Titeldekoration

Zwölf

Richtig oder falsch?

Mit zehn ist man alt genug, um sein eigenes Telefon zu haben.

Antwort:

Richtig. Es sei denn, man hat meine Eltern. Dann lautet die Antwort: falsch.

Ich war die Einzige bei uns zu Hause, die je ans Langweilertelefon ging. Wenn Feen bei uns anriefen, benutzten sie das Holofon, das ein holografisches Bild der anrufenden Fee erzeugte. Das war nett, weil man sah, wer anrief, aber ein Nachteil, wenn man selber noch seinen Pyjama anhatte. Die Einzigen, die uns auf dem Langweilertelefon anriefen, waren Leute, die uns eine Teppichreinigung aufschwatzen wollten, und Katie. Ich versuchte, meinen Eltern die Erlaubnis abzuringen, das Langweilertelefon in mein Zimmer zu stellen, doch bis jetzt war es mir noch nicht gelungen. Sie glaubten nicht, dass eine Zehnjährige ein eigenes Telefon brauchte. Mir zeigte das, dass sie sich überhaupt nicht daran erinnerten, je zehn Jahre alt gewesen zu sein.

Als ich das Langweilertelefon läuten hörte, lief ich nach unten. »Hallo, bei Doyle.«

»Hallo, Willow«, sagte Großmama.

»Warum rufst du auf diesem Telefon an?«, fragte ich überrascht.

Großmama benutzte sonst immer das Holofon. Vielleicht hatte sie ja noch ihren Pyjama an und wollte nicht, dass wir sie darin sahen. Obwohl ich keine Ahnung hatte, warum sie auf diese Idee kommen sollte. Sie hatte einen tollen Bademantel, der aus einem japanischen Kimono gemacht war. Wenn ich einen ähnlich tollen Pyjama hätte, würde ich ihn ständig anziehen. Meiner war aus Flanell mit violetten Schafen drauf.

»Ich rufe dich auf diesem Telefon an, weil ich mit dir reden wollte, ohne dass deine Eltern es mitkriegen.«

Ich blickte über die Schulter, um mich zu vergewissern, dass niemand unser Gespräch mithörte. Meine Schwester war im Wohnzimmer und machte Hausaufgaben, beachtete mich aber ganz bestimmt nicht.

»Was gibt’s? Hast du es geschafft, mit der«, ich blickte wieder über die Schulter, »du weißt schon, mit der ZF Kontakt aufzunehmen?«

»Ja. Nachdem ich mich ein bisschen umgehört habe, fand ich heraus, dass die für Mirandas Viertel verantwortliche Fee Phyllis McMillan ist«, sagte Großmama. »Ich sollte dich vorwarnen: Sie ist ziemlich gewissenhaft, sogar für eine Zahnfee. Sie trägt drei Uhren, damit sie nie zu spät zu einem Termin kommt.«

»Was hat sie wegen des Zahns gesagt?« Vielleicht hatte ich Glück, und Mirandas Zahn würde erst in ein paar Wochen ausfallen.

»Planmäßig soll er am Abend vor der Hochzeit ausfallen.«

Das war eine Katastrophe. »Was machen wir jetzt?«, flüsterte ich ins Telefon. »Wir müssen etwas unternehmen.«

»Ich habe ein Treffen vereinbart, damit du mit ihr reden kannst«, sagte Großmama.

»Ich?« Meine Stimme klang hoch und piepsig. »Warum sollte sie auf mich hören? Ich bin bloß eine Fee in der Ausbildung. Ich bin nicht mal Klassenbeste. Würde sie nicht eher dir helfen?«

»Mrs McMillan ist keine Zahnfee, die man mit seiner Stellung beeindrucken kann. Sie hat schon mit vielen guten Feen der Stufe drei gearbeitet. Aber es könnte einen Unterschied machen, wenn du ihr erklärst, warum es wichtig ist. Das ist einer der ersten Wünsche, die du erfüllst. Für dich ist es was Persönliches. Das wird sie vielleicht beeindrucken.«

Ich sagte nichts. Ich wusste, dass Großmama mich für etwas Besonderes hielt, doch ich war mir nicht sicher, ob diese Zahnfee das auch so sehen würde. Meine Großmutter sagte zum Beispiel immer, dass sie mein Haar mochte, auch wenn meine Mutter es ungerade und die Stirnfransen zu kurz geschnitten hatte. Großmütter glaubten immer, dass die Zeichnungen der Enkel die besten sind, auch wenn sie nicht mal sagen konnten, was das Ganze eigentlich darstellen sollte. So waren Großmütter eben.

»Möchtest du dich mit ihr treffen? Sie hat sich bereit erklärt, Freitagabend zu mir nach Hause zu kommen und mit dir zu reden.«

»Ich weiß nicht recht«, sagte ich. Zuerst hatte ich gedacht, es wäre eine gute Idee, mit der Zahnfee zu reden, aber jetzt, wo es so weit war, machte es mir Angst.

»Es liegt ganz bei dir, Willow. Wenn du nicht möchtest, musst du auch nicht.«

Ich seufzte. Der Erfolg der Hochzeit hing jetzt völlig von mir ab. Für ein »Glücklich bis ans Ende ihrer Tage« verantwortlich zu sein (oder zumindest für ein Foto, auf dem kein zahnloses Lächeln zu sehen war) erschien mir als ziemlich große Verantwortung. »O.K., ich versuch’s.«

»Perfekt!«, sagte Grandmama. »Ich werde für dein Treffen Tee und Scones machen. Keine Sorge, es wird auch Kakao geben.« An ihrer Stimme hörte ich, wie sie sich freute.

Ich würde zu nervös sein, um was runterzukriegen. Das wusste ich jetzt schon. Nun musste ich mich zusätzlich zu der Sache mit Katie auch noch auf Verhandlungen mit einer Zahnfee vorbereiten. Für jemanden, der erst in die vierte Klasse ging, hatte ich ganz schön viel zu tun. Kein Wunder, dass ich wieder mit Nägelkauen angefangen hatte. All diese Sorgen konnten nicht gut für mich sein. Vielleicht hemmten sie mein Wachstum. Ich würde kleinwüchsig und mit ekligen Nägeln enden. Aber auch wenn ich mit der Zahnfee allein verhandeln musste, konnte Großmama mir vielleicht bei meinem anderen Problem helfen.

»Kann ich dich was fragen? Katie möchte mich besuchen«, sagte ich. »Glaubst du, ich sollte sie einladen?« Ich ertappte mich dabei, wie ich an meinem Daumennagel kaute, also nahm ich ihn aus dem Mund.

»Hmm. Das kommt mir nicht allzu schwierig vor. Möchtest du denn, dass sie dich besucht?«, fragte Großmama.

»Ich möchte wirklich, dass sie kommt, aber ich weiß nicht, ob sie kommen sollte. Was, wenn ihr auffällt, dass unser Haus ganz anders ist als alle anderen?«

Ich sah mich im Zimmer um. Meine Schwester ließ ihr Schulbuch mit den Zaubersprüchen vor ihrem Gesicht schweben, um es bequem lesen zu können, während sie einen Trank zusammenbraute. Aus dem Becherglas quoll eine rosa Rauchwolke, die glitzerte, bevor sie verschwand.

»Katie ist mit dir befreundet. Sie möchte kein anderes Mädchen zu Hause besuchen«, sagte Großmama.

»Aber was, wenn sie herausfindet, dass wir Feen sind?«, fragte ich, als mein Vater auf dem Weg in die Küche mit einem gesprenkelten Drachenei unter dem Arm an mir vorüberging.

»Pah, du machst dir einen Haufen Sorgen über etwas, von dem du nicht einmal weißt, ob es wichtig ist«, sagte Großmama und zerstreute meine Befürchtungen.

»Es verstößt aber gegen die Regeln, einem Langweiler zu erzählen, dass wir Feen sind! Ich könnte in Riesenschwierigkeiten geraten, wenn ich es ihr sage.«

»Natürlich sollst du es ihr nicht sagen, aber ich würde mir an deiner Stelle auch nicht das Leben schwer machen, indem du dir den Kopf darüber zerbrichst, ob sie es vielleicht herausfindet. Wenn du willst, dass sie vorbeikommt, solltest du sie einladen. Sie ist nicht bloß eine Langweilerin, sie ist deine beste Freundin. Ich kenne Katie aus der Schule, und sie ist etwas Besonderes. Fast so besonders wie du.«

Ich verdrehte die Augen. »Du bist meine Großmutter, du musst mich für was Besonderes halten.«

»Aber ich habe auch recht. Wir sehen uns am Freitag.«

Ich legte auf. Jetzt musste ich nur noch meine Eltern davon überzeugen, dass das eine gute Idee war.