Kapitel 18

IGBO RAUCHEN

Moziz versuchte, nicht zu schnell zu fahren. Es war so viel Militär und Polizei unterwegs, dass er sich unauffällig verhalten musste. Vor allem, weil es erst später Nachmittag war. Doch er spürte, dass sie sich beeilen mussten. Er drehte die Musik auf – Anthony Dey Craze –, bis der Bass seinen gut eingefahrenen, beigefarbenen ’94er Nissan zum Beben brachte.

Troy saß auf dem Beifahrersitz. Er war stiller als sonst. Jacobs und Tolu saßen hinten und rauchten ebenfalls schweigend igbo. Sie alle trugen schwarze Masken und schwarze Kleidung, wie Moziz befohlen hatte. Es war ihm egal, ob sie gesehen wurden, solange sie allen im Haus Angst einjagten.

»Wir werden reich, oooo!«, schrie Jacobs über die Musik. Er fühlte sich sehr irie. Die Gedanken an die Schwarze Verbindung hatte er verdrängt und die ständigen Anrufe von Rome und Seven ignoriert. Sie konnten warten. Sein ganzes Leben fügte sich gerade zusammen, das spürte er. Sobald er das Geld hatte, würde er ihnen alles erklären. Er machte sich jedoch Gedanken über Fisayo, die ihn schon vor Stunden hätte anrufen sollen. Aber er war sich sicher, dass es ihr gut ging. Und sobald er ihr Geld brachte, würde es ihr noch besser gehen.

Jacobs klatschte Tolu ab, der kräftig an dem Joint zog und ihn Moziz reichte. Tolu stieß den Rauch aus, während er sagte: »Nich’ mehr lange, dann werden sie alle gefangen nehmen. Dann kann keiner mehr mit denen Geld verdienen. Moziz, dein Mädchen hat uns einen Topf voll Gold geschenkt.«

Moziz zog am Joint und nickte. »Iss den Kuchen erst, wenn du ihn hast. Und bete, dass es auf dieser Straße heute keine Kontrollen gibt.«

Nur Troy ließ sich nicht mitreißen. »Nigerianische Polizisten springen auf die Autos der Leute, als wären sie einer von diesen amerikanischen Ninjas oder Bruce Willis aus Stirb Langsam, oder?«, sagte er. »Und sie zerhacken Frauen wie Erdnüsse.« Er zog scharf die Luft ein und murmelte: »Schwachsinn.«

Moziz, Jacobs und Tolu prusteten los, aber Troy sah nur mit düsterem Gesichtsausdruck aus dem Seitenfenster. Er dachte über den Anruf nach, den er einige Stunden zuvor von seinem Cousin Inno erhalten hatte. Der hatte ihm erzählt, dass seine nette, hübsche Cousine Oregbemi am Abend zuvor von einigen Soldaten oder Polizisten vergewaltigt worden war. Einer von denen hatte sogar die Unverschämtheit besessen, im Fernsehen aufzutreten – und das kurz nachdem er versucht hatte, Oregbemi umzubringen. Er, seine Cousins und Freunde sammelten noch die Fakten. Sobald er getan hatte, was hier zu tun war, würde er sich darum kümmern. Mit so viel Geld konnte er auch Polizisten und Soldaten zu Fall bringen.

»Sobald wir da sind, muss es schnell gehen«, sagte Moziz. »Rein, raus, verstanden?«

Alle nickten.

Anthony hielt sich das Handy ans Ohr, während er zusah, wie die aufgeregte Menge vor dem Haus immer größer wurde. Er runzelte die Stirn. »Wieso geht denn keiner ans Telefon?«, murmelte er. Er sah sein Handy an, drückte auf »Anruf beenden« und wählte erneut.

Ayodele zeigte Kola, wie man Adaoras alte, aber zuverlässige Digitalkamera benutzte. Sie hatte etwas mit dem Akku gemacht, sodass er wieder funktionierte. Kolas Bruder Fred sah neugierig zu.

»Also muss ich nur auf diesen Knopf drücken?«, fragte Kola. Sie hielt die Kamera in beiden Händen und streckte den Zeigefinger nach dem roten Aufnahmeknopf aus.

»Ja.«

»Das ist ja ganz einfach!», verkündete Kola mit einem Blick auf den Bildschirm. »Mama lässt mich die nie anfassen.« Sie kicherte. »Warte, bis sie sieht, dass ich damit besser umgehen kann als sie.« Sie senkte die Kamera und spielte mit einigen Knöpfen.

Philomena stand auf der anderen Seite des Zimmers und sah nervös aus dem Fenster. Sie hatte Moziz die Menschenmenge verschwiegen, aus Angst, dass er abspringen würde, wenn er davon erfuhr. Mittlerweile war es ihr egal, dass die verdammten Kinder mit der Außerirdischen spielten. Sogar Philomena spürte die Spannung, die in der Luft lag. Etwas würde sich verändern und diese Gewissheit verlieh ihr die Stärke, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Und als Erstes würde sie sich für das, was dank ihrer Hilfe gleich geschehen würde, nicht schuldig fühlen.

Adaora war wütend. Wie sind wir nur auf die Idee gekommen, dass dieser Mann sich rational verhalten würde? Wann hatten die nigerianische Regierung und das Militär je etwas für das Volk getan? Sie kümmerten sich nur um sich selbst und stopften sich die Taschen voll. Sie wollte sich selbst einen Schlag auf die andere Wange versetzen. Wie dumm sie gewesen war. Sie und Agu gehörten zur seltenen Spezies der patriotischen Nigerianer und hatten das Richtige tun wollen. Dumme, unbedeutende, machtlose Zivilisten. Sie hätte es besser wissen müssen.

Sie lehnte den Kopf an das Seitenfenster. Lance Corporal Benson saß auf dem Beifahrersitz des silbern glänzenden SUVs, den einer seiner scheinbar unzähligen Lakaien fuhr. Armer Agu. Was würden sie wohl mit ihm machen? Sie wäre vor Schreck beinahe aufgesprungen, als ihr Telefon klingelte.

Benson hielt es hoch und sah sich den Namen des Anrufers an. Dann drehte er sich um und blickte sie finster an. »Wer ist Anthony Dey Craze?«

Adaora knirschte mit den Zähnen. Das Handy gehörte ihr. Und wann hatte er es ihr überhaupt aus der Tasche gezogen? »Der Mann, der mit Agu und mir die Außerirdische am Strand getroffen hat.«

Er grunzte und warf einen Blick auf das Telefon. »Klingt wie dieser mumu Rapper, der die ganze Zeit herumschreit, wie verrückt er ist. Meine Nichte hört den ständig«, sagte er, während er das Telefon in seine Tasche steckte. »Wenn der das ist, sollten wir ihn vielleicht auch verhaften.« Er und der Fahrer des SUVs lachten.

Adaora verschränkte frustriert die Arme vor der Brust und sah aus dem Fenster. Sie schlängelten sich durch den staubigen Verkehr an den hohen Gebäuden in der Innenstadt von Lagos vorbei. Zwei orange-gelbe danfo, die so überfüllt waren, dass sich die Fahrgäste sogar außen festklammerten, drängten sich plötzlich vor ihnen auf die Spur. Adaora stemmte sich mit den Händen gegen die Rückenlehne des Beifahrersitzes, als der SUV abrupt anhielt. Sie wichen auf eine andere Spur aus und überholten einen der danfo. Als sie auf einer Höhe mit ihm waren, lehnte sich der Soldat, der den SUV fuhr, aus dem Fenster, spuckte den Bus an, schlug mit der flachen Hand auf die Karosserie und schrie: »Verdammt sei deine Mutter! Mumu! Idiot! Verreck doch!«

Moziz parkte den Wagen am Ende der Straße. Es war viel los. Er musste sich zwischen einen alten, verbeulten Honda und einen staubigen Ford-SUV quetschen. Einen anderen Parkplatz gab es nicht. Mehr als zweihundert Menschen hielten sich in der Straße auf. Die meisten schienen in seinem Alter zu sein. Er und die anderen im Auto nahmen die Masken runter.

»Was is’ das denn für eine Scheiße?«, sagte Moziz und schaltete den Motor ab. Sie saßen schweigend da. Von einer Menschenmenge hatte Philo nichts gesagt. »Jacobs, finde mal raus, was die Leute hier wollen.«

Jacobs nickte, stieg aus, stellte sich neben Moziz’ geöffnetes Fenster, schob die Hände in die Taschen seiner tief sitzenden Jeans und sah sich um. Moziz beobachtete stirnrunzelnd die Menschen. Alle wirkten aufgeregt. »Was is’ hier los?«, murmelte er.

»Vielleicht kommen die alle gerade von einer Party«, sagte Tolu.

Moziz verdrehte genervt die Augen. »Du kapierst nichts«, sagte er in der Hoffnung, Tolu damit zum Schweigen zu bringen. Tolu kapierte nur das, was man ihm erklärte. »Du verschwendest Zeit, o«, sagte er dann zu Jacobs.

»Ich verschwende keine Zeit«, sagte Jacobs und mischte sich in die Menge.

Ein paar Minuten später entdeckte er einige Leute, die er noch aus der Schule kannte. Er wollte gerade auf einen Typen zugehen, mit dem er Biologie gehabt hatte, als er einige Meter entfernt bunte Farben aufblitzen sah. Es dauerte einige Minuten, bis er sich durch die Menge dorthin geschoben hatte. Dann hielt er sprachlos inne. Die Umstehenden waren ebenfalls so verblüfft, dass sie der Gruppe unwillkürlich Platz machten. Die langsam voranschreitende Prozession hatte ihre Musik mitgebracht, dazu Konfetti und ein großes Schild in Regenbogenfarben, in dessen Mitte groß »Schwarze Verbindung« stand. Jacobs war auf einmal kalt.

Die ganze Organisation war gekommen, alle neun Mitglieder. Eze, Yinka und Michelle trugen die gleichen schwarzen Anzüge und roten Lippenstift. Sie gingen langsam durch die Menge und waren sich der Aufmerksamkeit deutlich bewusst. Royal trug rote Stiefel mit Plateauabsatz, eine rote, hautenge Hose und ein enges pinkes T-Shirt. Er hatte die Boombox dabei, sprang herum und wackelte für jeden, der hinsah, mit dem Hintern. Royal hätte auch für seine Großmutter im Dorf getanzt, so frei war er. Okechukwu trug Jeans und ein weißes T-Shirt, aber auch er tanzte zur Musik und schloss sich sogar kurz einer Gruppe lachender Frauen am Rande der Menge an. Chiomi und Yemi hielten das Schwarze-Verbindungsschild. Beide sahen aus, als wären sie am liebsten unter den nächsten Stein gekrochen, streckten aber trotzig das Kinn vor. Seven trug enge Jeans und ein noch engeres Top. Sie rauchte eine Zigarre, ignorierte das anzügliche Grinsen der Männer und warf den Frauen Küsse zu.

Doch natürlich führte Rome, die Königin der Schwuchteln, die Prozession an. Er war mit einem atemberaubenden rapa und einem dazu passenden Top geschmückt. Sie schmiegten sich an ihn, als seien sie tatsächlich auch für Männerkörper gedacht. Er sah aus wie eine Yoruba-Königin. Sie alle trugen Kopfbänder mit außerirdischen, auf und ab hüpfenden Antennen. Als Jacobs auf sie zuging, konnte er an nichts anderes denken als daran, dass sie diesen Auftritt mit dem Leben bezahlen würden.

Er hob die Hand. »Rome?«

Rome lächelte ihn selbstsicher an, kam zu Jacobs und sagte: »Die Schwarze Verbindung ist auf der Erde gelandet.«

Jacobs starrte ihn mit offenem Mund an. Alle anderen beobachteten die Prozession reglos. Sie waren so verblüfft, dass sie nichts taten. Noch nicht.

Jacobs rang nach Worten. »Was … ihr habt doch nicht …« »Wir haben stundenlang versucht, dich zu erreichen.«

»Also … ich …« Er spürte die Blicke aus hundert Augen im Rücken.

»Jedenfalls«, sagte Rome abwinkend, »haben wir gehört, dass in dieser Straße irgendwas los sei, und sind natürlich davon ausgegangen, dass das mit dem zusammenhängt, was du uns gezeigt hast.«

Jacobs war hin- und hergerissen. Auf der einen Seite wollte er Moziz’ Aufgabe erledigen, auf der anderen sich der Schwarzen Verbindung anschließen. Doch Moziz, Troy und Tolu wussten nicht, dass er Frauenkleider trug, und so sollte das eigentlich auch bleiben. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte er gleichzeitig großen Stolz und tief sitzende Scham.

»Aber wir haben uns geirrt. Die Menge ist wegen irgendeines Promis hier«, sagte Rome. Er posierte kurz und routiniert für ein paar Frauen, die mit ihrem Handy ein Bild von ihm machen wollten. »Viel Spaß damit«, sagte Rome spöttisch lächelnd. »So gut wie ich werdet ihr eh nie aussehen.« Die Frauen lachten und verschwanden in der Menge.

»Promi?«, fragte Jacobs.

»Der ghanaische Rapper Anthony Dey Craze ist da drin.« Rome zeigte auf das Haus.

Jacobs blinzelte, zog die Augenbrauen zusammen und versuchte, seine Verwirrung zu verbergen. Was hatte ein Rapper mit Außerirdischen zu tun? »Ich … ich bin gleich wieder da.« Etwas anderes fiel ihm nicht ein. Er drehte sich um und bahnte sich einen Weg durch die Menge. Ein paar Leute murmelten bereits »Adofuroo«, »Schwuchteln« und »Bückstück«. »Kai! Was ist denn mit dir?«, hörte Jacobs einen Typen fragen. »Bist du ein Mann oder eine Frau?« Er ging schneller zum Auto, obwohl er sich dabei wie ein Verräter vorkam. Sich so in der Öffentlichkeit zu outen – die Schwarze Verbindung musste den Verstand verloren haben. Gleichzeitig zeugte das von großem Mut. Sie hatten sich so lange versteckt. Nun war eine Außerirdische nach Lagos gekommen. Damit war nicht nur die Schwarze Verbindung gefährdet oder zumindest angreifbar. Alle waren das. Tief in seinem Herzen wusste er, dass, sollte die Außerirdische sich tatsächlich in dem Haus aufhalten, die Zeit für eine Veränderung gekommen war.

»Da is’ Jacobs!«, rief Troy. Jacobs lief zurück zum Wagen. Sein Lächeln stand wie eingefroren auf seinem Gesicht. Mit jedem Schritt entwich die Luft aus seinem revolutionären Eifer wie aus einem kaputten Ballon. Noch nicht, aber bald, sagte er sich, um die Schuldgefühle, die an die Stelle seiner Hoffnung auf Veränderung traten, zu vertreiben. Er widerstand der Versuchung, sich umzudrehen, als er Leute hinter sich als Reaktion auf etwas Unerwartetes überrascht aufschreien hörte. Stattdessen ging er zu seinen anderen Freunden.

»Whoo!«, sagte Jacobs, als er ins Auto stieg. »Ich schwör euch, das glaubt ihr nich’.«

»Was denn?«, fuhr Moziz ihn an. »Wie die Leute von ihr erfahren haben, obwohl nur Philo von ihr weiß?«

»Nee, mit der Hexe hat das nichts zu tun«, sagte Jacobs gespielt aufgeregt. »Es geht um Anthony Dey Craze! Die sagen, dass der in dem Haus is’.«

»Eeey!«, stießen Tolu und Troy gleichzeitig hervor. Sie setzten sich auf und sahen aus dem Fenster.

Jacobs nutzte die Gelegenheit, um einen Blick zurück in die Menge zu werfen, aber er konnte weder Rome noch ein anderes Mitglied der Schwarzen Verbindung sehen. Moziz saß schlecht gelaunt und mit vor der Brust verschränkten Armen da. Auf einmal war alles viel komplizierter geworden. Moziz biss sich auf die Unterlippe. »Das hat uns gerade noch gefehlt, o