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Ein Schnüffeln außerhalb des Verschlags weckte mich. Benommen rieb ich mir die Augen und blinzelte die letzte bleierne Schwere eines traumlosen Schlummers weg. Wie ein Stein war ich in den Schlaf gesunken, kaum dass ich bei meinem Cinnabar nach dem Rechten gesehen hatte. Ich hatte ihn bestens mit Futter versorgt vorgefunden, und das Ungestüm, mit dem er an meiner Hand knabberte, zeigte mir, wie sehr er sich über unser Wiedersehen freute. Auf die Ellbogen gestützt, richtete ich mich auf und spähte zwischen den Beinen meines Pferdes hindurch zum Gatter. In meinen Umhang gehüllt, war ich auf einem Heuhaufen eingeschlafen. Erstaunt stellte ich fest, dass ich in meine Kindheitsgewohnheiten zurückgefallen war und in den Stallungen Zuflucht gesucht hatte – genau wie damals, als es immer wieder galt, der Dudley-Meute zu entkommen.
Eine feuchte schwarze Schnauze schob sich durch den Schlitz unter dem Gatter. Kaum hatte sie meine Witterung aufgenommen, erscholl wildes, aufgeregtes Gebell, laut genug, um den ganzen Palast zu wecken.
Mit schmerzverzerrtem Gesicht, weil mein Rücken immer noch mit blauen Flecken übersät war – ich schwor mir, solange ich lebte nie wieder über den Ärmelkanal zu segeln –, fuhr ich mir mit der Hand über das stoppelige Haar, schüttelte meine Stiefel und den Umhang aus, während ich um mein Pferd herum zum Gatter stapfte, um es zu entriegeln. Bestimmt hatte gerade einer der Stallburschen den Hund eines Adeligen vom Morgenspaziergang zurückgebracht, und ich wollte lieber nicht wie ein Dieb in den Stallungen der Königin …
Ein silbergraues Tier flog mir entgegen, hob sich auf seine gedrungenen Hinterbeine und rammte mir die Vorderpfoten gegen die Brust. Mit einem Aufschrei torkelte ich zurück, dann musste ich mir gefallen lassen, dass Urian, Elizabeths Lieblingshund, mir winselnd das Gesicht ableckte und sich gebärdete, als hätte er mich eine halbe Ewigkeit nicht mehr gesehen. »Hör auf!«, japste ich schließlich und tastete nach seinem Halsband. »Urian, nein!« Doch ich lachte dabei, denn ich war in diesen Hund vernarrt; außerdem war dies das erste liebevolle Willkommen, das mir zuteilwurde. Erst als es mir gelang, die Leine zu fassen und ihn zu bändigen, erkannte ich, dass er nicht allein war. Sie stand hinter ihm, unbeweglich wie eine Statue, und starrte mich an.
Mein Herz machte einen Satz. Obwohl sie nur Schritte von mir entfernt war, schien zwischen uns ein Abgrund zu klaffen.
»Brendan …« Ihre Stimme klang leise und unsicher. In diesen zwei kurzen Silben hörte ich ein Zögern, das mich traf wie ein Fausthieb in den Magen. Kate trat einen Schritt auf mich zu. »Es ist also wahr. Du bist wieder da.«
Auf einmal kam mir meine vierjährige Abwesenheit noch viel länger vor, als sie es tatsächlich gewesen war. Als ich sie zuletzt gesehen hatte, war sie zu Fuß an Elizabeths Seite in den Tower eingezogen, um deren Gefangenschaft zu teilen. In dem Maße, in dem ich die Spuren erkannte, die die Trennung von mir auf ihrem Gesicht hinterlassen hatte, begannen Erinnerungen durch mich zu strömen – an ihr Lachen in unserem zerwühlten Bett in Hatfield, das von unseren erhitzten Körpern immer noch ganz warm war; an ihre leuchtenden Augen, als sie das Muttermal an meiner Hüfte mit den Fingern nachzeichnete und über den Tag sprach, an dem es uns möglich sein würde zu heiraten. Nun wäre ich am liebsten vor ihr auf die Knie gesunken.
Ich hatte sie ohne ein Wort der Erklärung verlassen und ihr auch später nie den Grund dafür mitgeteilt.
Ich legte Urian, der neben mir hockte und hingebungsvoll zu uns aufschaute, eine Hand auf den Kopf. »Ja«, sagte ich leise.
»Wann … wann bist du eingetroffen?«
»Gestern Abend. Ich hatte das Gefühl, an der Stimmung, die am Hof herrschte, zu ersticken. Da habe ich mich einfach hier schlafen gelegt. Anscheinend habe ich meine alten Gewohnheiten immer noch nicht aufgegeben.« Ich stieß ein nervöses Kichern aus. Das Lachen blieb mir im Hals stecken, als Kate noch einen Schritt näher trat.
»Bitte nicht.« Sie schob ihre Kapuze zurück über die Schultern, und plötzlich wirkten ihre honigfarbenen Augen übergroß in ihrem Gesicht, das mir zu schmal, zu blass vorkam. »Du darfst es nicht auf die leichte Schulter nehmen. Diesmal nicht.«
Ich schluckte. Vor diesem Moment hatte ich mich gefürchtet. Tausende Male hatte ich in Gedanken durchgespielt, was ich sagen würde. Wie sollte ich ihr erklären, dass ich mithilfe der von Cecil bestochenen Informanten über sie gewacht hatte, allesamt unbedeutende Bedienstete in den Schlössern, in denen Kate und Elizabeth unter Hausarrest gelebt hatten? Wie ihr sagen, wie viele Male es mich gedrängt hatte, ihr zu schreiben, ich dann aber Angst bekommen hatte, meine Briefe könnten abgefangen, meine Bleibe aufgespürt werden und sie dadurch in noch größere Gefahr geraten? Jetzt wurde mir klar, dass meine Erklärungen wie Ausreden klingen würden, wie die Beteuerungen eines Mannes, dem es vor allem um seinen eigenen Schutz ging. Noch nie war es mir leichtgefallen, mich jemandem zu offenbaren. Und heute wäre mir jede Entschuldigung wie eine Lüge vorgekommen.
»Du … du bist so mager«, sagte Kate. »Fast hätte ich dich nicht erkannt. Du hast dir die Haare abgeschnitten! Und dein Bart, der ist so dicht …« Ihre Stimme erstarb, als spräche sie mit einem Fremden, dessen Züge irgendwie vertraut, aber dennoch verdächtig wirkten.
Ich wusste nichts zu antworten. Ich hatte überhaupt nicht bedacht, wie sehr ich mich verändert hatte.
Und auch sie blieb stumm. Sie studierte mich, als könnte sie nicht fassen, dass ich in zerknittertem Rock und ausgebeulter Strumpfhose vor ihr stand, meinen Umhang und die Stiefel zu meinen Füßen. Dann pfiff sie, rief: »Urian, komm!«, und ging zur Tür.
Winselnd und mit traurigen Augen blickte der Hund zu mir auf. Ich ergriff die Leine und eilte Kate hinterher. »Kate! Kate, warte! Bitte …«
Sie wirbelte herum, woraufhin ich abrupt stehen blieb. Ihre Augen blitzten auf. »Bitte was?«, fauchte sie. »Ich soll bitte nicht fragen, wohin du gegangen bist, nachdem du uns im Tower zurückgelassen hattest, oder was du in den letzten Jahren gemacht hast? Oder ich soll nicht fragen, warum du mir nie eine Botschaft geschickt hast, um mich wissen zu lassen, dass du noch lebst? Bitte überhaupt nichts fragen: Ist es das, was du willst?«
»Kate, ich …«
Plötzlich holte sie aus und schlug mich mit voller Wucht auf die Wange. Meine Zähne gruben sich in die Unterlippe. Den Geschmack von Blut im Mund, murmelte ich: »Ich weiß, dass ich das verdiene. Du hast jedes Recht, mich zu hassen.«
Zitternd, die Hand an die Brust gepresst, stand sie da, als hätte ihr Arm von selbst zugeschlagen. »Ich kann nicht …« Ihre Augen schwammen in Tränen. »Das ist ja das Schlimme! Ich kann dich nicht hassen! Aber ich will! Ich muss!« Erneut wirbelte sie herum und stolperte dabei über den Saum ihrer Robe. Um sie aufzufangen, fasste ich sie am Arm. Doch als sie meine Hand spürte, erstarrte sie.
»Lass mich«, flüsterte sie. »Bitte.«
»Erst wenn du mir zugehört hast.« Auf einmal stürzten die Worte in einer wilden Kaskade aus meinem Mund. »Ich bin nicht freiwillig fortgegangen. Der Botschafter des Kaisers, Renard, war schuld. Er hat Soldaten auf mich gehetzt. Es ging um mein Leben. Meinetwegen waren auch Cecil und seine Angehörigen in Gefahr. Ich musste mich ins Ausland retten. Es ging nicht anders.«
Kate sollte meine Notlage begreifen. Sie war Cecils Mündel. Nach dem Tod ihrer Mutter hatten Cecil und seine Frau sie bei sich aufgenommen und wie ihr eigenes Kind aufgezogen. Und sie liebte die beiden wie ihre eigenen Eltern. Nie hätte sie gewollt, dass ihnen etwas zustieß. Während ich sprach, zeigte sie keine Regung. Das Gesicht hatte sie abgewandt, und ihr Körper war so steif, dass ich ihren Arm schließlich losließ. »Ich bin nach Basel gegangen …«, fuhr ich fort, »… um bei Walsingham zu leben. Er war bereit, mich bei sich aufzunehmen und auszubilden. Es war mir streng verboten, dir von dort zu schreiben.«
Nach einem langen Moment hob sie den Blick. »Ich weiß. Cecil hat es mir erklärt. Nach Marys Tod ist er nach Hatfield gekommen. Er hat mir alles gesagt. Nur hatte ich gehofft, es von dir zu erfahren.«
»Ich wollte es dir doch sagen, Kate, das schwöre ich dir! Aber ich konnte nicht. Es war zu …«
»Gefährlich. Ja, das habe ich schon einmal gehört.« Sie bedachte mich mit einem bitteren Lächeln. »Alles ist zu gefährlich, sobald Elizabeth ins Spiel kommt. Schon immer. Seit dem Tag, da du geschworen hast, ihr zu dienen, leben wir am Rande eines Abgrunds – ihres Abgrunds. Und jetzt hat sie gewonnen. Sie ist Königin.« Kate stockte. »Aber ich bilde mir nicht ein, dass nun weniger Gefahr droht. Du wirst an ihrer Seite sein, um sie zu beschützen, was immer dich das kosten wird.«
Ein Kloß stieg mir in den Hals. »Du weißt doch, warum ich ihr dienen muss.«
Aus ihrem Seufzer war keine Wut mehr zu hören, keine Anklage, nur noch herzzerreißende Resignation. »Manchmal wünsche ich mir, ich wüsste es nicht. Manchmal wünsche ich, du hättest es mir nie erzählt. Die Verbindung, die ihr teilt, verdrängt alles. Für andere ist daneben kein Platz.«
Trostlosigkeit breitete sich in mir aus. Urian, der meine Verzweiflung spürte, bellte aufgeregt. Die Pferde machten sich hinter ihren Gattern bemerkbar, auch Cinnabar mit seinem unverkennbaren Wiehern. Ich sehnte mich danach, die Arme um Kate zu legen und ihr zu versichern, dass wir immer noch ein gemeinsames Leben aufbauen, die Vergangenheit vergessen und neu anfangen könnten. Doch ich wollte sie nicht mehr anlügen, wollte diese Illusion nicht länger nähren. Kate kannte die Wahrheit: Für uns würde es keine Sicherheit geben, und das nicht nur wegen meiner Pflichten gegenüber Elizabeth.
»Ich hatte keine Wahl«, flüsterte ich. »Ich bin gegangen, um deine Sicherheit zu erkaufen. Nach Peregrine könnte ich es nicht ertragen, auch noch … dich zu verlieren.«
Sie hob die Hand. Sacht legte sie sie mir an die Wange, genau auf die Stelle, die von ihrer Ohrfeige noch brannte. »Stattdessen habe ich dich verloren.«
»Das ist nicht wahr!«, protestierte ich, nur um sofort wieder zu verstummen, weil ich jäh ein anderes Augenpaar vor mir sah, zwei andere Hände. Ich hatte mehr getan, als Kate im Stich zu lassen. Ich hatte sie mit einer anderen Frau betrogen, von deren Arglist ich mich blenden ließ, die mich in eine Dunkelheit geführt hatte, aus der ich mich bis heute nicht vollständig hatte befreien können. Sogar jetzt noch suchte sie mich in meinen Träumen heim. Noch nie hatte ich eine Frau so glühend begehrt wie Sybilla Darrier, und noch nie hatte sich meine Begierde als derart tödlich für die Menschen in meiner Umgebung erwiesen.
»Ich will keine Versprechungen mehr«, sagte Kate. »Du musst dem Pfad, den du gewählt hast, treu bleiben. Ich werde dir nicht länger im Weg stehen. Lebe wohl, Brendan.«
Wie angewurzelt blieb ich stehen, als sie Urians Leine ergriff und sich dem Stalltor näherte. Der Hund tapste hinter ihr her, blickte sich aber immer wieder um, als flehte er mich an, ihm zu folgen.
Ein Schrei brannte mir in der Kehle, ein Gelübde, ihr zuliebe alles zurückzulassen, sie auf der Stelle mit mir zu nehmen – gleichgültig wohin –, um unsere Liebe auf ein neues Fundament zu stellen. Doch ich schwieg, verfolgte, wie sie wortlos im kalten Licht des Tages verschwand. Lange verharrte ich regungslos. Irgendwann vergrub ich schließlich stöhnend das Gesicht in den Händen.
Ich tat in den letzten Jahren, was getan werden musste, um ihre Sicherheit zu gewährleisten. Doch sie hatte recht. Wir hatten einander tatsächlich verloren.
Walsingham blickte auf, als ich durch die Tür trat. Er saß auf einem schmalen Hocker und schlüpfte gerade mühevoll in seine Stiefel. Ihn zu finden war nicht schwierig gewesen. Einer Ahnung folgend, hatte ich im ältesten Teil von Whitehall, dem tiefer gelegenen Flügel, nach ihm gesucht, und mein Gefühl hatte mich nicht getrogen. Eine flüchtige Begutachtung unserer Unterkunft bestätigte mir, dass sie in der Tat karg war: zwei Pritschen mit Strohmatratzen – verklumpt, wie ich auf den ersten Blick erkannte – nahmen den größten Teil des Raumes ein. Den Rest der knappen Fläche füllten eine angeschlagene Holztruhe für die Kleider, ein Seitentisch und der unvermeidliche Nachtstuhl. Es stank nach feuchtem, ranzigem Talg. Ein Fenster gab es nicht. Ich spürte bereits, wie der Winter durch die Holzplanken kroch, die den Steinboden bedeckten.
»Prunkvoll«, bemerkte ich und warf meine Satteltasche auf die nächste Bettstatt. Welche Pritsche Walsingham belegte, konnte ich nicht erkennen. Beide wirkten unberührt. Hatte er überhaupt geschlafen?
»Es ist ja nur für kurze Zeit«, brummte er und widmete sich wieder seinem Stiefel. »Cecil will in der Nähe ein Haus mieten. Wenn meine Bücher und Dokumente eintreffen, brauche ich eine richtige Unterkunft. In so beengten Verhältnissen möchte ich nach Möglichkeit nicht allzu viel Zeit verbringen.«
Ich teilte seine Meinung, verkniff mir aber einen Kommentar. Stattdessen wühlte ich in meiner Tasche nach dem Dolch und meiner Tasse. Dann zwängte ich mich an Walsingham vorbei zum Tisch, auf dem ich eine Karaffe, einen Brocken Brot und ein Stück Hartkäse erspäht hatte. Von Letzterem schnitt ich mir eine Scheibe ab und goss das wässrige Ale in meine Tasse. Mein Magen knurrte. Seit der Mahlzeit in dem Gasthof hatte ich nichts mehr gegessen.
Hinter mir räusperte sich Walsingham. Ich drehte mich um und sah, dass er jetzt vollständig in sein übliches Schwarz gehüllt war. Da ich gestern Nacht im Stall geschlafen hatte, hatte ich die Gelegenheit verpasst, ihn einmal unbekleidet zu sehen. Irgendwie konnte ich mir nicht vorstellen, dass sich unter dieser Tracht, die er wie eine Schale trug, so etwas wie menschliches Fleisch verbarg.
»Für den Hof gekleidet?«, fragte ich.
Er bedachte mich mit einem dünnen Lächeln. »Ich lege es nicht darauf an, Eindruck zu schinden. Ihr dagegen müsst alles Euch Mögliche tun, um die Aufmerksamkeit der Königin zu erregen. Ich schlage vor, dass Ihr Euch wascht und gründlich Eure Kleider lüftet. Sie erwartet Euch heute Nachmittag in ihren Gemächern. Cecil war heute Morgen hier und hat für Euch einen Lederbeutel mit Geld und die Adresse eines Schneiders zurückgelassen. Wenn Ihr den Höfling spielen wollt, müsst Ihr Euch entsprechend ausstatten.«
Betont langsam schnitt ich mir noch etwas Brot und Käse ab. Walsingham sollte nicht bemerken, wie sehr mich seine Worte erregten. Ich hatte nicht erwartet, dass Elizabeth mich so bald empfangen würde. »Ich dachte, sie hätte so viel zu tun«, erwiderte ich.
»Anscheinend noch nicht.« Walsinghams Augenbrauen hoben sich. »Hattet Ihr etwa beabsichtigt, den ganzen Tag im Bett zu verbringen? So wie Ihr ausseht, liegt eine unruhige Nacht hinter Euch.«
Ich stellte meine Tasse mit einem unüberhörbaren Scheppern ab. »Meine Pläne gehen Euch nichts an. Ich bin Euch keine Rechenschaft mehr schuldig.« Im selben Moment wurde mir klar, wie absurd es war, ihn so rüde anzugehen, denn ihn traf keine Schuld. Doch ich hatte meine Gefühle nicht im Griff. Plötzlich hasste ich ihn. Ich verabscheute den ganzen Hof und wünschte mir, ich wäre nie zurückgekehrt. Im Exil hatte ich wenigstens so tun können, als strebte ich ein anderes Schicksal an, als glaubte ich, es gäbe eine Möglichkeit, das, was ich zerschlagen hatte, zu heilen. Nun vermochte mich nicht einmal der Gedanke zu beschwichtigen, dass ich Elizabeth wieder dienen würde. Die einzige Zukunft, die mir in diesem Moment vor Augen stand, war ein Leben voll endloser Ausflüchte, das von Cecils Machenschaften und Dudleys Hass gegen mich beherrscht wurde – wenn ich denn so lange überlebte.
»Ihr habt recht«, sagte Walsingham, »Ihr seid nicht mein Diener. Damit steht es Euch frei, zu tun, was Euch beliebt. Doch wenn Ihr mir einen letzten Ratschlag gestatten möchtet …«
Ich funkelte ihn an. »Wann hat meine Erlaubnis oder deren Ausbleiben Euch je an etwas gehindert?«
Er schnaubte. »Ich merke, dass die anstehende Aufgabe, einen Köder für Dudley abzugeben, Euch unter Eurer Würde erscheint. Gleichwohl tut ein Geheimagent, unabhängig von seinen persönlichen Vorlieben, immer das, was ihm befohlen wird. Hoffentlich habt Ihr nicht meine Zeit verschwendet. Ihr habt das Talent, unser fähigster Agent zu werden. Und ganz gewiss derjenige an der besten Stelle, wenn man Eure Vertrautheit mit der Königin bedenkt. Doch Fehler werden nicht geduldet. Wenn Ihr irgendwelche Zweifel habt, seid Ihr nicht geeignet und solltet Eure Aufgabe sofort niederlegen. Enttäuschung ist besser als Schwäche.«
Sein unverblümter Tadel ließ mich die Zähne zusammenbeißen. Und als er zur Tür ging, hörte ich mich sagen: »Ich habe keine Zweifel.« Er blieb stehen, ohne sich zu mir umzudrehen. »Ich werde ihr meine Aufwartung machen«, fügte ich hinzu. »Und ich verspreche, dass ich mein bestes Wams tragen und nach Lavendel riechen werde.«
»Versprechen bedeuten mir nichts«, erwiderte er, ein beunruhigendes Echo auf Kates Worte in den Stallungen. »Ich wünsche nur eines: die Einhaltung der Regeln. Denkt immer nur daran, was Ihr seid, nicht daran, wer Ihr wart.« Er öffnete die Tür. »Ihr werdet um Schlag ein Uhr erwartet. Kommt nicht zu spät. Unpünktlichkeit ist ihr zuwider.«
Damit ließ er mich stehen. Langsam erstarb meine Feindseligkeit in mir.