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- SALVATORE -

»W artest du auf jemanden?«, flüstert mir Sharon zu.

Ich fühle mich ertappt, versuche jedoch, die Tatsache herunterzuspielen, dass ich schon wieder die Eingangstür anstarre. »Auf den morgendlichen Ansturm«, erkläre ich ausweichend.

»Hast recht, heute ist erstaunlich wenig los«, entgegnet Sharon, die sich daraufhin an Mary wendet. »Liebes, kontrollier doch bitte die Notfallwagen auf Vollständigkeit. Mir ist vorhin aufgefallen, dass einige nicht aufgefüllt wurden. Das Verbandsmaterial ist unvollständig und es fehlen Intubationssets.«

Mary läuft rot an. »Oh, das tut mir leid. Ich …«

»Schätzchen, ich wollte dir nicht für was auch immer die Schuld in die Schuhe schieben. Davon abgesehen weiß ich, dass du nicht dafür zuständig warst. Das kläre ich später mit der betreffenden Person. Oh, und prüfe doch bitte gleich den Medikamentenbestand. In letzter Zeit haben wir einen höheren Bedarf an Analgetika. Sie gehen erstaunlich schnell zur Neige.«

Mit einem schüchternen Lächeln atmet Mary erleichtert auf.

»Wenn ihr wollt, kann ich mich darum kümmern«, klinke ich mich so lässig wie möglich ein. Ich will nicht zu eifrig wirken. Das würde womöglich seltsam rüberkommen. Doch hier bietet sich mir eine Chance, erneut einen genaueren Blick auf die Bestände zu werfen.

»Okay, danke«, entgegnet Mary. »Ähm, ich bin dann mal … Ihr wisst schon, die Notfallwagen auffüllen.« Sie geht rückwärts von uns weg und wirkt so erstaunt wie Sharon, die mich mit großen Augen mustert, als wäre ich ein Einhorn, das Regenbögen pupst.

»Gute Idee«, lobe ich Mary mit einem Hauch Ironie. Ihre Ohren laufen augenblicklich rot an.

Mary huscht geschäftig von dannen, bevor Sharon leise sagt: »Schon klar, sie hätte das selbst sehen müssen. Aber sie ist erst vor ein paar Wochen von Barstow zu uns gewechselt.«

»Du liebes bisschen. Barstow? Das ist ein Nest. Ich wusste nicht, dass die überhaupt eine Klinik haben.«

»Haben sie auch nicht. Sie hat bei ihrem Onkel in der Praxis ausgeholfen, nachdem sie mit der Ausbildung fertig war.«

»Das muss ein Kulturschock für die Kleine gewesen sein.«

»Ja, sie braucht noch ein wenig Eingewöhnungszeit. Ich will sie nicht gleich verschrecken. Wir können es uns nicht leisten, auch nur eine weitere Pflegekraft zu verlieren. Und Danke.«

Ich blicke sie erstaunt an. »Wofür denn?«

»Dass du sie nicht von oben herab behandelst. So sieht sie, dass es Ausnahmen wie dich gibt, die sich nicht zu überqualifiziert für« – sie malt mit den Fingern Gänsefüßchen in die Luft – »niedere Arbeiten halten.«

»Davon abgesehen, dass ihr definitiv keine niederen Arbeiten verrichtet. Solange mich kein Patient braucht, warum nicht? Aber weißt du, was ich mich frage?«

»Was denn?«

»Das, was du vorhin angesprochen hast. Du weißt schon, die Sache mit den Analgetika. Wie hast du das gemeint?«

Ein erstaunlich zufriedener Blick, den ich mir nicht erklären kann, ist alles, was ich von ihr als Antwort bekomme, da sich in diesem Moment die Glastür öffnet. Das Geräusch, welches dabei entsteht, hat einen pawlowschen Effekt auf uns beide und die anderen anwesenden Pflegekräfte, die sofort ihre Köpfe aus angrenzenden Räumen stecken. Na gut, wir fangen nicht wie die Hunde in der Studie an zu sabbern. Allerdings schnellt unser Adrenalinpegel in die Höhe und lässt uns umgehend in Aktion treten.

Doch statt dass ein Notfall die gewohnte Hektik verbreitet, schlendert Robert herein, als würde ihm die Welt gehören. Und verdammt, dieses Lächeln, das er mir schenkt, als er mich sieht. Tja, Scheiße, er trägt wie vereinbart lässige Alltagskleidung, um nicht aufzufallen. So zumindest meine Theorie, die er mit seinem Auftritt widerlegt. Wobei, wem will ich hier etwas vormachen? Er sah gestern schon hinreißend aus. Dieser Kontrast zwischen seiner professionellen und privaten Seite macht mich schwach. Ich kann meinen Blick nicht von ihm abwenden, als er direkt auf mich zuhält. Mit jedem Schritt, den er näher kommt, werden meine Knie weicher. Ich muss mich dringend zusammenreißen, andernfalls ende ich in einer Pfütze aus heißem Verlangen.

Sein hungriger Blick hält meinen gefangen, bis er vor mir steht – keine Armlänge entfernt. In der nächsten Sekunde zieht er mich am Revers meines Kittels ruckartig nach vorn. Ich lande mit einem Keuchen hart an seiner Brust und Robert raunt verführerisch: »Hey, du! Ich hab dich vermisst.« Daraufhin drückt er seinen Mund auf meinen, setzt damit sämtliche höheren Hirnregionen außer Kraft und feuert mein limbisches System an, das für triebgesteuertes Verhalten zuständig ist. Und ich rede jetzt nicht von essen und trinken.

Wie auf Autopilot schlinge ich meine Arme um seinen Hals und lasse zu, dass er mich küsst, als wären wir allein in meinem oder seinem Schlafzimmer. Wogegen ich im Augenblick absolut nichts einzuwenden hätte.

Nur das überraschte Keuchen hinter mir holt mich in die Realität zurück, die daraus besteht, dass ich mitten in der Notaufnahme von Agent Robert Flinn in den Wahnsinn geknutscht werde. Die unschöne Unterbrechung hält mich ebenfalls davon ab, mir sämtliche Kleider vom Leib zu reißen und Robert anzuflehen, mich hier und jetzt zu nehmen. Ich schließe für einen Moment die Augen, um mich zu sammeln, und höre ein raues Lachen, sehr nah vor mir. Als ich die Augen wieder öffne, begegnet mir Roberts schelmisches Grinsen.

So leise wie möglich frage ich: »Das nennst du eine normale Begrüßung unter Liebenden?« Ich schüttle den Kopf. »Ich nenne das Vorspiel.«

Abermals entkommt ihm ein amüsiertes Lachen, das mir sofort unter die Haut geht und meinen Körper erneut darum betteln lässt, diese unnötige und unerfreuliche Unterbrechung zu ignorieren und von Robert die Sache zu Ende bringen zu lassen, die er begonnen hat. Wenn wir nur nicht in der Öffentlichkeit wären und zwei breit grinsende Ladys hinter der Anmeldung stünden. Inzwischen hat sich Mary an Sharons Seite gesellt, während vor dem Schockraum zwei Lernschwestern die Köpfe zusammenstecken und kichernd miteinander tuscheln, und Sharon bühnenreif verkündet: »Na, das ist ja mal eine Überraschung. Dann ist an dem Spruch Was sich liebt, das neckt sich doch etwas dran, hm?« Da Roberts Leute seit Monaten hier ein und aus gehen, kennt sie ihn natürlich.

»Und ich hatte angenommen, die zwei können sich nicht leiden«, murmelt Mary.

Robert streicht meinen Kittel glatt und rückt das Stethoskop zurecht, das droht aus meiner rechten Tasche zu fallen, wohingegen ich versuche, die weiblichen Kommentare zu ignorieren. Dann schenkt er mir ein schiefes Grinsen und fragt vor aller Ohren: »Wie war die Nacht, Honey?« Er blickt sich vielsagend um. »Scheint nichts los zu sein.« Er drückt mir einen Kuss auf die Wange und wendet sich anschließend an Sharon und Mary. »Hallo, die Damen.«

Mary kichert wie ein verschüchtertes Schulmädchen, während Sharon eine Augenbraue hochzieht. »Wann ist das denn bitte passiert?«, fragt sie, derweil sie zwischen Robert und mir hin und her deutet.

»Sharon, Schnuckelmäuschen, du schuldest mir zehn Piepen«, ertönt Shauns selbstgefällige Stimme von der Eingangstür. Wo kommt Shaun denn jetzt auf einmal her?

Perplex werfe ich erst Shaun einen Blick zu, der geschmeidig auf uns zukommt, dann Robert, der mich immer noch in seinen Armen hält, aus denen ich mich widerwillig löse, um mich zu Sharon umzudrehen. Ich komme mir vor, als wäre ich im falschen Film. Mein Blick irrlichtert herum und landet wieder auf Robert, der rot anläuft, als würden ihm jede Sekunde Dampfwölkchen aus den Ohren aufsteigen. Sein Mund öffnet und schließt sich wieder. Ihm fehlen offensichtlich die Worte.

Shaun stoppt neben mir. »Sorry, Leute, ich war noch tanken. Hab ich was verpasst?« Dann nickt er Robert zu. »Ja, die liebe Sharon hat von unserer kleinen Wette erfahren und ist vor ein paar Wochen eingestiegen. Allerdings …« Er wendet sich Sharon zu, die gespielt schmollt. »Ich hab doch gesagt, zwischen den beiden läuft was.«

Dieser hinterhältige Mistkerl. Er weiß doch, dass das alles zur Show gehört. Vielmehr zu mir selbst als an irgendwen gerichtet, murre ich: »Es gibt keinen Grund für eine Wette.« Und dass sich die zwei so gut kennen, hätte ich jetzt auch nicht erwartet. Heute scheinen hinter jeder Ecke Überraschungen auf mich zu lauern.

»Lass ihm seinen Spaß«, flüstert mir Robert ins Ohr.

Ich atme tief durch, erinnere mich daran, warum wir diese Scharade aufführen. Derweil Shaun mit Sharon und Mary schäkert, sage ich zu Robert: »Ich hatte nicht angenommen, dass ihr beide herkommt.«

Robert nimmt meine Hand so selbstverständlich, als wären wir tatsächlich ein Paar, und zieht mich zum Ausgang, während er über seine Schulter ruft: »Ich bring den Doc gleich wieder zurück.«

Gelächter und zotige Sprüche folgen uns, als wir zur überdachten Zufahrt hinaustreten, die immer noch erschreckend entvölkert wirkt. Wäre ich abergläubisch, würde ich die Ruhe als böses Omen ansehen. Und da es derart ruhig ist, müssten wir wohl mit einem Hurrikan rechnen.

Außer Sichtweite löse ich meine Hand aus Roberts. »Was ist passiert?«

Sein Blick wird ernst. Statt mir zu antworten, versichert er sich, dass wir allein sind. Was in Anbetracht der seltsamen Stille, die hier herrscht, lächerlich erscheint.

»Jetzt sag schon«, fordere ich ungeduldig.

Robert umfasst mein Handgelenk, was mir erneut einen sinnlichen Stromstoß versetzt. Meine Libido bricht in Jubelgesang aus und schwingt anfeuernd die Pompons. Innerlich schreie ich sie an, ja die Kontrolle zu behalten. Einen unnötig langen Moment später, in dem Robert einfach nur auf die Stelle starrt, an der wir uns berühren, dreht er meine Handfläche nach oben und lässt etwas hineinfallen.

Ich blinzele verwirrt auf einen kleinen, merkwürdig geformten, beigefarbenen Knopf, aus dem ein Stück Draht herausschaut. »Was ist das?«

»Ein Com-Stöpsel. Darüber können wir Kontakt halten. Robert und ich tragen ebenfalls einen.« Er deutet auf sein linkes Ohr.

Ich beuge mich zur Seite, um hineinzusehen. Tief im Gehörgang kann ich das Ende des Drahts erkennen.

»Ist ein Headset«, erklärt Robert. »Die Verbindung ist abhörsicher. Das Material passt sich ergonomisch an. Du wirst es in ein paar Minuten gar nicht mehr spüren.«

Ich nehme das Teil vorsichtig von meiner Hand und schaue es mir genauer an. »Höre ich dann immer noch alles um mich herum?«

»Natürlich. Du wirst keinen Unterschied merken.« Er tippt sich erneut ans Ohr. »Nur sanft den Draht berühren, während du sprichst. Der funktioniert wie eine Push-to-Talk-Taste an einem Mikrofon. Dann nennst du den Namen desjenigen, den du sprechen willst, und es wird umgehend eine Verbindung aufgebaut, die unterbrochen wird, sobald du den Finger wegnimmst. So vermeiden wir, ständig im Kontakt zu stehen. So ähnlich hat Shaun es mir jedenfalls erklärt. Angeblich sind die Dinger das Modernste, was das FBI zu bieten hat. Frag mich nicht. Ich kenn mich damit nicht wirklich aus. Ich vertrau da mal auf seine Meinung, oder besser gesagt auf Shauns Betthasen aus der Technikabteilung.« Robert grinst verschlagen. »Sag ihm nicht, dass ich dir das verraten habe.«

Erstaunt platzt mir heraus: »Shaun vögelt einen aus der Technik?« Ich senke sofort die Stimme. »Ist das überhaupt erlaubt?«

Robert runzelt die Stirn. »Weiß nicht. Hab ich mir ehrlich gesagt noch nie Gedanken drüber gemacht. Aber wenn du mich fragst, könnte es zu einem Problem werden, wenn Partner eine romantische Beziehung eingehen. Was irgendwie nachvollziehbar ist. Ich würde auch nicht mit ansehen wollen, wenn die Liebe meines Lebens bedroht wird. Ich glaube schon, dass man dann nicht mehr fähig ist, rational zu denken. Es kann durchaus …«

»Wie auch immer«, unterbreche ich Roberts ungewöhnlichen Wortschwall. »Warum ist Shaun hier?«

Robert verzieht das Gesicht, als müsste er zu einer Wurzelbehandlung ohne Betäubung. »Offiziell hilft er mir, Nicolettas Party vorzubereiten. Inoffiziell kratzt er allen Charme zusammen, den er aufbringen kann, um Sharon um den Bart zu gehen.«

»Was erhofft er sich denn davon? Denkt er, sie würde ihm mehr über Thompson erzählen?«

»Unter anderem.«

»Unter anderem? Sag schon, was …«

»Wo bleibt die Sightseeing-Tour, die du mir versprochen hast?«, unterbricht mich Robert grinsend. »Du weißt doch, Paare wollen immer alles voneinander wissen.« Er senkt erneut die Stimme, sodass ich mich unwillkürlich vorbeuge, um ihm aufmerksam zu lauschen. »Kannst du dich in die Apothekendatenbank einloggen?«

»Du willst, dass ich …? Nein, das wird nicht klappen. Ich kann dir nur zeigen, wie unser System funktioniert. Aber ich habe keinen Zugriff, um einen Blick in die Lagerbestände der Apotheke zu werfen, falls du das damit bezweckst. Ich wüsste auch nicht, wen ich fragen könnte.«

»Okay, dann überlass das uns.«

»Was genau habt ihr denn über Roger Thompson herausgefunden?«

»Seltsamerweise existiert eine Polizei-Akte über ihn.«

»Tatsächlich? Was steht da drin?«

»Drei Wochen bevor er sich« – Robert malt Gänsefüßchen in die Luft – »das Leben nahm, ging er zur Polizei, um Unregelmäßigkeiten bei der Medikamentenausgabe zu melden. Der Officer, mit dem er damals gesprochen hatte, riet ihm, die Angelegenheit fürs Erste intern zu klären.«

»Ja, und weiter?«

»Nichts weiter. Die Akte wurde eine Woche vor Thompsons Tod von eben jenem Police Officer geschlossen. Wenn du mich fragst, wirkt das in Anbetracht deiner Schilderungen aus heutiger Sicht seltsam.«

»Ist es. Und es bedeutet, dass das Problem schon viel länger besteht. Ich meine …« Ich erstarre und mir läuft ein kalter Schauer über den Rücken. »Scheiße, ich hatte recht.« Plötzlich wird mir schwindlig und ich muss mich an der Wand abstützen, damit ich nicht auf die Knie gehe.

Starke Hände packen meine Oberarme und halten mich aufrecht. »Hey, was ist los?«, höre ich Robert besorgt fragen.

»Thompson ist zur Polizei gegangen und wurde nicht ernst genommen. Und eine Woche bevor er sich das Leben nimmt, wird die Akte unverrichteter Dinge geschlossen? Findest du nicht, dass das zum Himmel stinkt?«

»Das Gleiche haben Shaun und ich auch gedacht. Wir haben versucht, Kontakt zu besagtem Officer aufzunehmen. Also dem, der Thompson abgewiegelt hat. Und jetzt rate mal.«

»Er hat den Arbeitgeber gewechselt?«

»Nein, er ist kurz nach Thompsons Ableben spurlos verschwunden.«

»Wieso ist das niemandem aufgefallen? Ich meine, da besteht offensichtlich ein Zusammenhang.«

»Es hat sich keiner die Mühe gemacht, genauer hinzusehen. Hättest du uns nicht den Namen genannt …« Er zuckt die Schultern. »Warum sollte sich jemand eine Akte anschauen, die geschlossen wurde?«

Plötzlich ist meine Angst verschwunden und ich bin entschlossener denn je, der Sache auf den Grund zu gehen. »Wenn mein Name nicht auf einem Tablettenröhrchen Oxy gestanden hätte, das ich nie verordnet habe, hätte ich vielleicht auch nicht weiter nachgeforscht.« Ich lege Robert meine Hand auf die Schulter und manövriere ihn in Richtung Eingang. »Na komm, nutzen wir den ruhigen Moment aus. Wer weiß, wie lange er anhält. Ich hatte eben sowieso vor, die Bestände zu prüfen. Also die in der Notaufnahme.« Ich halte abrupt inne und murmele geistesabwesend: »Was ist, wenn es nicht nur die Notaufnahme betrifft?«

»Darum wollen wir einen Blick in die Apothekendatenbank werfen«, erklärt Robert. »Überleg doch. Würde ich mir Medis beschaffen, um diese auf dem Schwarzmarkt zu verticken, würde ich doch so unauffällig wie möglich bleiben wollen und …«

»Die Beschaffungsquellen so weit streuen, dass Fehlbestände niemandem auffallen oder schlimmstenfalls unter Schlamperei verbucht werden«, beende ich Roberts Spekulation. »Aber wieso würde jemand meinen Namen missbrauchen?« Ich winke ab. »Vergiss es. Mir ist schon klar warum.« Entsetzen kriecht in mir hoch.

»Tut mir leid. Aber es könnte wirklich so sein, dass dein Name ins Spiel gebracht wurde, um dich als Sündenbock hinstellen.«

»Und hat das von langer Hand geplant. Aber wer zum Teufel? Und warum ausgerechnet ich?«

Robert streicht mir tröstend über den Arm. Sein Blick ist voller Mitgefühl, als er mit einem sanften Lächeln beteuert: »Wir finden das heraus, versprochen.«

Gemeinsam kehren wir in die Notaufnahme zurück, wo wir Shaun in einer Traube weiblicher Aufmerksamkeit vorfinden. Die Ladys – inklusive Sharon – himmeln ihn an, während er den Charmebolzen spielt und sie mit einer Geschichte über Robert amüsiert. »Und wisst ihr was? Bobby ist dem guten Doc bereits vom ersten Augenblick verfallen. Er wusste es nur nicht.« An Sharon gerichtet fügt er an: »Tut mir leid, Liebes, aber du hattest keine Chance. Sie haben sich so angegiftet, da musste Liebe dahinterstecken.« Er schnaubt gespielt herablassend. »Dass die zwei ausgerechnet vor aller Augen übereinander herfallen müssen, also das …«

»Was zum Teufel erzählst du da?!«, beschwert sich Robert.

Shaun dreht sich um und blickt uns gleichmütig an. Er hat offensichtlich nicht mal den Hauch eines schlechten Gewissens. »Nur die Wahrheit, Bobby. Seid ihr jetzt endlich fertig mit der Begrüßung? Du weißt doch noch, warum wir überhaupt hier sind, oder?«

»Wegen der Party«, murmelt Robert kleinlaut. Er klingt so ehrlich zerknirscht, dass ich ihm einen erstaunten Blick zuwerfe. Er weiß hoffentlich noch, dass wir Theater spielen und er das nicht wirklich tun muss.

»Party?«, ruft Sharon neugierig. »Aber doch keine Verlobungsparty, oder? Nicht, dass ich nicht gern dabei wäre, aber meint ihr nicht, das geht ein wenig zu fix?«

Allgemeines Getuschel brandet auf und ich hebe die Hände, um weitere Spekulationen im Keim zu ersticken. »Um Himmels willen, es geht um meine Schwester.«

»Nicoletta?«, hakt Sharon nach und strahlt mich an. »Sag bloß, sie lässt sich auch mal wieder hier blicken.«

Mary fragt Sharon erstaunt: »Du kennst die Schwester von Doc Bonasera?«

Gute Frage.

»Natürlich. Sie hält immer ein Schwätzchen mit uns, wenn sie mal nach Beverly Hills kommt, um ihren Bruder auf der Arbeit zu besuchen.« Sharon wirft mir einen vorsichtigen, beinahe wachsamen Blick zu.

Immer? Bisher war Nici ganze zwei Mal im Sinai. Und das nicht wegen mir, sondern um Dad zu besuchen. Was für ein Spiel treibt die Frau hier eigentlich? Ich versuche, mir meine Verwunderung nicht anmerken zu lassen, und entgegne freudig erstaunt: »Mir war nicht klar, dass ihr euch so gut kennt. Aber ich kann mir vorstellen, dass ihr lieber mit ihr statt mit mir tratscht.«

»Das ist absolut nicht wahr«, beschwert sich Sharon. »Na ja, vielleicht ein bisschen. Aber ab heute wird sich das ändern, richtig?« Ein herausfordernder Blick in meine Richtung folgt.

Ich salutiere. »Sehr wohl, Ma’am. Ab heute werde ich jeden Tratsch mit Freuden mit euch teilen.«

Gelächter und übertriebener Jubel brandet auf, was ich mit einem gutmütigen Kopfschütteln über mich ergehen lasse.

Shaun legt Robert einen Arm um die Schultern und flüstert laut: »Siehst du, Muffin, wenn sogar unser Doc es schafft, sich seinen Kollegen gegenüber zu öffnen, dann wirst du das auch.«

»Lass den Quatsch«, schnappt Robert.

Shaun zieht seinen Partner auf, weil dieser offensichtlich ebenso zurückhaltend ist wie ich, Arbeitsfreundschaften zu schließen. Dennoch stelle ich erstaunt fest, dass ich es überhaupt nicht leiden kann, wenn er ihn Muffin nennt, obwohl mir bewusst ist, dass es nur im Spaß ist. Eifersucht? Wirklich? Allmählich scheine ich den Verstand zu verlieren. Und weil mein armes, geschundenes Herz Agent Robert Flinn beschützen will, sage ich: »Lass ihn reden. Er weiß es nicht besser.«

Shaun beugt sich vor und schielt an Robert vorbei zu mir rüber. »Ihr zwei habt euch echt gesucht und gefunden.« Während sich die Mädels köstlich darüber amüsieren, wie wir von Shaun liebenswert vorgeführt werden, senkt dieser die Stimme und lässt uns wissen: »Wir brauchen jemanden, der sich tief ins System hacken kann.«

Robert entgegnet leise: »Sal ist nicht der richtige Ansprechpartner. Ich habe ihn schon gefragt.«

»Und wie ich bereits gesagt habe, kenne ich niemanden, den ich fragen könnte.«

»Wir schon«, kontert Shaun.

»Du willst Fallon mit reinziehen?«, zischt Robert fassungslos.

»Verdammt, das ist nicht, was ich beabsichtigt hatte«, murmle ich unglücklich.

Ohne weiter darauf einzugehen, wendet sich Shaun an den aufgeregt schnatternden Haufen vor uns. »Meine Damen, es war mir ein außerordentliches Vergnügen. Das nächste Mal bringe ich Donuts mit, versprochen.« Mary seufzt verzückt und schmachtet Shaun noch mehr an. »Aber jetzt müssen wir uns um Dinge kümmern, die unsere volle Aufmerksamkeit erfordern.«

»Die Party des Jahres«, entgegnet Sharon begeistert.

»Sehr richtig erkannt.« Shaun verbeugt sich hoheitsvoll. »Gehabt euch wohl, ihr holden Schönheiten.«

Als er uns in den hinteren Gang schiebt, sage ich: »Jetzt warte doch mal. Ich dachte, du wolltest sie wegen Thompson ausquetschen.«

»Ich hab alles erfahren, was ich wissen musste.«

»Innerhalb von nicht einmal fünf Minuten?«, frage ich perplex.