5
Nachdem ich Brot und Käse vollständig verspeist und auch vom Bier das meiste getrunken hatte, fühlte ich mich gestärkt, zumindest was meinen Magen betraf, wenn auch nicht meinen Geist. Aber ich durfte nicht länger säumen. Ich öffnete die Truhe, in der sich mein Schwert befand. Ich hatte es für die Reise sorgfältig geölt, in ein Tuch gewickelt und in seine Scheide gesteckt. Nun zögerte ich doch. Lange schwebte meine Hand darüber. Es war völlig unerwartet in meinen Besitz gelangt: Im Geheimgemach eines sterbenden Königs war es mir zugeworfen worden, damit ich mich verteidigen konnte. Würde ich es heute benötigen?
Das glaubte ich eigentlich nicht. Ich schob es zur Seite und entdeckte das Geld und die Kleider, die Cecil mir gebracht hatte: ein elegantes braunes Samtwams mit passender Strumpfhose, Kniehosen, Hosenbeutel und Ärmeln aus purpurnem Damast. Ich breitete alles auf dem Bett aus, um es zu inspizieren. Cecil hatte wirklich an alles gedacht; wahrscheinlich hatte er sogar meine Maße angegeben. Schließlich zog ich ein frisches Hemd und saubere Unterwäsche aus der Tasche und legte sie auf den Hocker, um die Falten zu glätten und alles zu lüften, bevor ich mich auf die Suche nach Wasser begab. Zwar gab es in Whitehall Gemeinschaftsbäder, aber ich hatte nicht die geringste Lust auf die Gesellschaft eifrig tratschender, nackter Höflinge. Ein Trog in einem nahe gelegenen Innenhof bot mir, was ich benötigte. Ich tauchte Gesicht und Hände in das kalte Wasser und säuberte mich mithilfe eines in Leinen gewickelten Seifenstücks. Am Ende trocknete ich mich, vor Kälte zitternd, ab. Als ich den Trog verließ, schwamm auf dem Wasser eine Schmutzschicht. Auf dem Rückweg zu unserem Gemach ignorierte ich die neugierigen Blicke von Dienern und Pagen.
Glockenläuten verkündete gerade die Uhrzeit, als ich in meinem steifen, neuen Aufputz in den Korridor hinaustrat. Zwar hatte Walsingham mir den Ort nicht genannt, doch ich nahm an, dass Elizabeth in denselben königlichen Gemächern residierte, die einst ihre Schwester Mary bewohnt hatte. Nach mehreren vergeblichen Versuchen entdeckte ich schließlich die nur Eingeweihten vertraute Prunkgalerie mit den vertikal unterteilten Erkerfenstern, die auf die Themse führten.
So wie der Fluss im Sonnenlicht glitzerte, konnte man fast meinen, Rohdiamanten trieben auf seinem dunklen Wasser. Obwohl der Winter nahte, war es ein herrlicher Tag. Die Sturmwolken von gestern hatten sich aufgelöst, vertrieben von einem lebhaften Wind, der durch die Hecken pfiff und die Bäume in den Gärten durchschüttelte. Der Palast selbst wirkte wie ein Mausoleum. Warm war es dort nie gewesen, denn seine riesigen Räume ließen einfach keine Behaglichkeit zu, gleichgültig, wie viele Kohlebecken und Kaminfeuer brennen mochten.
Um mich herum begannen nun Leute aufzutauchen – Höflinge in ihrem Sonntagsstaat, deren bestickte Schals leise raschelten, ebenso wie die mit Gewichten beschwerten Kleidersäume, während die Duftkugeln und die Perlen- und Goldkugeln an ihren Kettchen die Korridore fortgesetzt mit harmonischen Klängen erfüllten. Vor dem Bogengang, der zu den königlichen Gemächern führte, hatten sich Wachen postiert. Ich konnte spüren, wie der Griff meines Dolches gegen die Wade drückte – trotz des Verbots, in der Gegenwart der Königin Waffen zu tragen, hatte ich ihn in den Stiefelschaft gesteckt –, blieb kurz stehen und blickte mich diskret um. Von den Personen um mich herum kannte ich niemanden. Einen verstörenden Moment lang kamen sie mir alle gleich vor: herausgeputzte Pfauen mit den verhüllten, scharfen Augen von Raubvögeln, die mich wie ein mögliches Opfer abschätzten. Je nach Rang standen sie in verschiedenen Gruppen herum und plauderten über Nichtigkeiten, ohne dass einer wirklich an dem interessiert gewesen wäre, was die anderen zu sagen hatten. Ihre Aufmerksamkeit galt einzig und allein der Flügeltür, die zwischen ihnen und dem Mittelpunkt ihrer Existenz stand – der Königin höchstpersönlich.
Mir fiel wieder ein, auf welche Art und Weise Mary um diese Stunde ihre Audienzen abgehalten hatte, und ich fragte mich, ob Elizabeth mich einbestellte, damit auch ich meinen Platz unter all denen einnahm, die nach ihrer Gunst gierten. Ich hatte ihr treu gedient, das ganz gewiss, und wir hatten die eine oder andere Herausforderung gemeinsam überstanden, aber wer war ich letztlich denn schon für sie? Mit Dudley konnte ich mich angesichts der langen Geschichte zwischen den beiden jedenfalls nicht messen. Ich hatte am eigenen Leib erfahren, welche Veränderungen eine Krönung bei einem Menschen bewirkte. So hatte sich Mary Tudor, der ich mit auf den Thron verholfen hatte, vor meinen Augen in ein Ungeheuer verwandelt. Cecil hatte angedeutet, dass auch Elizabeth ihre neue Macht zu Kopfe steigen könne. Hatte bei ihr bereits eine Verwandlung eingesetzt? Und wenn ja, würde sie mich dann noch willkommen heißen?
Von solchen unerwarteten Zweifeln befallen, sah ich jäh eine neue Gefahr aufziehen. Wieder einmal stand mir klar vor Augen, wie unsicher meine Lage in Wahrheit war. In meinem Schreck darüber hätte ich mich fast zum Gehen gewandt, und es war nur Cecils plötzliches Auftauchen, das mich davon abhielt. Er trug eine dunkle Robe, und auf seinen Schultern lag seine schwere Amtskette. Kaum hatten sie ihn bemerkt, stürzten die Höflinge auf ihn zu. Er drängte sich zwischen ihnen hindurch und wirkte aufgeregt. Dann erspähte er mich am Rande der Menge und winkte mich zu sich.
Im Vorbeigehen spürte ich, wie sich alle Blicke auf mich hefteten. »Wer ist das denn?«, hörte ich jemanden flüstern. Gleich darauf trat ich durch das Portal in den Vorraum der königlichen Gemächer. Cecil gab den Wächtern ein Zeichen, mich durchzulassen. Das rief einen Aufschrei der Höflinge hervor, der jäh gedämpft wurde, als die Eichentür ins Schloss fiel.
Cecil schnitt eine Grimasse. Erschöpft nahm er die Kappe ab und tupfte sich den Schweiß von der Stirnglatze. »Ein einziger Albtraum!«, stöhnte er. »Wie die Pharisäer hängen sie hier Tag und Nacht herum! Sie glauben, dass Elizabeth sie irgendwann bemerken muss, wenn sie die Tür zu ihren Gemächern nur lange genug belagern. Ich denke daran, neue Einschränkungen bezüglich des Abstands zu erlassen, der zur Monarchin eingehalten werden muss. Gegenwärtig kann die Königin keinen Fuß vor ihre Tür setzen, ohne auf diese Meute zu stoßen.«
»Aber genau das wolltet Ihr doch«, erinnerte ich ihn. »Ihr habt unermüdlich darauf hingearbeitet.«
Er seufzte. »Ja, das habe ich.« Er setzte sich die Kappe wieder auf und blickte sich um, obwohl der prächtige Vorraum bis auf uns leer war. Hinter dem mit Pailletten besetzten Vorhang, der einen Bogengang verdeckte, waren Stimmen zu hören. Cecil legte mir warnend eine Hand auf den Unterarm. »Ihr müsst jetzt tun, was ich Euch sage. Lord Robert ist bei ihr, und ich konnte sie nicht dazu bewegen, Euch allein zu empfangen. Sie sagt, es sei höchste Zeit, dass Ihr und Dudley Euren Zwist endlich beilegt. Mehr noch, sie befiehlt es. Dasselbe hat sie auch ihm gesagt, als er von Eurer Einladung erfuhr.«
»Ich kann mir seine Aufregung nur zu gut vorstellen«, knurrte ich und wünschte mir, ich hätte mehr als nur meinen Dolch mitgebracht, obwohl es sehr unwahrscheinlich war, dass Robert es wagen würde, mich vor Elizabeth anzugreifen.
Cecil schnaubte. »Unabhängig von seinen Gefühlen, muss er sich wie wir alle an die Regeln halten. Sie hat diese Gelegenheit genützt, um die Glückwunschgeschenke der Fürsten aus dem Ausland zu öffnen. Sie möchte Euch ohne Zeremonie empfangen.« Er senkte die Stimme zu einem verschwörerischen Raunen. »Außerdem hat sie den Wunsch geäußert, Euch zur Belohnung für Eure Bemühungen in ihrem Namen einen Titel und einen Landsitz zu verleihen. Wenn sie Euch das anbietet, möchte ich, dass Ihr Euch bedankt, aber ihr Angebot mit der Begründung ablehnt, dass diese Ehre zu groß für Euch sei. Demut ist Eure Waffe der Wahl.«
»Einen Landsitz?«, wiederholte ich. Unvermittelt flammte Hoffnung in mir auf, und sie war stärker als die Unsicherheit über meine Zukunft. Ein Stück Land würde alle Probleme lösen; Dudley würde darüber frohlocken, mich verschwinden zu sehen, und ich würde ihm diesen Gefallen liebend gerne erweisen. Wenn ich Elizabeths Angebot annahm, konnte ich noch einmal um Kate werben, sie zurückholen, heiraten und eine Familie gründen. Ich konnte mich aus dem Durcheinander der Intrigen und den beengten Verhältnissen am Hof befreien. Doch Cecil musste mir meine Hoffnungen angesehen haben, denn sein Griff um meinen Unterarm verstärkte sich.
»Wollt Ihr all das aufgeben, wofür wir gekämpft haben, nur um irgendwo den Gutsherrn zu spielen?«, flüsterte er. »Ist es das, was Ihr wollt: zulassen, dass sie in Dudleys Klauen gefangen bleibt und der Rest von uns auf dem Schafott endet?«
Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Kates Auftauchen in den Stallungen war kein Zufall gewesen. Cecil hatte sie zu mir geschickt, damit das ohnehin schon ausgefranste Band zwischen uns endgültig zerrissen wurde. »Ihr betreibt wieder Euer altes Spiel, wie ich sehe.« Ich zog meinen Arm zurück. »Was habt Ihr Kate erzählt? Dass in ihrem Leben kein Platz für mich ist, weil ich mich mit Leib und Seele Eurem Dienst verschrieben habe?«
»Ihr selbst habt mir gesagt, dass Ihr sie verlassen habt«, erwiderte er. »Erst gestern übrigens.«
»Himmelherrgott«, zischte ich. »Und ich dachte schon, noch herzloser könnt Ihr gar nicht sein. Ihr hattet kein Recht, Euch einzumischen.«
Er zuckte nicht mit der Wimper. »Kate versteht Euch besser, als Ihr glaubt. Sie hat begriffen, dass wir alle Opfer bringen müssen«, sagte er in einem Ton, als spräche er über eine Ware und nicht über das Mädchen, das er großgezogen hatte. »Sie weiß, wie viel jetzt, da Elizabeth Königin ist, auf dem Spiel steht.«
»Ach wirklich?«, knurrte ich. »So wie sie mit mir gesprochen hat, klang das, als ob …«
Eine Frauenstimme in meinem Rücken unterbrach mich. »Seid Ihr bereit? Ihre Majestät wartet.«
Immer noch zornig, blickte ich über die Schulter und sah eine von Elizabeths jungen Hofdamen hinter dem Vorhang hervorspähen. Angespannt sog ich die Luft ein, als Cecil seine Robe zurechtzupfte und in das Gemach voranschritt, in dem die Königin und ihr Gefolge warteten.
Beim Eintreten befiel mich eine lebhafte Erinnerung an meinen letzten Besuch in diesem luftigen Raum. Hier hatte ich – noch unter Marys Herrschaft – Sybilla kennengelernt. Ich schloss die Augen, um das Bild auszusperren, wie sie auf mich zuglitt. Stattdessen versuchte ich, mich auf die breiten Erkerfenster zu konzentrieren, die eine Aussicht auf die windumtoste Parklandschaft draußen boten.
Auf dem Tisch in der Mitte stapelten sich Schachteln und emaillierte Schatullen voller Bänder und anderem Krimskrams. Darum herum hatten sich Elizabeths Hofdamen versammelt, um die Schätze zu sichten. Ich ließ den Blick über die Runde schweifen, und die Brust schnürte sich mir zu, als ich in ihrer Mitte, gekleidet in ein blaues Samtgewand und mit auffallend hohlwangigem Gesicht, Kate erkannte. Sie wandte die Augen ab. Ihre düstere Miene bildete einen auffälligen Kontrast zu den begierigen Blicken ihrer Gefährtinnen, die mir allesamt fremd waren. Auch wenn sich Elizabeth jetzt natürlich mit einer weit größeren Anzahl von Dienerinnen umgab, beunruhigte es mich, dass ich keine Spur von den zwei Begleiterinnen entdeckte, die Elizabeth seit deren Geburt aufgewartet hatten. In vergangenen Zeiten hatte man sie so gut wie nie ohne ihre wachsame oberste Hofdame, Lady Blanche Parry, oder ihre frühere Gouvernante, die furchterregende Mistress Ashley, gesehen.
Vor dem Kamin dösten zwei Spaniels. Die Luft war warm und erfüllt von den bittersüßen Aromen der Kräuter, die man ausgestreut hatte. Mir fiel auf, dass die Teppiche sehr fadenscheinig aussahen, als hätte unsere verstorbene Königin sie mit ihrem nervösen Hin- und Hermarschieren durchgetreten.
Elizabeths heiseres Lachen erklang. Ich entdeckte sie rechts von mir, wo sie in der Nähe eines Alkovens saß, bekleidet mit einer hochgeschlossenen Robe aus silbernem Brokat, deren enge Ärmel an den Handgelenken mit Manschetten aus schwarzer Seide abschlossen, eine Tracht, die ihre makellose Haut und die schmalen Hände trefflich zur Geltung brachte. Sie hatte wirklich schöne Hände, die sie gerne zeigte und die in diesem Augenblick Dudley ein Zeichen gaben. Der beugte sich auch sofort über sie. Den Kopf zur Seite geneigt, hörte sie sich an, was er ihr ins Ohr flüsterte. Es folgte ein Heiterkeitsausbruch, ein Gurren in ihrer Kehle. »Ihr seid zu verwegen, Mylord«, schalt sie ihn und gab ihm einen leichten Klaps auf die Wange. Zugleich kroch eine leichte Röte über ihr Gesicht, ein Hinweis darauf, dass sein anzügliches Flüstern ihr durchaus behagte.
Mir lief die Galle über. Wieder hatte ich Cecils Warnung im Ohr, was ihre Indiskretionen in Dudleys Beisein betraf, obwohl dessen Frau in einem abgeschiedenen Schloss weit vom Palast entfernt darniederlag und vielleicht schon vom Tode gezeichnet war. Mit aller Macht musste ich mich dem Drang widersetzen, Dudley von Elizabeths Seite zu reißen. Als spürte sie meinen Zorn, richtete Elizabeth den Blick auf mich. Sofort verbeugte ich mich und griff hektisch nach meiner Kappe, bevor ich zu meinem Entsetzen bemerkte, dass ich vergessen hatte, sie aufzusetzen. Dudley brach in schallendes Lachen aus. »Wieder mal den Kopfschmuck verloren, Prescott? Ich glaube, mich zu erinnern, dass du ihn recht oft verlegt hast, als du unser Findelkind warst. Ich schlage vor, du nagelst ihn fest, zumal du dich auch recht oft im Schlamm wälzt.«
Elizabeth schnalzte mit der Zunge. »Also bitte.« Mit einem einladenden Lächeln streckte sie mir die Hand mit dem Siegelring entgegen. Ich trat näher. Außer Cecil, Dudley und mir waren keine Männer im Gemach. Mit leiser Stimme sagte Elizabeth: »Wenn ich mich nicht täusche, hat die Zeit fern von England Euch nicht gutgetan, Master Prescott. Ihr seht müde aus.«
Fieberhaft versuchte ich, die in ihren Worten mitschwingende Bedeutung zu erfassen. Bei Elizabeth war immer etwas zwischen den Zeilen verborgen, und ich glaubte, in ihrem Ton einen leisen Tadel zu entdecken. Freilich dauerte es ein paar Sekunden, bis ich mir sicher war, den Grund dafür erkannt zu haben. »Ein Exil ist nie leicht zu ertragen, Majestät«, erwiderte ich. »Aber meine Abwesenheit hat mir geholfen, nun in Eure Dienste zurückzukehren.«
Ihre Lippen zuckten. Kurz hob sie eine Hand, womit sie Dudley veranlasste, nach einer Karaffe zu greifen und einen Kelch zu füllen. Dabei wandte er die Augen nicht von mir ab. Ich ignorierte ihn, denn jetzt, bei Tageslicht, konnte ich sehen, welche Bürde Elizabeth mit sich herumschleppte, auch wenn sie das, geschickt wie sie war, weitgehend verbarg. So triumphal ihre Thronbesteigung auch gewesen war – ja, manche sprachen sogar von einem Wunder –, so zeugten die violetten Schatten unter ihren Augen, die straffe Mundpartie und die leicht eingefallenen Wangen von mehr schlaflosen Nächten, als sich Außenstehende das vorstellen konnten. Elizabeth hatte darum gekämpft, diesen Gipfel zu erklimmen, und irgendwann war er der einzige Zweck ihrer in jeder Hinsicht gefährdeten Existenz geworden. Verrat, Täuschung und sogar der Tod wurden zu ihren Verbündeten. Und plötzlich stieg Mitgefühl in mir auf, als ich beobachtete, wie sie den Kelch an ihre Lippen führte. Vor mir saß eine einsame Frau, die an meiner Treue zweifelte, weil ich sie verlassen hatte, so wie sie an allem und jedem um sie herum zweifeln musste.
Das war ihr Fluch – ein Fluch, den Cecil trotz all seines Scharfsinns und Dudley in seiner Arroganz nicht bemerkt hatten. Seit der Stunde, da sie erkannt hatte, wie schmal der Grat zwischen Leben und Tod war, hatte Elizabeth gelernt, nie wieder blind zu vertrauen.
»Master Prescott steht Eurer Majestät voll und ganz zur Verfügung«, ließ sich Cecil vernehmen.
»Tatsächlich?«, fragte Elizabeth, bevor Dudley eine höhnische Bemerkung loswerden konnte. Sie musterte mich. »Dann müssen wir uns ein wenig mit seiner Gesinnung befassen.«
Obwohl das wie eine Entlassung klang, wusste ich, dass das Gegenteil der Fall war. Endlich gewann ich eine Vorstellung von ihren Absichten. Dieses sogenannte zwanglose Zusammensein war ebenso Teil ihrer List wie die ostentative Art, mit der sie mich gestern Abend im Thronsaal ignoriert hatte. Sie benötigte noch Zeit, um meine Rückkehr richtig einzuordnen und auszuloten, wo ich am besten eingesetzt werden konnte. Sie hatte nicht vor, mich mit ihr tanzen zu lassen oder mich zu einem Landsitz abzukommandieren. Nein, Elizabeth plante etwas ganz Bestimmtes. Ich brauchte nichts anderes zu tun, als zu warten, bis sie es enthüllte.
Dudley indes begriff das nicht. Da er nichts anderes im Sinn hatte als sein Bedürfnis, mich fallen zu sehen, posierte er in seinem mit Juwelen besetzten Wams an ihrer Seite, die Hände stolz in die Hüften gestemmt und ein schadenfrohes Feixen im Gesicht, als würde man mir gleich die Reinigung der Abtritte befehlen. Er sah genau nach dem aus, was er war – ein hübsches Raubtier, dessen einziges Ziel es war, sämtliche Rivalen aus dem Weg zu beißen. Cecils Befürchtungen entbehrten jeder Grundlage. Auch wenn Dudley vielleicht nur mit den Fingern zu schnippen brauchte, damit sämtliche Damen in diesem Raum sich vor ihm auf den Rücken warfen, blieb ihm einstweilen die Eine, die er am meisten begehrte, vorenthalten.
Mit einem Mal löste sich all meine Verzagtheit seinetwegen in Luft auf. Ich hatte mich schon einmal mit ihm duelliert und war bereit, dies zu Elizabeths Schutz wieder zu tun.
»Majestät«, murmelte ich und wich mit einer Verbeugung zurück. Als ich bei Cecil ankam, raunte er: »Ihr bleibt.« So blieb mir keine andere Wahl, als zuzusehen, wie Dudley sich alle Mühe gab, einmal mehr Elizabeths Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, indem er zu dem mit Geschenken beladenen Tisch stolzierte, nicht ohne im Vorbeigehen den Hofdamen den Hintern zu tätscheln, wofür er gespielte Protestschreie erntete – und nicht wenige verstohlene bewundernde Blicke auf seine Oberschenkel.
»Nun denn«, dröhnte er, »welcher dieser fürstlichen Bewerber mag unsere Königin wohl am ehesten mit seiner Großzügigkeit ehren? Welcher unter ihnen ist ihres Augenmerks würdig?«
Mit einem duldsamen Lächeln lehnte sich Elizabeth in ihrem Stuhl zurück und drehte ihren Kelch hin und her, während sie verfolgte, wie ihr Master of the Horse die Geschenke der anderen Monarchen betastete, als wären sie wertloser Tand.
»Ist es Seine wohlmeinende Hoheit, der Prinz von Schweden?« Dudley klappte eine mit Satin gefütterte Schatulle auf, an deren Innenwand sich ein Collier aus pinkfarbenen Rubinen in der Form der Tudor-Rose schmiegte. Er hielt es ins Licht und untersuchte es kritisch. Mit einem Stirnrunzeln verkündete er: »Einfallslos!«, warf es achtlos in die Schatulle zurück und fegte diese zu Boden. Das löste bei den Damen einen Aufschrei ehrlichen Entsetzens aus, und sie stürzten aufgeregt herbei, um das Collier zu ergattern.
Elizabeth schmunzelte.
Das Durcheinander am Tisch riss die Spaniels aus ihrem Schlummer. Wild kläffend sprangen sie auf und jagten um den Tisch, während Dudley erneut die Geschenke durchwühlte und eine größere, in ein purpurnes Tuch gehüllte Schachtel zutage förderte. »Oder ist es Seine Kaiserliche Majestät von Russland?« Er riss den Deckel ab und zog einen weißen Pelz heraus. »Schon wieder eine Stola?«, stöhnte er. Elizabeth konnte ihr Lachen nicht mehr unterdrücken. »Ihre Majestät besitzt Dutzende«, kommentierte Dudley und schleuderte den Pelz von sich. Ohne auf ihre Würde zu achten, krabbelten die Damen quietschend hinterher.
Cecil erstarrte. Nur allzu klar war zu erkennen, dass Dudley vorhatte, sämtliche Geschenke unter den Hofdamen zu verteilen und so die ersten Bewerber um Elizabeths Hand der Lächerlichkeit preiszugeben.
»Oder ist es« – mit einer Kunstpause erhöhte Dudley die Spannung, ehe er mit dramatischer Geste eine schmale, mit schwarzem Satin bezogene Schachtel hervorzog – »Seine Majestät Philipp von Spanien?«
Schweigen senkte sich über das Gemach. Philipp war der Gemahl der verstorbenen Königin gewesen. Bei meiner letzten Mission am Hof hatte ich es mit seinem Botschafter Renard zu tun gehabt, der voller Inbrunst Elizabeths Hinrichtung wegen Verrats betrieben hatte. Allerdings war Renard weit über die Anweisungen seines Herrn hinausgegangen. In Wahrheit hatte der junge König Elizabeth nur so lange gefangen setzen wollen, bis er Witwer wurde. Seine Verbindung mit Mary war der Funke gewesen, der die Scheiterhaufen der Inquisition auch in England entfacht hatte; es war seine katholische Strenge gewesen, die unsere ehemalige Königin dazu angestachelt hatte, Hunderte von englischen Märtyrern zu verbrennen und zahllose Menschen ins Exil zu treiben. Was ihn betraf, verstand Elizabeth keinen Spaß mehr. Ihre Stimme wurde jäh scharf. »Das reicht! Ich dulde nicht, dass gesalbte Prinzen verspottet werden!«
»Wer spottet denn hier?«, rief Dudley, und angesichts solch frechen Widerspruchs hörte ich Cecil nach Luft schnappen. »Ich möchte doch nur ermitteln, welcher dieser erhabenen Prinzen am besten dazu geeignet ist, Eurer Majestät den Hof zu machen. Wir alle wissen, wie begierig Philipp von Spanien darauf ist, einen guten Eindruck zu hinterlassen. Die Frage ist nur: Wie viel ist er bereit auszugeben?«
Elizabeths Augen verengten sich, aber ich vermochte nicht zu beurteilen, ob sie dieses Wortgefecht nicht vielleicht doch genoss. Natürlich musste ihr diese Verunglimpfung des Königs behagen, dessen Machenschaften sie während der Regentschaft ihrer Schwester in Bedrängnis gebracht hatten, auch wenn Philipp sich für sie eingesetzt und Mary dazu überredet hatte, sie aus dem Tower zu entlassen. Ich war schon im Exil gewesen, als Elizabeth und der spanische König einander begegneten, konnte mir aber lebhaft vorstellen, zu was für einem leichtfüßigen Tanz sie ihn verlockt, mit welchen Anspielungen sie ihn geködert haben musste – und das alles nur um ihrer eigenen Sicherheit willen. Für mich stand fest, dass Philipp es inzwischen bereute, sie freigelassen und es versäumt zu haben, Mary zu Dudleys Tötung zu bewegen. Längst musste ihm das Gerücht zu Ohren gekommen sein, dass Dudley plante, an seine Stelle zu treten.
»Ich habe gesagt, das genügt!« Gebieterisch streckte Elizabeth die Hand aus. »Ich werde dieses Geschenk öffnen und selbst beurteilen, ob Philipp von Spanien zu beeindrucken vermag.«
Dudley gefroren die Züge. Es dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde, doch ich sah Zorn über sein Gesicht zucken, als er vor sie hintrat und ihr mit einer theatralischen Verbeugung die Schachtel überreichte.
»Genehmigt Euch derweil einen Wein«, schlug Elizabeth vor, und als er zu der Anrichte mit der Karaffe stürmte, stockte mir unerklärlicherweise der Atem.
Elizabeth zupfte an dem kunstvollen Wachssiegel, das auf einem um die Schachtel geschlungenen Band klebte und den Deckel sicherte. Kate griff geistesgegenwärtig nach einem mit Juwelen besetzten Briefmesser und eilte zur Königin, während zu ihren Füßen die Spaniels herumtollten. »Wie aufmerksam von Euch, Mistress Stafford!« Elizabeth lächelte.
»Wenn Eure Majestät gestatten«, erwiderte Kate leise und kauerte sich vor die Königin, um die Klinge vorsichtig unter das Siegel zu schieben.
Ohne mir dessen bewusst zu sein, war ich langsam zu ihnen getreten, als Cecil plötzlich zischte: »Was macht Ihr da?« Sein Tadel ließ mich erstarren, und im selben Moment brach das Siegel auf der Schachtel. Kate prallte mit einem überraschten Aufkeuchen zurück. Der Deckel fiel herab. Elizabeth versuchte noch, wenigstens die Schachtel festzuhalten, die unerbittlich von ihrem Schoß rutschte, doch schon ergoss sich der Inhalt auf den Boden – ein Wust von vergoldeten Papiertüchern, die um etwas Lederartiges gewickelt waren.
Kate rappelte sich auf und haschte nach dem so aufwendig verpackten Gegenstand. Gleichzeitig hatte einer der Spaniels nach dem Geschenk geschnappt, zerfetzte das Tuch mit den Zähnen und schüttelte es, als wäre es eine Ratte.
Elizabeth starrte den Hund mit offenem Mund an, der soeben die Gabe des spanischen Königs zerbiss. »Sind das … Handschuhe?«, fragte sie verdattert.
Kates Antwort hörte ich nicht mehr. Sie wurde übertönt von einem warnenden Schrillen. Dass es in meinem eigenen Kopf erklang, begriff ich da noch nicht, denn ich hatte ein anderes erbrochenes Siegel auf einem Brief vor Augen, dazu Peregrines neugierige Miene, mit der er es musterte, und ich hörte sein Keuchen, als er die bereits versengten Fingerkuppen hob und das verheerende …
Jäh kreischten die Hofdamen auf, als ich vorsprang und sie zur Seite stieß. Elizabeth prallte erschrocken zurück. Aus dem Alkoven, wo er sich alle Mühe gegeben hatte, seine Demütigung in Wein zu ertränken, kam zugleich Dudley herangeeilt, geradewegs auf mich zu. Den Zusammenprall spürte ich kaum, ebenso wenig die Faust, die er mir in den Magen jagte und die mir die Luft aus der Lunge presste, nur seinen Schrei hörte ich: »Jetzt habe ich dich, du Bastard!« Schon wollte er mich zu Boden schleudern, doch ich wich mit einer blitzschnellen Bewegung aus – ein Manöver, das ich bei Walsinghams quälenden Übungen gelernt hatte – und rammte ihm mit aller Kraft die Faust gegen den Mund.
Blut spritzte aus seiner aufgeplatzten Lippe. Er straffte die mächtigen Schultern, und ich setzte gerade zum nächsten Angriff an, als Cecil brüllte: »Aufhören! Sofort aufhören!« Dennoch hätte sich Dudley, knurrend und die blutverschmierten Zähne bleckend, erneut auf mich gestürzt, hätte uns nicht Elizabeths verängstigte Stimme Einhalt geboten. »Himmel hilf, was … was ist mit diesem Ding?«
Ich wirbelte herum. Was ich sah, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren.
Kate stand wie gelähmt da. Zu ihren Füßen warf sich der Spaniel zuckend hin und her. Aus seiner Schnauze quollen schwarze Schaumblasen. Seine Kiefer waren immer noch fest um den einen zerbissenen Handschuh geschlossen.
Das Gegenstück hielt Kate in der Hand.