Als die Mädchen mit Rufus zurück auf den Hof der Familie Schlottermotz kamen, beschlossen sie, sich erst mal ein köstliches Eis zu gönnen. Die Aufregung hatte sie ganz schön ins Schwitzen gebracht und Pollys Kopf konnte eine Abkühlung gut gebrauchen. Aus Mamas Werkstatt drang das gleichmäßige Kreischen einer Kreissäge, sie war also noch immer mit ihrem Leuchtturm beschäftigt. Von Papa und den beiden Theatergästen fehlte jede Spur.
Kaum hatten Polly, Isabella und Leni das Haus betreten, schlug Rufus plötzlich Alarm! Mit wildem Gekläffe zerrte er die drei Freundinnen die Kellertreppe hinab.
Leni hatte große Mühe, die Leine nicht aus den Händen zu verlieren. »Aus, Rufus! Mach Platz!«, rief sie immer wieder. Aber der Detektivhund dachte gar nicht daran, sich hinzusetzen.
»Hier unten ist doch nichts!« Polly versuchte das Halsband des Zotteltiers zu greifen, aber Rufus war schneller.
Zielstrebig führte er die Mädchen durch den dunklen Keller. Vor der hintersten Kellertür blieb er endlich stehen und fletschte die Zähne. Knurrend stupste er mit der Schnauze die quietschende Tür auf.
Polly, Isabella und Leni staunten nicht schlecht, als sie feststellten, dass Rufus hier tatsächlich jemanden erschnüffelt hatte.
»Frau Ringelröschen?« Die kleine Theaterdame drängte sich ängstlich an die Kellerwand und versuchte, in der Dunkelheit abzutauchen. Aber vergebens! Die Mädchen hatten sie genau gesehen.
»Ich … also … ich hab nichts getan!«, stammelte die dicke Lavinia und trat verschämt aus dem Schatten.
Sofort begann Rufus wieder wild zu bellen. Als Frau Ringelröschen ihn vorsichtig tätscheln wollte, schnappte er nach ihrer Hand.
Polly musste sich ein Lächeln verkneifen. Offenbar war sie doch nicht die Einzige, die der kleinen dicken Dame nicht über den Weg traute …
Energisch zerrte Leni Rufus zurück und seufzte. »Tut mir leid. Ich schätze, Rufus hat Hunger. Es ist wohl besser, wenn ich ihn jetzt nach Hause bringe.«
Polly sah ihre Freundin überrascht an. »Und unser Eis?«
Leni zuckte betrübt mit den Schultern. »Beim nächsten Mal.« Dann zog sie den großen Hund die Treppe hinauf.
Frau Ringelröschen atmete erleichtert aus.
»Ich sag es immer wieder: Tiere gehören einfach nicht ins Haus!« Lächelnd blinzelte sie Polly und Isabella an.
Polly aber durchschaute sie: Dieses Lächeln war so falsch wie Tante Winnies Gesang! Misstrauisch verschränkte sie die Arme vor der Brust.
»Und was haben Sie hier im Keller zu suchen?«
»Ich?« Lavinia Ringelröschen rieb sich unruhig die Fingerknöchel. »Ich wollte nur … also … ich wollte … Körner!«
»Körner?« Polly runzelte die Stirn.
»Ja, genau: Körner! Für die Hühnerfalle. Dein Vater ist nämlich fast fertig. Bald geht’s der Henne ans Gefieder!« Frau Ringelröschen nickte eifrig.
Isabella musste kichern. »Ich glaub, die Falle ist nicht mehr nötig. Polly hat das rote Huhn grad ins All geschossen. Das traut sich sicher nicht so bald zurück.«
Überrascht blinzelte die dicke Lavinia die Mädchen an.
Polly warf Isabella einen bösen Blick zu. Warum musste sie dieser fremden Frau denn immer alles erzählen? Merkte sie gar nicht, dass sich Frau Ringelröschen verdächtig verhielt?
Auch jetzt war sie plötzlich ganz schön blass um die Nasenspitze. »Ich … ich geh dann lieber wieder …« Eilig versuchte sie sich an den Mädchen vorbeizuschieben.
Isabella ergriff ihre Hand. »Und was ist mit den Körnern? Für die Hühnerfalle?«
»Richtig.« Frau Ringelröschen lachte nervös. »Ich brauche ja noch Körner.«
Polly presste missmutig die Lippen aufeinander. »Da müssen Sie in den Kartoffelkeller. Hinten beim gespaltenen Birnbaum …«
»Der Birnbaum, danke.« Frau Ringelröschen nickte und hopste mit kleinen Schritten auf die Treppe zu.
Isabella musste lachen. »Aber nehmen Sie sich vor den Monstern in Acht! Nicht dass die da unten lauern und nach Ihnen greifen.« Sie gluckste vergnügt.
Lavinia Ringelröschen blieb wie angewurzelt auf dem Treppenabsatz stehen. Interessiert drehte sie sich zu Isabella um.
»Monster, sagst du? Da sind Monster im Kartoffelkeller?«
Polly verdrehte die Augen.
Isabella kicherte. »Na ja, Pollys Papa meint, sie hätten im Brunnen nach ihm gegriffen. Mit ihren eiskalten Monsterhänden. Wer weiß, wo die sich noch rumtreiben. Im Kartoffelkeller ist es auch ziemlich dunkel …«
Plötzlich wirkte Lavinia Ringelröschen hellwach. Neugierig starrte sie Isabella an. »Eiskalte Monsterhände? Und du bist sicher, dass sie im Brunnen waren?«
Bevor Isabella noch etwas sagen konnte, drängte sich Polly dazwischen. »Ich dachte, Sie hätten es eilig?« Entschlossen funkelte sie Frau Ringelröschen an.
Die räusperte sich nervös. »Du hast recht, ich muss los. Die Körner für die Hühnerfalle warten!« Mit schnellen Trippelschritten hüpfte sie die Kellertreppe hinauf und verschwand aus dem Blickfeld der Mädchen.
Isabella sah Polly verwundert an. »Warum bist du denn schon wieder so unfreundlich zu ihr?«
Trotzig verschränkte Polly die Arme vor der Brust. »Mir bleibt ja nichts anderes übrig, wenn du immer all unsere Geheimnisse ausplauderst!«
»Geheimnisse?« Isabella schüttelte ungläubig den Kopf. »Die Monsterhände im Brunnen sind doch kein Geheimnis! Das ist nur eine Einbildung deines Vaters. Du musst endlich mal lernen, den Leuten zu vertrauen, Polly.«
Polly blickte ihre Freundin sprachlos an. »Wie soll ich denn bitte vertrauen, wenn mein Pony verschwindet? Wie soll ich vertrauen, solange Winnie und Adlerauge sich nicht melden?« Entschlossen funkelte sie Isabella an. »Nein, jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt für blindes Vertrauen. Irgendetwas stimmt hier nicht! Und ich bin mir sicher, dass die Theaterleute etwas damit zu tun haben!«
Isabella betrachtete Polly einen Moment lang und seufzte dann. Erschöpft stieg sie die Treppe hinauf.
Polly sah ihr hinterher. »Wo willst du denn hin?«
Isabella holte tief Luft. »Ich bin müde. Wir haben ja kaum geschlafen heute Nacht. Ich leg mich jetzt ein paar Stunden hin …« Mit hängenden Schultern verschwand sie aus dem Keller.
Polly blieb allein zurück und sie fühlte sich kein bisschen gut dabei, nein. Wenn nicht bald etwas geschah, würde am Ende sogar noch ihre Freundschaft mit Isabella zerbrechen. Das durfte auf gar keinen Fall geschehen …