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- ROBERT -

»B ist du sicher, dass die Blumen nicht zu viel des Guten sind?«, frage ich Sal, der grinsend neben mir steht, während ich mich mit zwei riesigen Sträußen abmühe. Einen für seine Mutter und einen für seine Nonna. »Bei Gott! Hör auf, mich so anzulächeln«, murre ich.

»Ich mach doch gar nichts. Ich bin nur nett und versuche, dich zu beruhigen, bevor du in Ohnmacht fällst.«

»Jetzt hör aber auf, ich falle nie in Ohnmacht.« Okay, vielleicht gleich hier und jetzt, vor dem Haus seiner Eltern. Noch kann ich mich davonschleichen, da wir bisher nicht geklingelt oder geklopft haben. Mir schlottern die Knie. Das habe ich noch nie erlebt. Dumm nur, dass Sal uns angekündigt hat. Also ist mit Abhauen Essig. Aber vielleicht … Ich mache einen Schritt zurück und spüre sofort Sals festen Griff um meinen Arm.

»Moment, wo willst du hin?«

»Was meinst du, ich bin doch hier«, sage ich so unschuldig wie möglich.

Er lacht. »Atme tief durch. Es ist ja nicht so, als ob du meinen Vater um meine Hand bitten würdest.« Es folgt ein neckischer Augenaufschlag. »Wir sind nur hier, um uns nett zu unterhalten.«

»Du weißt, dass du absolut nicht hilfreich bist?«

Sal dreht sich zu mir und tritt nun einen Schritt zurück, um mich zu mustern. »Sie werden dich lieben.«

Bevor mir etwas total Beklopptes wie Aber nicht so wie ich dich herausrutschen kann, werde ich von dem Geräusch einer sich öffnenden Tür gerettet.

»Nici?«, höre ich Sal überrascht fragen.

Ich drücke Sal die Sträuße in die Hand und mache auf dem Absatz kehrt. Doch weit komme ich nicht, denn eine herrische Stimme fordert: »Sofort stehen bleiben, Agent Flinn!«

Es ist nicht Sal, der mir nachruft, sondern seine Schwester. Dennoch bleibe ich wie angewurzelt stehen und drehe mich in Zeitlupe um, gewappnet für einen neuerlichen Angriff ihrerseits.

Sals Gesicht ist bis auf seine Augenpartie hinter den Blumen versteckt. Er wirkt ein klein wenig angespannt. In Anbetracht der Lage irgendwie verständlich.

Mein Blick wandert zur Tür. Dort steht nicht nur Nicoletta. Hinter ihr sehe ich noch drei weitere Personen. Was mich allerdings am meisten irritiert, ist die Tatsache, dass mich alle vier breit angrinsen. Ja, auch Nicoletta. Und das macht mir mehr Angst, als wenn sie sich wie gestern auf mich stürzen würde.

Ich muss im falschen Film gelandet sein, anders kann ich mir das nicht erklären.

Ein kleines hutzeliges Persönchen drängelt sich an Nicoletta vorbei und meint: »Himmel, ihr seid unmöglich. Da hat mein Enkel endlich jemanden gefunden, der ihm wichtig genug ist, um ihn uns vorzustellen, und ihr verschreckt ihn gleich wieder.« Sie kommt auf mich zu und stoppt erst eine Armlänge von mir entfernt, um von ihren schätzungsweise einen Meter fünfzig zu mir aufzusehen. »Sie sind aber ein Großer.« Ihre Augen gleiten über meine Statur und ich warte nur darauf, dass sie mich im Kreis dreht und sich anschließend auf die Zehenspitzen stellt, meine Lippen auseinanderzieht und wie bei einer Viehauktion meine Zähne inspiziert.

»Oh, sind die für uns?«, höre ich die andere Lady sagen. Sie muss Sals Mom sein. Klasse, Flinn, dein logisches Denkvermögen scheint noch intakt.

Ich weiß gar nicht, wie es passiert ist, aber plötzlich stehe ich im Flur von Sals Elternhaus und bin von Leuten umringt, die ich nicht kenne, die mir aber dann doch irgendwie vertraut vorkommen. Sal begrüßt alle und stellt uns einander vor, um dann mit seiner Mutter und seiner Schwester zu verschwinden. Schließlich gehören die Blumen ins Wasser und das kann man zu zweit nicht bewerkstelligen. Schon klar. Der Mistkerl lässt mich einfach allein. Bevor er außer Sichtweite ist, ruft er mir zu: »Nur zur Info, ich habe mich für heute und morgen krankgemeldet.« Daraufhin zwinkert er mir lüstern zu und ist weg.

Oh, das bedeutet, wir könnten nach seiner Aussage und wenn mich mein Team nicht zwingend braucht, noch etwas Zeit miteinander verbringen. Das klingt nach einem guten Plan.

Mit einem Mal spüre ich zwei zierliche Hände in meinem Kreuz. Es ist Giulia Bonasera, die mich extrem an Estelle Getty in der Rolle der Sophia Petrillo aus der Serie Golden Girls erinnert, und nun vor sich her durchs Haus schiebt, bis wir im Wohnzimmer angekommen sind, wo sie mich in einen Sessel drückt. Okay, ein kleiner Unterschied zu Estelle besteht allerdings. Sals Nonna ist dunkelhaarig. Ihre Stimme klingt jedoch ebenso kratzig.

Sals Dad schüttelt mir enthusiastisch die Hand. »Es freut mich wirklich, Sie kennenzulernen. Entschuldigen Sie den Überfall.« Er starrt die kleine Frau neben sich vielsagend an. »Richtig, Nonna?«

Sie winkt ab und sinkt auf die Couch. Sals Dad folgt ihr und wir sitzen uns schweigend gegenüber. Unbehaglich wäre nicht das passende Wort, um die Situation zu beschreiben. Es fühlt sich einfach surreal an.

»Nici hat uns einiges über Sie erzählt«, verkündet Sals Nonna.

Ich seufze automatisch. »Drauf wette ich.« Ich schlucke und füge leise an: »Mich wundert, dass Sie mich dennoch so herzlich empfangen.«

Mr. Bonasera zieht eine Augenbraue hoch und schaut seine Mutter fragend an.

Die zuckt die Schultern und meint: »Warum denn auch nicht?«

Ich will gerade dazu ansetzen, ein paar Dinge klarzustellen, als Nicoletta neben mir auftaucht und mich mit einer merkwürdigen Miene fragt: »Könnte ich kurz mit Ihnen sprechen?« Sie blickt zu ihrer Familie. »Unter vier Augen.«

»Nutzt doch die Veranda«, schlägt Mrs. Bonasera vor, die mit Sal im Schlepptau aufkreuzt. »Ich habe vorhin frischen Eistee und Gläser rausgestellt.«

Ich werfe Sal einen fragenden Blick zu. Doch der grinst mich an und meint: »Geh nur, jemand hat ihr die Krallen gekürzt.«

Mit einem mulmigen Gefühl stehe ich auf und folge meiner Erzfeindin.

Nicoletta bietet mir einen Stuhl an und gießt mir ein, bevor sie sich mir gegenübersetzt und sich umständlich räuspert. Vielleicht sollte ich den Tee lieber nicht trinken?

Was auch immer ihre Wandlung bewirkt hat, so wirklich fühlt sie sich auch nicht wohl bei dem, was sie nun von sich gibt. »Zuallererst muss ich Sie um Verzeihung bitten.« Sie klingt nicht nur so, als hätte sie Nägel geschluckt, sogar ihr Gesichtsausdruck zeigt wahre Pein.

Dennoch klappt mir angesichts ihrer Bitte der Unterkiefer runter.

Nicoletta prustet. »Ja, ich dachte mir schon, dass Sie das überraschen würde.«

Ich kann nicht mehr den Mund halten. »Was zum Teufel ist seit gestern Abend passiert?«

»Ich drücke es mal so aus. Mir hat jemand die Augen geöffnet.« Sie schaut in Richtung Terrassentür. »Um ehrlich zu sein, waren das mehrere.« Sie hebt Einhalt gebietend die Hand. »Nicht falsch verstehen, Sie werden jetzt nicht von mir hören, dass ich Sie mag.« Da ist ihre arrogante Art wieder.

»Na, das beruhigt mich aber«, erwidere ich mit einem ungläubigen und sarkastischen Lachen.

»Ich mache es kurz. Mein Vorgesetzter hat mich gestern Abend angerufen und mir ein paar Dinge über Sie erzählt. Dinge, von denen ich wirklich nichts wusste.«

»William hat mit Ihnen gesprochen?«

Sie lacht schnaubend. »Ich sag’s mal so, erst hat er mich alles Mögliche geschimpft, dann wurde er erschreckend liebenswürdig und erteilte mir einen Crashkurs in investigativen Erleuchtungen. Was nicht zum ersten Mal passiert. Will sagen, er hat mich auf William-Powell-Art runderneuert.« Mit einem zerknirschten Blick fährt sie fort: »Mir war wirklich nicht bewusst, was ich Ihnen mit meinem Artikel angetan habe. Und es tut mir von Herzen leid. Ich war nur so wütend, weil ich derart übel ausgebremst wurde.«

Ich bin dermaßen von der Rolle, dass mir schlicht die Worte fehlen, um angemessen zu reagieren. Als sie ihren Blick hebt, bringe ich nur eins heraus. »Danke.« In meinem Kopf geht es drunter und drüber. Jeremy hat William von mir und Sal erzählt und der hat sofort Nicoletta angerufen. Die zwei sind unglaublich. Und ich muss sie unbedingt Sal vorstellen. Im Hinterkopf reift eine Idee.

Nicoletta trinkt ihren Eistee in einem Zug aus und erhebt sich, um mir die Hand zu reichen.

Okay, zumindest ist der Tee nicht vergiftet. Ich beäuge ihre Hand. »Eins müssen Sie mir sagen.«

Sie lässt den Arm sinken. »Sie wollen wissen, wer mir den Tipp gegeben hat?«

Ich nicke.

»Was denken Sie, wer es war?«

»Mein Partner.«

Sie schnaubt. »Nein, es war ihr Chief.«

»Dieses …«

»Arschloch? Sagen Sie es ruhig. Er ist wirklich eins. Aber ich kann Sie beruhigen, dieser Mann wird früher oder später seine Quittung bekommen.«

»Wie meinen Sie das?«

Nicolette schüttelt den Kopf. »Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.«

Ich stehe ebenfalls auf. Diesmal reiche ich ihr die Hand. »Nicht falsch verstehen, Sie werden jetzt nicht von mir hören, dass ich Sie mag. Aber eins wäre mir um Sals willen wichtig. Waffenstillstand?«

Mit einem Lächeln, das mir unheimlich vertraut vorkommt, schlägt sie ein und nickt. »Waffenstillstand. Um Sals willen.«

Gott, ob Sal das gut fände, wenn ich ihm sagen würde, wie sehr er seiner Schwester in gewissen Dingen ähnelt? Das hebe ich mir besser für später auf, wenn ich mir sicher sein kann, dass er mir nicht davonläuft. Für derartig böse Aktionen ist unsere aufblühende Beziehung noch zu frisch.

»Wie gesagt erwarte nicht, dass ich jetzt Glacéhandschuhe anziehe. Du bist immer noch ein Idiot. Nur jetzt bist du Sals Idiot. Und na ja, bevor ich riskiere, dass er mich tatsächlich aus seinem Leben wirft, gehe ich lieber ein paar Kompromisse ein.«

»Dito.«

Sie grinst mich breit an und schlendert an mir vorbei. »Er gehört dir, Sally.«

»Du sollst mich doch nicht so nennen, verdammt noch mal«, mosert Sal und kommt langsam auf mich zu. Er bleibt vor mir stehen, nimmt meine Hand in seine und flüstert: »Das darf nur noch mein Freund.«

»Das klingt gut.«

»Ja, das tut es. Wann müssen wir los?«

Ich werfe einen Blick auf die Uhr. »In einer halben Stunde. Ich sollte noch zu mir und mich umziehen. Und du willst wirklich nicht bei Levines Vernehmung dabei sein? Du weißt, Ledecky hat kein Problem damit.«

»Auf der Fahrt hierher habe ich tatsächlich noch einmal drüber nachgedacht. Mein Entschluss steht fest. Ich will mit alldem nichts mehr zu tun haben. An etwas festhalten, das mir wehtut, ist keine Basis für meine Zukunft, für unsere Zukunft. Vorausgesetzt du kannst dir eine mit mir vorstellen.«

Ohne darüber nachzudenken, wo wir uns im Moment befinden, schlinge ich meine Arme um Sal und raube ihm einen langen, leidenschaftlichen Kuss. Atemlos trennen sich unsere Münder und ich stürze mich mit allem, was ich habe, in ein neues Leben. »Ich kann mir nichts Besseres vorstellen, Doc.«

»Kriegen wir deinen heißen Freund noch mal zu Gesicht?« Giulia Bonasera.

Sals Stirn sinkt gegen meine und er seufzt. »Schatz, ich möchte mich im Voraus für alles, was sie dir noch zumuten werden, entschuldigen.«

»Schatz?«, murmel ich mit heftig klopfendem Herzen.

Sein Blick hebt sich. »Zu früh?«

»Nein, wir sind doch immerhin schon seit Stunden ein Paar.«

»War das Sarkasmus?«

Ich lache. »Ja, war es. Und nein, es ist nicht zu früh. Und was deine Familie angeht, kann ich dir nur eins sagen. Und dessen bin ich mir auch jetzt schon sehr sicher. Ich werde sie lieben.«

»Inklusive Nici?«

»Wir wollen es nicht übertreiben.«

Wir grinsen uns beide an und lauschen den Frotzeleien zwischen Mr. und Mrs. Bonasera, die zu uns hinauswabern.

»Weißt du, wir müssen ernsthaft darüber nachdenken, wie wir das handhaben, wenn ich zu euch wechsle«, erklärt Sal leise. Mir ploppen vor Überraschung um ein Haar die Augen aus dem Kopf. Was Sal zum Lachen bringt. »Na ja, du hast doch gesagt, du könntest dir nicht vorstellen, mit deinem Liebsten zusammenzuarbeiten, weil du ständig Angst um ihn hättest.«

»Was geht mich mein Gewäsch von gestern an? Willst du wirklich das Angebot von Ledecky annehmen?«

»Ich habe natürlich noch nicht mit ihm gesprochen. Aber wenn mir gefällt, was er mir anbietet, werde ich es unter einer Bedingung akzeptieren.«

»Ach ja? Und welche wäre das?«

»Ich will jedes Wochenende Rührei zum Frühstück.«

Mir tun fast die Wangen weh, so sehr freue ich mich. »Mit Speck und Zwiebeln.«

Sal räuspert sich. »Vielleicht lasse ich die Zwiebeln weg. Schließlich habe ich jetzt einen Freund.«

»Die Geburtstagstorte wird angeschnitten. Dürfen wir die frisch Verliebten zu uns bitten?«, ruft uns Sals Mom vom Wohnzimmer aus zu.

»Ob uns deine Schwester verzeihen wird, dass wir keine Blumen für sie hatten?«

»Du kannst ihr nächstes Jahr eine Party ausrichten, wenn du willst.«

»Ich wiederhole mich zwar, aber wir wollen es nicht übertreiben.«

Lachend und Arm in Arm führt mich Sal zu seiner Familie, die ausgelassen am Kaffeetisch sitzt. Seine Eltern nehmen mit Verstärkung von Nonna Nicoletta ins Visier, deren Miene immer mehr einer geballten Faust ähnelt.