Die Teller krachen scheppernd in die riesige Stahlspüle, und das Geräusch lenkt meine Aufmerksamkeit auf den Hilfskellner. Er ist neu, und seine Arme sind spindeldürr. Sein Blick schießt zu mir herüber und wieder zurück zu den Tellern.
»Sind welche kaputt?«, frage ich gut gelaunt, um ihn zu beruhigen. Ich versuche mich auch an einem Lächeln, aber es misslingt mir.
»Ich glaube nicht.« Vorsichtig zieht er einen Teller nach dem anderen heraus und begutachtet ihn.
Zum Glück ist das nicht an der Bar passiert. Das wäre ziemlich schlimm gewesen. So wie gestern. Ich schließe die Augen und atme einmal tief durch. Ich wünschte, Vicky wäre noch da. Sie gehörte zu den Managerinnen, die Dom eingestellt hat, als ich mich noch »von einem Sturz erholte«. Genervt verdrehe ich die Augen und massiere mir die Schulter, während ich die Küche verlasse und ins Hinterzimmer gehe. Leider musste ich sie entlassen. Ich konnte ihr und den anderen nicht vertrauen. Ich hatte ständig das Gefühl, dass sie mich beobachten. So, als würden sie ihm alles berichten, was hier passiert.
Allein beim Gedanken an ihn wird meine Brust enger, und ein Pfeil bohrt sich durch mein Herz. Ich habe nichts mehr von ihm gehört. Nicht ein Wort. Tränen schießen mir in die Augen. Ich weiß, ich wollte es nicht – oder eher: Ich wollte es nicht wollen. Aber ich will ihn , verdammt. Ich schüttle den Kopf und versuche, mich zu beruhigen. Jedes Mal, wenn ich an ihn denke, scheint sich meine Kehle zuzuschnüren. Es tut mir körperlich weh, an ihn zu denken. Ich kann es mir nicht erklären. So sollte es nicht laufen. Seufzend lehne ich mich gegen die Wand meines Büros und lege den Kopf nach hinten. Verflucht, ich kann hier drinnen nicht atmen.
Einen Moment später drücke ich die Tür nach außen auf. Sie knarzt, und das helle Sonnenlicht lässt mich die Augen zusammenkneifen. Aber wenigstens gibt es hier draußen frische Luft. Oder sagen wir mal: so frisch wie die Luft in der winzigen Gasse zwischen meinem Restaurant und der Galerie nebenan sein kann. Ich halte die Tür mit einem Ziegelstein offen und setze mich auf die Kisten, die einige Meter entfernt lagern, mit etwas Abstand zu den Müllcontainern und näher an der leeren Gasse.
Ich wünschte, ich wäre endlich darüber hinweg. Über ihn. Seit ich ihn verlassen habe, kommt mir alles noch viel schwerer vor. Ich fühle mich so wahnsinnig erschöpft. Aber nicht nur körperlich; ich bin auch emotional erschöpft.
»Alles okay, Kätzchen?« Erschrocken zucke ich zusammen, als die tiefe Männerstimme durch die stille Seitenstraße schallt. Mir entfährt ein kurzer Schrei, und sofort schlage ich die Hände vor den Mund, um ihn zu unterdrücken. Dom. Er kommt durch die Gasse auf mich zu, mit einem verdammt sexy Grinsen im Gesicht.
Mir geht das Herz auf, und die Tränen rinnen mir aus den Augen. Ich kann sie nicht mehr aufhalten. Scheiß Hormone. Scheiß Gefühle. Aber es ist mir auch egal.
Als er noch einen Schritt näher kommt, falle ich ihm in die Arme. Mein Körper ist so schwach, und mein blödes Herz tut so weh. »Nicht weinen, Kätzchen.« Seine starken Arme halten mich fest, und am liebsten würde ich so tun, als könnte ich diese Berührung täglich für den Rest meines Lebens haben. Der bloße Gedanke, gepaart mit Doms maskulinem Geruch und seinen Händen, die mir tröstend über den Rücken streichen, sorgt dafür, dass mein Herzschlag sich beruhigt und mein Körper sich entspannt. Es fühlt sich so richtig an, so natürlich.
Genau das habe ich gebraucht.
»Was ist denn los?« Er lehnt sich ein Stück zurück, um mich anzusehen. Doch ich hebe nicht einmal den Kopf, sondern presse mein Kinn weiter fest gegen seine Brust und konzentriere mich einfach nur auf meinen Atem. Ich grabe die Finger in seinen Rücken, um ihn an mich zu drücken, und gleichzeitig habe ich Angst, dass er wieder geht. Noch nie habe ich mich so schwach und verletzlich gefühlt. Ich weiß nicht, wieso, aber ich will ihn einfach nicht loslassen.
Immer noch an seiner Brust schüttle ich den Kopf und presse die Lippen zusammen. Erst nach einem langen Moment antworte ich ihm. »Du solltest nicht hier sein.«
»Ich will dich, Becca.«
Endlich schaffe ich es, mich von ihm zu lösen, und blicke ihm in die Augen. Ich will ihn auch, aber das geht nicht. »Du weißt, dass ich das nicht kann«, flüstere ich. Er versteht mich, da bin ich mir sicher. Er muss das einfach verstehen.
»Aber du willst es doch auch. Ich kann das alles regeln, ich bitte dich nur darum, mir eine Chance zu geben.«
Ja, ich will ihn, da hat er recht. Meine Atmung geht flacher. Ich öffne den Mund, aber es kommt nichts heraus. Eine Chance. Nur eine Chance. Kann ich das Risiko eingehen?
»Schließen wir eine Wette ab«, schlägt er grinsend vor.
Ich stoße ein belustigtes Schnauben aus. »Ich bin doch nicht blöd«, antworte ich, »du bist Buchmacher.«
»Ich kann alles sein, was du willst, Babe.« Sein Lächeln wird sanfter, und er drückt mir einen zärtlichen Kuss auf die Lippen. »Wette einfach mit mir«, wiederholt er und berührt dabei kaum merklich meinen Mund.
»Was bekommst du, wenn du gewinnst?«, frage ich mit deutlichem Zögern.
Er lässt seine Hand zu meinem Po wandern und kneift hinein. »Du weißt, was ich will.«
Nur mit Mühe kann ich ein Stöhnen unterdrücken und ignoriere die Hitze, die sich bei seiner spielerischen Berührung in meinem Unterleib ausbreitet. Erneut schüttle ich den Kopf und beiße mir auf die Unterlippe, um mir ein Lächeln zu verkneifen. »Und was kriege ich, wenn ich gewinne?«, frage ich schließlich und blicke unter meinen dichten Wimpern hinweg zu ihm hoch.
Meine Stimme klingt ganz belegt, und ich wünschte, das wäre nicht so. Ich wünschte, ich würde nicht so verzweifelt nach seinem Trost lechzen, aber das tue ich.
Dom umfasst mein Kinn und streicht mir mit dem Daumen über die Unterlippe. Dann drückt er sich sanft an mich und tritt nach vorn, um mich gegen die Ziegelmauer zu drängen. »Genau das, was du willst.« Unwillkürlich hebe ich die Hände an seine Brust und schiebe ihn ein Stück zurück.
»Nicht hier«, hauche ich in seinen Mund, während seine Hände meine Bluse bis zu meiner Taille nach oben schieben. Die kühle Luft fühlt sich so falsch an auf meiner heißen Haut.
»Du willst also nicht, dass ich dich hier an der Wand vögle, Kätzchen?«
Begierig zieht sich mein Unterleib zusammen, und ich spüre, wie es zwischen meinen Schenkeln feucht wird. Oh doch, und wie ich das will. »Ich brauche dich, Babe. Es ist schon viel zu lange her, dass ich mein versautes Kätzchen genommen habe.«
»Ich kann nicht.« Ich lehne den Kopf noch weiter zur Seite, als er meinen Hals küsst und nach unten zu meiner Schulter wandert. Das ist so schmutzig, so falsch. Aber ich will es. Seinen Atem, seine Küsse, seine Berührungen – das ist alles, was ich will. Ich will, dass er mich so nimmt, wie er es will und wann er will. Ich will mit dem Rücken über die harte Ziegelmauer schaben, während er in mich hämmert. Ich kann mir das so deutlich vorstellen. Seine Hüften halten mich an der Wand fest, während seine stahlharte Erektion gegen meinen Bauch drängt.
Und dann hört er auf einmal auf. Beinahe wäre ich nach vorn gekippt, weil er mich so abrupt loslässt. Ich schwanke, stolpere vorwärts und kann mich gerade noch auffangen. Ich höre Doms schwere Schritte auf dem Asphalt, gefolgt von dem Geräusch eines Aufpralls, als er mit irgendetwas zusammenstößt. Es ist ein anderer Mann. Ich höre, wie sie gegen die Mauer krachen und hart am Boden aufkommen. Verdammt! Irgendjemand hat uns zusammen gesehen! Scheiße, scheiße, scheiße.
Ich ziehe meine Bluse zurecht und versuche zu sehen, was los ist. Was zum Teufel geht da vor sich? Mir bleibt die Luft weg.
»Dom, hör auf!«, schreie ich, als ich wieder zu Atem komme und sehe, dass er seinen Gegner bäuchlings zu Boden presst und ihm den Arm auf den Rücken dreht. Ich kenne den Mann nicht. Und hier hinten kommt nie jemand vorbei. Angst erfasst mich und sendet einen Hitzeschwall durch meinen Körper.
Dom hält den Arm seines Gegners immer noch fest und reißt ihn nun in einem unnatürlichen Winkel nach oben. Qualvoll verzieht der Mann das Gesicht. Du meine Güte! Verdammt, er tut ihm wirklich weh. »Hör auf!«, kreische ich heiser. Geschockt schlage ich die Hände vor den Mund, als ich die Waffe sehe, die dem Fremden aus der Hand fällt. Und dann erkenne ich, was er anhat: Lederhandschuhe, schwarze Kleidung. Eine Waffe mit Schalldämpfer. Mir bleibt das Herz stehen. Er wollte Dom erschießen. Kälte zieht durch meinen Körper, und plötzlich fühle ich mich wie betäubt.
Instinktiv weiche ich einen Schritt zurück und stoße gegen die Mauer. Ich kann mich nicht abwenden, kann nicht aufhören, die Szene zu beobachten. Wie gelähmt sehe ich dabei zu, wie Dom erbarmungslos das Gesicht des Mannes auf den Betonboden schlägt. Mir wird übel von dem Geräusch seiner brechenden Knochen, als sie gegen den harten Asphalt prallen. Oh mein Gott! Keuchend schnappe ich nach Luft. Ich kann das nicht. Ich kann mir das nicht länger ansehen.
»Nicht dich! Du nicht!«, versucht der Mann zu sprechen. Sein Gesicht ist immer noch verzerrt und mit dunkelrotem Blut verschmiert, das noch weiter aus seiner aufgeplatzten Lippe strömt.
»Wer dann? Sag mir, wer!« Dom raunt dem Mann die Worte leise, aber bestimmt ins Ohr, doch ich höre sie so deutlich, als hätte er sie geschrien.
»Das Mädchen.« Das Mädchen. Ich.
»Wer hat dich beauftragt?«, will Dom wissen. Mir wird ganz schwindlig, während ich weiter zusehe.
»Jack.« Der Kopf des Mannes schwankt ein wenig, und er zieht geräuschvoll den Atem ein, als Dom seinen Arm noch weiter nach hinten dreht. Und dann richtet Dom die Waffe auf den Hinterkopf seines Gegners und betätigt den Abzug. Der Mann fällt nach vorn, und ich sehe die blutende Schusswunde an seinem Kopf, während sich auf dem Asphalt eine rote Lache bildet.
Vor meinen Augen zucken Blitze, immer und immer wieder. Kein Geräusch. Keine Warnung. Eben war er noch am Leben, jetzt ist er tot.
Fassungslos weiten sich meine Augen, als ich sehe, wie Dom den Mann hinter die Müllcontainer wirft. Überall ist Blut. Oh Gott! Oh Gott! Oh Gott! Die Zeit vergeht wie in Zeitlupe. Das hier fühlt sich nicht real an. Es kann nicht real sein.
Ein lautes Krachen, als die dünnen Metallwände der Müllcontainer gegeneinanderstoßen, reißt mich abrupt aus meiner Benommenheit.
Er ist tot. Immer noch geschockt starre ich auf den leblosen Körper. Er wollte mich töten. Aber Dom hat ihn vorher getötet.
Meine Kehle schnürt sich zusammen, und ich habe Mühe zu atmen. »Was machen wir denn jetzt?« Mir versagt die Stimme. Er ist tot. Dom hat ihn gerade erschossen. »Es war Notwehr.« Jetzt überschlage ich mich fast. »Du wolltest mich nur verteidigen!«
»Alles gut, Kätzchen.« Dom kommt lässigen Schritts zu mir herüber und fasst mich an den Armen. »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Die nächsten Leute, die durch diese Gasse kommen werden, gehören zu meinem Säuberungsteam. Ich hab ihnen gerade eine Nachricht geschickt.«
Bitte was? Ich bin völlig durcheinander und kurz vorm Durchdrehen. Mein Körper bibbert, als wäre es eiskalt hier draußen. Genau deshalb können wir nicht zusammen sein. Aber wenn er nicht hier gewesen wäre … Entsetzt lege ich die zitternden Hände an die Wangen. Dann wäre ich jetzt tot. Unkontrolliert fange ich an zu schluchzen und bekomme kaum mit, dass Dom mich wegzieht.