Stillen (oder nicht) – sorglos und entspannt!
Wenn wir akzeptieren können, dass jede Familie ihr Leben unter anderen Umständen mit einem eigenen Lebensstil und unterschiedlichen Bedürfnissen führt, dann sollten wir auch kein Urteil fällen, wenn Eltern der Meinung sind, dass unsere »Regeln« zu ihnen oder ihren Kindern einfach nicht passen.
Seit vielen Jahren gilt es als unumstößlich, dass Stillen das Beste für Babys ist. Doch noch in den 1950er-Jahren waren amerikanische Geburtshelfer und Kinderärzte der Meinung, dass es gesünder und hygienischer sei, Babys mit der Flasche und Muttermilchersatz zu ernähren. Krankenschwestern gaben Müttern, die entbunden hatten, sogar Medikamente oder Östrogenspritzen, um die Milchproduktion zu unterbinden. Heute dagegen stillen viele Mütter auf der Straße, in Restaurants, auf Flughäfen und in Kaufhäusern und kämpfen für ihr Recht, ihrem Baby die Brust zu geben, wo und wann sie wollen. Ich schätze den Einsatz, mit dem Frauen ermuntert wurden, ihre Babys auf die Art zu ernähren, die Mutter Natur vorgesehen hat. Doch häufig erlebe ich auch, dass wir es mit dem gut gemeinten Eifer zu weit getrieben haben.
Mehr als einmal kam eine frischgebackene Mutter weinend zu mir in die Klinik, weil ihr Baby jedes Mal schrie, wenn sie es stillen wollte. Oft lag das daran, dass die Brüste der Mutter so angeschwollen waren, dass das Baby nicht richtig andocken konnte. Dafür gab es einfache Lösungen. Eine bestand darin, der Mutter ein paar einfache Techniken zu zeigen, wie sie das Baby beim Anlegen in eine günstigere Position brachte. Eine andere bestand in einer kleinen, sanften Massage, um etwas Milch herauszudrücken und den Druck um die Brustwarzen herum zu verringern, damit die Brust weicher wurde. Wenn beides nicht half, holte ich einen Flaschensauger oder ein Stillhütchen. Sie werden über die Brustwarze der Mutter gezogen, damit das Baby leichter andocken kann. Das Baby saugt daran, was die Brustwarze der Mutter stimuliert und dazu führt, dass die Milch zu fließen beginnt; meist kann das Baby auf diese Weise trinken. Die Ruhe, die in dem Moment in den Raum einkehrte, in dem das Baby plötzlich trank, war wunderbar. Eine meiner Patientinnen erzählte mir, dass ihr Sohn diese Technik so sehr liebte, dass sie monatelang einen Flaschensauger mit sich herumtrug. Sie gestand mir, dass sie das Stillen schon fast aufgegeben hatte, bevor wir diese Alternative fanden.
Manchmal ließ sich das Problem allerdings nicht so leicht lösen. Entweder hatte die Mutter nicht genug Milch, oder ich bemerkte, dass das arme Baby trotz seiner heftigen Saugversuche nur wenig Milch schlucken konnte. In solchen Fällen fragte ich die Mutter, was sie davon hielte, wenn wir dem Baby etwas Muttermilchersatz mit der Flasche geben würden. Meist wollte die Mutter ihrem Baby unbedingt helfen, sodass sie, wenn auch zögerlich, einwilligte. Aber wenn sie dann sah, wie ihr Baby sich entspannte, und hörte, wie es seinen kleinen Bauch mit Nahrung füllte, erschien fast immer ein breites Lächeln auf ihrem Gesicht. Es brach mir das Herz, wenn ich an all die Stunden dachte, die sie gelitten hatte, weil ihr Baby schrie. Während das Baby zufrieden trank und bald darauf in den Armen seiner Mutter einschlief, besprachen wir, was sie tun konnte, um sich und dem Baby eine Ruhepause zu verschaffen und danach wieder mit erfolgreicheren Stillversuchen zu beginnen. Ich schlug fürs Erste eine Kombination aus Flaschenfütterung und Stillen vor. Die Frauen waren meist überaus erleichtert, dass eine Kinderärztin ihnen dazu die Erlaubnis gab. Das erstaunte mich und machte mich auch traurig.
Für einige meiner Patientinnen war jedoch die Vorstellung, das Stillen mit Flaschennahrung zu ergänzen, einfach nicht zu akzeptieren. Manche Mütter lehnten es sogar ab, ein Stillhütchen zu verwenden oder ein Fläschchen mit abgepumpter Muttermilch; sie waren gewarnt worden, dass künstliche Sauger die Babys verwirrten und deren Verwendung dazu führen konnte, dass sie die Brust ablehnten. Ihre Babys litten, und ebenso sie selbst, aber sie hatten verinnerlicht, dass nur unverantwortliche Mütter auf die Idee kommen konnten, ihren Babys Muttermilchersatz zu geben oder mit einem Stillhütchen zu stillen. Ich habe Mütter gesehen, die bereit waren, ihre eigene Gesundheit und sogar ihre Ehe für das Stillen aufs Spiel zu setzen, da in jedem Erziehungsratgeber, jeder Zeitschrift und allen Krankenhausinformationen steht, dass Stillen das Beste ist. Doch macht sich die Literatur nicht die Mühe, darauf hinzuweisen, was passieren kann, wenn das Stillen nicht gelingt. Infolgedessen sind manche Mütter derart indoktriniert, dass sie Alarmsignale nicht wahrnehmen und nicht akzeptieren können, dass sie und ihr Baby Hilfe brauchen. In einem solchen Fall kann es passieren, dass das Baby dehydriert und gefährlich viel Gewicht verliert. Manchmal kommen die Kleinen dann schon in ihrer ersten Lebenswoche ins Krankenhaus, häufig mit schwerer Gelbsucht, die auch extrem gefährlich sein kann. Wohlgemerkt, hier geht es um Babys, die ansonsten völlig gesund sind und auch hätten gestillt werden können, wenn ihre Mütter offen dafür gewesen wären, die Sache etwas anders anzugehen, als sie es geplant hatten.
Ich wünschte, wir könnten so etwas verhindern. Wenn das Stillen zum Problem wird, gibt es gute Alternativen. Es ist einfach unredlich, Eltern glauben zu machen, dass es nur einen einzigen Weg gibt, wie ein Baby gut ins Leben starten und seine Mutter eine Verbindung zu ihm aufbauen kann. Wir müssen unseren Standpunkt erweitern und Eltern wissen lassen, dass das Stillen, so gut und wichtig es auch ist, nicht alle anderen gesundheitlichen Bedenken überwiegt. Um all der Mütter und Babys willen, zwischen denen das Stillen nicht problemlos funktioniert, sollten wir weniger dogmatisch sein, mehr Mitgefühl zeigen und das Problem realistisch angehen.
Für eine Diskussion der Thematik muss zunächst festgehalten werden, dass Muttermilch abzupumpen und ein Kind zu stillen zwei verschiedene Paar Schuhe sind. Wenn man einfach nur propagiert »Stillen ist das Beste«, tut man Müttern und Kindern keinen Gefallen, weil man ihre Optionen einschränkt. Die wenigsten Dinge auf der Welt sind einfach nur schwarz-weiß, auch nicht etwas so Vielgepriesenes wie das Stillen. Ich werde den Vergleich zwischen Muttermilch und Muttermilchersatz und den Vergleich zwischen dem Akt des Stillens und der Flaschenfütterung getrennt behandeln. Ich hoffe, dass ich damit etwas Ruhe und Sachlichkeit in eine Debatte bringen kann, die für manche Mütter unnötig emotional geführt wird.
Ist Muttermilch wirklich das Beste?
Die Antwort lautet Ja. Alle Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass Muttermilch unbestreitbar die nahrhafteste Option für Ihr Baby ist. Und doch ergänzen viele Kulturen in der ganzen Welt die Muttermilch mit industriell hergestellter Säuglingsnahrung oder anderen Flüssigkeiten.84 Jahrtausendelang war es in vielen Kulturen Tradition, das Stillen in den ersten Tagen nach der Geburt zu beschränken;85 bei den nomadisch lebenden Schweden im 6. Jahrhundert vor Christus – sie fütterten ihre Babys mit Wasser, das mit Knochenmark gemischt wurde –, bei frühen Zivilisationen im Nahen Osten – sie gaben Säuglingen verdünnten Honig – und auch bei alten Kulturen in Afrika, Asien, Australien, Amerika und Yucatán. Indigene Bevölkerungsgruppen in Guatemala, Korea und Sierra Leone hielten die Vormilch (Kolostrum) zum Beispiel einst für minderwertige Milch.86 Frauen, die über ihre Geburtserfahrungen in Japan bloggen, berichten, dass dort in vielen Krankenhäusern Babys weiterhin mit Muttermilchersatz gefüttert werden (eine Praxis, die den kognitiven Fähigkeiten der Kinder offensichtlich nicht schadet, wenn man bedenkt, wie das Land in internationalen Vergleichen abschneidet).87
Obwohl weltweit agierende Gesundheitsorganisationen unermüdlich daran arbeiten, Familien in der ganzen Welt die außerordentlichen Vorteile des mit Nährstoffen vollgepackten Kolostrums nahezubringen, werden Säuglinge in vielen Volksgruppen noch immer mit Ersatzflüssigkeiten gefüttert, bis sich die reife Muttermilch bildet.
Das ist bedauerlich, denn Muttermilch ist genau auf die Bedürfnisse des Babys zugeschnitten. Die Zusammensetzung der in der Muttermilch vorhandenen Nährstoffe, darunter Proteine, Molke und Kasein, ist wichtig für die Verdauung des Babys. Einige Muttermilch-Proteine versorgen den Darm mit Bakterien, die Infektionen abwehren.88 Außerdem enthält Muttermilch Fette, die für die Entwicklung des Gehirns, des Sehens und des Nervensystems wesentlich sind und die Aufnahme fettlöslicher Vitamine (A, D, E und K) befördern. Muttermilch ist also in jedem Fall gut für Babys, aber man sollte wissen, dass die Ernährung der Mutter sich direkt auf die Nährstoffzusammensetzung ihrer Milch auswirkt. Damit das Baby also von allen Vorteilen der Muttermilche profitiert, sollten stillende Mütter auf ihre Ernährung achten und, falls erforderlich, die Empfehlungen ihres Arztes bezüglich einer Ergänzung mit Vitaminpräparaten befolgen. Wenn Mütter problemlos stillen können, ist eine Dauer von sechs bis zwölf Monaten empfehlenswert.
Allerdings gibt es inzwischen Hinweise, dass einige langfristige Aspekte, die man der Muttermilch früher zuschrieb, überschätzt wurden, zum Beispiel, dass sie das Risiko senkt, an Diabetes, Fettleibigkeit oder Asthma zu erkranken. Viele neue Studien deuten darauf hin, dass die positiven Auswirkungen des Stillens auf die Gesundheit der Kinder (das gilt nicht für Neugeborene) in den USA in Wirklichkeit statistisch vernachlässigbar sind.89, 90
Die Studienlage zu diesem Thema ist kompliziert, Cynthia Colen, Soziologin an der Ohio State University und Forschungsleiterin, meint dazu: »Viele frühere Studien enthalten eine Verzerrung. In der Statistik werden Faktoren wie Ethnie, Alter, Familieneinkommen oder Mütterarbeit nicht berücksichtigt – Umstände, die erwiesenermaßen sowohl das Stillen als auch die gesundheitliche Entwicklung beeinflussen können.«91 Die Vorteile, die sich in früheren Studien für gestillte Babys ergaben, könnten also in Wirklichkeit auf die Umgebung der Kinder zurückzuführen gewesen sein, da die meisten gestillten Babys zu dieser Zeit aus wohlhabenderen, privilegierteren Familien mit flexiblerem Lebensstil kamen.
Eine 2005 an Zwillingen durchgeführte Studie (bei Zwillingen sind die Verzerrungen durch Umweltbedingungen geringer) zeigte bei Babys, die gestillt worden waren, einen etwas höheren IQ (1,68 Prozentpunkte) als bei ihren Zwillingsgeschwistern, die überhaupt nicht gestillt worden waren.92 Selbst wenn die Kinder nur kurz gestillt worden waren, blieb das Ergebnis dasselbe. Allerdings wurde nicht dargelegt, warum einige der Kinder nicht gestillt worden waren. Wenn es dafür zum Beispiel medizinische Gründe gab, könnten auch diese der Grund für einen etwas niedrigeren IQ sein. Außerdem wird in der Studie nicht festgestellt, dass die nicht gestillten Kinder einen niedrigen IQ haben – er war nur niedriger als der ihrer Geschwister. Für die Erfolgsaussichten eines Kindes macht es aber wohl kaum einen Unterschied, ob es einen IQ von 131 oder 133 hat.
Zusammenfassend kann man also sagen: Aktuelle Forschungsergebnisse scheinen darauf hinzudeuten, dass Babys idealerweise gestillt werden sollten, vor allem in den ersten sechs Lebensmonaten. Es ist jedoch möglich, dass viele der in Untersuchungen festgestellten gesundheitlichen oder kognitiven Vorteile von Stillkindern gegenüber nicht gestillten Kindern auch auf anderen Faktoren beruhen und nicht nur ein Ergebnis des Stillens selbst sind.
Es ist in jedem Fall falsch, Druck auf Mütter auszuüben, damit sie unbedingt ein ganzes Jahr lang stillen. Wenn das Stillen problemlos klappt, ist es eine wunderbare Erfahrung, aber manchmal haben Babys gesundheitliche Probleme, die ihren Müttern das Stillen nicht gestatten. Mein zweiter Sohn Brendan bekam mit sechs Monaten einen so fürchterlichen Reflux, dass ich meine Milch abpumpen oder Säuglingsnahrung verwenden und seine Nahrung mit Reis andicken musste, bis er ein Jahr alt war. Meine Tochter Julianne entwickelte am Ende ihrer ersten Lebenswoche eine so schwere Gelbsucht, dass ich meine Milch abpumpen und sie drei Tage lang mit Muttermilchersatz füttern musste, bis ihre Bilirubinwerte gesunken waren. Und mein Frühchen David war so schwach, dass er fünf Wochen im Krankenhaus bleiben musste. Das bedeutete, ich musste fünf Wochen lang achtmal am Tag meine Milch abpumpen (während ich zu Hause meine drei anderen Kinder versorgte), bis ich ihn stillen konnte.
Es gibt viele Probleme, auch kleinere, die das Stillen erschweren können. Nicht alle Mütter haben ausreichend Milch. Viele müssen arbeiten, und nicht alle Arbeitgeber stellen Stillräume zur Verfügung oder auch nur einen Platz zum Abpumpen. Manche Frauen haben Gesundheitsprobleme und müssen Medikamente nehmen oder sich Behandlungen unterziehen, die das Stillen ausschließen. Manche Frauen adoptieren Babys. Und viele Mütter haben einfach nicht die finanziellen Mittel oder die Unterstützung, um ihre Säuglinge über einen längeren Zeitraum ausschließlich zu stillen. Sie sind erschöpft von dem Versuch, das Beste für ihr Kind zu tun und gleichzeitig mit den Anstrengungen des heute üblichen, extrem geschäftigen Lebensstils klarzukommen, und sie haben keine Hilfe.
Obwohl die Kindersterblichkeitsrate in vielen Ländern mit schlechten Hygiene- und Ernährungsbedingungen sinken würde, wenn mehr Frauen gleich nach der Geburt mit dem Stillen beginnen würden,93 wird dort oftmals ziemlich lange gestillt.94 Das liegt wahrscheinlich daran, dass es in kleinen traditionellen Dörfern immer andere Frauen gibt, die den Müttern mit ihren Babys helfen oder diese sogar stillen, wenn es nötig ist. Dagegen leben Mütter in Industrienationen, vor allem in den USA, oft isoliert von ihren eigenen Familien und haben häufig auch keine Schwestern oder Freundinnen, die ihnen täglich zur Hand gehen könnten. Es gibt dann niemanden, der eine Zeit lang die Aufgaben der Mutter übernimmt, damit diese zwischendurch die Möglichkeit zum Ausruhen hat. Und diese Situation kann dazu führen, dass die Mutter beschließt, mit dem Stillen aufzuhören, einfach, weil es ihr das Leben erleichtert.
In westlichen Ländern bin ich vielen Frauen begegnet, die völlig überfordert damit waren, ihre Babys zu stillen und gleichzeitig die Anforderungen im Haushalt, bei ihrem Arbeitgeber und bei der Kinderbetreuung zu erfüllen. Manchmal sind sie verzweifelt, weil sie Sorge haben, ihren Babys nicht das geben zu können, was diese brauchen, oder weil sie meinen, bei ihrer ersten Prüfung als Mutter – beim Stillen – versagt zu haben. Doch dafür gibt es keinen Grund. Keine Frau sollte jemals Schuldgefühle haben, wenn sie ihr Baby nicht ausschließlich stillt. Sich nicht schuldig zu fühlen ist genauso wichtig und förderlich wie das Stillen selbst. Ob und wie lange eine Frau stillt, sollten individuelle Umstände und Bedürfnisse entscheiden, nicht jedoch der gesellschaftliche Druck.
Keine Frau sollte jemals Schuldgefühle haben, wenn sie ihr Baby nicht ausschließlich stillt.
Warum Stillen eine Herausforderung sein kann
Obwohl das Stillen meist als die natürlichste Sache der Welt dargestellt wird, ist es nicht immer ganz einfach, vor allem nicht am Anfang. Zuerst müssen ja Mama und Baby lernen, was zu tun ist. Es gibt viele bekannte Gründe, warum beim Stillen anfangs Schwierigkeiten auftreten können, zum Beispiel flache Brustwarzen, Hohlwarzen oder extrem große Brüste. Ich kannte eine Frau, die verbrachte Tage damit, ihre Brüste mit Kohlblättern zu umwickeln, um den Milchstau abzumildern (Kohl soll helfen, die Kapillaren zu weiten, sodass Flüssigkeiten besser weitertransportiert werden kann); eine andere brauchte vier Hände – die eigenen und die ihres Ehemanns –, um ihr Baby richtig anzulegen; eine dritte verbrachte Tag und Nacht damit, Milch abzupumpen und danach ihr Baby damit zu füttern, sodass weder sie noch ihr Ehemann zum Schlafen kamen. In vielen Fällen liegt es nur an der Unerfahrenheit der Mütter, dass das Stillen nicht funktioniert, und schon ein Besuch bei einer Kinderärztin oder einer Stillberaterin könnte Abhilfe schaffen.
Aber selbst wenn es mit dem Stillen an sich klappt, kann es zu Problemen kommen. Lässt sich ein Baby durch das Anlegen an der Brust nicht beruhigen oder verschlimmert sich sein Kummer beim Trinken noch, scheint ein anderes medizinisches Problem vorzuliegen.
Koliken
Noch ist die Meinung weit verbreitet, dass es für Koliken keine identifizierbare Ursache gibt, doch wir Mediziner haben schon vor zehn oder 15 Jahren gelernt, dass in der Mehrzahl der Fälle Koliken durch einen gastroösophagealen Reflux ausgelöst werden. Dabei steigt Magensäure in die Speiseröhre auf. Bei Erwachsenen kennt man diese Beschwerde als Sodbrennen.
Reflux beginnt meist, wenn ein Baby fünf oder sechs Wochen alt ist. Die medizinische Erklärung ist einfach: Bei vielen Babys ist der Schließmuskel zwischen der Speiseröhre und dem Magen noch nicht vollständig ausgebildet. Ich habe schon weiter oben folgende Analogie benutzt: Wenn man das Baby zum Füttern oder Schlafen flach auf den Rücken legt, reagiert der Körper wie eine Sprudelwasserflasche, die man auf die Seite legt – die Flüssigkeit im Magen fließt in die Speiseröhre. Eigentlich verhindert der Schließmuskel, dass der Mageninhalt zurück in die Speiseröhre gelangt, aber wenn er nicht richtig arbeitet, ist der Magen nicht ganz verschlossen. Unmittelbar nach der Geburt ist das kein Problem, weil der Mageninhalt bei Neugeborenen einen neutralen pH-Wert hat, also weder basisch noch sauer ist. Auch wenn das Baby aufstößt, bereitet ihm das keine Schmerzen. Aber mit etwa sechs Wochen fangen Babys an, Magensäure zu produzieren, die für die Verdauung nötig ist. Jetzt kann Reflux zum Problem werden, und meist werden die Mütter davon völlig überrascht. In diesem Alter trinkt das Baby nun auch bei jeder Mahlzeit mehr, und die Eltern sind begeistert, weil es seltener nach Milch verlangt und länger schläft. Aber durch die größere Nahrungsmenge im Magen wird auch der Druck auf den noch immer nicht perfekt arbeitenden Schließmuskel größer. Und weil die Speiseröhre nicht die gleiche schützende Schleimhaut wie der Magen besitzt, erzeugt jede dorthin aufsteigende Säure schon in geringen Mengen einen brennenden Schmerz.
Wenn sich ein Baby jedes Mal übergibt, sobald es gefüttert wird, ist das ein ziemlich deutliches Zeichen für Reflux, und die Eltern suchen dann meist auch einen Kinderarzt auf. Aber bei vielen Babys betrifft der Reflux nur die untere Speiseröhre und verursacht gar kein Erbrechen. In diesen Fällen kann ein Kreislauf einsetzen, der alles nur noch schlimmer macht. Das Baby ist hungrig, nähert sich der Brustwarze und trinkt. Die geschluckte Milch verursacht ein Brennen, das Baby drückt den Rücken durch und verliert den Kontakt zur Brustwarze. Die Mutter versteht nicht, was los ist, und will das Baby wieder anlegen. Da das Baby hungrig ist, trinkt es erneut, doch sobald die Speiseröhre wieder brennt, schreit es und drückt sich weg.
Dieser Kreislauf macht aus dem, was eigentlich ein nährendes, Baby und Mama stärkendes Verbindungsritual sein sollte, einen Kampf. Ist die Mutter sowieso schon übermüdet, kann diese Situation ihr die letzten Nerven rauben, vor allem wenn ihr Partner sie nicht unterstützt oder genauso zermürbt ist. Die meisten Eltern sind darauf eingestellt, dass ein Neugeborenes ab und zu schreit und sie selbst wenig Schlaf bekommen, aber Reflux-Babys schlafen überhaupt nicht, weil sie Hunger und Schmerzen haben. Das Ganze kann Eltern extrem zu schaffen machen, denn nichts ist schlimmer als das Gefühl, sein Kind nicht trösten zu können. Häufig denken Mütter in diesen Situationen, dass ihr Kind sie ablehnt. Sie werden unsicher und depressiv, was sie und ihre Kinder in eine gefährliche Situation bringen kann, wenn sie nicht schnell Hilfe bekommen.
Was das Stillen einfacher machen kann – selbst für ein Kind, das keine Veranlagung zum Reflux hat –, ist eine aufrechte Position. Wird das Baby während des Trinkens etwas aufgerichtet, sorgt die Schwerkraft dafür, dass die Milch im Magen bleibt. Gleichzeitig wird dadurch verhindert, dass sehr viel Milch aus der Brust läuft und das Baby zu viel schlucken muss. Es gibt mehrere hilfreiche Positionen. Der weibliche Körper ist eigentlich perfekt zum Stillen geeignet. Wenn Sie sich auf einen Stuhl und das Baby auf Ihr Knie setzen, ist die Entfernung zwischen Ihrem Knie und Ihrem Ellbogen genau richtig, um den Hals des Babys im Ellbogen abzustützen. Und von diesem Winkel aus kommt es auch gut an Ihre Brust. Wenn Sie Ihre Brust nun noch mit der freien Hand in einer horizontalen Position halten, so, als würden Sie mit einer Flasche füttern, können Sie den Stillvorgang perfekt kontrollieren. Fließt die Milch gleichmäßig, wird das Baby nicht so hastig trinken und verschluckt sich nicht, sodass keine Luft in den Magen gelangt; die Milch füllt nun den Magen von unten her an. Dadurch verringert sich das Risiko eines Rückflusses. Und wenn Ihr Ellbogen, Ihre Brust und der Hals des Babys gut positioniert sind, sollten Sie bequem in der Lage sein, diese Stellung etwa zehn Minuten auf beiden Seiten beizubehalten, also so lange, bis ein Baby normalerweise satt ist.
Bei einer anderen Stellung, die sich für Säuglinge mit Koliken oder Reflux eignet, halten Sie den Kopf des Babys mit der Handfläche gegen Ihre Seite. Sein Hinterteil positionieren Sie in der Nähe Ihrer Hüfte, bis sein Gesicht direkt vor Ihrer Brust zu liegen kommt. In beiden Positionen ist das Baby in einer vertikalen Position, sodass auch der Magen vertikal ausgerichtet ist und das Baby in Ruhe trinken kann.
Wenn das Problem tatsächlich Reflux ist und auch eine veränderte Stillposition keine Abhilfe schafft, konsultieren Sie Ihren Kinderarzt. Bei den meisten Babys verschwindet der Reflux im Alter von etwa vier Monaten. Dann ist der Schließmuskel oft weit genug entwickelt, um die Milch im Magen zurückzuhalten, und die Behandlung kann beendet werden.
Laktoseintoleranz
Bei manchen Babys liegt die Ursache von Koliken in einer Laktoseintoleranz. Die Symptome sind ähnlich, aber diese Kinder haben oft auch Blähungen und dünnen Stuhl. Mütter können die Menge der Laktose in ihrer Milch verringern, indem sie den Verzehr von Milchprodukten einschränken. Wenn das allein nicht den gewünschten Erfolg bringt, kann man das Baby mit einer Kombination aus Muttermilch und einem laktosefreien Muttermilchersatz füttern. So wird das Wohlbefinden des Babys verbessert, die Mutter kann aber weiterhin stillen.
Kuhmilchallergie
Die Anzahl der Babys, deren Stillprobleme nicht auf die beiden oben beschriebenen Ursachen zurückzuführen sind, ist gering. Einige Kinder reagieren allergisch auf Eiweiße in der Kuhmilch. Wenn eine Frau Milchprodukte und Sojaproteine verzehrt, werden diese über die Muttermilch an ihr Baby weitergegeben; daher können Mütter die Situation manchmal durch eine Ernährungsumstellung verbessern. Babys mit Kuhmilchallergie haben oft Blut im Stuhl und große Schwierigkeiten beim Stillen. Glücklicherweise lässt sich das Problem mit einem entsprechenden Muttermilchersatz leicht beheben.
Sollte ich bestimmte Nahrungsmittel meiden, solange ich stille?
Es gibt Nahrungsmittel, die manche Babys nicht vertragen. Einige Babys bekommen Blähungen und Bauchweh, wenn ihre Mutter viele Milchprodukte zu sich nimmt. Anderen Babys bekommt es nicht, wenn ihre Mütter scharf gewürzte Speisen essen oder Kaffee trinken. Auch grünes Blattgemüse kann Probleme bereiten. Wenn Sie merken, dass Ihrem Baby etwas nicht bekommt, lassen Sie alle problematischen Nahrungsmittel weg und führen Sie anschließend allmählich eins nach dem anderen wieder ein. Stellen sich die Probleme nicht wieder ein, können Sie die Nahrungsmittel weiter verzehren.
Innere Unruhe
Manchmal saß eine völlig verzweifelte Mutter mit ihrem Baby in meiner Sprechstunde und erzählte, dass bei ihnen überhaupt nichts klappte. Das Baby aß nicht, schlief nicht und schrie die ganze Zeit. Die Mutter war am Rande eines Nervenzusammenbruchs, ihre Anspannung war überdeutlich zu spüren. Um diese Mutter zu beruhigen, bot ich an, ihr Baby eine Weile zu halten. Manchmal, während ich mir ihre Geschichte anhörte, schlief das Baby in meinen Armen ein – was viel über die beiden aussagte. Das Problem des Babys war nicht medizinischer Natur, es war die Unruhe der Mutter, die das Baby beunruhigte.
Eine solche Erkenntnis ist nicht neu; es ist bekannt, dass Babys die Anspannung ihrer Mütter spüren und dadurch ihr Essverhalten, ihr Schlaf und ihr Allgemeinzustand beeinflusst werden. Ein Problem, das viele Ursachen haben kann. Vielleicht leidet die Mutter unter einer Brustdrüsenentzündung, vielleicht leidet ihr Baby unter Reflux. Sie nimmt den Kampf mit ihrem Baby persönlich und denkt womöglich, dass das Kind sie ablehnt. So etwas kann leicht zu einer gestörten Interaktion zwischen ihr und dem Kleinen führen. Für Kinderärzte ist das immer ein Grund zur Sorge, denn auch wenn sie das Problem des Kindes lösen können, wird aus der Frau keine zufriedene Mutter werden, solange ihr eigenes Problem nicht gelöst ist. Eine solche Situation kann für das Baby genauso schädigend sein wie eine Wochenbettdepression oder eine psychische Erkrankung der Mutter. Gelegentlich kann ich einer Frau helfen, indem ich sie auf das Problem hinweise und ihr empfehle, Zeit mit erfahrenen Eltern zu verbringen. Manchmal sind die Mütter jedoch nicht bereit, einen Rat anzunehmen, und wollen das Problem nicht wahrhaben. Ich habe extreme Fälle erlebt, bei denen Säuglinge schließlich mit Gedeihstörungen ins Krankenhaus kamen. Das ist bedauerlich, weil diese Babys sich völlig gesund hätten entwickeln können, wenn ihre Mütter nur bereit gewesen wären, sich helfen zu lassen. Ob diese Hilfe nun in Form einer Beratung oder einer medikamentösen Behandlung stattgefunden hätte – die Frau wäre dadurch keine schlechtere Mutter gewesen. Sobald diese Babys im Krankenhaus waren, besserte sich ihr Gesundheitszustand schnell, und solange sie dort blieben, tranken sie gut und nahmen zu. Nur war dadurch das in der Familie liegende Problem nicht gelöst.
Vielen Eltern ist nicht bewusst, dass ihr eigenes Verhalten bereits unmittelbar nach der Geburt auf ihr Baby abfärbt.
Wenn Stress und Sorgen chronisch werden, müssen Eltern sich das zunächst einmal selbst eingestehen und dann Schritte unternehmen, um dagegen vorzugehen. Ansonsten kann aus der Situation ein Teufelskreis werden, aus dem man sich immer schwerer befreien kann. Vielen Eltern ist nicht bewusst, dass ihr eigenes Verhalten bereits unmittelbar nach der Geburt auf ihr Baby abfärbt. Es sind nicht nur Kleinkinder und Kinder, die alles um sich herum beobachten und aufnehmen, auch bei Säuglingen ist das schon der Fall.
Mein Baby macht fast nie Bäuerchen. Mache ich etwas falsch?
Manche Babys schlucken kaum Luft und müssen deshalb auch seltener Bäuerchen machen. Wenn Ihr Baby jedoch häufig pupst, könnte es sein, dass Sie ihm beim Aufstoßen nicht wirksam genug helfen. Mir ist aufgefallen, dass einige Mütter so sehr fürchten, ihrem Kind wehzutun, dass sie es zu zaghaft angehen. Andererseits geben sich manche auch zu viel Mühe, ein Bäuerchen zu erzeugen, was sehr anstrengend für das Baby sein kann. Halten Sie Ihr Kind in einer aufrechten Position, damit sich der Magen in einer Linie mit der Luftröhre befindet, und klopfen Sie ihm sanft auf den Po, wo es durch die Windel gut gepolstert ist. Das sollte reichen, um eventuelle Luftblasen nach oben zu befördern. Wenn Ihr Baby nach drei bis vier Minuten noch immer kein Bäuerchen gemacht hat, beenden Sie das Ganze – dann hat es höchstwahrscheinlich keine Luft geschluckt.
Gelegentlich sind Ärzte auch mit einem chronisch schreienden Baby konfrontiert, ohne sofort eine Ursache dafür finden zu können. Aber das passiert sehr selten, und oft handelt es sich dann um komplizierte Fälle, die die Konsultation von Fachärzten erfordern. In den allermeisten Fällen können Kinderärzte das Unwohlsein, das ein Baby beim Füttern verspürt, lindern. Oft sind es die Eltern, die schwerer zu überzeugen sind. Doch es gibt einfach keinen Grund, weshalb jemand, der leidet, sich nicht helfen lassen sollte.
Hören Sie auf, sich schuldig zu fühlen
Ich fragte Anh, von der ich Ihnen schon erzählt habe, ob berufstätige Mütter in Vietnam ihre Milch abpumpen, bevor sie ihre Babys in der Obhut von Babysittern lassen. Sie sah mich an, als hätte ich eine ziemlich dumme Frage gestellt. »Natürlich nicht«, antwortete sie. Und dann wiederholte sie noch einmal, was sie bereits zuvor gesagt hatte: »Wir müssen arbeiten.« In Vietnam können sich nur Frauen in ganz besonders günstigen Arbeitsverhältnissen tagsüber zurückziehen, um Milch abzupumpen und so viel zu lagern, dass ihre Kinder jeden Tag satt davon werden. Viele Frauen sehen vielleicht gar keine Vorteile in der Muttermilch, anderen wie Anh sind sie zwar durchaus bewusst, aber sie gehen die Situation pragmatisch an. Ihre Babys müssen trinken, sie selbst müssen arbeiten. Abpumpen ist für sie nicht praktikabel, aber Flaschenfütterung mit Muttermilchersatz ist es – Ende der Geschichte. Anh hat kein Problem mit ihrer Entscheidung und zeigt somit ein sehr viel gesünderes Verhalten als das, was ich bei vielen Frauen in westlichen Ländern erlebe – die laden sich Schuldgefühle auf.
Sollte sich das Stillen bei Ihnen aus irgendeinem Grund schwieriger gestalten als gedacht, rate ich Ihnen dringend, freundlich zu sich selbst zu sein. Nehmen Sie alle Hilfe an, die Sie bekommen können. Wenn nötig, gönnen Sie sich eine Pause. Sie werden vielleicht mit den kompromisslosen Behauptungen konfrontiert werden, dass es schlimme Folgen haben kann, Babys nicht vom ersten Tag an mindestens ein Jahr lang voll zu stillen oder dass sich die Mutter-Kind-Verbindung so nicht richtig entwickelt. Das stimmt einfach nicht. Die Verbindung zwischen Mutter und Kind beruht nicht nur auf erfolgreichen Stillmahlzeiten. Alles andere, was Sie für Ihr Baby tun, spielt ebenso eine Rolle. Und auch wenn Muttermilch aufgrund ihres Nährstoffgehalts die beste Option für Säuglinge ist, bin ich für eine flexiblere Herangehensweise.
Im Bedarfsfall sollte man das Stillen entweder mit abgepumpter Milch oder Muttermilchersatz ergänzen. Wie ich in diesem Kapitel bereits erwähnt habe, kann eine solche Ergänzung sogar die Stillsituation der Mutter verbessern. In einer in der Zeitschrift Pediatrics veröffentlichten Studie war man zu folgendem Ergebnis gekommen: Wenn Babys, die nicht genügend zunahmen, zusätzlich Muttermilchersatz bekamen, wurden 79 Prozent von ihnen im Alter von drei Monaten ausschließlich gestillt. Von den Babys, die keinen Muttermilchersatz bekamen, waren es im selben Alter nur noch 42 Prozent.95 Die Nahrungsergänzung mit Muttermilchersatz kann also die Rate der langfristig stillenden Mütter erhöhen. Das liegt daran, dass die zeitweilige Flaschenfütterung es Müttern und Ärzten ermöglicht, Lösungen für Probleme zu finden, die ansonsten eventuell zu frühem Abstillen geführt hätten.
Daran sollten wir denken, wenn wir unseren Babys beibringen, sowohl die Brust als auch die Flasche zu akzeptieren; außerdem geben wir damit den anderen Menschen im Leben unseres Kindes die wundervolle Möglichkeit, Zeit mit ihm zu verbringen. Dadurch, dass Sie anderen erlauben, Ihr Baby zu füttern, wird Ihre Bedeutung für Ihr Kleines nicht geringer. Wenn Sie also müde sind, warum sollten Sie nicht einmal früh zu Bett gehen und Ihrem Partner Babys letzte Abendmahlzeit überlassen? Und warum sollten Sie nicht der Oma die Möglichkeit geben, zu Ihnen zu kommen, auf das Baby aufzupassen und es zu füttern, während Sie einen Nachmittagsschlaf halten oder im Wellnesscenter entspannen? Viele junge Eltern, denen ich diesen Vorschlag unterbreitete, machten den Eindruck, als hätte ich ein ungeheures Gewicht von ihnen genommen. Manche Mütter begannen vor Erleichterung zu weinen.
Doch nicht alle Frauen waren dafür aufgeschlossen. Manche sahen mich auch an, als hätte ich gerade etwas völlig Abwegiges vorgeschlagen. Dann brachten sie trotz ihrer offensichtlichen Übermüdung ein Lächeln zustande und versicherten, dass es so schlimm nun auch wieder nicht sei und sie es schon schaffen würden. Oft sah ich später die Folgen dieser Reaktion. Die Babys und Kleinkinder dieser Frauen reagierten ängstlich auf andere Betreuungspersonen, auch auf enge Familienmitglieder, einschließlich des Vaters. Und häufig klagten dieselben Mütter über extreme Müdigkeit und beschwerten sich, dass sie jeden Tag von morgens bis abends für alles verantwortlich seien.
Aus diesem Grund bin ich absolut dafür, dass Väter beim Füttern ihrer Babys helfen, und je eher das passiert, desto besser. Studien haben gezeigt, dass Männer ihre stillenden Ehefrauen stärker unterstützen, wenn sie beim Füttern der Babys involviert wurden.
Mütter (und Väter/Partner) brauchen alle Hilfe, die sie bekommen können. Wie ich weiter oben schon erwähnt habe, existieren in vielen anderen Ländern Netzwerke, die zeigen, dass dort die Bedeutung von Elternschaft und Familienleben verstanden und wertgeschätzt wird. In diesen Ländern gibt es auch Programme zur Unterstützung des Stillens. 2013 wurde in Großbritannien damit begonnen, armen Frauen Gutscheine anzubieten, wenn sie ihre Babys nach der Geburt mindestens sechs Wochen lang stillten.96 In Australien erhalten Frauen, die wenig verdienen, von der Geburt eines Kindes an 18 Wochen lang staatlich finanzierten Urlaub.97 Bis auch in unserem Land berufstätigen Frauen das Stillen von staatlicher Seite aus erleichtert wird, müssen wir sie (und zwar alle Mütter, ob berufstätig oder nicht) von dem psychologischen Druck befreien, unbedingt und ausschließlich stillen zu müssen. Sie sollten sich ohne Schuldgefühle entscheiden können, das zu tun, was in ihrer Situation am besten funktioniert. Keinesfalls dürfen sie sich von einer gesellschaftlichen Erwartungshaltung gängeln lassen, die ihnen, sollten sie ihr nicht entsprechen, ein schlechtes Gewissen macht; und sie sollten sich auch nicht verpflichtet fühlen, von anderen aufgestellte Anforderungen auf Kosten ihrer eigenen körperlichen und geistigen Gesundheit zu erfüllen. Zweifellos ist Stillen vorteilhaft, dennoch würde ich es begrüßen, wenn mehr Mütter beim Thema Füttern flexibler wären und so vielleicht die Chance bekämen, die Zeit mit ihren Säuglingen zu genießen und diese wunderbare Reise gemeinsam als Familie und unter glücklicheren und gesünderen Umständen anzutreten.
Meine persönlichen Tipps für stillende Mütter
Befreien Sie sich von überflüssigen Dingen
Denken Sie daran: Ihr Körper und der Ihres Kindes passen perfekt zueinander, wenn Sie sich Ihr Kind aufs Knie setzen, ob nun zum Stillen oder für andere gemeinsame Aktivitäten. Dinge, die wir nicht brauchen, belasten uns. Wenn Sie zum Beispiel eins dieser beliebten Stillkissen geschenkt bekommen haben, überlegen Sie sich, ob Sie es wirklich brauchen. Sich so ein Kissen um den Bauch zu legen und als Ablage für Ihr Baby zu verwenden, ist physiologisch gesehen absolut widersinnig. Das Kissen verleitet die Mutter dazu, ihr Baby fast horizontal zu lagern. Haben Sie jemals versucht, im Liegen zu essen? Das geht nicht besonders gut. Und wie ich bereits erklärt habe, kann Reflux dadurch verschlimmert werden, was wiederum Stillprobleme nach sich zieht.
Delegieren Sie
Ist Ihr Baby fünf bis sieben Tage alt, können Sie einen Flaschensauger einführen, vor allem wenn Sie wissen, dass Sie bald wieder arbeiten gehen werden. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Babys schnell lernen, daran zu saugen, und ich habe nie irgendwelche Anzeichen dafür gesehen, dass sie den Flaschensauger mit der Brust verwechselten. Indem man Säuglingen beibringt, sowohl an der Brust als auch aus der Flasche zu trinken, öffnet man ihnen eine ganz neue Welt. Sie können jetzt auch einmal dem Vater, den Tanten, Onkeln und Großeltern des Kindes die Möglichkeit geben, die neue Liebe ihres Lebens zu füttern, während Sie – die große Liebe Ihres Babys – sich eine wohlverdiente und vielleicht dringend benötigte Pause gönnen.
Stillzeiten
Jahrelang galt die Maxime, dass es nur eine Art gibt, »richtig« zu stillen: Stillen nach Bedarf. Das kann funktionieren, ist aber eine Praxis, die hohe Anforderungen an Mütter stellt – besonders in der heutigen Zeit. Und wurde jemals daran gedacht, wie viel Arbeit diese Art zu stillen für das Baby bedeutet? Eltern beklagen sich immer, wie erschöpft sie sind, aber immerhin sind sie schon lange daran gewöhnt, dauernd in Bewegung zu sein, zu essen und zu atmen. Während ein Baby im Mutterleib ist, muss es sich dafür nicht anstrengen. Dann wird es geboren, was eine Menge Arbeit bedeutet. Gleich darauf muss es trinken, verdauen, ausscheiden, sich frei bewegen und mit einer Flut neuer Eindrücke wie Licht, Kälte und Geräuschen fertigwerden. Wir erwarten von diesen kleinen Neugeborenen, die sich noch nie auch nur im Geringsten anstrengen mussten, dass sie nun plötzlich Tag und Nacht arbeiten, um zu überleben. Außerdem werden sie ständig gewickelt, sollen Bäuerchen machen und müssen baden – wenn sie nicht gerade vom Bett in den Autositz und von dort in die Babytrage umgelagert werden. Diese ganze Unruhe macht extrem müde!
Und wissen Sie, was noch müde macht? Hunger. Und ein Baby, das nach Bedarf gestillt wird, hat eventuell öfter Hunger als ein Baby, das nach einem Zeitplan gestillt wird. Es dauert immerhin etwa zwei Stunden, bis sich in der Brust der Mutter genug Milch für eine Mahlzeit gebildet hat, von der das Baby wirklich satt wird. Zudem wird beim Stillen nach Bedarf von folgender These ausgegangen: Ein Baby, das jederzeit auf seinen Wunsch hin gestillt wird, ist immer zufrieden und schreit nicht, was wiederum seinen Stress verringert und die Mutter-Kind-Verbindung stärkt. So wird es schließlich auch in Afrika gemacht, und die Befürworter einer bindungsorientierten Elternschaft weisen darauf hin, dass afrikanische Babys selten weinen. Aber afrikanische Babys werden Tag und Nacht am Körper ihrer Mutter getragen. Sie können jede Minute, in der sie nicht trinken, an die Brust ihrer Mutter gedrückt schlafen, und sobald sie aufwachen, haben sie die Brust wortwörtlich wieder direkt vor der Nase, um zu trinken. Die große Mehrheit der US-amerikanischen Mütter pflegen nicht den Lebensstil, der einem Baby diesen Luxus gestattet. Es ist sehr schwierig, mehrmals täglich abrupt Pausen einzulegen, um das Baby zu stillen, wenn man noch irgendetwas anderes schaffen möchte; allein die Hausarbeit, die Essensvorbereitung oder die Betreuung weiterer Kinder ist so kaum möglich. Wenn Sie aber Ihre Stillzeiten in einem Abstand von etwa zwei oder drei Stunden planen, bringt das nicht nur etwas Struktur in Ihr Leben, sondern es führt auch dazu, dass Ihr Baby satt, ausgeruht und zufrieden ist und kaum einen Grund zum Schreien hat.
Wie Sie Stillzeiten planen
Sie sollten Ihrem Baby bei jeder Mahlzeit beide Brüste anbieten, denn eine Brust hat nicht genug Milch, um ein Baby für zwei oder drei Stunden satt und zufrieden zu machen. Zu Beginn werden Sie Ihr Baby zunächst energisch saugen und schlucken hören, aber nach ein paar Minuten wird der Rhythmus langsamer, Ihr Baby bekommt nur noch Tropfen. Geben Sie ihm acht bis zehn Minuten Zeit für eine Seite, bevor es müde wird. Dann lösen Sie es von der Brust, lassen es kurz ein Bäuerchen machen und legen es an die andere Brust an. Auf diese Weise können Babys, die aktiv an beiden Brüsten trinken, in 20 Minuten fast doppelt so viel trinken, wie sie im selben Zeitraum an einer Brust bekommen hätten. Wenn sich das Stillen erst einmal eingespielt hat, kommen sie so auch an die fetthaltigere Hintermilch, fühlen sich satt und werden zufrieden bis zur nächsten Stillzeit schlafen. Nun haben Sie zwei oder drei Stunden, um das zu tun, was Sie möchten oder müssen, während Ihr Körper die nächste Milchmahlzeit bildet. Ein immer noch hungriges oder lediglich an der Brust nuckelndes Baby schläft nur eine oder eineinhalb Stunden durch, was für den Lebensstil der meisten modernen Frauen wenig dienlich ist. Dagegen bieten geplante Stillzeiten alle Vorteile des Stillens nach Bedarf, gestatten der Mutter aber gleichzeitig, ihr Leben besser zu strukturieren.
Ihr Baby braucht keine Märtyrerin, es braucht eine starke, selbstbewusste und zufriedene Mutter. Manchmal können wir Eltern nicht alles »perfekt« machen, so sehr wir uns auch bemühen. Und das ist völlig in Ordnung, solange wir versuchen, unser Bestes zu geben. Anstatt uns wegen etwas schlecht zu fühlen, das wir nicht tun können, sollten wir uns lieber darauf konzentrieren, unsere Babys die bestmöglichen Erfahrungen machen zu lassen. Auf diese Weise können wir eine stabile Beziehung zu ihnen aufbauen und ein liebevolles, entspanntes Umfeld für unsere Familie schaffen – die Basis für fröhliche, selbstbewusste Eltern.