18

- SALVATORE -

»W as hat er damit gemeint?«, frage ich den liebenswert verlegenen Mann neben mir erneut.

»Ledecky liegt mir schon seit Wochen in den Ohren, dass ich dich fragen soll, ob du dir vorstellen kannst, für das FBI zu arbeiten. Also in seinem Team und somit mit uns, um genau zu sein.« Er atmet aus. »So, jetzt ist es endlich raus. Sorry, Sal, ich hätte es dir …«

Urplötzlich platzt mir ein Prusten heraus und ich klatsche mir erschrocken die Hand auf den Mund. Doch sowie ich meinen Blick wieder auf Bobby richte, ist es endgültig um mich geschehen. Er blinzelt mich verwirrt an und mit einem Schlag fällt sämtliche Anspannung der letzten Wochen von mir ab. Denn mir wird mit einem Mal bewusst, dass das die Antwort auf meine unterschwellige Unzufriedenheit ist. Ich habe immer wieder nach Herausforderungen gesucht. Zum FBI zu gehen, wäre die ultimative Herausforderung. Ich verfalle ins Kichern, als würden imaginäre Finger meine kitzligsten Stellen traktieren. Ich kann ums Verrecken nicht aufhören zu lachen.

»Sal, um Gottes willen!«

Abermals versuche ich, mich zu beherrschen. Keine Chance. Ich gackere nahezu hysterisch weiter.

»Sally, hol Luft! Du läufst schon blau an.«

Damit reißt mich Bobby aus meiner Überreiztheit und ich starre ihn erschrocken an.

Ein Lächeln huscht über sein Gesicht und er streicht mit den Fingerspitzen über meine Kinnlinie. »Schon besser. Und jetzt wirst du bitte versuchen zu schlafen. Du hast später noch Zeit, darüber nachzudenken. Ich kümmere mich um den Rest.«

Ich will diesen Moment nicht ungenutzt verstreichen lassen. Dennoch muss ich mir eingestehen, dass ich ausgebrannt bin. »In Ordnung«, gebe ich mich geschlagen.

Für jeden anderen wäre es noch früh am Abend, als ich die Augen schließe. Es ist kurz nach acht. Für mich fühlen sich die letzten zwei Tage wie ein Hürdenlauf mit anschließendem Marathon der Superlative an, als hätte ich ein Jahr lang nicht geschlafen. Die Ereignisse prasselten geballt und ungebremst auf mich ein. Und ich bin verdammt froh, da nicht allein durch zu müssen. Zu wissen, dass Bobby für mich da ist, bedeutet mir alles.

Innerhalb von Sekunden sinke ich in einen traumlosen Schlaf.

* * *

Sonntag

Ungewohnte Hitze in meinem Rücken lässt mich verwundert die Augen aufschlagen. Mein Blick fokussiert sich allmählich und ich schaue mich regungslos um. Ich liege in meinem Bett und es fühlt sich an, als hätte ich ein riesiges Heizkissen im Kreuz, ein hartes mit Tentakeln.

Da ist nämlich noch etwas. Also abgesehen davon, dass inzwischen die Sonne ins Schlafzimmer fällt, deren Position darauf hindeutet, dass es bereits später Vormittag sein muss. Ein schwerer Arm liegt auf meiner Seite und eine Hand presst sich flach auf meine Brust.

Himmel, ich muss gestern Abend echt fertig gewesen sein, wenn ich nicht einmal mehr bemerkt habe, wie Bobby zu mir ins Bett gekrochen kam. Was ich erhofft hatte, mir aber nicht sicher war, ob es tatsächlich passieren würde. Ist es aber. Und ihn hier bei mir, um mich herum gewickelt zu haben – sein Bein liegt ebenfalls auf mir drauf –, lässt mich auf ganz andere Dinge mit ihm hoffen. Allen voran …

»Du bist schon wach«, murmelt Bobby mit schläfriger Stimme in mein Ohr, drückt seine Nase in mein Haar und zieht mich fester an sich.

Ich streichle sanft seinen Unterarm, spüre den feinen Härchen nach und stelle erfreut fest, dass Bobby dadurch eine Gänsehaut bekommt. Ich lache, gehe aber nicht darauf ein, sondern fahre damit fort, ihn zu erkunden. »Ja, ich bin wach. Ehrlicherweise muss ich zugeben, ich würde nichts lieber tun, als einfach nur für den Rest meines Lebens hier liegen zu bleiben und die Welt da draußen sich selbst zu überlassen. Wobei ich eh Schwierigkeiten hätte, aufzustehen.«

Bobby entkommt ein Glucksen. »Entschuldige. Wie es scheint, bin ich ein Kuschelbär.«

»Wogegen es nichts einzuwenden gibt.« Ich kuschele mich noch enger an ihn, was fast unmöglich ist, da wir schier aneinanderkleben, und sage: »Es tut mir leid, dass ich deinen Henry nicht kennengelernt habe. Ich hoffe, er ist mir nicht böse.« Nun drehe ich mich doch um und schaue in Bobbys knittriges Gesicht, aus dem mich zwei steingraue Augen anblinzeln. Sie sind so voller unausgesprochener Emotionen, die mir derart unter die Haut gehen, dass ich mich erst einmal räuspern muss. »War er überhaupt hier? Sorry, ich habe rein gar nichts mehr mitbekommen.«

Bobby lächelt mich verschlafen an. »Henry war da. Er lässt dir ausrichten, dass es schlimmer aussah, als es tatsächlich war. Als ich mit ihm telefoniert hatte, meinte er, er würde heute noch mal kommen müssen. Aber das war gar nicht nötig. Und du musst dich ganz sicher für nichts entschuldigen.«

»Aber ich werde mir etwas überlegen, um ihm dafür zu danken, dass er das für mich getan hat. Ich hoffe, er hat dir gesagt, was er an Geld bekommt.«

»Das musst du mit ihm klären. Er meinte, er würde sich freuen, wenn du beim nächsten Scrabble-Abend dabei wärst.«

»Das lässt sich bestimmt einrichten.« Ich drücke mein Gesicht gegen sein Schlüsselbein und atme tief ein. Ein genüssliches Schnurren ist zu hören und ich schaue Bobby gespielt vorwurfsvoll an.

»Hey, das war ich nicht«, erklärt er lachend.

Während ich mich wieder bei ihm ankuschele, kämpfen sich die Ereignisse der letzten Tage und Stunden in mir hoch und lassen mich unruhig werden. Seufzend drehe ich mich um und setze mich auf die Bettkante.

Bobbys warme Hand streicht über meinen Rücken. »Rede mit mir.«

Ich schaue zu ihm zurück und genieße für einen kleinen Moment die Tatsache, dass er wirklich und wahrhaftig hier bei mir ist. Mit nacktem Oberkörper liegt er mir zugewandt. Die Decke ist ihm über die in Boxershorts steckenden Hüften bis zu den Oberschenkeln gerutscht, die stark und kräftig dazu einladen, sie genauer zu erkunden. Ich drehe mich weiter zu ihm um und komme meinem Bedürfnis nach, ihn berühren zu wollen, indem ich mit den Fingerspitzen sein Schlüsselbein entlangfahre und durch sein Brusthaar streiche. »Du bist eine Augenweide, Agent Flinn.«

Ein strahlendes Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus. »Ich kann mich über den aktuellen Ausblick auch nicht beschweren.«

Ich ziehe meine Hand zurück. »Wir haben echt ein blödes Timing, oder?«

»Wieso?«

»Weil wir keine Zeit haben, um …« Ich wedle mit den Händen vor ihm herum. »Na, du weißt schon.«

Bobby setzt sich auf und rutscht an mich heran. Dann nimmt er mein Gesicht in die Hände und sieht mir tief in die Augen. »Wir werden uns ganz viel Zeit für Du-weißt-Schon nehmen, versprochen. Jetzt ist erst einmal wichtiger, dass ich dir Frühstück mache.«

»Du willst mir Frühstück machen? Lass mich raten, es gibt Rührei.«

Mit einem Lachen werde ich von ihm zurück aufs Bett und unter ihn gezogen, bis er über mir aufragt und meint: »Ja, mit Speck und Zwiebeln.«

Ich streiche ihm sanft über den Rücken und seine Schulterpartie, spüre jedem Muskelstrang nach und kann nicht genug von seiner samtig weichen Haut bekommen. »Das wird ein Problem. Ich war die Tage nicht einkaufen, verstehst du?«

»Ich weiß. Darum bin ich gestern Abend noch mal los, nachdem Henry fertig war, und habe alles geholt, was wir für eine leckere, ausgewogene Mahlzeit benötigen.«

Mein Herz flattert und Schmetterlinge in meinem Bauch schließen sich ihm an, als ich meinen Kopf hebe, Bobby einen festen Kuss auf den Mund drücke und murmle: »Dich behalte ich.« Augenblicklich wird mir klar, was ich da gesagt habe, und rudere zurück: »Ich meine, es ist toll, dass …«

Bobbys Zeigefinger landet auf meinem Mund. »Nicht. Mach das nicht.«

»Was?«, nuschle ich um seinen Finger herum.

Doch statt mir zu antworten, springt er vom Bett und erklärt: »Auf, auf! Es gibt viel zu tun. Oder besser gesagt, es gibt viel zu erfahren. Für dich zumindest. Denn du hast ja alle guten Neuigkeiten verschlafen.« Daraufhin stapft er ins Bad.

Es dauert ein wenig, bis seine Worte in meinem Gehirn ankommen. Was wohl daran liegt, dass ich schon wieder von seinem hinreißenden Körper abgelenkt wurde. »Moment mal!«, rufe ich ihm nach und eile ihm hinterher. Als ich in der Badtür stehe, wird mir klar, dass ich ziemlich unüberlegt hereingeplatzt bin. Denn inzwischen läuft das Duschwasser und Bobby hat sich des letzten Stück Stoffs entledigt. Soll heißen, er steht in seiner ganzen Pracht vor mir.

Als meine Augen endlich in seinem Gesicht angekommen sind, sehe ich, dass er mich schief angrinst. »Ist das wieder die Sache mit der Aussicht?«

Ich räuspere mich verlegen. »Entschuldige, ich wollte nicht …«

Sofort ist Bobby bei mir, zieht mich in seine Arme und ich spüre all die wunderbare Nacktheit auf meiner Haut. »Verdammt, Sal, mir war nicht klar, wie schüchtern du sein kannst.«

»Bis eben wusste ich das selbst nicht. Aber du machst was mit mir, das mich ständig aus dem Konzept bringt.«

Er lacht ausgelassen und nickt Richtung Dusche. »Wir sollten Wasser sparen, findest du nicht?«

Ich zucke die Schultern. »Ist ja nicht dein Wasser. Lass ruhig laufen, bis es warm genug ist.«

Sein Gesicht kommt mir immer näher. »Ich meinte allerdings, dass es ökologisch wertvoller wäre, wenn wir zusammen duschen.«

»Oh!«

Erneut entkommt ihm ein gelöstes Lachen. »Himmel, Sally, du machst mich fertig.«

Ich grinse ihn an.

Er stockt und fragt: »Was ist jetzt wieder?«

»Du bist der Einzige, bei dem ich es nicht schrecklich finde, dass er mich Sally nennt.«

Er küsst mich sanft auf die Lippen. »Glaub mir, ich sehe kein Mädchen mit Zöpfen, wenn ich das sage. Ich sehe nur einen starken, einfühlsamen Mann, den ich wirklich sehr gern viel besser kennenlernen möchte. Und zwar ganz viel besser.«

»Das klingt seltsam.«

»Ist mir egal. Ich kann gerade nicht klar denken. Und daran bist du schuld.«

»Okay, ich schäme mich … ein bisschen. Oder nein, ausgleichende Gerechtigkeit nennt man das.«

Mit rauer Stimme fordert Bobby: »Mach dich nackig.«

Das bringt nun mich zum Lachen. »Sorry, sollte das verführerisch klingen?« Er ist heiß, da gibt es keinen Zweifel. Ich mag seinen Körper. Nein, es ist mehr als das. Ich begehre ihn über alle Maßen. Aber Bobby ist nicht nur ein Körper, er ist so viel mehr. Und all das zusammen ergibt ein wunderbares Gesamtpaket.

Als Bobby sich feixend umdreht, halte ich ihn auf und sage so nachdrücklich und ernst, wie ich kann: »Ich sehe einen Mann mit einem großen Herzen, den ich wirklich sehr gern viel besser kennenlernen möchte. Und zwar ganz viel besser.«

Seine Augen verdunkeln sich und er reicht mir einladend seine Hand. »Dann lass uns gleich damit beginnen.«

»Einen Moment. Ich hole uns nur frische Handtücher.« Ich schlüpfe hinaus und ins Ankleidezimmer. Kurz darauf höre ich die Toilettenspülung. Oh, stimmt, ich hatte da auch noch was vor. Zurück im Bad, ist Bobby bereits unter der Dusche. Er steht mit dem Rücken zu mir, seinen Kopf in den Nacken gelegt, derweil ich mich meiner Shorts entledige, fix erleichtere, dann zu ihm unter den Duschstrahl trete und meine Hände auf Wanderschaft schicke.

Er wendet sich mir sofort zu, umarmt mich und flüstert mit sexy Stimme: »Hallo du.«

Die folgenden Minuten – gefühlte wunderbare Stunden – genießen wir einander auf eine Ebene, die ich so noch nie erlebt habe. Ich kann nicht genug davon bekommen, Bobby zu schmecken und seinen Duft tief in mich aufzunehmen, derweil meine Hände über all diese herrlich weiche Haut gleiten, um verheißungsvolle Hügel und Täler zu kartographieren, während unsere Küsse mit jeder Sekunde gieriger werden.

Bobby drückt mich rücklings gegen die Fliesenwand und dreht den Spieß um, indem nun seine warmen Hände meinen Körper erforschen.

Es ist feucht, heiß und eine Kakofonie aus fluchen, flehen und versprechen erfüllt die Duschkabine. Und dennoch ist es weit mehr als körperliche Begierde. Es ist, als würden sich unsere Seelen füreinander öffnen. Mit jeder Berührung, jedem geflüsterten Wort fühle ich mich mehr mit ihm verbunden, spüre die absolute Gewissheit, dass er mir niemals etwas vorspielen, geschweige denn mich anlügen würde.

Bei Gott, ich hatte schon Sex unter der Dusche, aber das, was Bobby mit mir anstellt und umgekehrt, übertrifft bei Weitem all meine Vorstellungen, die ich jemals davon hatte, von einem Mann begehrt und ja, ich möchte behaupten, verehrt zu werden.

Mich trifft wohl der intensivste Orgasmus meines Lebens, als ich mich über Bobbys Hand ergieße und er mir nur einen Atemzug später in die Erlösung folgt.

Schwer atmend halten wir uns aneinander fest und grinsen uns glückselig an.

»Wow«, seufze ich.

»Ja, absolut wow.«

* * *

Es ist gegen halb elf, als wir endlich in der Küche sitzen und hungrig über das von Bobby gezauberte Frühstück herfallen.

Nachdem der erste Hunger gestillt ist, nehme ich einen Schluck von meinem Kaffee und wende mich Bobby zu. So ungern ich unsere kleine Blase der Zweisamkeit platzen lasse, es wird Zeit, mich dem Drama in meinem Leben zu widmen. »Okay, welche tollen Neuigkeiten habe ich verschlafen?«

Er wischt sich mit einer Serviette den Mund sauber und fokussiert seine ganze Aufmerksamkeit auf mich. Auch etwas, wovon ich wahrscheinlich nie genug bekommen werde. Im Mittelpunkt eines Mannes wie Bobby zu stehen, fühlt sich unglaublich an. »Man könnte behaupten, es war noch relativ früh am Tage, als du in einen komatösen Schlaf gefallen bist. Also viel Zeit, in der viel passieren kann. Um es vorwegzunehmen, ich weiß seit heute Morgen um drei, was ich dir jetzt erzähle. Da wäre Sharon. Sie ist aus dem Koma erwacht und konnte befragt werden.«

»Oh mein Gott, das ist super! Wie geht’s ihr? Und was hat sie gesagt?« Vor lauter Aufregung fällt es mir schwer, ruhig sitzen zu bleiben. Weshalb ich vom Barhocker springe und auf und ab gehe, bis Bobby meine Hand ergreift, mich zwischen seine Beine zieht und sanft an Ort und Stelle festhält.

»Sharon geht es den Umständen entsprechend. Sie wird eine Weile im Krankenhaus bleiben müssen. Nachdem Fallon Levine abgeliefert hat, fuhr sie mit einem Kollegen zu ihr, um sie zu befragen. Ihre Aussage deckt sich mit der von Mason. Was uns jetzt nicht wirklich überraschen sollte, da sie sich genauso gut hätten absprechen können. Einige Angaben werden heute noch von Fallon verifiziert.«

»Sharon wird nicht in ein Gefängniskrankenhaus verlegt?«

»Sie hat den Medikamentendiebstahl zugegeben. Die Staatsanwaltschaft wird sie dafür zur Rechenschaft ziehen, aber sie muss nicht in U-Haft. Alles andere ist tragisch, jedoch nichts, wofür sie strafrechtlich verfolgt werden kann. Sollten sich im Laufe der weiteren Ermittlungen belastende Umstände für sie ergeben, sieht die Sache allerdings anders aus.«

»Bin ich irre, wenn ich sage, dass ich erst einmal froh darüber bin?«

»Nein. Ich kann dich verstehen. Jedenfalls hat sie mit ihrer Aussage, was vor ihrem Zusammenbruch in der Notaufnahme passiert ist, Doktor Levine ungewollt belastet.«

»Wie das?«

»Sharon erzählte, dass sie sich kurz vorher mit Doktor Levine unterhalten hätte. Heißt, Levine war dort und verfügt womöglich über Motiv und Gelegenheit, Sharon aus dem Weg zu räumen. Übrigens hat Shaun das bestätigen können. Er hatte schließlich alles mit angehört, sich jedoch nichts dabei gedacht.«

»Scheiße, ihr denkt tatsächlich, Brooke hätte den Anschlag auf Sharon verübt?« Es wäre eine Untertreibung, würde ich jetzt behaupten, enttäuscht zu sein.

»Ja, vor allem untermauert nicht nur Marys Aussage unsere Vermutungen. Denn sie erklärte Fallon, dass sie Levine im Schreibtischstuhl hinter der Anmeldung sitzen sah, bevor Sharon sie angesprochen hat. Was sie seltsam fand. Also dass es sich Levine dort bequem gemacht hat, meine ich. Das würde wohl normalerweise kein Arzt tun. Mary erklärte das damit, dass sich alle Ärzte davor aufhalten und lediglich in den Bereich eindringen, um etwas am Rechner nachsehen oder eingeben zu wollen. Was zu 99,9 % im Stehen passiert.«

»Das stimmt. Die meiste Zeit ist es so hektisch, dass wir gar nicht erst auf die Idee kommen, uns hinzusetzen. Und sollte es wie gestern doch mal der Fall sein, dass Flaute herrscht, nutzen wir die Gelegenheit, im Ruheraum abzuhängen und dringend benötigten Schlaf nachzuholen. Zumal die Anmeldung Sharons Revier oder das ihrer Vertretung ist, wenn sie keine Schicht hat. Aber was heißt, der Verdacht wird nicht nur von Marys Aussage gestützt?«

»Die Spurensicherung fand Levines Fingerabdrücke an Sharons Zigarettenschachtel.«

Ich runzle die Stirn. »Aber nicht am Kaffeebecher?«

»Nein. Shaun hat mir eine Nachricht geschickt. Sie haben die Vernehmung von Levine für heute Nachmittag angesetzt. Ledecky hat mein Team gegen drei Uhr in der Früh nach Hause beordert und gemeint, sie sollen sich ausschlafen und erst heute Nachmittag wieder aufschlagen. Sie erwarten uns also«, verkündet Bobby mit einem zufriedenen Grinsen. »Und in Anbetracht der belastenden Aussagen und Beweise dürfte Levines Anhörung interessant werden. Oh, da gibt es noch etwas.«

»Erzähl schon.«

»Sharon hat zugegeben, deine Login-Daten genutzt zu haben, um in deinem Namen diese Tabletten zu verschreiben.«

»Aber wieso?«

»Sie erklärte, dass an diesem Abend nur ein Arzt in der Notaufnahme war. Sie übernahm ein paar Fälle, die nicht so kompliziert waren, wie diesen Patienten zum Beispiel. Er tat ihr leid. Sie wollte nicht, dass er ewig ein Bett belegt, das für andere Patienten wichtiger wäre, also versorgte sie ihn mit Oxy und schickte ihn nach Hause.«

»Das hätte sie mir sagen sollen.«

»Fallon meinte, sie war untröstlich und lässt dir ausrichten, es täte ihr wirklich leid.«

Ich schnaube ungläubig: »Das ist alles total verrückt. Was ist eigentlich mit den Hernández-Brüdern und Mason? Hatte er nicht gesagt, er hätte Beweismaterial, das die zwei hinter Gittern bringt?«

»Mason hat uns einen Schlüssel für ein Bahnhofsschließfach ausgehändigt. Shaun ist hingefahren und hat die hinterlegten Dinge geholt. Darunter eine Speicherkarte, auf der Bilder der Hernández-Brüder sind, die sie mit einschlägigen Dealern zeigen. Offensichtlich sind die Jungs in den letzten Wochen immer überheblicher geworden, dachten, ihre Werkstatt wäre sicher. Tja, zumindest haben wir jetzt genug Gründe, die zwei weiterhin in Gewahrsam zu behalten.«

»Das war alles?«

»Nein, wie sich herausstellte, ist Mason ein wirklich gewiefter Kerl. Er hat des Nachts die Müllcontainer der Werkstatt und der Privatadresse der Idioten durchwühlt. Laut ihm war das eine seiner täglichen Beschäftigungen, in der Hoffnung, endlich etwas Belastendes über sie zu finden. Na jedenfalls, er wurde fündig.«

»Was ist es?«

»Geschredderte Unterlagen. Er hat sie in mühsamer Fummelarbeit wieder zusammengesetzt. Am Ende hielt er eine sehr interessante Liste in den Händen. Darin sind Namen, Druckmittel und die damit erpressten Gelder oder andere Dinge, wie in Sharons Fall Medikamente, aufgeführt.«

»Die führten fein säuberlich Buch und haben es dann einfach entsorgt?«

»Richtig. Es handelt sich dabei um Transaktionen älteren Datums. Wir können also davon ausgehen, dass es irgendwo aktuelle Unterlagen gibt, die wir nur finden müssen. Die Hausdurchsuchung ihrer Werkstatt und Privaträume ist für heute Mittag angesetzt. Was die analoge Buchführung angeht: Im Grunde ist die Idee nicht blöd. So schützen sie sich vor Cyberübergriffen. Sie hätten die Unterlagen eben verbrennen sollen, anstatt sie zu schreddern. Ihr Pech, unser Glück, würde ich mal behaupten.«

»Dann haben sie es tatsächlich im großen Stil aufgezogen?«

»Wie sich zeigte, war Erpressung nicht der einzige lukrative Geschäftszweig, der nicht nur Normalbürger wie Levine, Sharon und Gardner einschließt. Levine hatten sie übrigens wegen ihrer Spielsucht am Wickel. Was noch verheerender ist und einige Dinge in eine andere Perspektive rückt, ist die Tatsache, dass sie eine Gehaltsliste führen, auf der diverse Politiker und Cops zu finden sind. Um Letztere wird sich die Interne kümmern. Die suchen auch denjenigen, der Gardner beschattete.«

»Was denkst du, wird aus Mason und Sharon?«

Achselzuckend entgegnet Bobby: »Sie bekommen selbstverständlich einen Pflichtverteidiger. Aber schlussendlich wird es darauf ankommen, inwieweit sie mit der Staatsanwaltschaft zusammenarbeiten. Ich könnte mir vorstellen, dass Sharon mit einer Bewährungsstrafe davonkommt. Was sie aber ihren Job kosten wird. Und was ihren Bruder angeht, das kann ich nicht sagen. Sicher ist, dass sie es nicht leicht haben werden.«

»Ist es dumm, zu hoffen, dass sie wieder auf die Beine kommen?«

»Nein, ist es nicht.«

Ich schlinge meine Arme um Bobbys Nacken und sinke seufzend gegen ihn. »Bedeutet das, dass es vorbei ist? Ich meine, klar, die Ermittlungen sind noch nicht komplett abgeschlossen, aber so wie es aussieht, ist die Sachlage fürs Erste geklärt, oder?«

Bobby lächelt mich liebevoll an und streicht mir einmal mehr eine Haarsträhne aus der Stirn. »Ja, das bedeutet es. Das befreit dich allerdings nicht davon, deine Aussage zu Protokoll geben zu müssen.«

»Ich tue alles, was notwendig ist, um die Angelegenheit endlich hinter mir zu lassen. Und weißt du was? Irgendwie lege ich gar keinen gesteigerten Wert mehr drauf, bei Levines Vernehmung dabei zu sein.«

»Nicht? Aber wieso? Ich dachte …«

Diesmal bringe ich ihn mit einem Finger auf seinen Lippen zum Schweigen. »Was hältst du davon, wenn ich stattdessen ein Versprechen bei dir einlöse? Vorausgesetzt wir haben noch etwas Zeit, bevor wir zum FBI müssen.«

Bobby ergreift mein Handgelenk und zieht den Finger ein kleines Stück von seinem Mund weg. »Wie gesagt, wir werden um drei erwartet.« Dann beißt er mir sanft in den Finger und schaut mich mit einem feurigen Blick an. »Welches Versprechen meinst du denn? Das, welches du mir vorhin unter der Dusche gegeben hast?«

Meine freie Hand gleitet über seinen Oberschenkel und legt sich herausfordernd in seinen Schritt, wo ich sofort spüre, wie er auf meine Berührung reagiert. »Ich dachte eigentlich daran, dass ich dir Nonna vorstellen wollte.«

Bobby verzieht das Gesicht. »Heute ist vielleicht nicht der richtige Zeitpunkt, um deine Familie zu besuchen, meinst du nicht? Nicoletta wird Zeter und Mordio schreien, wenn sie mich sieht.«

»Wenn es dir nichts ausmacht, macht es mir noch weniger aus.« Ich mustere ihn ausführlich. Bobby scheint sich bei dem Gedanken, meiner Schwester gegenüberzutreten, tatsächlich nicht wohl in seiner Haut zu fühlen. »Es ist okay. Wir können es auf ein andermal verschieben.«

»Nein! Wenn du es willst, dann bin ich dabei. Ich will nur nicht, dass deine Eltern mit hineingezogen werden. Und auch nicht deine Nonna.«

»Sie wissen, wie meine Schwester ist. Glaub mir, sie können damit umgehen.«

»Okay, dann lass es uns tun.« Er seufzt. »Verdammt, das ist echt verrückt.«

Ich lache. »Ja, ich weiß, was du meinst. Erst gehen wir uns bei jeder Gelegenheit an die Gurgel und jetzt …«

Ich werde in eine feste Umarmung gezogen und Bobbys sündige Lippen schweben wie Schmetterlingsflügel über meine Kehle, als er raunt: »Ich bin verrückt nach deinem Hals.«

Ein erregender Schauer rieselt über meinen Rücken. Ich kralle mich an seine Schultern und werfe reflexartig den Kopf in den Nacken, um ihm mehr Spielraum zu bieten. »Ja, ich denke, daran könnte ich mich gewöhnen.« Mit geschlossenen Augen genieße ich seine Liebkosungen und werde weich wie Butter. Bevor meine Beine nachgeben, ziehe ich mich zurück, womit ich ein unleidliches Knurren von Bobby bekomme. Mit Reibeisenstimme fordere ich: »Lass uns die Location wechseln.«

Ich packe Bobbys Hand und zerre ihn vom Barhocker hinaus in den Flur, die Treppen hinauf und ins Schlafzimmer. Dort angekommen lasse ich ihm keine Zeit zum Nachdenken, sondern reiße ihm innerhalb eines Wimpernschlags die Klamotten vom Leib, um endlich in aller Ruhe meine Erkundungen aufzunehmen und ihn damit in den sicheren Wahnsinn zu treiben – mich übrigens gleich mit.