Becca

»Was ist denn das alles?« Doms Bett ist mit Tüten übersät. Ich ziehe das Handtuch enger um meinen Körper. Er hat mich zwar schon nackt gesehen, aber jetzt ist das was anderes. Mittlerweile fühle ich mich wahnsinnig unwohl, wenn er mich ansieht.

»Eigentlich wollte ich das alles schon ins Auto laden, aber vielleicht solltest du es dir vorher ansehen.« Er fährt sich durchs Haar. »Ich weiß ja nicht, was dir gefällt.«

»Das ist alles für mich?« Du meine Güte.

»Und für Jax.«

»Aber das ist doch nicht nötig.« Ungläubig schüttle ich den Kopf. Alles, was ich brauche, habe ich zu Hause.

»Ich will nicht, dass du zu dir nach Hause fährst.« Seine Stimme klingt hart und unerbittlich.

»Das verstehe ich nicht.«

»Kätzchen …« Er kommt zu mir herüber und legt mir eine Hand unters Kinn. Es erfordert meine ganze Willenskraft, nicht vor ihm zurückzuweichen. »Du musst lernen, keine Fragen zu stellen. Okay?« Du kannst mich mal! Welcher Mensch stellt denn bitte keine Fragen? Obwohl ich das nicht laut ausspreche, scheint er mir meine Gedanken am Gesicht ablesen zu können. Ich bin nicht besonders gut darin, meine Gefühle zu verbergen.

»Wir haben einige Ex-SEAL s darauf angesetzt, dein Haus zu überprüfen und zu observieren.«

»Was soll denn das?« Fast hätte ich mir das Handtuch heruntergerissen, weil ich so ruckartig die Hände ringe. »Ich will nicht, dass Fremde durch mein Haus laufen. Ich will das alles nicht!«, schreie ich und werfe Dom einen hasserfüllten Blick zu. Bevor er in meinem Leben aufgetaucht ist, war alles okay. Vor ihm war alles geradezu paradiesisch.

»Erstens habe ich dir gesagt, du sollst aufhören, Fragen zu stellen.« Er umfasst mein Kinn und starrt mir drohend in die Augen. »Zweitens solltest du verdammt noch mal aufpassen, was du von dir gibst.«

Dieses Feuer, das in seinen Augen lodert, während er mich zusammenstaucht, löst eine pochende Sehnsucht in meiner Klitoris aus. Innerhalb von Millisekunden ist meine Wut verraucht, und ein drängendes Verlangen tritt an ihre Stelle. Ein ungesund heftiges Verlangen, wenn man die Umstände bedenkt.

Die Art, wie er mich unter Kontrolle hat und mich herumkommandiert, bringt mich dazu, mich ihm sofort unterwerfen zu wollen. Ohne mein Zutun öffnen sich meine Lippen, und mein Blick wird weicher, als er sich zu mir herunterbeugt und seinen Mund auf meinen presst. Dann weicht er ein Stück zurück, lässt mein Kinn los und legt seine Hand stattdessen sanft in meinen Nacken.

»Ich habe dich da reingeritten, Süße, also hole ich dich da auch wieder raus. Ich sorge dafür, dass sie dafür bezahlen, und ich kümmere mich um dich. Um euch beide.«

Mein Herz macht einen Hüpfer. Ich liebe es, dass er auch an meinen Sohn denkt. Es ist so leicht, dieser Großzügigkeit zu erliegen. Ihm zu erliegen. Dieser Gedanke reißt mich abrupt aus meinem lustbenebelten Tagtraum.

Unwillkürlich verstärkt sich sein Griff um meinen Nacken. »Oh nein«, sagt er und verengt die Augen. »Schließ mich nicht schon wieder aus.«

Meine Augen weiten sich ganz leicht.

»Ja, ich kenne diesen Blick, Kätzchen.« Seine Lippen verziehen sich zu einem selbstgefälligen Grinsen, und er lehnt seinen Kopf gegen meine Stirn. »Du kannst dich nicht vor mir verstecken, Becca«, sagt er mit tiefer Stimme, aber es klingt beruhigend, nicht bedrohlich.

Und genau das macht mir wahnsinnige Angst.

»Kann ich jetzt Jax sehen?«, frage ich so eingeschüchtert, wie ich es gar nicht von mir kenne. Entschlossen räuspere ich mich und straffe die Schultern. Er ist mein Sohn. Und ich will zu ihm. Sofort. Es kommt mir vor, als hätte ich ihn seit Tagen nicht mehr gesehen, und dieses Gefühl gefällt mir nicht. Erneut blicke ich mich im Zimmer um, auf der Suche nach Kleidung. »Ich muss mir was anziehen.«

»Sicher, Kätzchen.« Sanft streicht er mit den Fingerspitzen über meinen Kiefer. »Willst du das vielleicht lieber abdecken? Um den kleinen Kerl nicht zu erschrecken?«

Mir wird schwer ums Herz, während ich in seine hellblauen Augen starre. Ich frage mich, ob er auf diesen Gedanken kommt, weil er an so was gewöhnt ist. Dass Frauen ihre Prellungen verbergen. Diese Vorstellung sorgt dafür, dass ich mich schnell von ihm wegdrehe. Erst als ich mit dem Rücken zu ihm vor dem Bett stehe, schlucke ich meinen Kloß im Hals hinunter.

»Hast du zufällig auch Make-up besorgt?«, frage ich leise. Es fühlt sich falsch an, ihn um irgendetwas zu bitten. Aber auf dem Bett liegen so viele Tüten. Einige der Markenlogos, die darauf abgebildet sind, kenne ich. Als mir eine Tasche von Cartier ins Auge fällt, ziehe ich die Luft ein. Das ist ja wohl nicht sein Ernst. Was zur Hölle soll ich mit teurem Schmuck? Das ist offensichtlich nicht für mich. Und ganz sicher nicht für Jax.

»Clara hat das alles gekauft. Ich hab ihr meine Kreditkarte gegeben, und wie es aussieht, war sie im Shoppingrausch«, antwortet er beiläufig.

Überfordert versuche ich, die ganzen Einkäufe zu überblicken. Schließlich nehme ich mir die Tüte einer teuren Kosmetikmarke und entdecke ein paar Hautpflegeprodukte darin, aber kein Make-up. Ich wühle die Taschen durch und werde schließlich unter einer Tüte mit parfümierten Taschentüchern fündig: eine Riesenauswahl an Make-up. Damit und mit den Hautpflegeartikel steuere ich auf das Bad zu.

»Lass dir ruhig Zeit, Kätzchen.«

Ich lächle angespannt, ohne den Kopf zu heben. Mir gefällt das nicht. Ich komme mir so … billig vor. Und gleichzeitig habe ich ein schlechtes Gewissen, weil ich mich so undankbar verhalte. »Ich zahle dir das alles zurück«, presse ich irgendwie hervor, während ich den Türknauf zum angrenzenden Badezimmer herumdrehe.

»Das kannst du dir leisten?«, fragt er mit deutlichem Zweifel in der Stimme.

Ich blicke erneut zum Bett und versuche, den Rieseneinkaufsberg in mich aufzunehmen. Tja, ich schätze, wenn ich heute noch mein Restaurant verkaufen würde … dann vielleicht. Resigniert kaue ich auf der Innenseite meiner Wange herum.

»Du zahlst mir gar nichts zurück, Becca.«

Ich lasse seine Worte auf mich wirken. Sie nagen an meinem Stolz. Ich brauche seine Hilfe nicht. Ach, Scheiße. Doch, ich brauche seine Hilfe, das muss ich akzeptieren. Aber ich wünschte, es wäre anders.

***

Ich bin von Kopf bis Fuß bedeckt. Ein cremefarbener Kaschmirpullover mit U-Boot-Ausschnitt verbirgt meine Handgelenke und die Prellungen an meinen Armen. Sämtliche Verletzungen von der Hüfte abwärts liegen unter einer weinroten Yogahose und Wollsocken versteckt. Ich glaube nicht, dass ich je so angenehme Sachen anhatte. Sie sehen genauso aus wie einige Teile, die ich habe, und sind definitiv mein Stil, aber sie fühlen sich so himmlisch an auf der Haut.

Ich habe Clara zwar noch nicht kennengelernt, doch ich mag sie jetzt schon. Oder zumindest ihren Modegeschmack. Wobei die Stofffetzen, die sie offensichtlich als Unterwäsche bezeichnet, nicht mein Ding sind, auch wenn sie ganz süß aussehen. Zierlich und mit Spitze besetzt. Dom würde sie mit einem Ruck zerreißen. Sofort pressen sich meine Schenkel zusammen, als ich mir vorstelle, wie er mir einen der Slips vom Leib zerrt und mich nimmt. Ich beiße mir auf die Unterlippe und schimpfe innerlich mit mir. Schon klar, dass ich mich damit von dem ablenken will, was heute passiert ist, aber das wäre nicht besonders klug.

Der Arzt hat Dom meine Pillen vorbeigebracht. Ich habe noch eine Schmerztablette und Valium genommen und empfinde somit gerade keine Schmerzen – nur ein etwas wundes Gefühl im Rippenbereich, während ich die Treppe hinuntergehe. Ich zucke bei jedem Schritt zusammen, aber davon abgesehen spüre ich nichts. Stattdessen bin ich etwas zu entspannt. Ich wünschte, ich hätte kein Valium genommen; davon werde ich müde.

Ein leichtes Lächeln umspielt meine Lippen, als ich Jax lachen höre. Wir biegen vom Flur in einen großen offenen Wohnbereich ab. Und da ist er! Mit einem Monstertruck in der Hand steht er auf der Sofalehne und will das Auto gerade eine schräge Bahn aus Polstern hinunterschubsen. Bei dem Anblick wird mir so warm ums Herz, dass es bis in meine Zehen ausstrahlt. Mein kleiner Junge. Erleichterung durchflutet mich. Gott sei Dank.

In diesem Moment empfinde ich wahnsinnige Dankbarkeit Dom gegenüber. Ein Wirrwarr an Emotionen erhebt sich in meiner Brust, aber ich dränge die Gefühle zurück. Unwillkürlich greife ich nach Doms Hand und drücke sie. Keine Ahnung, warum. Aber mehr schaffe ich gerade nicht. Er drückt meine Hand ebenfalls und sieht mich fragend an.

Ich weiß, dass ich nur seinetwegen in diese Scheiße geraten bin. Mir ist auch schmerzlich bewusst, wie dumm ich war. Und dass Rick der eigentliche Grund ist, warum ich in diesem Schlamassel stecke. Aber Dom hätte mir nicht helfen müssen. Er hätte Jax nicht in Sicherheit bringen müssen. Er hätte mich auch nicht retten müssen.

Nun laufen mir doch die Tränen über die Wangen, ich kann einfach nichts dagegen tun. Es ist alles zu viel für mich. Zu viel zu verarbeiten und zu akzeptieren. Überwältigt lehne ich mich gegen die Wand und versuche, mich wieder zu beruhigen. Immerhin ist Jax direkt um die Ecke, und ich will nicht, dass er mich so sieht.

»Alles okay, Kätzchen?« Dom wischt mir mit dem Daumen die Tränen aus dem Gesicht.

Er sieht aus, als wüsste er nicht, was er tun soll. Und das wiederum bringt mich zum Lachen. Er muss denken, dass ich sie nicht mehr alle habe. Erst fange ich ohne Vorwarnung an zu weinen, und dann lache ich ihn aus. Vielleicht bin ich ja tatsächlich wahnsinnig geworden. Vielleicht ist mein Gehirn jetzt an dem Punkt, an dem es das alles nicht mehr verarbeiten kann. Doms Gesichtsausdruck nach zu urteilen scheint er den gleichen Gedanken zu haben.

»Alles gut. Ich meine, es ging mir schon mal besser, aber das ist okay«, sage ich schließlich. Dann wische ich mir die Tränen aus dem Gesicht und betrachte meine Finger, um sicherzugehen, dass ich den Concealer nicht verschmiert habe. Nichts zu sehen. Meine Finger sind sauber. Das Zeug muss ziemlich gut sein, wenn es sogar Tränen standhält.

Ich stoße mich von der Wand ab, und zu meiner Überraschung legt Dom mir seinen Arm um die Taille und zieht mich an sich. Seine Umarmung ist warm und tröstlich. Eigentlich sollte sie mir nicht so gut gefallen. Er ist praktisch ein Fremder und definitiv gefährlich. Doch obwohl ich all diese Dinge weiß, schmiege ich mich an ihn. Das brauche ich jetzt.

Als ich um die Ecke biege und Jax mich sieht, knie ich mich auf den Boden und breite die Arme aus.

»Mommy!«, ruft er, lässt den Truck fallen und kommt auf mich zugerannt.

Es tut weh, als er sich an meine Brust wirft, aber das ist mir egal. Es fühlt sich so gut an, ihn im Arm zu haben. Ich küsse ihn auf die Stirn und halte ihn einfach nur fest, bis er mich irgendwann von sich schiebt.

»Guck, Trucks.« Sofort läuft er zu dem Haufen aus Polstern hinüber, schnappt sich eins der Spielzeugautos und hält es hoch, um es mir zu zeigen. »So groß, Mummy!«

Ich kann nicht sprechen; sein bloßer Anblick löst so viele Emotionen in mir aus, dass mir die Stimme versagt, deshalb nicke ich nur stumm und bemühe mich zu lächeln.

Auf dem polsterlosen Sofa springt ein anderer kleiner Junge mit olivefarbenem Teint und dunkelbraunen Augen herum, dessen Haar zu einem Irokesen hochgeföhnt wurde. Dabei grinst er von einem Ohr zum anderen, als könnte er den nächsten Autosturz kaum abwarten.

»Das ist Gino«, erklärt Dom und lacht dem kleinen Jungen leise zu.

»Dein Neffe?«, frage ich.

»Ja, mehr oder weniger.« Ich denke schon, dass ich keine weiteren Infos bekommen werden, doch dann fügt er an: »Jimmy ist mein Cousin, aber wir sind zusammen aufgewachsen. Wir haben alle ein sehr enges Verhältnis zueinander.«

Nickend sehe ich ihn an, als würde ich verstehen, wovon er redet, obwohl ich es nicht tue. Ich habe keine Ahnung, wie das ist.

»Du lernst ihn heute Abend kennen. Clara ist leider schon weg, und Vince ist nur samstags und sonntags zum Abendessen hier.«

In diesem Augenblick kommt eine ältere Frau – etwa Mitte bis Ende fünfzig, deren Haar im Nacken zu einem Dutt zusammengebunden ist – aus der Küche. Mit ihr dringt eine süßliche Duftwolke aus Fisch und Weißwein in den Raum. Vermutlich kocht sie gerade Pasta mit Shrimps und Scampi, oder irgendetwas anderes, das genauso gut riecht. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen, und ich lecke mir genüsslich über die Lippen.

»Hi, Becca, ich bin Linda, Doms Ma.« Sie trocknet sich die Hände an einem kleinen Geschirrtuch ab und kommt dann zu uns auf die andere Seite des Wohnbereichs herüber. Statt mir die Hand zu schütteln, wie ich es erwartet hätte, nimmt sie mich zur Begrüßung sanft in den Arm. Mit einem traurigen Lächeln mustert sie mich. »Möchtest du etwas trinken?« Auch diese Frage hätte ich nicht erwartet, und in diesem Moment fällt mir wieder Doms Warnung ein, keine Fragen zu stellen.

Freundlich schüttle ich den Kopf. »Nein, danke. Alles gut.«

»Das sagst du ziemlich oft – ist dir das schon mal aufgefallen?« Dom blickt mich mit einem amüsierten Gesichtsausdruck an.

Doch Linda unterbricht ihn. »Zum Abendessen gibt es Pasta Shrimp Scampi.«

Wusste ich’s doch!

»Es ist fast fertig«, ergänzt sie gut gelaunt.

In meinem Bistro haben wir Shrimp Scampi auf der Speisekarte. Es ist eins meiner Lieblingsgerichte. Bei der Erinnerung an das Restaurant fährt ein unangenehmes Gefühl durch meinen Magen. Dom hat immer noch mein Telefon.

»Ich brauche mein Handy«, sage ich und hoffe, ich muss jetzt keine Diskussion mit ihm darüber anfangen. Klar, theoretisch könnte meine Assistentin alles regeln, aber in Wirklichkeit ist sie meistens auf mich angewiesen.

»Wen willst du denn anrufen?«

Zuerst macht mich diese Frage ziemlich wütend, doch dann sehe ich seinen drohenden Blick. Die Polizei.

»Niemanden. Ich will nur schauen, wie es in meinem Restaurant läuft.« Wider Erwarten greift Dom in seine Hosentasche und streckt mir das Telefon entgegen. Doch als ich danach greifen will, zieht er abrupt die Hand zurück.

»Zuerst einen Kuss.« Er dreht mir die Wange zu. Ich verdrehe die Augen, stelle mich allerdings dennoch auf die Zehenspitzen und drücke ihm einen Kuss auf die Wange. Aus irgendeinem Grund sorgt seine spielerische Art dafür, dass ich mich besser fühle. Bis ich auf mein Handy schaue und die ganzen Nachrichten auf dem Display sehe. Vier verpasste Anrufe und zweiunddreißig ungelesene Nachrichten. Shit. Ich stoße einen schweren Seufzer aus und beginne damit, die schriftlichen Sachen abzuarbeiten. Die unterste Nachricht fällt mir sofort ins Auge.

Alles erledigt. Keine Sorge. Erhol dich einfach gut!

Verwirrt starre ich die Buchstaben an, bis Dom meine unausgesprochene Frage beantwortet.

»Ich habe ihr geschrieben, dass du eine Weile außer Gefecht bist, und ihr die Nummer unseres Managers geschickt, falls sie Hilfe braucht.«

»Danke.« Wobei ich mir nicht vorstellen kann, dass es so einfach funktionieren wird. Aufmerksam lese ich die anderen Nachrichten durch und suche nach Hinweisen darauf, dass Sarah doch Hilfe braucht. Aber ich finde nichts. Sie hat heute alles ohne mich erledigt.

Als ich fertig bin, streckt Dom die Hand aus und fordert das Handy zurück.

Protestierend spitze ich die Lippen. »Ich finde das nicht gut.«

Er lehnt sich vor, um mir ins Ohr zu raunen: »Nach dem, was du vorhin oben gesagt hast, mache ich mir leichte Sorgen, dass du irgendwas Dummes tust.«

Ich schüttle den Kopf. »Das werde ich nicht«, widerspreche ich beharrlich. »Keine Ahnung, wieso ich das überhaupt gesagt habe.«

»Ich schon«, entgegnet Dom, während er mir das Telefon abnimmt und es sich wieder in seine Tasche steckt.

»Was soll das denn bitte heißen?« Ich schon. Als würde er mich so gut kennen …

»Ich hab dir schon mal gesagt, dass du auf deinen Ton aufpassen sollst, Kätzchen. Bisher hab ich mich echt bemüht, nachsichtig mit dir zu sein, aber irgendwann ist auch mal Schluss.«

Die Drohung, die in seiner Stimme mitschwingt, löst völlig falsche Reaktionen bei mir aus, deshalb wende ich mich einfach von ihm ab und konzentriere mich stattdessen auf die beiden unbekümmert spielenden Jungs, die keine Ahnung von dem haben, was heute passiert ist.

***

Das Abendessen ist … aufschlussreich. Jax ist gesättigt und spielt inzwischen fröhlich mit Gino. Die Männer – Jimmy, Dom und Doms Vater Dante – witzeln herum, essen oder spielen mit den Kindern. Sogar Linda neckt ab und zu ihren Mann. Es ist fast so, als wäre das alles heute nie passiert. Als wären sie nicht in eine Schießerei verwickelt gewesen. Ich bin mir zwar nicht sicher, ob dieses Verhalten so gesund ist, aber es gefällt mir. Ich finde es angenehm. Auch ich will mich nicht in Selbstmitleid suhlen, sondern so schnell wie möglich in meinen normalen Alltag zurückkehren.

Seufzend lehne ich mich in meinem Stuhl zurück und lecke mir die letzten Reste der Weißwein-Butter-Soße von den Fingern. Linda ist eine verdammt gute Köchin, so viel steht fest. Während des Essens war ich ziemlich still, abgesehen von den etwa ein Dutzend Malen, als ich Lindas Kochkünste gelobt habe. Jax hat es ebenfalls geschmeckt, was mich wirklich glücklich macht, weil er sonst kaum irgendetwas isst. Er lebt buchstäblich nur von Fruchtsnacks und Apfelsaft.

In diesem Moment legt Dom seine Hand auf meinen Oberschenkel und drückt mich. Das Gefühl, eine Familie zu haben und irgendwie dazuzugehören – etwas, das ich so lange nicht mehr verspürt habe –, überwältigt mich. Ich schaue Dom zu, während er Gino anlächelt und eine Grimasse schneidet. Würde das Leben so ablaufen, wenn das, was zwischen uns ist, mehr wäre? Gibt es diese Möglichkeit überhaupt? Ich habe nie darüber nachgedacht. Nicht mal ansatzweise. Ein Mann wie er bindet sich nicht. Trotzdem fühlt es sich so richtig an.

Mein Gott, was denke ich da nur gerade? Seinetwegen wäre ich heute fast gestorben. In meiner Kehle breitet sich ein Kloß aus, als ich sehe, wie Jax strahlt und Gino freundschaftlich gegen die Schulter stupst. Ich kann das nicht zulassen. Sobald Dom mir die Gelegenheit gibt zu gehen, werde ich es tun. Jax kann so nicht aufwachsen. Nicht in der Gesellschaft von Mafiosi.

Der Kloß in meinen Hals wird immer größer und droht mich zu ersticken, deshalb nehme ich mir mein Glas und versuche, mich zu beruhigen.

»Du siehst ein wenig mitgenommen aus«, ertönt eine freundliche, besorgte Stimme leise zu meiner Linken.

Angespannt lächle ich Doms Mutter an. »Mir geht’s gut.«

Dom runzelt die Stirn und wirft mir einen Blick aus dem Augenwinkel zu, während er mit der Hand über mein Bein streichelt.

»Ich weiß, ich sollte mich nicht einmischen, aber wenn du mal mit jemandem reden möchtest, bin ich für dich da.« Halb rechne ich damit, dass nun sämtliche Gespräche verstummen, doch Dom und die anderen frotzeln weiter herum und setzen ihre Unterhaltung fort. Das Stimmengewirr klingt fast wie weißes Rauschen im Hintergrund. Lindas Augen haben den gleichen hellblauen Farbton wie die von Dom, und ich habe das Gefühl, darin zu versinken, während sie mir einen Ort bieten, in den ich mich vertrauensvoll fallen lassen kann.

»Ich weiß nicht, wie du das aushältst.«

»Was denn, Liebes?«

»Das hier.« Ich traue mich kaum, die Worte auszusprechen. Ich weiß nicht, wie du mit einem Mafioso verheiratet sein kannst. Das kann ich schlecht laut sagen, aber nach einem kurzen Moment scheint sie zu verstehen, was ich meine.

»Ach, manchmal weiß ich das selbst nicht. Aber ich liebe meine Familie. Wir sind alle gute Menschen.« Ungläubig starre ich sie an, während sie eine weitere Portion Shrimps isst. Ach ja? Das möchte ich doch stark bezweifeln, aber andererseits kenne ich mich ja auch nicht aus. Nun wage ich doch eine Frage.

»Was machen sie denn?«, erkundige ich mich fast flüsternd. Die Männer unterhalten sich immer noch, und um uns herum erhebt sich dröhnendes Gelächter.

»Wie meinst du das?« Verwirrt legt Linda den Kopf schief und sieht mich fragend an.

»Ich meine, was machen sie beruflich?«

Ihre Augen werden groß, und sie hebt die Augenbrauen. »Oh, nein, so was frage ich nie, und das solltest du besser auch nicht tun. Aber ich weiß zum Beispiel, dass das Bistro ziemlich viel Umsatz macht.«

Schweigend sehe ich sie an, während ich über ihre Worte nachdenke. Sie glaubt doch nicht ernsthaft, dass ihre Männer nur ein Bistro betreiben, oder? Drogen, Schießereien und Mord – das sind die »Berufsfelder« der Mafia.

»Es ist erstaunlich, was man alles für jemanden tut, den man liebt.« Sie schenkt mir ein warmes Lächeln. »Irgendwann muss ich dir mal erzählen, wie Dante und ich uns kennengelernt haben. Die Geschichte wirst du nicht glauben.« Ihre blauen Augen leuchten vor Glück. »Ich liebe meine Familie.«

Erneut lasse ich mir ihre Worte durch den Kopf gehen. Es ist offensichtlich, was sie für ihre Familie empfindet. Die Atmosphäre in diesem Raum ist voller Liebe und Wärme. Trotzdem könnte ich meinen Sohn nie in diesem Milieu aufwachsen lassen. Ich komme mir vor wie das Letzte, weil ich so über Linda urteile. Und wie eine Heuchlerin, weil ich mit Dom geschlafen habe und so schnell so intensive Gefühle für ihn entwickelt habe. Doch dieses Leben kann ich nicht führen. Jax verdient etwas Besseres. Ein gutes Leben, und nicht eins im Kreis der Mafia. Wir bleiben nur vorläufig hier. Ich muss dafür sorgen, dass aus dieser Situation kein Dauerzustand wird.