Titeldekoration

Acht

Märchen …

Meine erste Pyjamaparty lief nicht besonders gut. Mir war klar, dass Bethany und Paula mich nicht dabeihaben wollten. Sie machten einen großen Wirbel darum, dass ich keine Salami auf meiner Pizza mochte. Ich wollte die Pizza auch dann nicht essen, als die Salami entfernt war, schließlich wusste jeder, dass trotzdem die ganze Pizza nach Salami schmeckte. Sie behaupteten, dass jeder Salami mögen würde, aber in Wirklichkeit meinten sie: Jeder, der »normal« war, mochte Salami.

Nach dem Essen war mir ein bisschen schlecht, doch das kam nicht von der Pizza. Ich wollte nach Hause, aber es war erst sieben. Ich musste noch die ganze Nacht und den Morgen durchhalten. Wenn ich meine Mutter anrufen und sie bitten würde, mich abzuholen, würden sie sich über mich lustig machen, wenn ich weg war. Sie würden sagen, dass ich mich wie ein Baby aufführte und offenbar noch zu klein für eine Pyjamaparty wäre. Es war blöd, hier zu sein, doch nach Hause zu gehen, würde die Sache nur noch schlimmer machen.

Nach dem Abendessen zogen wir unsere Pyjamas an und gingen nach unten. Sie breiteten ihre Schlafsäcke nebeneinander aus, und ich ordnete meinen Deckenstapel so an, dass er so schlafsackartig wie möglich aussah. Ich war ganz außen und lag so weit von Miranda entfernt, wie es – auf Bethanys Anweisung hin – nur ging. Wenn ich nicht aufpasste, würde ich in den offenen Kamin rollen. Mirandas Wohnzimmer war eindeutig nicht für eine Pyjamaparty mit vier Personen gedacht.

Mirandas Eltern hatten erlaubt, dass wir so lange aufbleiben und Filme anschauen durften, wie wir wollten. Die Entscheidung würde schwierig werden, da Miranda jeden Film zu besitzen schien, der jemals gedreht worden war, sogar die altmodischen in Schwarz-Weiß. Bethany wollte einen Liebesfilm sehen. Paula mochte Gruselfilme.

Ich entschuldigte mich, während sie darüber stritten, was wir uns nun ansehen sollten, und stahl mich in Mirandas Zimmer. Das Brautjungfernkleid hing in einer Plastikhülle an der Innenseite der Wandschranktür. Ich streifte die Hülle ab und schaute es mir genau an. Miranda würde das Kleid sogar noch mehr lieben, wenn Glitzer drauf wäre. Das war meine erste Gelegenheit, einen Wunsch zu erfüllen. Noch dazu war es ein Hochzeitswunsch, was ihn zu etwas ganz Besonderem machte. Meine Eltern würden total beeindruckt sein. Als meine Schwester ihren ersten Wunsch erfüllte, hatte sie jemandem geholfen, ein Fünfundzwanzig-Cent-Stück für die Parkuhr zu finden. Das hier war viel cooler.

Leise machte ich die Tür zu und holte ein paarmal tief Luft. Ich konzentrierte mich auf das Kleid und sagte einen Zauberspruch auf.

Nichts geschah.

Ich rollte meine Pyjamaärmel auf und versuchte es noch einmal. Diesmal kniff ich die Augen zusammen und konzentrierte mich wirklich.

Nichts.

Zaubern war viel schwieriger, als es bei meinen Eltern aussah. Jede gute Fee besaß eine besondere Fähigkeit, von der sie erwählt wurde, aber alles andere musste man lernen. Meine Schwester wusste bestimmt, wie dieser Zauber ging. Sie war immer die Klassenbeste. Ich presste die Lippen zusammen und versuchte es mit aller Macht. Ich merkte, wie ich im Gesicht rot anlief, und der Schweiß stand mir auf der Stirn, als würde ich im Turnunterricht Runden laufen. Ich zitterte vor Anstrengung am ganzen Körper.

PUFF !

Keuchend sank ich auf Mirandas Bett zurück. Sobald ich wieder zu Atem gekommen war, sprang ich auf, um nachzusehen, wie das Kleid geworden war. Ich musterte den Stoff, aber es sah alles noch genauso aus wie vorher. Das war doch nicht möglich. Moment! Dort unten am Rock war etwas. Ich hob ihn hoch und entdeckte eine silberne Paillette ganz unten am Rocksaum.

Eine Paillette.

Ich setzte mich wieder aufs Bett. Eine Paillette brachte das Kleid nicht zum Glitzern. Sie sah wie ein Versehen aus. Bei diesem Tempo würde ich die ganze Nacht brauchen – vielleicht eine ganze Woche –, um das Kleid umzuarbeiten. Ich wollte Miranda ihren Wunsch wirklich erfüllen. Ich kaute auf der Unterlippe herum und suchte nach einer Lösung. Wenn mir die ganze Zauberei doch nur so leichtfallen würde wie das Sprechen mit Tieren!

Ich schnippte mit den Fingern. Das war’s! Ich könnte eine gute Fee wie im Film Cinderella sein. Ich stürzte zu Mirandas Fenster hinüber und öffnete es. Ich pfiff, um die Aufmerksamkeit eines Rotkehlchens zu erregen, das auf einem Baum saß. Rasch schilderte ich ihm die Lage. Ich sprach mit dem Rotkehlchen in Gedanken, damit niemand mich belauschen konnte. Normalerweise zog ich es vor, laut zu reden, aber manchmal musste man eine Unterhaltung geheim halten. Ich brauchte den Vogel, damit er seine ganzen Freunde herbeirief, und vielleicht musste ich auch noch ein paar Mäuse um Hilfe bitten, um das Kleid umzuarbeiten. Ich betonte, dass sie das Kleid im Großen und Ganzen so belassen sollten, wie es war, dass es jedoch ein wenig Glitzer brauchte.

Ich ließ das Fenster offen und schlüpfte aus dem Zimmer. Ich musste mich beherrschen, nicht die Treppe hinunterzutanzen, so aufgeregt war ich. Ich malte mir bereits aus, wie begeistert Miranda sein würde, wenn sie in der Früh das Kleid sah. Mir dämmerte langsam, dass das Erfüllen von Wünschen echt Spaß machen konnte.

In dieser Nacht machte ich kaum ein Auge zu. Zum Teil weil ich es nicht abwarten konnte zu sehen, wie das Kleid geworden war, aber auch weil Paula einen Film ausgesucht hatte, der supergruselig war. Ich hatte Angst, dass draußen vielleicht Zombies lauerten. Das einzig Gute an Zombies war, dass sie offenbar nicht besonders schnell rennen konnten. Ich traute mir auf jeden Fall zu, schneller zu laufen als sie, und war mir hundertprozentig sicher, dass ich auf jeden Fall schneller rennen konnte als Bethany. Wenn wir im Turnunterricht Runden laufen mussten, hatte sie immer eine Entschuldigung von zu Hause dabei. Sie kam nicht gerne ins Schwitzen. Sie wäre mit Sicherheit Zombiefutter.

Mirandas Mutter rief nach unten, dass es Zeit zum Aufstehen sei. Sie machte Pfannkuchen zum Frühstück. Ich liebte Pfannkuchen – da war keine Salami drauf. Miranda stand als Erste auf, und ich hielt die Luft an, als sie nach oben in ihr Zimmer ging. Ich fragte mich, ob sie vor Freude weinen würde, wenn sie das Kleid sah.

»Aaaahhh!!!«, schrie Miranda.

Wir rannten, so schnell wir konnten, in ihr Zimmer hinauf. Ich stieß mit Bethany zusammen, die direkt in der Tür stehen geblieben war. Ich wollte mich gerade entschuldigen, aber als ich das Kleid sah, klappte mir die Kinnlade runter. Heiliger Strohsack.

Die Vögel hatten aus dem Kleid wirklich etwas Besonderes gemacht. Am Rocksaum wand sich eine Girlande aus ineinander verflochtenen silbernen Kaugummipapieren entlang. Am Ausschnitt hatten sie Kronkorken befestigt, und überall klebten Styroporflocken. Zwei Vögel hockten auf dem Fensterbrett und zwitscherten aufgeregt.

»Was hältst du davon?«, fragte das Rotkehlchen mit stolzgeschwellter Brust. »Die Kronkorken waren meine Idee.«

Ich schluckte schwer. Entweder hatte die Fee in Cinderella modebewusstere Vögel zu Hilfe gerufen, oder der Teil der Geschichte war erfunden. Das Kleid war ruiniert.

»Nun. Es glitzert wirklich«, sagte ich zu den Vögeln. Ich wollte sie nicht beleidigen. Ich wusste, dass sie ihr Bestes getan hatten.

»Niemand würde je glauben, dass das unser erstes Kleid war. Ich hatte keine Ahnung, dass ich so ein Naturtalent bin«, sagte das Rotkehlchen.

»Du warst schon immer ein großartiger Nestbauer«, meinte der andere Vogel. »Erinnerst du dich an das Jahr, in dem du Blütenzweige verwendet hast?«

»Du hast auf jeden Fall einen einzigartigen Stil«, brachte ich heraus.

»Wie ist das denn passiert?«, stöhnte Miranda.

»Glaubst du, es waren Zombies?«, fragte Paula mit zitternder Stimme.

»Ich hab dir ja gesagt, wir sollten uns den Film nicht anschauen«, sagte Bethany. Mirandas Mutter kam die Treppe hinaufgestapft, um nachzusehen, was der Lärm zu bedeuten hatte.

Ich dachte, Mirandas Mutter würde beim Anblick des Kleids aufschreien, aber sie stand nur mit offenem Mund da. »W-w-wie ist das denn passiert?«, stotterte sie. »Was habt ihr Mädchen angestellt?«

»Wir haben gar nichts gemacht! Es war schon so, als wir reinkamen«, sagte Miranda. »Das Fenster war offen. Jemand muss eingebrochen sein und das getan haben.«

Mirandas Mutter verschränkte die Arme vor der Brust. »Erwartest du etwa von mir, dass ich glaube, jemand wäre ins Haus eingebrochen und hätte sich nicht mal die Mühe gemacht, irgendwas zu stehlen? Dass sie sich bloß hereingeschlichen und dein Kleid versaut haben? Schau es dir doch bloß an! Es ist ruiniert!«

»Nun, die Frau hat überhaupt kein Gespür für Mode«, zwitscherte das Rotkehlchen draußen verärgert, von den ersten Kritiken eindeutig gekränkt. Die beiden Vögel flogen ohne ein weiteres Wort davon.

Mirandas Mutter drehte sich um und sah uns an. »Ich bin schockiert, dass ihr bei so was mitmacht. Es ist wohl am besten, ihr ruft eure Eltern an und geht jetzt nach Hause.« Sie stürmte wieder nach unten, und wir blickten einander an.

Für mich hörte sich das nicht so an, als würden wir Pfannkuchen kriegen. Ich fühlte mich schrecklich. Ich hatte doch nur Mirandas Kleid zu etwas Besonderem machen wollen. Jetzt wusste ich, warum meine Schwester mit einem einfachen Parkuhrwunsch angefangen hatte.

Miranda weinte leise, und Paula und Bethany tätschelten ihr den Rücken.

»Es wird schon alles in Ordnung kommen«, sagte ich. Ich sah mir das Kleid an. Das einzig Gute war, dass Vögel nicht die besten Schneider waren. Das meiste von dem Zeug klebte nur lose auf dem Kleid oder war mit einem einzigen Stich befestigt. »Der größte Teil von dem Zeug geht bestimmt ziemlich einfach wieder ab.« Ich zog ein paar Kronkorken vom Kleid, um es ihr zu zeigen. Paula sprang herbei, um mir dabei zu helfen.

»Und wenn meine Cousine nun beschließt, dass sie mich bei der Hochzeit nicht mehr dabeihaben will?«, jammerte Miranda.

»Sie wird dich wegen des Kleids nicht von der Hochzeit ausschließen«, sagte Bethany. »Du kannst ihr sagen, dass es ein Unfall war.«

»Es ist nicht nur das Kleid«, sagte Miranda. »Schaut mal.« Sie machte den Mund auf und deutete auf einen ihrer Vorderzähne. Wir drei beugten uns vor, aber ich hatte keine Ahnung, was wir uns da eigentlich anschauten. Für mich sah der Zahn okay aus. Vielleicht dachte ihre Cousine, dass Miranda nicht häufig genug Zahnseide benutzte.

»Mein Zahn wackelt!«, sagte Miranda. »Wenn er mir vor der Hochzeit ausfällt, werde ich auf sämtlichen Fotos doof ausschauen.«

»Wieso verlierst du deinen Zahn denn so spät?«, fragte Bethany. »Meine Milchzähne sind schon vor Urzeiten ausgefallen.«

Paula und ich sahen sie wütend an. Miranda regte sich offensichtlich schon genug auf, ohne dass man sie noch extra darauf hinweisen musste, dass alle anderen ihre Vorderzähne bereits verloren hatten.

»Würde deine Cousine dich echt von der Hochzeit ausschließen?«, flüsterte Paula.

»Meine Mutter redet ständig davon, dass Fotos für die Ewigkeit sind und dass ich sowieso zu jung bin, um eine Brautjungfer zu sein. Und eine zahnlose Brautjungfer will erst recht niemand.«

»Du solltest keine Äpfel essen«, riet Paula.

»Und Kaugummi auch nicht«, schlug Bethany vor. »Überhaupt nichts, was zu zäh ist, und kau immer auf der anderen Mundseite. Wenn du den Zahn von jetzt an bis zur Hochzeit überhaupt nicht benutzt, bleibt er vielleicht an seinem Platz.«

»Mädchen! Es ist Zeit, dass ihr euch auf den Heimweg macht!«, rief Mirandas Mutter die Treppe hoch.

»Danke für die Einladung«, sagte ich zu Miranda.

»Wir hatten bei unseren Partys nie solche Probleme, bis wir dich eingeladen haben«, sagte Bethany, als sie an mir vorbeistürmte.

Ich wäre sauer geworden, aber Bethany hatte ja recht. Was geschehen war, war meine Schuld. Ich hatte nicht die Absicht gehabt, das Kleid zu ruinieren. Ich ging nach unten und rief meine Mutter an, um ihr zu sagen, dass ich vorzeitig nach Hause kommen würde. Ich legte meine Decke zusammen und ging. Miranda kam nicht aus ihrem Zimmer.

Winston wartete draußen auf dem Gehsteig auf mich. Er musste das Telefonat mit meiner Mutter zufällig mit angehört haben.

»Sag nichts«, sagte ich, als ich mich auf den Heimweg machte.

»Nicht einmal: Ich hab’s dir ja gleich gesagt?« Winston ging neben mir her. »Was ist überhaupt passiert?«

»Es gab Wunscherfüllungskomplikationen.«

»Komplikationen?« Winston hob seine buschigen Augenbrauen.

»Ein bisschen mehr als nur Komplikationen. Ich krieg das schon wieder hin. Ich habe mir was überlegt, wie ich es wieder in Ordnung bringen kann.«

Winston kaute am Saum meiner Jeans herum, damit ich stehen blieb. »Moment mal. Ich bin mir nicht sicher, ob das eine gute Idee ist. Vielleicht solltest du das Erfüllen von Wünschen den Erwachsenen überlassen.«

»Wie soll ich je lernen, wie man Wünsche erfüllt, wenn mir nicht einmal ein einfacher Hochzeitswunsch gelingt? Der Wunsch war noch nicht mal für die Braut! Abgesehen davon weiß ich jetzt, was zu tun ist.« Ich beschleunigte meine Schritte. Ich musste mit meiner Großmutter reden. Obwohl ich wusste, was ich zu tun hatte, war ich mir nicht ganz sicher, wie ich es anstellen sollte. Den Kleiderwunsch mochte ich ja vermasselt haben, aber ich würde einen Weg finden, um Mirandas Zahnproblem zu lösen. »Keine Angst. Für diesen Wunsch werde ich mir Hilfe holen.«

»Von wem?«, fragte Winston.

Ich blieb stehen. »Ich gehe gleich zur obersten Instanz. Zur Zahnfee.«