhnliches«, antwortete Rose.
Iris faltete die Papiere wieder zusammen und steckte sie zurück in das Kuvert. »Warum trägst du nicht das schwarze Kleid, das du im Herbst gekauft hattest?«
»Keinesfalls, das ist viel zu sehr mit traurigen Erinnerungen behaftet. Ich würde mich nicht wohl darin fühlen, und Nico ist es egal, was ich anhabe. Hauptsache, wir heiraten bald. Und was ist mit euch, wo du hoffentlich bald eine freie Frau bist?«
»Stimmt! Wir haben Glück – der Gerichtstermin ist schon in vierzehn Tagen.« Iris lachte vergnügt auf. »Wir könnten also auch …«
»… eine Doppelhochzeit feiern!«, riefen die Schwestern wie aus einem Mund.
Als Rose und Iris bei einem Abendessen die Neuigkeiten verkündeten, waren alle begeistert. Annemarie schlug vor, die fünfstöckige Hochzeitstorte zu backen, mit der Viola einen Wettbewerb gewonnen hatte und die für eine große Gästeschar ausreichen würde.
»Gute Idee, die ist ja auch eine echte Traumtorte.« Rose und Iris nickten gerührt. Dann wäre es, als wäre Viola auch ein bisschen mit dabei.
Iris wollte aber nicht in Jeans und Shirt heiraten, deshalb begaben sie sich noch einmal auf die Suche nach Hochzeitskleidern.
In Konstanz bei New Traditional, einem unkonventionellen Laden für Brautmoden, den Frau Trautmann empfohlen hatte, wurden sie von Jana Burowski empfangen. Die Inhaberin und Designerin war eine sympathische Vierzigjährige mit rotblonden Haaren.
Frau Burowski erkundigte sich zuerst, ob Rose und Iris bereits genaue Vorstellungen hatten. Langes oder kurzes Kleid, Hosenanzug oder etwas schlichtes Klassisches?
»Ich möchte auf keinen Fall ein Tortenkleid mit Korsage und Tausenden Metern Tüll und Spitze, in dem ich mich kaum bewegen kann«, antwortete Rose.
»›Tortenkleider‹ habe ich gar nicht im Angebot«, entgegnete die Designerin, die sich über Roses fast abfälligen Begriff amüsierte und dann erzählte, sie selbst sei in einem Hippiekleid vor den Altar getreten.
»Ich hätte gern etwas Bequemes«, sagte Iris und streckte ihren kleinen Babybauch heraus.
Rose erwähnte noch beiläufig, dass sie nicht mehr als eintausend Euro für das Kleid ausgeben wollte. Verschwendungen waren ihr ein Gräuel, aber ein weiterer Grund war Herberts Hang zu Traditionen. Er bestehe zwar nicht erneut auf einem Polterabend, aber der Brauch verlange, dass er als Vater die Hochzeit seiner Töchter bezahle, hatte er nachdrücklich betont. Um des lieben Friedens willen hatten Rose und Iris zugestimmt, ihn die Brautkleider mit allen Accessoires und auch die Feierlichkeiten finanzieren zu lassen.
Jana Burowski nickte verstehend. »Wir haben sehr hübsche Kleider schon für knapp dreihundert Euro.«
Rose schluckte ein überraschtes »Wow« hinunter und geriet nun doch in das »Brautkleidfieber«, wie Frau Trautmann das Aussuchen und Anprobieren von immer neuen Kleidern bezeichnet hatte. Zuerst schlüpfte sie in ein wadenlanges Kleid aus weich fließendem Georgette, dessen Rock wunderhübsch im Wind flattern würde.
Der Nachmittag neigte sich schon dem Ende zu, als Rose und Iris den Probiermarathon beendeten. Erschöpft sanken sie auf das blassrosa Besuchersofa und betrachteten unentschlossen ihre beachtliche Auswahl auf der Kleiderstange.
Frau Burowski drängt sie zu keiner Entscheidung. »Vielleicht möchten Sie auch noch eine zweite Meinung hören und sich mit einer Freundin, ihrer Mutter oder Schwiegermutter beraten?«
»Daran liegt es nicht, dass ich mich nicht entscheiden kann«, gestand Rose. »Die Kleider sind alle wunderschön – doch mir geht einfach nicht aus dem Kopf, dass ich ursprünglich in Jeans und T-Shirt am Seeufer heiraten wollte.«
Frau Burowski schien keineswegs schockiert, verschwand kurz in ihrem Büro und kam mit einem Ordner wieder. »Dann denken wir doch einfach noch um! Hier habe ich Fotos von unkonventionellen Kombinationen, vielleicht ist da etwas dabei.«
Rose und Iris begutachteten die Bilder von Kleidern, die sich nicht nur für eine Hochzeit eigneten, sondern auch noch bei anderen Gelegenheiten getragen werden konnten. Rose deutete auf Bild Nummer elf. »So möchte ich heiraten.«
Iris schloss sich Roses Entscheidung an. »Wenn Platz für meinen Babybauch ist, würde mir das auch gefallen.«
Zufrieden begaben sich die Schwestern kurz darauf auf die Heimfahrt. Rose saß am Steuer. Iris wirkte ziemlich erschöpft, und Überanstrengung war bestimmt nicht gut für das Baby. »Wenn alles nach Wunsch läuft, werden wir aussehen wie Zwillinge …«
Iris streichelte Rose über die Schulter. »Hab ich dir schon mal gesagt, dass du die beste Schwester der Welt bist?«
Rose lächelte. »Ja, hast du – als ich den störrischen Christian verprügeln wollte.«
Seufzend legte Iris die Hände auf ihren Bauch. »Ich bin so froh, dass dieses ewige Hin und Her ein Ende hat! Es wäre mein größter Albtraum gewesen, wenn die Scheidung nicht vor der Geburt des Babys zustande gekommen wäre. Egal, wie gelassen Fritz damit umgegangen ist, ich war in den letzten Wochen mit den Nerven am Ende.«
»Dieser hirnverbrannte Idiot!«, schimpfte Rose.
»Das ist Christian allerdings«, stimmte Iris lachend zu.
»Ähm … ich meinte diesen Hornochsen, dessen Scheinwerfer mich geblendet haben. Aber ja, ich bin auch überglücklich, dass wir zusammen Hochzeit feiern können, das wird bestimmt ein tolles Fest, auch wenn wir Frau Trautmann …« Rose verstummte.
»Was ist los?«
»Ich überlege, ob wir sie doch einladen sollen.«
»Ich dachte eigentlich, sie stünde schon auf unserer Gästeliste. Aber die habe ich ja ganz dir überlassen, du bist in diesen Dingen viel gründlicher als ich«, lobte Iris ihre Schwester und fragte dann: »Was spricht dagegen, sie einzuladen?«
»Na ja, weil sie unsere Hochzeit nicht geplant hat, ich ihr das aber eigentlich versprochen hatte …«
»Ich verstehe kein Wort.«
Rose erzählte von ihrem Dilemma vor einiger Zeit, die Besprechungstermine mit Salberg und Frau Trautmann unter einen Hut bringen zu müssen, und dass sie dabei Frau Trautmann gegenüber spontan angedeutet hatte, auch ihre eigene Feier von ihr planen lassen zu wollen.
»Na, dann engagieren wir sie einfach noch, und du bist aus dem Schneider.«
Rose riskierte einen schnellen Seitenblick auf Iris, die ganz entspannt auf dem Beifahrersitz saß. »Aber das wären doch unnötige Kosten. Wir sind doch selbst Profis, wenn es um große Feiern geht, haben deine erste Hochzeit und meine Verlobung organisiert.«
»Ha, da spricht die Buchhalterin in dir«, entgegnete Iris schmunzelnd. »Denk mal nicht ans Geld, denn im Hinblick auf eine weitere Zusammenarbeit mit Frau Trautmann wäre es eine Investition in die Zukunft.«
Rose dachte nach, und weil sie einfach nicht aus ihrer Haut konnte, rechnete sie im Stillen doch nach, was es kosten würde. Schließlich kam sie zu dem Ergebnis, dass Iris recht hatte. »Okay, ich überwinde mich und überlasse alles der professionellen Hochzeitsplanerin.«