Für einen Moment schließe ich die Augen und konzentriere mich nur auf das heiße Wasser, das über meine Haut läuft. Versuche, mich zu beruhigen, zu entspannen. Langsam atme ich tief ein und aus. Die Bewegung schmerzt in meiner Brust, aber das ignoriere ich. Mein gesamter Körper scheint nur noch ein einziges Pochen zu sein. Die Bandagen um meine Knöchel und Handgelenke sind durchnässt, und die Hitze brennt in meinen Wunden.
Konzentriere dich auf das Positive. Wir sind in Sicherheit. Abrupt reiße ich die Augen wieder auf. Das ist gelogen. Ich bin nicht in Sicherheit, und ich habe nicht die leiseste Ahnung, ob Jax gerade sicher ist. Angeblich ist mein Sohn unten. Aber wenn ich nicht tue, was Dom will, habe ich keinen Beweis dafür, dass es Jax gut geht und auch in Zukunft gut gehen wird. Aus meinen Augenwinkeln rinnen Tränen. Ich bin der Gnade der Mafia ausgeliefert. Ich muss uns schnellstens hier rausbringen, weg von hier. Noch immer kann ich nicht fassen, dass ich Jax in diese Situation gebracht habe. Dass ich es zugelassen hab, weil ich so unvorsichtig war. Weil ich mich leichtsinnigerweise auf Dom eingelassen habe und seinen Berührungen verfallen bin.
Irgendeine Stimme tief in meinem Innern versucht, meine Sorgen zu vertreiben, und sagt mir, dass alles in Ordnung ist. Dass am Ende alles gut wird und Dom die Wahrheit sagt. Aber ich habe schon mal auf diese Stimme gehört und wurde enttäuscht. Deshalb weigere ich mich jetzt, ihr zuzuhören.
Ich hätte die Polizei rufen sollen, als Dom vor meiner Tür stand. Doch stattdessen habe ich mich so dumm verhalten. Ein weiteres Mal. Ich verliere jegliches Urteilsvermögen, wenn er mich mit seinem scharfen, lustvollen Blick ansieht. Aber ich kann es mir nicht erlauben, schwach zu sein. Vor allem jetzt nicht. Ich brauche nur etwas Zeit für mich, um mir einen Plan zu überlegen. Irgendeinen Ausweg aus diesem Dilemma muss es doch geben. Aber mein Kopf ist völlig leer. Die werden mich umbringen, wenn ich einfach abhaue. Entweder die Arschlöcher, die mich überfallen haben, oder Dom und seine Mafiagang.
Mein Herz hört nicht auf zu rasen, als würde es versuchen, aus meiner Brust zu entkommen oder durch meinen Hals zu springen. Ein Schauder erfasst mich, und mir wird bewusst, dass das Wasser nicht mehr so heiß ist wie vorher. Der Entspannungseffekt ist verschwunden.
»De Luca ist ein toter Mann. Er wird sterben für das, was er dir angetan hat. Das verspreche ich dir.« Ich konnte die Drohung in Doms Stimme hören, und mir gefriert auch jetzt noch, bei der Erinnerung, das Blut in den Adern. Ja, er hat mich gerettet, das weiß ich, aber um welchen Preis? Was will er von mir? Mir läuft ein eiskalter Schauer über den Rücken, der nicht aus der Dusche kommt. Ich weiß genau, was er von mir will. Aber wie lange noch? Wie lange wird mich das weiter am Leben halten?
An der Badezimmertür ertönt ein leises Klopfen, und ich zucke vor Schreck am ganzen Körper zusammen. Adrenalin rauscht durch meine Adern, mein Herz rast noch schneller, und ich habe Mühe zu atmen. Ich brauche meine Medikamente.
Nein, das tue ich nicht! Ich stehe das auch ohne sie durch. Das habe ich schon mal geschafft. Also wird es mir auch diesmal gelingen. Immer noch mit klopfendem Herzen lehne ich mich gegen die geflieste Wand und versuche, mich vor einer neuerlichen Panikattacke zu schützen.
»Bin gleich wieder da, Kätzchen.«
Doms selbstsichere Stimme und die Tatsache, dass er meinen Kosenamen verwendet, wirken sich beruhigend auf meinen Körper aus. Ein Gefühl von Frieden und Gelassenheit durchströmt mich. Daran halte ich mich so lange fest, wie ich kann. Als die Tür sich wieder öffnet, zieht ein kühler Luftzug durch den Raum, doch er dauert nicht lange an. Ich warte darauf, dass Dom etwas sagt. Irgendwas. Doch er schweigt. Ich harre solange es geht in der Dusche aus, bis der Wasserstrahl fast jegliche Wärme verloren hat.
Der Wasserhahn gibt ein lautes Quietschen von sich, als ich ihn zudrehe, bevor ich den Kopf hinterm Vorhang hervorstecke.
Der Raum ist leer, abgesehen von einer kleinen Dampfwolke vor dem Spiegel. Dom hat mir ein sauberes Handtuch auf die Bank gelegt. Schnell steige ich aus der Wanne und schlinge es mir um. Die Bandage an meinem rechten Handgelenk löst sich, deshalb wickle ich sie behutsam ab, bevor ich mich dem Rest widme.
Als ich an mir hinunterblicke, legt sich ein Band um meine Brust. Erinnerungsfetzen blitzen vor meinem geistigen Auge auf, und ich krümme mich zusammen, kauere mich auf den Boden und dränge den Schrei zurück, der sich aus meinem Mund befreien will. Kalter Schweiß bricht mir am ganzen Körper aus, und meine Hände beginnen zu zittern. Ich erbebe und werde hin- und hergeschüttelt. Um mich zu beruhigen, presse ich mich gegen die kalten Fliesen und konzentriere mich auf meinen Atem. Schwärze. Alles um mich herum ist schwarz. Aber ich kann sie hören. Ich glaube, ich weiß, wie sie aussehen. Ich sehe, wie seine Faust auf mich zukommt, und mir entkommt ein leises Wimmern.
Nein!
Ich lasse nicht zu, dass sie mir Schmerzen zufügen. Ich muss stark sein, dränge den Schmerz zurück. Dränge alles zurück. Es ist nur eine Erinnerung. Nur eine Erinnerung. Wie oft musste ich mir das einhämmern?
Es ist nicht das erste Mal, dass ich verletzt werde, und sie werden mich nicht brechen. Das lasse ich nicht zu. Ich beiße die Zähne zusammen und kämpfe mit aller Kraft gegen die Angst an. Genau in dem Moment, als mich erneut Ruhe erfasst, denke ich an den Unfall. Ich sehe die riesige Eiche vor mir, höre die quietschenden Reifen, die Schreie meiner Mutter. Ich sehe, wie die Arme meines Vaters herumgeschleudert werden. Einer gegen sein Gesicht, der andere gegen den Beifahrersitz.
Abrupt öffne ich die Augen und zwinge mich dazu, mich aufrecht hinzusetzen. Ich werde nicht dorthin zurückgehen. Das hat keinen Wert, und eigentlich müsste ich das wissen. Seinen Ängsten und falschen Hoffnungen nachzugeben verschlimmert nur den Schmerz.
Ich stehe auf und gehe zum Waschbecken hinüber. Auf der Ablage warten die Salben auf mich, zusammen mit einigen Wattestäbchen, die Dom offensichtlich dorthin gelegt hat. Na, wenigstens scheint er sich wirklich um mich zu kümmern. Sobald er mir erlaubt, Jax zu sehen, werde ich mich sicher besser fühlen. Momentan komme ich mir so hilflos vor, weil er Jax von mir fernhalten kann. Damit hat er Kontrolle über mich. Ich glaube zwar nicht unbedingt, dass er seine Macht ausnutzen wird, aber das ändert nichts daran, dass es so ist. Ich muss ihm gehorchen, weil ich sonst riskiere, meinen Sohn nicht zu sehen.
Erneut läuft ein Schauder durch mich hindurch, als mir wieder einfällt, dass ich gesagt habe, ich würde zur Polizei gehen. Ich beuge mich hinunter und trage vorsichtig noch etwas Salbe auf die Schnitte an meinen Fußgelenken auf. Sie sind flammend rot. Ein gutes Stichwort, weil gerade Ärger über mich selbst in mir aufflammt. Wie konnte ich so dumm sein?
Wie blöd muss man sein, so was zu einem Mann zu sagen, der so viel Macht über einen hat – so viel Macht insgesamt. Und es ist genauso blöd, die Vergangenheit heraufzubeschwören. Es ist Jahre her, seit ich das letzte Mal an diese Nacht gedacht habe. Diese Nacht, in der sich mein ganzes Leben verändert hat und die einzige Familie, die ich hatte, gestorben ist. Ich blicke auf meine Handgelenke hinunter und untersuche die Kratzer und offenen Wunden. Nicht so schlimm, das wird alles verheilen.
Glassplitter bohren sich tiefer ins Fleisch als Stricke, und die Schnitte sind auch verheilt. Übelkeit steigt in mir auf; nicht der physische Schmerz verursacht all die Ängste und Qualen. Es ist die Erinnerung an die Momente, in denen einem der Schmerz zugefügt wurde. Aber ich lasse nicht zu, dass sie mich verfolgen. Das geht nicht. Ich kann nicht wieder in diesen sinnlosen Zustand zurückkehren, in dem ich vollkommen einer Erinnerung ausgeliefert war.
Das Bild eines Tattoos taucht vor mir auf. Ein leuchtend grüner Drachen und ein rotes Schild. Es hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt. Diese Erinnerung werde ich nicht vergessen. Auch nicht die Männer. Aber ich werde nicht zulassen, dass sie mir weiterhin wehtun. Sie mögen mich gefoltert haben, und sie wollten mich umbringen. Aber noch mal werden sie mich nicht bekommen. Ich schließe die Augen und denke an Doms Versprechen. Dann nicke ich.
Sie müssen sterben.