4

- ROBERT -

B onaseras gehauchte Worte treffen mich wie eine Abrissbirne. Ich höre sie nicht nur, ich spüre sie tief in meinem Innersten wie einen Widerhall seiner Angst, die durch mich hindurchfährt und auf ihrem Weg kalte Asche hinterlässt.

Ob ich will oder nicht, ich muss ihm helfen. Er wirkt so elend, dass ich gar nicht darüber nachdenke, was ich als Nächstes tue. Ich greife über den Tisch, lege meine Hand auf seine und sage: »Geben Sie mir etwas Zeit. Ich lass mir was einfallen, versprochen.«

Sein Kopf ruckt hoch und er sieht mich mit riesigen Augen an. »Sie wollen mir wirklich helfen?«

»Natürlich. Aber ich denke, planlos und dann auch noch auf eigene Faust zu ermitteln, wird nach hinten losgehen. Ich schlage vor, Sie fahren fürs Erste nach Hause und versuchen zu schlafen. Wann müssen Sie wieder los?«

»Ich habe morgen« – er schaut auf seine Armbanduhr – »ich meine heute und morgen frei. Freitag muss ich in die Nachtschicht.«

»Das ist gut. Bis dahin haben wir einen Plan, wie wir die Sache angehen.«

»Sind Sie sicher?«

Schmunzelnd necke ich ihn: »Uns bleibt nichts anderes übrig, wissen Sie? Sie sind niemand, der nach einem Gespräch wie dem unsrigen einfach so zur Arbeit geht und so tut, als wäre alles in bester Ordnung.«

»Ich bin mir nicht sicher, ob ich jetzt beleidigt oder froh sein soll!«, schmollt Bonasera.

Damit bringt er mich vollends zum Lachen. »Seien Sie mir nicht böse, aber Sie können Ihre Emotionen nicht wirklich für sich behalten.«

Ein kleines Lächeln huscht ihm übers Gesicht. »Keine Ahnung, wovon Sie da reden.«

»Okay, wenn es Ihnen damit besser geht.«

Der Doc blickt zu mir auf und wir grinsen uns an.

Laurel verfügt über ein echt mieses Timing, als sie heftig die Hintertür zuschlägt und an den Toiletten vorbei in den Gastraum poltert. »Sorry, Jungs, hat doch länger gedauert. Alles grün bei euch?«

Ich zeige ihr den Damen hoch. »Supergrün. Machst du uns die Rechnung fertig?«

»Aber klar doch. Getrennt oder zusammen?«

»Das geht auf mich«, ruft Bonasera ihr zu, bevor er sich wieder mir zuwendet und meint: »Ist ja wohl das Mindeste, wenn ich Sie schon mit meinen Problemen belästige und so von Ihrem wohlverdienten Nachtschlaf abhalte.«

»Sie belästigen mich nicht. Ich hatte eh nichts vor.« Außer erwähnten wohlverdienten Nachtschlaf. Aber wie sagt Jeremy Vega immer? Schlaf wird überbewertet. Und der Mann weiß, wovon er spricht.

»Unglaubwürdig«, murmelt Bonasera in sich hinein.

»Ach ja? Wieso?«

Er zuckt die Schultern und kippt sich den letzten Tropfen Kaffee in den Mund, bevor er leicht verlegen entgegnet: »Ich dachte immer, Männer wie Sie sind nach Feierabend mit Freunden oder Kollegen unterwegs. Oh, außer Sie haben jemanden, der zu Hause auf Sie wartet.«

»Männer wie ich?«, frage ich erstaunt und ignoriere den Rest seiner Aussage.

»Vergessen Sie’s«, wiegelt Bonasera peinlich berührt ab.

»Nein, ganz sicher nicht. Ich weiß ja nicht, woher Sie Ihre Weisheiten nehmen, aber ich für meinen Teil kann abendlichen Barbesuchen nichts abgewinnen.«

»Nicht? Wieso? Ach so, weil Sie …«

Ich unterbinde seine erneute Spekulation. »Nein, da wartet niemand. Es ist mir nur zu laut und zu feuchtfröhlich. Und ich fühle mich in meiner Gesellschaft ziemlich wohl.«

Er blinzelt mich an. »Sie sind nicht verheiratet?« Diese Frage scheint ihm ungewollt herausgeplatzt zu sein, da er sofort zurückrudert. »Das geht mich ebenfalls nichts an.«

Da hat er absolut recht. Dennoch kläre ich ihn über meinen Beziehungsstatus auf – warum auch immer: »Ich bin ungebunden und kinderlos. Meine letzte Beziehung, wenn man zwei Monate als solche bezeichnen kann, endete vor über drei Jahren. Sonst etwas, das Ihnen auf dem Herzen liegt?«

Er schüttelt heftig den Kopf. Mit rot glühenden Ohren gefällt mir der Mann beinahe noch besser. Sie bilden so einen herrlichen Kontrast zu den blonden Haaren und den göttlich blauen Augen. Reiß dich mal zusammen, Flinn! Tja, ich bin eindeutig reif fürs Bett. »Wie gesagt, ich fühle mich in meiner Gesellschaft ziemlich wohl«, wiederhole ich geistesabwesend, während ich meinen Blick nicht von ihm abwenden kann.

»Geht mir ebenso«, grummelt Bonasera, bevor er mich mit schreckgeweiteten Augen ansieht und stammelt: »Ich meine, mit mir. Also, ich fühle mich auch nicht einsam, wenn ich allein bin, wollte ich sagen.«

Ich verkneife mir ein Lachen. »Was halten Sie davon, wenn ich Sie anrufe, sobald ich mir überlegt habe, wie wir Ihr Problem angehen?«

»Davon halte ich sehr viel. Danke, dass Sie das für mich tun, was auch immer es sein wird.«

»Vertrauen Sie mir, alles wird gut. Und ich verspreche Ihnen, ich werde meinen Partner vorerst aus der Sache raushalten. Sollte sich die Angelegenheit jedoch in eine Richtung entwickeln, die …« Ich wedle vielsagend mit der Hand über dem Tisch. »Sie wissen schon. Ich kann nicht riskieren, dass Ihnen etwas zustößt.« Du tust es schon wieder, Flinn! Und das auch noch für den Bruder der Frau, die dir das Leben zur Hölle gemacht hat.

»In Ordnung, ich kann wohl nicht verlangen, dass Sie Ihren Partner hintergehen. Davon abgesehen, dass mir Agent Serkis eigentlich einen recht netten Eindruck macht. Auch wenn er immer so gelangweilt dreinschaut.«

Abermals bringt er mich zum Lachen. »Ja, oder? Shaun ist manchmal echt unheimlich. Selbst mir, dabei sind wir schon über ein Jahr Partner.«

»Ach«, macht Bonasera und sieht mich erstaunt an. »Waren Sie vorher in einer anderen Abteilung?« Er hebt die Hand. »Sie müssen nicht darauf antworten. Ist sicher geheim oder so.«

Ich mustere ihn ausführlich, um zu sehen, ob er nur so tut, als wüsste er nicht über mich Bescheid.

»Die Rechnung, mein Lieber«, verkündet Laurel und reicht diese Bonasera.

Er zieht seinen Geldbeutel aus der Gesäßtasche und lässt vierzig Dollar auf den Tisch flattern. »Stimmt so, Ma’am.«

Laurel lacht und steckt die Geldscheine ein. »Die Firma dankt. Siehst du, Bobby«, wendet sie sich an mich, »das ist ein wahrlich netter Kerl. Warum bringst du ihn nicht öfter mit? Wann hattest du überhaupt das letzte Mal mal ein Date? Ist es nicht längst überfäll-« Laurel stoppt in ihrem Redefluss, als sie meinen wenig amüsierten Blick auffängt. »Upsi, ich und mein Mundwerk. Na, wie auch immer, ich wünsche euch eine gute Nacht. Zumindest, was noch davon übrig ist, sobald ihr da seid, wohin ihr wollt.«

Sie stapelt die Teller aufeinander, Tassen und Besteck obendrauf, um nach einem Zwinkern in meine Richtung den wackeligen Turm gekonnt zum Tresen zu jonglieren.

»Sie sind also Stammgast hier?«, will Bonasera wissen, während er seinen Stuhl zurückschiebt und aufsteht.

»Ich habe das Diner kurz nach meinem Umzug von Frisco gefunden. Seitdem komme ich bestimmt zwei Mal die Woche her. Ich koche nicht gern für eine Person, wissen Sie.«

Als wir uns winkend von Laurel verabschiedet haben, treten wir in die kühle Nacht hinaus. Auf dem kleinen Parkplatz steht nur ein Auto. Bonasera dreht sich zu mir um und kneift nachdenklich die Augen zusammen.

»Was ist?«, frage ich.

»San Francisco?«

Fuck! Habe ich das wirklich gesagt? Bemüht beiläufig entgegne ich: »Hab vorher dort gelebt.«

»Und dann sind Sie die Karriereleiter hinaufgefallen und mussten den Wohnort wechseln?«, spekuliert Bonasera.

»Nicht so ganz.«

»Na ja, Los Angeles ist fantastisch. Sie haben es gut getroffen. Hier lässt es sich aushalten.«

»Und das wissen Sie, weil Sie …?«

»Weil ich schon mein ganzes Leben hier verbringe. Ich habe auch nicht vor, irgendetwas daran zu ändern.«

»Sogar während des Studiums?«

Eine leichte Röte kriecht in Bonaseras Wangen. »Ich hatte Glück.«

»Ja?«

»Ich war recht gut im College. Die UCLA bot mir ein Teilstipendium an. Ohne hätte ich es mir nicht leisten können, Arzt zu werden.«

»Recht gut im College?« Ich lache. »Jetzt stapeln Sie aber tief, Doc.«

»Machen Sie nicht mehr draus, als es ist.«

»Okay, wenn Sie meinen.« Aus irgendeinem Grund will ich nicht gehen, daher frage ich das Nächstbeste, das mir einfällt. »Ein Medizinstudium ist doch sicher intensiv.«

»Ist es. Die ersten Jahre wohnte ich noch bei meinen Eltern.«

»Sie haben Sie also nicht nur finanziell unterstützt. Das ist toll.«

»Ich habe bei ihnen gewohnt, musste dennoch meinen Teil dazu beitragen. Sie hätten gern mehr getan. Aber …«

»Himmel, sagen Sie nicht, sie haben nebenher gejobbt.«

»Anders hätte es nicht funktioniert.« Er winkt ab. Ihm ist es offensichtlich unangenehm, über sich selbst zu reden. »Wie dem auch sei. Ich würde hier nur ungern weggehen müssen. Ich liebe meine Familie. Mein Platz ist da, wo sie sind. Meine kleine Schwester ist diejenige von uns beiden, die Nestflucht begangen hat. Sie ist vor einigen Jahren weggegangen.« Er grinst mich herausfordernd an. »Und jetzt raten Sie, wohin.«

Ich meinte es ernst vorhin. Er ist kein Mensch, der anderen etwas vormacht. Das bewies er mir bisher sehr eindrücklich, sobald wir miteinander zu tun hatten, indem er mich jedes Mal ansah, als wäre ich ein widerliches Frettchen, das ungefragt an seinem Sandwich geknabbert hat. Sein abweisendes Verhalten hatte ich mir immer damit erklärt, dass ihm seine Schwester von unserer Vergangenheit, unserem gemeinsamen Drama erzählt hatte. Richtig gehört, gemeinsam . Mir ist kurz vor meinem Umzug zu Ohren gekommen, sie wäre bei ihrem Chef, William Powell, in Ungnade gefallen und müsste zu Kreuze kriechen, um ihren Job zu behalten. Ich hatte den Mann bei einigen Gelegenheiten kennenlernen dürfen, zu denen mich Jeremy regelmäßig einlud. Abendessen, Grillnachmittage, solche Dinge eben. William ist ein wirklich netter Kerl – witzig obendrein. Und ihn mit Jeremy zu erleben … Nun ja, ich sag’s mal so, die beide zusammen zu sehen, war ein guter Grund, Ausschau nach Mr. Right zu halten. Ich will, was sie haben. Aber zurück zu William. Ja, er ist nett und witzig, gleichwohl spürte ich diese stählerne Härte bei ihm. Es schien für niemanden ratsam, es sich mit ihm zu verscherzen.

Diese Erfahrung hatte nun auch Nicoletta Bonasera gemacht. Von daher ging ich davon aus, dass sie sich als das eigentliche Opfer in dieser unsäglichen Affäre sah und dies dann so ihrer Familie schilderte.

Doch jetzt muss ich feststellen, dass das gar nicht der Grund für Bonaseras Verhalten mir gegenüber zu sein scheint. Mir liegen viele Fragen auf der Zunge, die schlucke ich allerdings runter. Ich gehe auf seine Aufforderung ein und rate: »San Francisco?«

Bonasera lacht. »Perfekt kombiniert, Watson.«

Es fühlt sich überraschend gut an, nicht Ziel seiner Aggression zu sein und stattdessen eine neckende Ader erleben zu dürfen. Das macht irgendwas mit mir. Ich grinse ihn breit an und entgegne: »Wenn schon, dann Sherlock. Aber Sie können Watson sein, Doc . Oh, da fällt mir ein, Sie sollten mir Ihre Handynummer geben.« Ich werfe einen Blick ins Auto. »Sie haben es doch hoffentlich geladen.«

Der Doc schnaubt und brummt verschnupft: »Natürlich! Was denken Sie denn?« Er öffnet die Fahrertür und beugt sich hinein. Ich folge seiner Bewegung ganz automatisch, als ich ihn etwas in seinen nicht vorhandenen Bart grummeln höre, das so ähnlich klingt wie oder auch nicht .

Ich kann nicht anders, als in Gelächter auszubrechen. »Ernsthaft, Watson?«

Bonasera richtet sich wieder vor mir auf. Der Abstand zwischen uns ist so gering, dass ich seine Wärme spüre. Wir sind annähernd gleich groß. Mir fehlen zwar nur wenige Zentimeter, dennoch muss ich meinen Blick etwas anheben, um ihm in die Augen sehen zu können. Einen langen Moment schauen wir uns einfach an.

Plötzlich nehme ich eine tiefgreifende Veränderung wahr. Die Energie zwischen uns ist weiterhin aufgeladen. Allerdings fehlt diese explosive Aggressivität, die bisher ein Teil dessen war. Sie ist spurlos verschwunden und wurde durch etwas ersetzt, das mich ganz kribbelig werden lässt. Weshalb ich einen Schritt zurückweiche, mich diesem Sog entziehe, der mich unweigerlich immer näher zu ihm gezogen hat. Ich hole mein Handy hervor und öffne die Kontakte. »Legen Sie los. Ich hoffe doch, Sie kennen Ihre Nummer auswendig.«

Bonasera schnaubt abfällig. Statt mir seine Handynummer zu sagen, holt er erneut seine Brieftasche aus der Hose und fummelt darin herum, um mir anschließend seine Visitenkarte zu reichen. »Wie oft rufen Sie sich selbst an, Agent?«

Ich grinse. »Das kommt eher selten vor.« Dennoch habe ich meine Nummer im Kopf. Man kann nie wissen, wozu es gut ist.

»Genau.«

»Da fällt mir ein, woher haben Sie eigentlich meine Handynummer?«

Er hebt sein Portemonnaie hoch. »Ihr Chief hat mir vor einigen Wochen seine Visitenkarte, Ihre und die Ihres Partner gegeben. Bestimmt, weil wir öfter miteinander zu tun haben.«

Ich schiebe seine Karte in meine Gesäßtasche und das Handy gleich hinterher. »Nun denn, kommen Sie gut nach Hause.«

»Sie auch, Flinn.« Er dreht sich um und will einsteigen, hält jedoch inne und richtet sich abermals vor mir auf. »Danke, dass Sie mir glauben.«

Sein Blick ist so voller ehrlicher Dankbarkeit, dass ich mich ernsthaft abhalten muss, ihn in meine Arme zu ziehen und ihm erneut zu versichern, dass alles gut wird. Stattdessen trete ich noch weiter zurück und nicke. »Nichts zu danken.«

Bonasera steigt ein und ich bewege mich nicht vom Fleck, bis ich seine Rücklichter nicht mehr sehe. Anschließend jogge ich in Gedanken bei einem sehr verwirrenden Mann nach Hause. Im Bett gehe ich einige Szenarien durch, wie wir in Bonaseras Angelegenheit verfahren könnten, komme aber auf keinen grünen Zweig.