Wenn du in der Patsche sitzt, schmecken nicht mal Plätzchen so gut wie sonst.
Richtig. Sie schmecken aber noch immer ziemlich gut und eindeutig besser als Rosenkohl, der wie ein verschimmelter Waschlappen schmeckt.
Nach dem Mittagessen kam Nathan in die Klasse zurück. Er hatte Kleider aus der Fundkiste an, unter anderem ein dämlich aussehendes rosa Sweatshirt mit zu kurzen Ärmeln. Seine mit Eintopf bekleckerten Sachen steckten in einer Plastiktüte. Bis er daheim war, würden sie bestimmt ekelhaft stinken. Dieser Gedanke machte mich glücklich, bis Nathan Mrs Caul einen Zettel übergab. Ich hätte wissen müssen, dass man mich erwischen würde. Eine Maus dazu zu bringen, in der Schulkantine verrückt zu spielen, war nicht gerade unauffällig.
Sie las den Zettel schnell durch und sah dann auf. »Willow? Du wirst im Direktorat erwartet.«
Ich deutete stumm auf meine Brust, nur für den Fall, dass vielleicht eine andere Willow gemeint war. Mrs Caul nickte, und ich spürte, wie mir das Herz in die Hose rutschte. Oh-oh.
»Aber die Mathestunde ist noch gar nicht vorbei«, sagte ich und hielt mein Arbeitsblatt hoch.
Ich versuchte, ein möglichst ernstes Gesicht zu machen. Bruchrechnen sollte ich wirklich nicht verpassen, weil es ziemlich wichtig war. Wenn Mrs Caul merkte, wie sehr ich mich für Bruchrechnen interessierte, würde sie mich vielleicht dabehalten. Sie betonte immer, wie wichtig es war, etwas zu lernen.
»Das ist schon in Ordnung. Du kannst dein Arbeitsblatt später fertig machen.«
Ich stand neben meinem Pult und wartete, dass mir noch ein Grund einfiel, warum ich das Klassenzimmer nicht verlassen konnte. Alle starrten mich an. Ich seufzte. Ich war geliefert.
Ich schlurfte den Flur entlang zum Büro. Meine Tennisschuhe machten quietschende Geräusche, und ich setzte meine Füße so, dass sie nicht mehr als eine quadratische Bodenfliese auf einmal berührten, um meine Ankunft im Büro so lange wie möglich hinauszuzögern. Niemand ging gern ins Direktorat, aber für mich war es besonders schlimm, weil die Direktorin meine Großmutter war. Als ich zu ihrem Büro kam, ging die Tür auf, bevor ich auch nur das Schild berührt hatte, auf dem ihr Name stand: Mrs Glinda Doyle.
»Warum kommst du nicht rein und setzt dich?« Großmama saß auf ihrem riesigen Lederstuhl hinter ihrem Schreibtisch. Als ich Platz nahm, schob sie mir einen Porzellanteller mit Plätzchen hin. »Möchtest du ein Haferplätzchen? Sie sind aus der Bäckerei deiner Mutter.«
Ich nahm mir ein Plätzchen und knabberte daran herum. In meinem Magen schien nicht viel Platz zu sein, weil er sich zu einem festen Knoten zusammengezogen hatte. Normalerweise passte immer ein Plätzchen meiner Mutter hinein. Sowohl Langweiler als auch Feen waren sich einig, dass ihre Bäckerei die beste der Stadt war.
»Könntest du mir vielleicht bei etwas behilflich sein?«, fragte Großmama. »Hast du gesehen, was heute in der Kantine vorgefallen ist?«
Es schnürte mir die Kehle zu. Der Bissen, den ich gerade hatte schlucken wollen, blieb mir im Hals stecken. »Ähm, klar.«
»Weißt du etwas darüber?« Sie blickte mich über den Rand ihrer Brille hinweg an, die ganz vorne auf ihrer Nasenspitze saß.
Ich legte das Plätzchen weg. Ich konnte meine Großmutter nicht anlügen. Ich spürte, wie meine Unterlippe zu zittern anfing. Es war mir absolut verboten, in der Schule zu zaubern. Das war eine Regel. Wenn Großmama meinem Vater davon erzählte, würde ich die Riverside vielleicht verlassen und an die Cottingley-Feenschule zurückkehren müssen. Ich würde Katie nicht mehr sehen können, und sie würde eine neue beste Freundin finden.
»Das wollte ich nicht! Es war ein Unfall«, jammerte ich und fing an zu weinen. »Nathan ist den ganzen Tag gemein zu mir gewesen. Dauernd zieht er mich auf, und er hat mir mein Notizbuch weggenommen und wollte es mir nicht zurückgeben. Er war dabei, es zu lesen. Er hat es nur zurückgegeben, weil Katie ihn geboxt hat, und dann hat er mit Essen nach mir geworfen.« Ich bekam Schluckauf, doch bevor ich weitere Erklärungen abgeben konnte, legte meine Großmutter ihre Hand auf meine.
»Immer mit der Ruhe. Fangen wir am Anfang an. Womit hat Nathan dich aufgezogen?«
»Mit Heiraten. Es ist nicht so, dass ich heiraten möchte. Es gibt ja nicht mal jemanden, den ich mag, aber alle haben über Hochzeiten und Kleider geredet. Und dann habe ich in mein Notizbuch geschrieben, welche Hochzeitskleider Mädchen mögen, falls ich je einen solchen Wunsch erfüllen muss. Er dachte aber, ich würde meine eigene Hochzeit planen.«
Großmama lehnte sich zurück. »Lass mich mal raten: Das Ganze hat damit angefangen, dass Miranda bei der Hochzeit ihrer Cousine Brautjungfer sein wird.«
»Woher weißt du das?«
»Was glaubst du, warum Miranda für die Hochzeit ausgewählt wurde?« Großmama zwinkerte mir zu.
»Du hast diesen Wunsch erfüllt?« Ich pfiff durch die Zähne. Großmama war toll. Kein Wunder, dass sie eine gute Fee der Stufe drei war.
»Warum zieht Nathan dich wohl auf?« Großmama schob mir den Teller mit den Plätzchen wieder hin.
Jetzt, wo ich die Wahrheit gesagt hatte, fühlte sich mein Magen viel weniger verkrampft an, und ich war mir ziemlich sicher, dass ein Plätzchen hineinpassen würde. Vielleicht sogar zwei.
»Ich weiß nicht. Bisher sind wir gut miteinander ausgekommen. Er hat mich im Turnunterricht einmal in sein Team gewählt, und beim Ausflug ins Naturkundemuseum waren wir Partner.«
»Ich glaube, ich weiß, warum er so ist«, sagte Großmama lächelnd. »Ich glaube, er mag dich.«
Ich rümpfte die Nase. Ich war mir nicht sicher, was ich davon halten sollte. »Aber wenn er mich mag, warum zieht er mich dann auf?«
»Langweilerjungs tun das manchmal. Sie wissen nicht, wie man jemandem sagt, dass man ihn mag, also ziehen sie einen stattdessen auf.«
Ich kratzte mich an der Nase, während ich darüber nachdachte. »Wäre es nicht vernünftiger, wenn sie einem Blumen schicken würden? In den Langweilersendungen schicken sich die Leute dauernd Blumen oder Süßigkeiten, wenn sie jemanden mögen. Sie werfen nicht mit Pommes frites nach demjenigen. Nie.«
»Das Leben ist nicht immer wie im Langweilerfernsehen.« Großmama nahm sich auch ein Plätzchen. »Das solltest du dir auch in dein Notizbuch schreiben.«
Ich zog mein Notizbuch heraus und schrieb Großmamas Ratschlag hinein. Ich notierte mir auch, dass Langweilerjungs mit Dingen warfen, um ihre Zuneigung auszudrücken. Es war ein Wunder, dass Langweiler überhaupt heirateten, wenn die Jungs sich so dämlich aufführten. Kein Wunder, dass die Mädchen wegen der Hochzeit so aufgeregt waren. Es musste etwas ziemlich Besonderes sein, wenn zwei tatsächlich offen zugaben, dass sie einander mochten. Und außerdem gab es glitzernde Kleider und Hochzeitstorte. Feen neigten eher dazu, praktisch zu handeln: Wenn man jemanden mochte, sagte man ihm oder ihr das einfach. Obwohl ich Geschichten darüber gehört hatte, dass männliche Feen Einhörner schickten, die den Mädchen, die sie mochten, Blumen überbrachten. Das war irgendwie angeberisch, aber trotzdem ziemlich nett. Es sei denn, das Einhorn fraß die Blumen auf.
»Da wir jetzt geklärt haben, was in Nathan vorgeht, könntest du mir bitte erklären, was du dir dabei gedacht hast, diese Maus anzustiften, Essen über ihn zu kippen?«
»Das war Theodores Idee«, erklärte ich.
»Aber hast du die Lage zufällig mit Theodore besprochen?«
Ich starrte auf meinen Schoß. »Wirst du Papa sagen, dass ich gegen die Regeln verstoßen habe?«
»Sagen wir mal so: Du hast diesmal die Regeln umgangen. Und ich denke, diese umgangene Regel bleibt einfach unter uns.«
Mein Herz klopfte schneller. Sie würde es meinem Vater nicht erzählen. Großmamas sind die Besten. Sie beugte sich vor. »Ich erwarte aber, dass es auf den Fluren keinen Hokuspokus mehr gibt.«
»Ja, Frau Direktor.« Ich nickte.
»Oder im Klassenzimmer, in der Kantine oder auf dem Schulhof. Du kannst aus dem Ganzen eine Menge lernen. Ich bin froh, dass du mit Katie befreundet bist, doch es gibt hier eine Menge anderer Langweiler, und du wirst lernen müssen, mit allen auszukommen.«
»Sogar mit Bethany?«, fragte ich.
Sie nickte. »Und mit Nathan.« Großmama stand auf und kam um den Schreibtisch herum. »Also gut, umarm mich jetzt, und dann zurück mit dir in die Mathestunde.«
Ich schlang meine Arme um sie. »Danke, Großmama. Es tut mir wirklich leid. Ich werd’s nicht noch mal tun. Hier zur Schule zu gehen ist das Beste, was mir je passiert ist.«
»Du bist ein besonderes Mädchen, Willow. Nicht nur, weil du meine Enkelin bist.« Sie hielt mein Kinn fest und sah mir in die Augen. »Man weiß ja nie … Dass du hier zur Schule gehst, ist vielleicht das Beste, was uns allen je passiert ist.«