Titeldekoration

Fünf

Es kommen einem schlechte Ideen, weil:

Der Zettel war ein bisschen feucht und zerknittert, weil ich ihn den ganzen Vormittag in meiner Tasche umklammert hatte. Ich war mir nicht mehr so sicher, ob das Ganze eine gute Idee war. Es gab vielleicht klügere Ratgeber als eine Seifenoper. Meine Schwester war zwar manchmal böse zu mir, doch sie würde sich niemals einer terroristischen Vereinigung anschließen.

Nach dem Abendessen waren Winston und ich in mein Zimmer hinaufgelaufen, um Nathan eine Nachricht zu schreiben. Darin erklärte ich ihm, dass ich wusste, dass er mich mochte, aber dass es mit uns beiden nie klappen würde. Winston und ich hatten ein paar Ideen aus den Seifenopern verwendet, die wir uns angesehen hatten. Gestern Abend hatte ich das für großartig gehalten, doch jetzt begann ich, meinen Plan zu überdenken.

Und falls meine Großmutter und meine Mutter sich nun irrten? Mein Blick glitt zu Nathan hinüber. Er hatte sich zwei Trinkhalme unter die Oberlippe geklemmt und imitierte ein Walross. Er schien mir nicht die geringste Aufmerksamkeit zu schenken.

»Warum starrst du Nathan dauernd an?«, fragte Katie. Sie nahm einen geräuschvollen Schluck aus ihrem Trinkpäckchen.

Ich fuhr herum und sah sie an. »Ich habe ihn nicht angestarrt.« Ich wurde knallrot im Gesicht.

Katie verzog das Gesicht. »Ist alles in Ordnung?«

»Was soll denn nicht in Ordnung sein?«, sagte ich. Meine Stimme klang schrill. Ich lachte gekünstelt, aber Katie wusste bestimmt, dass ich nur so tat, als ob. Es war kein besonders gutes gekünsteltes Lachen. Es hörte sich an, als wäre jemand auf eine Gans getreten.

Katie legte ihr Sandwich weg. »Du kannst es mir ruhig sagen, wenn was nicht stimmt. Du kannst mir alles erzählen.«

»Ich weiß.« Ich konnte ihr nicht ins Gesicht sehen. Beste Freundinnen erzählten einander vielleicht alles, doch ich durfte ihr nicht sagen, dass ich eine Fee war. Das war ein ganz schön großes Geheimnis. Und weil ich ihr nicht sagen konnte, dass ich eine Fee war, konnte ich ihr auch nicht erzählen, dass ich verstand, was Winston, mein Hund, sagte oder warum meine Familie so seltsam war oder eine Million anderer Dinge. Es gab mehr Geheimnisse, von denen ich ihr nichts erzählen durfte, als Dinge, über die ich mit ihr reden konnte.

»Na gut, wenn du Nathan nicht angestarrt hast, wo hast du dann hingesehen?«

»Ähm.« Ich dachte fieberhaft über eine gute Antwort nach. »Ich habe geschaut, wie lange die Schlange vor der Milchausgabe ist. Ich möchte Schokomilch.« Ich stand auf. »Willst du auch eine?«

Katie schüttelte den Kopf. Ich ging langsam an Nathans Tisch vorbei, falls er etwas nach mir werfen wollte. Das tat er aber nicht, nicht mal eine Weintraube. Falls er etwas werfen würde, dann eine Weintraube. Sie waren rund und kugelförmig. Es kostete überhaupt keine Anstrengung, eine Weintraube zu werfen, schon gar nicht für jemanden, der in Sport so gut war wie er. Falls Nathan mich gemocht hatte, tat er das anscheinend nicht mehr. Nicht dass mir das was ausmachte. Es war ja nicht so, dass ich jemanden mit Walrossstoßzähnen aus Trinkhalmen zum Freund haben wollte.

Ich stellte mich in der Schlange an und zog den Zettel aus meiner Tasche. Ich hatte ihn mit dem Federkiel meiner Schwester geschrieben. Die Nachricht kam mir zu wichtig vor, um sie mit Bleistift zu schreiben, doch ich hatte mir die ganze Hand mit Tinte bekleckert und sah aus, als hätte ich blaue Sommersprossen. Ich sah mir den Zettel an, auf den ich außen in verschnörkelten Buchstaben Nathans Namen geschrieben hatte. Darüber stand in Blockschrift STRENG GEHEIM. Gott sei Dank hatte ich ihm die Nachricht noch nicht gegeben. Ich warf sie in den Abfalleimer.

»Was ist das?« Bethany schnappte sich den Zettel aus dem Abfalleimer. Sie musste direkt hinter mir gestanden haben.

»Das kannst du nicht haben«, sagte ich.

Wer holte schon Sachen aus dem Abfalleimer? Der ganze Sinn von Abfall bestand darin, dass er eben Abfall war. Ich versuchte, ihr den Zettel zu entreißen, aber Bethany zog ihn weg.

»Ist das ein Liebesbrief?« Bethany faltete den Zettel auseinander. Sie fing an zu lachen, als sie die ersten Zeilen las. »Oh, Nathan! Das musst du dir anhören.«

Bethanys Stimme war in der ganzen Schulkantine zu hören. Hätte meine Zauberkraft darin bestanden, zu verschwinden, wäre es mir egal gewesen, wie viel Ärger ich mir damit eingebrockt hätte – ich wäre auf der Stelle verschwunden. Nur für den Fall, dass es vielleicht doch funktionierte, wünschte ich mir, der Boden würde sich unter mir auftun, damit ich im Keller versinken konnte, aber nichts geschah.

Ich brauchte nicht zuzuhören, wie Bethany die Nachricht laut vorlas. Ich wusste genau, was drinstand.

Lieber Nathan,

ich weiß, dass du mich magst. Es ist zwecklos, zu fragen, woher ich das weiß. Ich weiß es eben. Ich schreibe dir, um dir zu sagen, dass es mit uns nie klappen wird. Es wäre besser, du würdest jemand anderen mögen.

Mein Leben ist sehr kompliziert, und ich bin nicht immer, wer ich zu sein scheine. Ich kämpfe gegen meine böse Zwillingsschwester, die einen Plan schmiedet, die Welt in die Luft zu sprengen. Daher verstecke ich mich hier in der Schule, bis ich einen Weg gefunden habe, alle zu retten. Vielleicht werden wir uns in vielen Jahren an einem anderen Ort wiedersehen.

Willow

»Ich wusste gar nicht, dass du eine Zwillingsschwester hast«, sagte Paula überrascht.

Die ganze Schulkantine lachte. Laut vorgelesen hörte sich die Nachricht schlimmer an. Ich wusste, dass ich den Teil über die Rettung der Welt hätte weglassen sollen, aber das war Winstons Lieblingsszene in der Seifenoper gewesen, die wir uns angeschaut hatten. Er fand, es hörte sich an, als wäre ich total heldenhaft und dass ich Nathan leichter loswerden würde, wenn er glaubte, ich müsste meine böse Zwillingsschwester bezwingen. Jetzt wurde mir klar, dass es doof klang. Ich drehte mich um und rannte aus der Kantine.

Katie fand mich in der Bibliothek in der Leseecke. Sie gab mir meine Tüte mit dem restlichen Pausenbrot.

»Du hättest mir sagen können, dass du Nathan magst.«

»Ich mag ihn nicht«, erwiderte ich. »Er mag mich. Darum habe ich die Nachricht ja geschrieben. Ich wusste nicht, wie ich ihn dazu bringen kann, mich nicht mehr zu mögen.«

»Na ja, darüber brauchst du dir den Kopf wohl nicht mehr zu zerbrechen.« Katie setzte sich neben mich auf den Boden.

»Was hat Nathan gesagt?«, fragte ich.

»Willst du das wirklich wissen?«, fragte Katie zurück. Sie wartete, bis ich nickte, bevor sie weitersprach. »Er und seine Freunde haben dich Super-Willow genannt, als wärst du eine Superheldin. ›Rette den Planeten, Super-Willow!‹ So was in der Art. Paula versucht noch immer herauszukriegen, warum sie nichts von deiner Schwester wusste.«

Ich seufzte. Ich konnte Bethany nicht einmal von einem Haufen Möwen angreifen lassen, weil ich meiner Großmutter versprochen hatte, in der Schule nicht mehr zu zaubern.

»Ich werde niemandem in unserer Klasse mehr ins Gesicht schauen können. Ich werde in die Wüste ziehen müssen, um noch mal ganz von vorne anzufangen.«

»Du musst niemandem ins Gesicht schauen außer dir selbst. Wir werden den Leuten einfach sagen, dass es ein Witz war. Abgesehen davon, wenn du in die Wüste ziehst, kommt nur Sand in all deine Sachen. Wer will schon Sand in seinen Unterhosen?«

Ich spürte, wie ich lächeln musste. Katie munterte mich immer auf. »Ich nehme an, es ist in der Wüste auch zu heiß, um Eis zu essen.«

»Und statt deinem Hund bräuchtest du ein Kamel, und die sollen echt stinken.« Katie fing an zu kichern.

»Und ich hätte ständig einen Sonnenbrand«, sagte ich.

»Und dann würde sich deine Nase schälen.« Katie tat so, als würde sie riesige Hautfetzen von ihrer Nase abziehen.

»Na gut, du hast mich überzeugt. Ich bleibe.«

»Juhu!« Katie schlang einen Arm um mich. »Und so lautet der Plan, wenn wir in die Klasse zurückkehren: Beachte Bethany gar nicht. Sie sagt sowieso nie was Nettes. Sie ist bloß deshalb so gemein zu dir, weil sie Nathan mag.«

»Tut sie das?« Mir klappte die Kinnlade runter. Davon hatte ich keine Ahnung gehabt.

»Ja. Sie ist total verrückt nach Jungs. Sie schwärmt ständig von Nathan, versucht bei Schulprojekten seine Partnerin zu sein und so.« Katie schlug die Beine übereinander. Sie war supergelenkig, weil sie turnte. Katie nahm nach der Schule an allen möglichen Aktivitäten teil.

»Warum liebt Bethany Nathan?«, fragte ich.

Katie zuckte mit den Achseln. »Sie liebt es wohl, verliebt zu sein.«

»Es tut mir leid, dass ich mit dir nicht darüber geredet habe.« Ich starrte auf meinen Schoß. Ich hätte ihr von Nathan erzählen sollen, aber wahrscheinlich war ich so daran gewöhnt, Geheimnisse für mich zu behalten, dass ich vergessen hatte, ihr von den Dingen zu erzählen, über die ich mit ihr reden konnte. Diese ganze Sache mit den Langweilern war schwieriger, als es aussah.

»Schon gut.« Katie krümmte ihren kleinen Finger, hakte ihn in meinen ein und schüttelte ihn. »Keine Geheimnisse mehr«, sagte Katie.

Ich kreuzte die Finger hinter meinem Rücken, damit die Lüge nicht zählte. »Keine Geheimnisse mehr«, wiederholte ich.