Es fällt ihr immer was ein, was Spaß macht.
Es fällt ihr immer für alles eine Erklärung ein, und ihre Ideen sind so verrückt, dass es bloß eine Frage der Zeit ist, bevor sie herausfindet, dass du eine Fee bist.
Ich starrte Katie an. Ich hatte keine Ahnung, was ich sagen sollte.
»Mit wem redest du da?«, fragte Katie.
»Ähm. Mit Winston«, antwortete ich und rutschte nervös auf dem Boden herum. Winston wedelte ein wenig mit dem Schwanz. Am liebsten hätte ich mir selber einen Tritt verpasst. Ich konnte mich in Gedanken mit Winston unterhalten, aber manchmal redete ich laut mit ihm, ohne darüber nachzudenken. Es war mir nicht in den Sinn gekommen, dass Katie so rasch vom Badezimmer zurück sein würde. »Ich rede dauernd mit ihm. Genauso wie du mit Crackers.«
»Ich mache keine Pausen, damit sie mir antworten kann«, meinte Katie. »Wir führen keine Gespräche. Sie ist ein Vogel.«
Ich erwähnte nicht, dass ich mich mit Crackers unterhalten hatte und sie nicht gerade die beste Gesprächspartnerin war. Dadurch hätte ich wohl kaum normaler gewirkt.
»Möchtest du noch mehr Tiere basteln?« Ich zeigte auf die Wattebällchen und Pfeifenreiniger und hoffte, das Thema wechseln zu können.
»Was hast du damit gemeint, ich könnte herausfinden, wer ihr wirklich seid?«, fragte Katie. Offenbar war sie nicht mehr im Geringsten an ihrem dreiköpfigen Hund interessiert.
»Ich habe gar nichts damit gemeint. Ich weiß nicht einmal, warum ich das gesagt habe.«
Katie sah in den Flur, um sicherzugehen, dass dort niemand war, und schloss dann die Tür. Sie hockte sich neben mich und flüsterte mir ins Ohr. »Belauscht uns jemand?«
Ich blickte kurz zum Fenster, um mich zu vergewissern, dass mein Vater nicht hereinspähte. Katie bemerkte, wie ich zum Fenster sah, und machte große Augen. »Hat uns jemand durchs Fenster nachspioniert?«, flüsterte sie.
»Nein. Wie sollte uns jemand nachspionieren? Wir sind im zweiten Stock«, sagte ich nur.
Katie deutete auf das Glaskästchen mit Feenstaub auf meinem Schreibtisch. »Ist das ein Mikrofon?« Sie flüsterte so leise, dass ich mich zu ihr beugen musste, um sie zu verstehen.
»Was? Nein. Das ist kein Mikrofon.« Ich schaute mich auf der Suche nach einer Alternative rasch im Zimmer um. »Möchtest du was anderes machen? Wir könnten ein Brettspiel spielen oder mit Winston Gassi gehen.«
»Ja! Gehen wir mit Winston Gassi«, sagte sie mit superlauter Stimme. »Tolle Idee!« Katie zwinkerte mir zu.
Wir liefen mit Winston nach unten. Katie zuckte leicht zusammen, als sie meine Eltern am Treppenabsatz auf uns warten sah.
»Vielen Dank, dass ich zu Besuch kommen durfte«, sagte Katie. »Willow und ich gehen jetzt mit dem Hund Gassi. Ohne irgendeinen bestimmten Grund. Wir müssen nicht für uns sein, wir möchten nur gern raus.« Katie redete noch immer mit ziemlich lauter Stimme.
»Nun, wir freuen uns, dass du es nett fandest«, erwiderte mein Vater mit ebenso lauter Stimme. Vielleicht dachte er, Katie würde schlecht hören. »Du bist jederzeit willkommen!«
»Ruf aber trotzdem vorher an, bevor du vorbeikommst«, sagte Mama.
Lucinda hielt es nicht für nötig, sich zu verabschieden. Höchstwahrscheinlich versteckte sie sich noch immer in ihrem Zimmer.
Katie wartete, bis wir am Ende der Straße waren. Winston trottete vor uns her. Sie hakte sich unter und beugte sich zu mir, um mir wieder ins Ohr zu flüstern. »Ich glaube, hier draußen kann uns niemand hören. Jetzt kannst du’s mir sagen.«
»Dir was sagen?«
»Seid ihr Spione? Steckt deine ganze Familie mit drin? Sind im Gästezimmer lauter Computer und Spionageausstattung – zum Beispiel Kameras, die vom Weltraum aus Aufnahmen machen können?« Katie feuerte weiterhin Fragen auf mich ab. »Ich hätte es wissen müssen. Das erklärt vieles. Spioniert ihr jemandem in dieser Stadt nach? Versteckt ihr euch vor irgendeiner bösen Regierungsbehörde?«
Katie hielt inne, und die Kinnlade klappte ihr runter. »Meine Güte, kannst du etwa wie ein Ninja kämpfen? Könntest du in einem einzigen Satz über den Zaun da springen, wenn du wolltest? In der Schule für Spione werden alle möglichen coolen Sachen unterrichtet.«
Winston schnaubte. »Wirst du ihr erzählen, dass du kaum den Gehsteig entlanggehen kannst, ohne über irgendwas zu stolpern? Wenn du versuchen würdest, wie ein Ninja über einen Zaun zu springen, würdest du auf die Nase fallen.«
»Ich bin keine Spionin«, erklärte ich Katie. Wir gingen weiter in ihre Richtung.
»Was ist mit deinem Vater?«
»Er ist auch kein Spion. Und meine Mutter und meine Schwester auch nicht.«
Ich hatte ein schlechtes Gewissen, als ich ihr das sagte. Sie schien von dem Gedanken, eine Spionin zu kennen, ziemlich begeistert zu sein. Wenn ich überzeugt gewesen wäre, dass ich es durchziehen könnte, hätte ich sie in dem Glauben gelassen. Aber früher oder später würde sie mich bei einem Spionageeinsatz begleiten oder einen Ninjasprung sehen wollen, und dann würde sie herausfinden, dass das Ganze eine Lüge war. Außerdem verfügten Spione über eine tolle Ausrüstung wie Füller mit unsichtbarer Tinte, Drahtgurte, mit denen man sich von einem hundertstöckigen Gebäude abseilen konnte, oder Regenschirme, die sich in Schwerter verwandelten. Sie würde nie im Leben glauben, dass eine Orange, die sich in eine winzige Kutsche verwandelte, etwas mit Spionage zu tun hatte.
»Ich dachte mir schon, dass deine Schwester keine Spionin ist. Sie ist zu nervös«, sagte Katie. »Wenn sie Dokumente über die Grenze schmuggeln müsste, würde bestimmt jemand dahinterkommen, dass sie etwas im Schilde führt.«
»Stimmt«, gab ich zu.
»Wenn ihr also keine Spione seid, was seid ihr dann?« Katie schnippte mit den Fingern. »Ich hab’s! Seid ihr im Zeugenschutzprogramm? Hat deine Familie in einem Prozess gegen einen berühmten Verbrecher ausgesagt, der euch jetzt zur Strecke bringen will?« Katie legte sich eine Hand aufs Herz. »Du kannst mir vertrauen. Ich würde euch nie verraten. Ich kann euch helfen. Ich kann die Augen offen halten und darauf achten, dass niemand sich an euch heranschleicht.«
»Wir sind auch nicht im Zeugenschutzprogramm.« Ich trat nach einem Stein auf dem Gehsteig.
Es wäre so viel einfacher, ihr die Wahrheit zu sagen, doch das konnte ich nicht. Es verstieß gegen die Regeln. Meine Eltern wären so wütend auf mich, dass ich mindestens bis zur Highschool Hausarrest bekäme. Noch schlimmer als meine Eltern wäre der Feenrat. Ich wollte gar nicht wissen, was für Schwierigkeiten ich mit dem bekäme. Feen hielten sich seit Hunderten von Jahren vor den Menschen versteckt. Soweit ich wusste, würde der Rat mich vielleicht sogar ins Gefängnis stecken. Ich mochte Katie, und ich wollte sie nicht anlügen, aber ich wollte auch nicht für den Rest meines Lebens einen orangenen Overall tragen müssen. Ich würde meine Familie und Winston niemals wiedersehen. Der Gedanke, mein restliches Leben im Kerker zu verbringen, hörte sich nach einem ganz schlechten Plan an.
»Okay, sei ehrlich«, sagte Katie. »Seid ihr in Wirklichkeit Mitglieder des Königshauses eines echt kleinen europäischen Landes? Du kannst es mir sagen, wenn du eine Prinzessin bist. Vielleicht möchte deine Familie, dass du einfache Leute kennenlernst, damit eine bessere Herrscherin aus dir wird, wenn es so weit ist. Ich hab mal was darüber gelesen.«
Das war das Problem mit einer besten Freundin, die eine wirklich tolle Fantasie besaß und viel las. »Nein. Ich bin auch keine Prinzessin. Wenn ich eine Prinzessin wäre, würde ich dann mein Zimmer aufräumen müssen?«, fragte ich sie.
»Vielleicht möchten deine Eltern, dass du lernst aufzuräumen, damit du weißt, wie der Rest von uns die ganze Zeit lebt«, schlug Katie vor.
Wir blieben vor Katies Haus stehen. »Ich bin mir absolut sicher, dass ich keine Prinzessin bin«, sagte ich.
»Was ist dann los?« Katie hob die Hand. »Und sag jetzt ja nicht, dass gar nichts los ist. Ich bin schließlich nicht blöd. Irgendwas geht bei dir zu Hause vor. Deine Eltern und deine Schwester haben sich total seltsam benommen, weil ich dort war, und du wolltest nicht, dass ich bestimmte Sachen sehe. Beste Freundinnen vertrauen einander ihre Geheimnisse an«, sagte Katie mit Nachdruck.
Ich seufzte. »Was das betrifft, wirst du mir vertrauen müssen. Ich kann dir nicht sagen, was los ist. Aber eins kann ich dir versprechen: Es hat nichts damit zu tun, dass ich dich nicht mag oder dich für dumm halte. Wir können trotzdem beste Freundinnen sein. Wir können trotzdem zusammen rumhängen, doch mehr kann ich dir nicht sagen.«
Katie sah mich nicht an, ging aber auch nicht weg. Ich überlegte kurz, ob ich versuchen sollte, sie zu überzeugen. Doch das war wohl eines der Dinge, die sie mit sich allein ausmachen musste.
»Na gut. Ich versteh’s zwar nicht, aber wenn du es mir nicht sagen kannst, kannst du es eben nicht.«
»Sind wir noch immer Freundinnen?«, fragte ich leise.
»Natürlich.« Katie umarmte mich. »Möchtest du Freitag vorbeikommen? Da ist Pizzaabend. Du kannst deinen Teil der Pizza mit allem belegen, was du magst. Sogar mit Pfirsichen. Du musst dann bloß auch alles aufessen, was du dir ausgesucht hast«, erklärte Katie.
Mir wurde schwer ums Herz. Ein Abend mit freier Wahl beim Pizzabelag, und ich musste ihn sausen lassen. Meine Großmutter hatte für mich bereits das Treffen mit der Zahnfee ausgemacht. Das konnte ich unmöglich verschieben. Wenn ich mich am Freitag nicht mit der Zahnfee traf, würde Miranda ihren Zahn verlieren, und die Hochzeit wäre vielleicht ruiniert.
»Da kann ich nicht. An dem Abend muss ich zu meiner Großmutter«, erklärte ich.
Katie hob eine Augenbraue. »Kannst du nicht an einem anderen Abend zu ihr?«
»Es ist schwer zu erklären … aber nein, das kann ich nicht.«
»Es ist nicht schwer zu erklären, du tust es nur einfach nicht.« Katie seufzte, und ich wusste, dass sie noch immer sauer war.
Wunscherfüllung ging vor, da hatte ein Abend mit freier Wahl beim Pizzabelag keine Chance. Aber wie sollte man das erklären, ohne jedem auf die Nase zu binden, dass man eine gute Fee war?