Kapitel 51

DIE MAGISCHE NEGERIN

Anthony und Agu hatten jeder eine Luftblase bekommen, die ihren Kopf wie ein Helm umschloss. Anschließend waren sie zu der Stelle geschwommen, an der Adaora das Gespräch zwischen dem Präsidenten und den Star-Wars-artigen Wesen beobachtet hatte.

Dann legte sich Nebel über ihre Erinnerungen und als ihr Kopf wieder klar wurde, tauchte sie gerade aus dem Wasser auf und blinzelte in die Nachmittagssonne. Sie fühlte sich, als sei sie gerade etwas Unglaublichem begegnet, etwas jenseits ihrer Vorstellungskraft, etwas, das ihre Existenz bedrohte. Was auch immer mit … der Spinne, mit den Ältesten … geschehen war, es war so gewaltig, dass es sich nicht verstehen ließ.

Hawra und der Präsident, Femi und die beiden Soldaten waren bereits auf dem Boot, als Agu, Ayodele und Anthony aus dem Wasser auftauchten. Abgesehen von Ayodele wirkten alle benommen. Niemand sagte etwas, als Adaora ins Boot gezogen wurde, obwohl sie nackt war und ihr Körper zur Hälfte der eines Fisches. Hawra fächerte Adaoras Flosse Luft zu. Jeder Windstoß bohrte sich wie tausend Nadeln

in die Schuppen. Doch schon bald wurden die Schuppen durchsichtig und fielen ab. Darunter kamen ihre braunen Menschenbeine zum Vorschein.

»Unvorstellbar«, flüsterte Hawra ununterbrochen, während sie Adaora half, die Schuppen von ihrer Haut abzuziehen. Die Männer drehten ihnen die Rücken zu, um Adaora etwas Privatsphäre zu gewähren.

»Ich kann mir alles vorstellen«, murmelte Adaora. Hawra beugte sich lächelnd zu Adaora hinunter. »Ich habe mit einem riesigen Schwertfisch geredet«, flüsterte sie. »Ich konnte seine Stimme in meinem Kopf hören.«

»Was hat er gesagt?«, fragte Adaora, dankbar darüber, dass sie sich auf etwas anderes als das Abziehen der Schuppen konzentrieren konnte. Sie schälte ein großes Stück ab. Es hinterließ nach Fisch riechenden Schleim auf ihrer Haut.

»Er redete, als gehöre er zu Greenpeace.«

Adaora lachte, obwohl ihr ganzer Körper schmerzte.

»War er riesengroß? Mit Dornen auf dem Rücken?« Hawra nickte.

»Dieser Schwertfisch kann uns nicht leiden«, sagte Adaora.

In einem Fach auf dem Boot fanden sie eine Reserveuniform. Adaora zog sie an, dann half Hawra ihr hoch. Ihre Knie waren weich. Die Luft hielt sie nicht so gut aufrecht wie es das Wasser getan hatte.

Der Präsident benutzte Femis Mobiltelefon für ein Gespräch. »Die Kulissen müssen stehen, wenn wir ankommen«, sagte der Präsident. »Und ich muss mich umziehen.«

»Wir auch«, fügte einer der Soldaten hinzu.

Der Präsident nickte. »Und wir brauchen außerdem zwei Armeeuniformen. Gebügelt und gefaltet. Diese beiden Jungs sollen mir nicht von der Seite weichen, auch nicht, wenn ich vor der Kamera stehe. Ich verdanke ihnen mein Leben, o

Immer noch auf Hawra gestützt, ging Adaora zu Anthony, Agu und Ayodele. Sie hatten sich leise unterhalten, aber sie wollte nicht wissen, worüber. »Gibt es einen Plan?«, fragte sie stattdessen.

»Wir fahren nach Tin Can Island«, sagte Agu. »Vertraut mir, das ist der beste Ort, um den Präsidenten sicher an Land zu bringen. Da müssen wir uns keine Sorgen wegen der Monster machen.«

Bei Tin Can Island handelte es sich um ein großes Industriegebiet und einen der wichtigsten Frachthäfen der Stadt. Ihren Namen verdankte die Insel den Keksdosen, in denen gute Schwimmer Nachrichten von der Insel zu vor Anker liegenden Schiffen und wieder zurück gebracht hatten. Schiffe konnten an der Insel nicht anlegen, da sie weder über einen natürlichen Hafen noch über eine Anlegestelle verfügte. Es gab nur einen schmalen Fluss, der wesentlich flacher war als das offene Meer, in dem das Schiff der Außerirdischen gelandet war. Aus diesem Grund würden sie dort auch nicht auf die großen Seeungeheuer, die in den Tiefen des Ozeans lauerten, treffen. Davon ging Agu zumindest aus.

Sie hörten die Schüsse, lange bevor sie die Insel erreichten. In Femis Tasche klingelte ein Handy. »Ihr Telefon, Herr Präsident«, sagte Femi stirnrunzelnd und reichte es dem Präsidenten. Der ergriff es. »Was ist los?«, rief er.

Er lauschte und zog die Augenbrauen zusammen.

Er wandte sich mit geweiteten Augen einem der Soldaten und dann Agu zu. »Ssss, sss!«, sagte er und hob die Hand. »Halten Sie das Boot an! Femi, geben Sie mir Ihre Kamera.«

Agu stoppte das Boot, während Femi dem Präsidenten die Kamera reichte. Der hielt sich das Handy weiter ans Ohr und fummelte an der Kamera herum. »Da ist etwas …«

Auf der Insel wurde erneut geschossen.

»Was ist denn da los?«, rief Adaora. Sie kniff die Augen zusammen, konnte die zahlreichen Männer, die an der Mole warteten, aber trotzdem nur schlecht erkennen. Peng, peng, peng! Sie sah, dass ein Mann auf das Wasser schoss. Einige andere versuchten, etwas an Land zu ziehen. Nein, erkannte Adaora. Nicht etwas. Jemanden.

Sie wandte sich an den Präsidenten. »Bitte geben Sie mir die Kamera.«

»Warum?«, fragte der Präsident stirnrunzelnd, während er weiter daran herumfummelte. »Was wollen …«

»Geben Sie sie doch her!« Sie riss sie ihm aus der Hand und reichte sie Femi. »Schalte den Zoom ein.«

Als er ihr die Kamera zurückgab, hielt Adaora sie hoch. Sie richtete sie auf die Männer. Da war etwas im Meer … und es versuchte, einen Mann in die Tiefe zu ziehen. Dann schossen zwei rote Tentakel aus dem Wasser. Einer zerschmetterte die Windschutzscheibe eines schwarzen Autos, das hinter den Männern stand, der andere schlug nach einem von ihnen. Er wurde zurückgeschleudert. Adaora glaubte, Blut spritzen zu sehen. Nun schossen auch andere Männer ins Wasser.

»Scheiße!«, schrie sie und ließ beinahe die Kamera fallen.

Der Präsident nahm sie ihr ab. Im gleichen Moment summte Femis Handy.

»Was ist denn da los?«, schrie der Präsident hinein.

»Etwas im Wasser greift sie an«, sagte Adaora.

»Mein Gott«, stöhnte einer der Soldaten. »Werden wir denn nie aus diesem verseuchten Meer rauskommen?«

»Doch, das werden wir, Cousin«, sagte der andere Soldat.

»Seid ihr denn blöd? Bleibt weg vom Meer!«, brüllte der Präsident ins Telefon. In seinen Augen schimmerten Tränen.

»Das ist ein Oktopus oder Kalmar«, erklärte Adaora.

»Chale, die sind schlau«, sagte Anthony. Adaora hatte gerade das Gleiche gedacht. Kopffüßer waren die intelligentesten wirbellosen Tiere der Welt. Wenn der hier von den Außerirdischen verbessert worden war, dann hatten die Männer keine Chance.

»Zehn Mann? Sie haben ihn … mein Gott.« Der Präsident setzte sich auf das Deck, das Telefon ans Ohr gepresst. »Mein Gott. Okay … ja, retten Sie sie.«

Das Boot fuhr los. Der Präsident drehte sich zu Agu um. »Was zur Hölle soll das?«

»Ich werde nicht zulassen, dass noch mehr Soldaten sterben«, sagte Agu. »Ich werde uns so nahe heranbringen, dass ich zu ihnen schwimmen kann.«

»Wieso haben sie sich direkt am Wasser positioniert?«, stöhnte der Präsident. Hawra setzte sich neben ihn und legte ihm den Arm um die Schultern. »Das Ungeheuer hat zehn von ihnen erwischt, bevor sie begriffen, was geschah.«

»Ich werde auch gehen«, sagte Anthony.

Adaora zögerte. Agu hatte seine übermenschliche Kraft, Anthony seinen Rhythmus. Aber sie konnte auf Wasser gehen und sich mit einem Kraftfeld schützen. Wenn sie ins Wasser stieg, würde sie dann ihre Flosse zurückbekommen?

»Das Ungeheuer wird euch beide umbringen«, sagte Ayodele. »Ich werde gehen.«

Erneut sprang sie ins Wasser, bevor jemand widersprechen konnte. Agu fuhr das Boot näher heran. Er hatte ein schlechtes Gefühl bei der Sache. Da niemand versuchte, ihn davon abzuhalten, nahm er an, dass er nicht der Einzige war.

Schließlich kamen sie dem Geschehen so nahe, dass sie alles deutlich erkennen konnten. Eine Leiche trieb im Wasser. Einige Soldaten hockten hinter dem schwarzen Auto und schossen. Andere standen an der Mole nahe der Flussmündung, schrien und schossen. Als das Boot näher kam, versuchten sie Agu und die anderen mit Gesten und Rufen zum Abdrehen zu bewegen.

Als das Boot keine zehn Meter mehr von der Insel entfernt war, erklang ein tiefes Stöhnen im Wasser. Und dann stieg es auf. Das Ungeheuer bestand aus einem Knäuel schleimiger, roter Tentakel, die mit schrecklich aussehenden schwarzen Dornen besetzt waren. Das Tentakelknäuel rollte über die Wasseroberfläche, teilte sich und zeigte seinen riesigen, rosafarbenen, papageiartigen Schnabel. Adaora musste jeden Muskel im Körper anspannen, sonst hätte sie geschrien. Das Ungeheuer öffnete und schloss den Schnabel. Und dann ließ es sich ins Wasser fallen und verschwand.

Schweigend starrten sie an die Stelle, an der sich das Ungeheuer befunden hatte und an der es nicht mehr war. Sie warteten, aber es kehrte nicht zurück. Das Wasser kräuselte sich leicht, dann glättete es sich. Die Soldaten an Land richteten sich langsam auf. Die anderen kamen hinter dem Auto hervor.

Adaora beugte sich über die Reling. »Was hat sie …?«

»Ayodele!«, rief Agu.

Das Boot legte an der Mole an und alle außer Adaora, Anthony und Agu stiegen aus. Die beugten sich über die Reling und betrachteten das Wasser. Femi lief auf die Soldaten zu, die ebenfalls ins Wasser sahen. Er schoss Fotos, während er sich ihnen näherte. »Meine Herren! Hallo! Entschuldigung, kann ich Ihnen ein paar Fragen stellen? Ich bin von der Presse …«

»Hier entlang, Herr Präsident«, sagte einer der Soldaten. Er führte den Präsidenten zu dem schwarzen Auto. »Entschuldigen Sie die kaputte Windschutzscheibe.«

»Keine Sorge«, meinte der Präsident. Er nahm Hawras Hand fest in die seine. »Wir haben alles gesehen.«

»Was ist mit den anderen?«, erkundigte sich Hawra und warf einen Blick über ihre Schulter.

»Die kommen«, erwiderte der Präsident.

»Das stimmt nicht.« Hawra zog ihre Hand weg.

Adaora wusste, dass die Kreatur verschwunden war. Hatte sie Ayodele gefressen und war nun gesättigt? Adaora fuhr herum. Ihr Kopf schmerzte. Zu viel. Zu schnell. Da war sie. Ayodele zog sich auf der anderen Seite der Mole an Land, rund dreißig Meter von Adaora entfernt. Einer der Soldaten packte sie grob am Arm und warf sie auf den Asphalt. Er holte mit seinem in einem schweren Stiefel steckenden Fuß aus und trat ihr mit aller Kraft in die Seite.

Trotz der großen Entfernung hörte Adaora das satte Klatschen, mit dem der Stiefel sich in Ayodeles Fleisch bohrte. Der Mann trat sie erneut, ein zweiter gesellte sich zu ihm. Der schlug mit dem Kolben seiner AK-47 auf ihr Gesicht ein. Ayodele knallte mit dem Kopf auf den Asphalt. Blut spritzte aus ihrer Nase. Adaora sprang aus dem Boot.

Abgesehen vom Rauschen des Bluts in ihrem Kopf war es still. Was sah sie da? Warum ließ Ayodele das zu?

Anthony hatte das Boot bereits verlassen und lief auf die Männer zu. Adaora folgte ihm. Agu schloss sich ihr an.

»Aufhören!«, schrie er wild gestikulierend. »Hört auf!« Aber sie hörten nicht auf. Ayodele stand nicht auf und versuchte auch nicht, sich zu schützen. Alles geschah innerhalb weniger Sekunden. Nun umringten sie fünf Soldaten. Sie trugen grün-braun-schwarz gefleckte Tarnkleidung, glänzend schwarze Stiefel und matt schwarze Gewehre. Sie deckten Ayodeles ganzen Körper mit ihren Schlägen und Tritten ein.

»Hexe, ich bring dich um!«, knurrte ein Mann, während er auf Ayodeles Gesicht einschlug.

»Tötet sie!«, schrie ein anderer Mann und trat zu.

Auf ihrem weißen Kleid breiteten sich rote Flecken aus.

Die Männer trampelten auf ihrer Brust, dem Bauch, Armen und Beinen herum. Sie zermalmten Knochen und zerfetzten Muskeln und Organe. Ein Mann trat auf ihren ungeschützten Hals.

Peng! Die Kugel bohrte sich in Ayodeles Seite.

Ein anderer Mensch schlug ihr mit dem Gewehrkolben auf den Kopf.

Anthony blieb nur wenige Meter von dem Chaos entfernt stehen. Er schwankte. Adaora spürte, wie alles um sie herum auf ihn zugezogen wurde.

»Anthony, nein!«, schrie Adaora, noch während sie auf ihn zulief. »Tu es nicht!«

»Warum nicht?«, fragte Anthony ruhig.

»Weil mit dem Töten Schluss sein muss«, sagte sie atemlos. Sie drehte sich zu Agu um. Auch in seinem Gesicht sah sie Mordlust. »Schluss mit dem Töten! Sie wissen nicht, was sie tun. Sie wissen nicht, wer sie ist. Sie sind verwirrt …« Sie war auch verwirrt. Was sagte sie denn da? Kopfschüttelnd sah sie Agu und Anthony an. Dann wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht. »Lasst mich …«, sagte sie und lief zu den Soldaten, die Ayodele umringten.

Sie zögerte nicht, sondern warf sich zwischen die Männer, die auf Ayodele einschlugen, und stieß sie zur Seite. Einer trat nach Ayodele, verfehlte sie jedoch und traf stattdessen Adaora. Sie ignorierte den Schmerz. Sie ließ sich auf die Knie fallen und legte ihre Arme um die reglose Ayodele. Dann spannte sie sich an.

Es fühlte sich an, als würde Elektrizität heiß und kribbelnd aus ihrem Rücken strömen. Sie umgab sie und stieß die Soldaten fort. Als sie sich dagegen warfen, schleuderte das Kraftfeld sie zurück.

Adaora nahm Ayodele in die Arme und presste ihr Gesicht an den Hals der Außerirdischen. Sie spürte, wie Ayodeles warmes Blut ihre Kleidung durchnässte. Es roch nach Kupfer, nach Meerwasser und Urin. Ayodeles Atem rasselte.

Warum?, dachte Adaora. Warum, warum, warum? Warum blutete Ayodele? Warum verwandelte sie sich nicht? Warum hatte sie den Männern erlaubt, sie zu schlagen? Warum hatten sie sie geschlagen? Sie hielt sie weiterhin fern, während sie Ayodeles zerschmetterten Körper in ihren Armen wiegte.

»Hexenwerk«, knurrte einer der Männer.

Peng!

Einer der Soldaten hatte wohl auf sie geschossen. Der Knall war ohrenbetäubend, aber Adaora wurde von keiner Kugel getroffen. Bevor der Soldat einen weiteren Schuss abgeben konnte, lief Agu zu ihm und versetzte ihm einen Schlag, der ihn auf den Asphalt schleuderte. Beinahe wäre er in das tödliche Wasser gestürzt.

Adaora brachte ihr Gesicht dicht an Ayodeles heran. Die Außerirdische sah sie aus weit aufgerissenen Augen an. Sie unterschied sich so sehr von der Frau, der sie nur zwei Tage zuvor am Strand begegnet war. In der kurzen Zeit hatte sie so viel Menschlichkeit erfahren.

»Ich habe dich als Erste gesehen. Alles fing mit dir an«, flüsterte Ayodele. »Mein Volk hat mich nicht grundlos hierher geschickt. Ich wusste die ganze Zeit …« Blut tropfte von ihren Lippen. Adaora unterdrückte ein Schaudern. »Dein Volk. Es wollte mich benutzen, mich entführen, umbringen …«

»Es tut mir leid«, sagte Adaora. »In uns steckt auch Gutes.«

»Die Ältesten haben mich geschickt«, flüsterte Ayodele. »Wir sind ein Kollektiv. Jeder Teil von uns, all die winzigen Universen in uns, haben ein Bewusstsein. Ich bin wir, ich bin ich …« Sie hustete Blut.

»Aber warum …?«

»Dein Volk braucht Hilfe mit dem Äußeren, aber auch mit dem Inneren«, sagte sie. »Ich werde ins Innere gehen … Adaora … lass mich los … halte dir die Ohren zu.«

»Warum?«

»Vertraue mir.«

»Ayodele, bitte.«

»Ihr werdet alle ein wenig … außerirdisch sein.«

Adaora legte Ayodele vorsichtig hin. Dann sah sie auf. Alles um sie herum hatte einen leicht grünlichen Stich, die gleiche Farbe, die auch ihre Flosse gehabt hatte. Das lag wahrscheinlich an dem Kraftfeld. Die Soldaten starrten sie mit erhobenen Waffen und geballten Fäusten an. Sie sah, dass Anthony und Agu hinter ihnen standen.

Ayodele sah zu ihr auf und zum ersten Mal erkannte Adaora, wie schwer ihre Verletzungen waren. An ihrem Nacken hatte sich ein Wulst gebildet, aus dem weißer Knochen ragte. Eines ihrer Beine war unnatürlich verdreht, ebenso beide Arme. Man hatte ihr in den Unterleib geschossen; hellrotes Blut breitete sich auf ihrem weißen Kleid aus. Ihr Gesicht war geschwollen und blau.

»Auberginen. Es gibt nichts Besseres.« Ayodele lachte leise.

Adaora lächelte, als sie sich daran erinnerte, dass Ayodele das Gemüse roh gegessen hatte, als wäre es eine Süßigkeit.

»Schließ die Augen«, sagte Ayodele und legte ihr die Hand auf das Knie. Adaora presste sich die Hände auf die Ohren. Sie sah Anthony und Agu an. Die beiden folgten ihrem Beispiel und hockten sich auf den Boden.

Ayodele sagte lautlos etwas, aber Adaora verstand sie trotzdem. »Hör auf.« Adaora ließ das Kraftfeld in sich zusammenfallen und schloss fest die Augen.

KBUUM!

Als Ayodeles Hand von ihrem Knie verschwand, öffnete Adaora die Augen. Dort, wo Ayodele gelegen hatte, waberte weißer Nebel. Er sah aus wie der, der manchmal vom Meer an Land geweht wurde, roch aber ein wenig nach … Auberginen. Als Adaora so auf dem Asphalt kniete, durchnässt von Ayodeles Blut, bekam sie auf einmal Heißhunger auf Auberginen. Auf ihr festes Fleisch, auf ihre bittere Süße.

»Oh«, flüsterte Adaora. Instinktiv wusste sie, dass dieser Nebel wie eine gewaltige Welle über ganz Lagos schwappte. Sie sah das in ihrer Fantasie. Die ganze Stadt hatte Heißhunger auf Auberginen. Was hatte sie getan?

Hände legten sich auf ihre Schultern. »Bitte lass mich helfen«, sagte einer der Soldaten.

»Lass sie los!«, schrie Agu.

»Agu, es ist alles in Ordnung«, sagte sie.

»Geht’s dir gut?«, fragte Anthony.

Sie nickte. Die Soldaten, die Ayodele umgebracht hatten, versammelten sich um sie. Adaora wollte nicht in ihre schuldbewussten Gesichter sehen.

Ayodele war weg. Ayodele war da. »Lagos wird nie wieder so sein wie früher«, sagte Adaora.