Fünf

 

 

Als ich am nächsten Morgen wach werde, fühle ich mich zunächst wie gerädert. Coles Auftreten von gestern ärgert mich noch immer, dennoch hoffe ich, dass sich die Situation im Laufe des Tages entspannt. Dieser … Kerl wird mit Sicherheit bald in eine neue Hütte umziehen und dann haben wir diese hier für uns allein. Meine Hoffnung auf einen Neustart ist noch immer sehr groß und wer weiß, vielleicht werde ich am Ende ja tatsächlich nicht enttäuscht.

„Guten Morgen“, nuschle ich leise und kuschle mich an Coles Rücken, vergrabe mein Gesicht an seinem Hals. Mir ist bewusst, dass er noch schläft, aber gerade das möchte ich ausnutzen. Cole ist kein Kuscheltyp, der nach dem Sex noch stundenlang neben mir liegen bleibt. Also muss ich jede Sekunde nutzen, in der es dazu kommt. „Hast du gut geschlafen?“

„War schon mal besser“, erwidert er verschlafen und dreht sich auf den Rücken, weshalb ich etwas von ihm wegrutsche. Er hebt die Arme nach oben und streckt sich ein wenig. „Das lag aber mit Sicherheit an dem Sex, den du mir verweigert hast.“

Grinsend lässt er den Kopf zur Seite fallen, doch ich bereue nicht, dass ich es getan habe. Er hatte es nicht anders verdient.

„Keine Sorge, sobald unser Herr Brewster die Hütte verlassen hat, kannst du dich austoben.“

Ich setze mich auf, drehe mich zur Seite und möchte aufstehen, doch Cole hält mich am Arm fest. „Du glaubst doch wohl nicht, dass ich darauf warte, bis der Penner nicht mehr hier ist“, sagt er dann und zieht mich zurück, sodass ich mit dem Rücken wieder auf der Matratze liege. „Wie wäre es, wenn wir ihm zum Abschied demonstrieren, wie sich richtig geiler Sex anhört?“

„Cole …“ Ich muss lachen, da er seine Hände an meinen Rücken schiebt und ich sehr oft kitzelig bin, wenn er mich dort berührt. „Das können wir nicht machen. Ich meine …“

„Und wie wir das können.“ Coles Hände wandern weiter nach oben, weshalb ich den Rücken durchstrecke und die Augen schließe. Seine Lippen legen sich an meinen Hals, doch dann erhebt er sich plötzlich wieder. Eigentlich ist das hier gegen meine Prinzipien. Leise, während andere in unmittelbarer Nähe sind, ist vollkommen in Ordnung, doch ich weiß, dass Cole sich nicht zurückhalten wird. Und doch … „Los, gib deine Hände her“, sagt er, als er schon längst auf meinem Oberkörper sitzt. Sein harter Schwanz streckt sich mir entgegen, doch ich gebe zunächst nur seiner Aufforderung nach. Cole umfasst meine Handgelenke, zieht sie zurück und legt meine Finger um die Stange aus Metall, die das Kopfteil des Bettes hält. „Und jetzt zeigen wir dem Arschloch mal, was deine Lippen so alles mit meinem Schwanz anstellen können.“

Cole rutscht weiter nach oben, sodass er nun ganz auf meinem Oberkörper und nah an meinem Gesicht sitzt. Seine Finger drücken seine pralle Härte nach unten und lassen die Spitze über meine Lippen fahren, die ich daraufhin sofort öffne. Ein harter, rücksichtsloser Stoß lässt mich kurz aufstöhnen und doch genieße ich die dominante Art, mit der Cole mir entgegentritt. Denn auch wenn ich mich oft nach mehr Zärtlichkeit sehne, so liebe ich es, wenn er mir zeigt, was er von mir erwartet.

„O fuck!“, stöhnt er laut, doch die Tatsache, dass unser kurzzeitiger Mitbewohner nur ein Zimmer neben uns schläft, blende ich augenblicklich aus. Mein Schwanz wird immer härter, je mehr Cole sich in meinem Mund bewegt. Er schmeckt und riecht so gut, dass ich alles um mich herum vergesse. Coles Finger krallen sich in mein Haar. Seine Stöße werden schneller und intensiver. Den Kopf in den Nacken gelegt, stöhnt er so laut, dass es unmöglich jemandem verborgen bleiben kann. Ich schmecke bereits die Tropfen seiner Lust und stelle mich darauf ein, dass er sich gleich unaufhaltsam in mir entladen wird. Doch dann zieht er sich plötzlich aus mir zurück und mich in seine Richtung. Wie von selbst lasse ich die Metallstange los und mich von ihm umdrehen. Mein Oberkörper prallt gegen die Wand, Coles Hand legt sich in meinen Nacken und drückt meinen Kopf ebenfalls gegen das kalte Holz. „Ich hoffe, du bist bereit für mich“, knurrt er an mein Ohr, in welches er anschließend leicht beißt. Kurz darauf zieht er mir die Shorts vom Hintern und ich spüre das kalte Gleitgel an meinem Anus herunterlaufen. Ich stöhne auf, als sich die Spitze seiner Härte an meine Öffnung presst.

„Mehr als bereit“, erwidere ich keuchend, dann stößt er zu.

Ein dunkles, lautes Stöhnen verlässt meine Kehle, während Cole ein weiteres Mal in mich eindringt und mich weiterhin an der Wand fixiert. Meine Finger zucken, weil ich ihn berühren möchte, doch da ich weiß, dass er es nicht zulassen wird, vergesse ich diesen Wunsch schnell wieder. Stattdessen schließe ich die Augen und lasse mich von ihm nehmen, genieße seinen Schwanz in mir, der mich tief und fest, Sekunde für Sekunde ausfüllt. Coles Stöße werden immer härter, sein Stöhnen lauter. Jede Faser meines Körpers ist wie elektrisiert. Dann spüre ich, wie Coles Härte in mir zu zucken beginnt und ich kann endlich loslassen. Mit lautem Stöhnen gebe ich mich ihm hin und komme mit stark klopfendem Herzen zum Höhepunkt.

So kann ein Tag definitiv anfangen.

 

•••

 

Es ist ruhig in der Hütte, als ich aus der Dusche und somit aus dem Badezimmer komme. Cole und ich haben uns sozusagen die Klinke in die Hand gegeben und ich bezweifle, dass er in der Zwischenzeit schon bei unserem Mitbewohner gewesen ist, um ihm einen schönen guten Morgen zu wünschen. Jetzt ist es also an mir, diesem merkwürdigen Kerl zum ersten Mal in die Augen zu sehen, nachdem er vorhin mit anhören musste, wie Cole mich um den Verstand gefickt hat. Es gibt Angenehmeres und ich kann mir definitiv was Besseres vorstellen, aber unhöflich möchte ich auch nicht sein. Immerhin war er gestern relativ nett zu mir.

Also gehe ich auf leisen Sohlen bis zum Wohnzimmer und stelle mich in die Tür. Genau wie gestern sitzt er auch jetzt an seinem Schreibtisch und tippt auf seinem Laptop herum. Der Geruch von frischem Kaffee weht mir in die Nase und ich überlege, ob ich mir ebenfalls einen holen soll. Aber vielleicht sollte ich ihn erst einmal danach fragen.

„Falls du auch einen möchtest, der Kaffee steht in der Küche“, sagt er, als hätte er meine Gedanken gelesen, dreht sich jedoch nicht zu mir um. Ich verschränke die Arme vor der Brust und lehne mich in die Tür. „Ich war so frei und habe das Zeug vom Frühstück stehen lassen, falls ihr Hunger habt.“

„Danke, das ist sehr nett von dir“, erwidere ich und warte darauf, dass er sich zu mir umdreht, aber nichts passiert. „Guten Morgen, erst einmal.“

„Guten Morgen.“ Der Schreibtischstuhl quietscht, dann dreht er sich endlich nach hinten. „Gut geschlafen?“

Ich betrachte ihn, da ich mir nicht sicher bin, ob er mir diese Frage aus ehrlichem Interesse stellt oder weil Cole und ich ihn mit Sicherheit um seinen wohlverdienten Schlaf gebracht haben.

Dennoch beschließe ich, ihm normal darauf zu antworten.

„Es war in Ordnung, ja. Und selbst? Ist die Couch bequem gewesen?“

„War schon mal besser.“ Seine Augen ruhen auf mir, was mir nicht einmal sonderlich unangenehm ist. Im Gegenteil. Das Braun seiner Iriden ist trotz der Dunkelheit wahnsinnig sanft. Ja, sogar ein wenig verletzlich. „Sobald der Vermieter hier war, packe ich meine Sachen und verschwinde. Dann habt ihr eure Ruhe.“

„Keinen Stress, mich stört das nicht.“

„Aber mich!“ Ich drehe mich erschrocken um, da Cole plötzlich hinter mir steht. Wie konnte er nur so schnell duschen? „Je schneller Sie weg sind, desto besser. Ich hätte also nichts dagegen, wenn Sie schon mal ein bisschen spazieren gehen.“

„Verdammt noch mal, Cole, lass das!“ Ich sehe ihm wütend und gleichzeitig beschämt in die Augen. „Waren wir uns nicht einig, dass keiner von uns was für diese Situation kann?“

„Das ist mir egal. Ich habe das Geld für diese Hütte bezahlt, also entscheide ich auch, wen ich hier dulde, und dieser Idiot gehört mit Sicherheit nicht dazu. Und jetzt komm, ich hab Hunger.“

Er nimmt mich an die Hand und möchte mich hinter sich herziehen, doch ich entziehe ihm diese sofort. „Nur mal so zu deiner Information: Das Frühstück, das in der Küche auf dem Tisch steht, gehört nicht uns, sondern dem Idioten da, wie du so schön sagst. Wenn du also Hunger hast, zieh dir die Schuhe an und lauf ins Dorf, um uns etwas zu besorgen. Vielleicht kühlst du dann auch wieder ein bisschen runter. Morgens ist es ja noch nicht ganz so warm.“

Es ärgert mich, dass er sich auch heute wie der letzte Mensch benimmt. Er tut ja gerade so, als wäre Mister Unbekannt nicht bereit, die Hütte zu wechseln und würde uns hier mit Absicht auf die Nerven gehen.

„Du nimmst diesen Affen also noch in Schutz?“, fragt er mich brüskiert, als hätte ich eine Straftat begangen.

„Sieht wohl so aus, was? Ich habe dir gestern schon gesagt, dass du dich unmöglich verhältst.“

„Also schön.“ Cole wendet sich von mir ab, schlüpft in seine Schuhe und nimmt eine dünne Jacke von der Garderobe. „Dann gehe ich uns mal etwas zu essen besorgen. Aber rechne nicht zu schnell mit meiner Rückkehr. Ich werde die Gelegenheit nutzen und mit der Firma telefonieren.“

„Natürlich, das ist ja auch wichtig“, antworte ich verletzt, da er diese verdammte Firma nicht mal für ein paar Tage vergessen kann.

„Wichtiger als dieser Schwachsinn hier, ja.“

Er dreht sich um, öffnet die Tür und wirft sie lautstark in ihre Angeln, nachdem er die Hütte verlassen hat. Mein Herz schmerzt. Nicht aufgrund des Streits, beziehungsweise nicht nur. Manchmal frage ich mich, wie man nur so gleichgültig sein kann.

„Das wäre nicht nötig gewesen.“

Ich richte den Blick nach vorn, um den Mann, dessen Namen ich immer noch nicht kenne, anzusehen. „Bitte was?“

Er zuckt die Schultern. „Du hättest jetzt wegen mir keinen Streit anfangen müssen. Das war wirklich nicht nötig.“

„Doch, manchmal ist es nötig. Außerdem ist es ihm doch sowieso nur recht. Jetzt kann er sich wenigstens um seine geliebte Firma kümmern.“

Da ich keine Lust habe, mich großartig mit ihm über dieses Thema zu unterhalten, wende ich mich von ihm ab und gehe in die kleine Küche. Der Geruch von Kaffee wird noch intensiver als zuvor und er schafft es zumindest ein bisschen, dass ich mich wieder beruhige. Dennoch klopft mein Herz noch immer wie verrückt. Was jetzt wohl aus meinen Plänen wird? So wie Cole drauf ist, wird er heute sicherlich kein Interesse daran haben, mit mir ins Dorf zu gehen, denn dann hätte er mich mit hoher Wahrscheinlichkeit direkt mitgenommen. Wir hätten zusammen einkaufen können und dann …

Ich schüttle seufzend den Kopf und stütze mich mit den Händen auf der Küchenzeile ab. Vielleicht hätte ich doch auf die beiden hören und dem Wunsch, meine Eltern zu finden, nicht nachgeben sollen. Dann lägen wir jetzt in einem Luxushotel am Strand und …

„Du solltest eine Kleinigkeit essen, bevor du noch umfällst.“ Mister Unbekannt tritt neben mich und hält mir ein fertiges Sandwich hin. „Ich schätze, es wird dauern, bis dein Freund wieder hier ist.“

„Vermutlich, ja“, erwidere ich, drehe mich um und lehne mich an die Küchenzeile. Anschließend nehme ich ihm das Sandwich aus der Hand. Dieses betrachte ich eingehend. „Wer weiß das schon.“

Ich merke, wie er mich betrachtet. „Du kannst es ruhig essen, es ist nicht gerade mein Hobby, andere Leute zu vergiften. Das mache ich nur in meinen Büchern.“

„In deinen Büchern?“, frage ich neugierig und beobachte ihn dabei, wie er an die Küche herantritt und sich einen Kaffee einschenkt. „Bist du etwa Autor?“

Er sagt nichts, sondern dreht sich zunächst um und trinkt einen Schluck Kaffee. Seine ganze Art und Weise ist so distanziert und doch unbeschreiblich geheimnisvoll.

„Kann man so sagen, ja“, sagt er dann und geht ein paar Schritte nach vorn. „Deshalb auch diese Hütte. Hier hat man seine Ruhe und die Hoffnung, dass einen die Muse wieder packt. Vorausgesetzt, man streitet sich nicht gerade mit einem zu selbstbewussten und arroganten Einfaltspinsel.“

Er steht mit dem Rücken zu mir, weshalb ich seine Mimik nur erraten kann, aber ich schätze, dass er relativ ernst ist. Umso mehr tut es mir leid, dass wir den Versuch, seine Muse wiederzufinden, stören.

„Ich hoffe, dass sich das mit der Hütte schnell klärt und du wieder deine Ruhe bekommst. Und was Cole betrifft, das …“

„Schon gut“, unterbricht er mich, sieht mich aber immer noch nicht an. „Und jetzt iss endlich was. Ich habe nämlich keine Zeit, mich auch noch um deinen Kreislauf zu kümmern.“

 

•••

 

Zwei Stunden sind bereits vergangen, seit Cole sich auf den Weg ins Dorf gemacht hat. Mir ist bewusst, dass der Weg nicht gerade kurz ist, dennoch hätte er unter normalen Umständen längst hier sein müssen. Aber was ist schon normal. Er wird sicherlich die ganze Zeit über telefoniert haben.

Seufzend lege ich mein Handy zur Seite und den Kopf in den Nacken. Ich habe mich ins Schlafzimmer zurückgezogen, da ich unseren Autoren nicht weiter stören wollte, und mich an meine dämlichen Handyspiele gesetzt. Mir ist langweilig und ich fühle mich noch immer beschissen, weiß aber auch nicht, was ich tun soll. Zwischendurch habe ich überlegt, Cole nachzugehen, damit wir gemeinsam das Dorf besuchen können, habe mich jedoch dagegen entschieden. Wer weiß schon, wie er reagiert hätte und auf einen weiteren Streit habe ich keinen Nerv. Ich kann nur hoffen, dass sich seine Laune gebessert hat, wenn er zurückkommt. Ansonsten startet dieser verdammte Urlaub noch schlimmer, als ich es befürchtet habe.

Die Augen geschlossen, versuche ich, meine Gedanken zu ordnen und an etwas anderes zu denken, doch es möchte mir nicht gelingen. Immer wieder kreisen Bilder meiner Eltern durch meinen Kopf. Cole, der mich einmal mehr enttäuscht. Miley, die mich einfach nicht verstehen will. Warum ist das alles nur so kompliziert? Liegt es vielleicht doch an mir? Sollte ich meine Sachen packen und …

Ich erschrecke, als die Tür zur Hütte ins Schloss fällt, weshalb ich mich sofort aufsetze. Ob Cole endlich wieder da ist?

„Cole?“, rufe ich deshalb und stehe auf, kurz darauf steht er bei mir im Raum. Er sieht mich nicht an, stattdessen wirft er sein Handy aufs Bett und anschließend seinen Koffer daneben. Perplex sehe ich ihn an und beobachte ihn dabei, wie er die Klamotten einpackt, die er gestern noch in den Schrank geräumt hat. Natürlich Nachdem er die Sachen unseres Mitbewohners auf den Boden geworfen hat. Mein Herz beginnt zu rasen, das kann jetzt unmöglich sein Ernst sein. „Cole, was …“

Mir bleiben die Worte im Hals stecken, als er den Koffer schließt und ihn auf den Boden stellt. Er nimmt das Ladekabel seines Handys aus der Steckdose und steckt dieses in ein kleines Fach an der Seite des Koffers. Das … Nein.

„Nach was sieht es denn aus, hm?“ Zum ersten Mal, seit er wieder hier ist, sieht er mir nun in die Augen. Er verzieht keine Miene, scheint das alles hier als vollkommen normal zu sehen. „Ich packe meine Sachen.“

„Ja, das sehe ich, aber warum?“

„Warum? Weil ich einen verdammt großen Auftrag an Land gezogen habe und mich sofort darum kümmern muss. Brown hat mir aufgetragen, die Luxuswohnungen für sein Innenstadtprojekt zu gestalten. Weißt du, was das bedeutet? Wir haben bald mehr Kohle, als du dir vorstellen kannst!“

Ich wende den Blick zur Seite und versuche, meine Atmung zu normalisieren. Alles in mir scheint plötzlich zu vibrieren und der dicke Kloß in meinem Hals sorgt dafür, dass mir auf der Stelle schlecht wird. Er kann doch jetzt nicht einfach verschwinden.

„Wir haben mehr Kohle, als ich mir je vorstellen konnte, Cole. Ist dieser Auftrag jetzt wirklich so wichtig, dass du dafür unseren Urlaub beendest, der im Übrigen nicht mal richtig angefangen hat? Wir wollten meine Eltern suchen. Schon vergessen?“

„Nein, das habe ich natürlich nicht vergessen.“ Er kommt auf mich zu und legt seine Hände an meine Wangen. „Aber du musst mich auch verstehen. So einen Auftrag bekommt man nicht alle Tage. Ich kann das nicht einfach vor mir herschieben. Das ist wichtig.“

„Und ich bin nicht wichtig?“, frage ich unter Tränen, die ich jedoch versuche zurückzuhalten. Er wird eh nicht merken, wie sehr er mich gerade verletzt.

„Doch, natürlich bist du“, sagt er schon fast sanft und küsst meine Lippen. Doch auch dieser Kuss kann mich nicht besänftigen. Sollte er jetzt wirklich gehen, dann … „Aber hey, du bist doch schon ein großer Junge. Ich bin mir sicher, dass du es auch allein schaffen wirst, etwas über deine leiblichen Eltern herauszufinden. Außerdem hast du ja noch deinen unwiderstehlichen Mitbewohner. Ich bin mir sicher, dass er dir helfen wird, wenn du ihn ganz lieb fragst.“

Er lässt mich los und geht noch einmal zum Kleiderschrank. Ich vermute, um nachzusehen, ob er etwas vergessen hat.

Die Wut kriecht weiterhin in mir hoch. Meine Hände ballen sich zu Fäusten.

„Du stellst dich jetzt ernsthaft hier hin und sagst, dass ich meiner Vergangenheit mit einem Fremden nachgehen soll? Das kann doch nicht dein Ernst sein!“

„Ach, und warum nicht?“ Er zieht den Koffer hinter sich her und bleibt vor mir stehen. „Mach dich doch mal locker, Miles. Du stehst auf den Typen, das haben wir doch gestern Abend schon festgestellt. Wo also ist das Problem? Wir führen eine lockere, offene Beziehung. Entspann dich und hab mal ein bisschen Spaß, während ich mich darum kümmere, dass unser nächster Urlaub weitaus luxuriöser ausfällt als das hier.“

Er sieht sich abwertend um, grinst und küsst anschließend meine Lippen.

Ekel. Ich empfinde gerade nichts mehr als Ekel.

Dass er es mir frei lässt, mit diesem Kerl in die Kiste zu springen, überrascht mich nicht, aber dass es ihm egal ist, ob ich meine leiblichen Eltern finde oder nicht, verletzt mich zutiefst.

„Weißt du was, Cole?“ Ich reibe mir über das Gesicht, während Cole tatsächlich in der Tür stehen bleibt. Händeringend suche ich nach Worten, die sich aber nicht so leicht finden lassen. Es tut so weh. Warum habe ich nicht schon viel eher gemerkt, was für ein Arschloch er ist? „Ich hab … Ich habe wirklich versucht, zu glauben, dass du anders bist, als du dich manchmal gibst. Dass tief in dir drin noch immer der Mann ist, der du warst, bevor du die Firma deines Vaters übernommen hast. Aber offenbar …“ Ich sehe zu ihm auf. „Offenbar habe ich mich da sehr getäuscht.“

Cole runzelt die Stirn und hebt eine Augenbraue. „Was soll das heißen?“

„Was das heißen soll?“, frage ich ungläubig und schüttle den Kopf. „Cole, du weißt genau, wie wichtig mir die Anreise hierher war. Du weißt, dass mich seit Monaten nichts anderes mehr beschäftigt, als herauszufinden, wo ich herkomme. Und jetzt sind wir hier und was machst du? Du packst nach einem Tag deinen Koffer, nur um diesen Auftrag zu erfüllen, der mit Sicherheit auch noch nach unserem Urlaub bearbeitet werden kann. Und statt wenigstens ein bisschen Mitgefühl zu haben, schlägst du mir direkt noch vor, mit diesem Mann in die Kiste zu steigen. Jaja, ich weiß, wir führen eine lockere und offene Beziehung. Aber weißt du was? Ich scheiße auf diese Beziehung. Ich scheiße darauf, dass ich tun und lassen kann, was ich will, wenn mir danach ist, denn das möchte ich definitiv nicht. Ich wollte immer einen Mann an meiner Seite, der für mich da ist. Nur für mich. Der sich darüber freut, mich zu sehen, wenn er abends von der Arbeit nach Hause kommt und der nur mich auf dem Küchentisch flachlegt, wenn ihm gerade danach ist. Aber nein, ich reiche dir ja nicht. Du vögelst dich durch die Weltgeschichte und fragst mich nicht einmal danach, wie ich mich dabei fühle. Das ist …“

Mein Atem geht schwer und ich habe alle Mühe, mich wieder zu beruhigen. Dieser Scheißkerl macht mich so wütend. So wütend, wie ich ihm gegenüber noch nie zuvor gewesen bin.

„Falls du dich daran erinnerst, Miles, haben wir diese Art unserer Beziehung gemeinsam beschlossen. Das war ich nicht allein.“

Ich lache bitter auf. „Ja, natürlich haben wir das gemeinsam beschlossen, aber hätte ich eine andere Wahl gehabt? Wären wir wirklich noch zusammen, wenn ich deinen Wunsch abgelehnt hätte, Cole?“ Er betrachtet mich, sagt jedoch kein Wort. Und als sich dieses wissende, dämliche, wenn auch leise Lachen auf seine Lippen schleicht, weiß ich, was ich zu tun habe. „Es ist aus, Cole. Endgültig.“

„Bitte was?“ Er lacht noch immer, scheint keinesfalls beeindruckt von meinen Worten zu sein. „Das ist doch jetzt nicht dein Ernst.“

„O doch, das ist es. Wenn du jetzt wirklich aus dieser Tür gehst, ist es aus und vorbei. Dann weiß ich nämlich, wie viel ich dir tatsächlich bedeute.“

„Ach komm schon, Miles.“ Er lässt den Koffer los und kommt zu mir zurück. Seinen Versuch, meine Wange zu berühren, vereitle ich, indem ich den Kopf zur Seite drehe. „Wir wissen doch beide, dass du es nicht ohne mich aushältst. Spätestens, wenn du wieder zurückkommst, hast du das alles hier wieder vergessen.“

Ich sehe ihn an. Mein ganzer Körper zittert.

Nein, von dir lasse ich mich nicht mehr in die Knie zwingen. Nie wieder.

„Geh durch diese Tür und du wirst mich nur noch wiedersehen, wenn ich meine Sachen aus unserer Wohnung hole.“

Cole schüttelt schnaufend den Kopf. „Na schön, wir werden sehen.“ Dann geht er zurück zu seinem Koffer und greift nach diesem. „Du kannst dich ja melden, wenn du dich wieder beruhigt hast. Ich für meinen Teil werde mich jetzt erst einmal um die Firma kümmern.“

Ich sehe ihm nach, wissend, dass er ohne mit der Wimper zu zucken die Hütte und somit mich verlassen wird. Mit klopfendem Herzen schließe ich die Augen. Die Hoffnung, dass sich die Tür nicht mit ihren Angeln schließt, ist so gut wie nicht mehr vorhanden, und doch gebe ich sie nicht auf. Erst als ich das Klicken vernehme und mir klar wird, dass ich Cole rein gar nichts wert bin, löst sich die Anspannung in meinem Körper. Tränen kriechen mir in die Augen. Das Atmen fällt mir noch schwerer als zuvor. Ich zittere, kann mich kaum mehr auf den Beinen halten. Dann plötzlich höre ich ein leises Knacken, das mich auf der Stelle die Augen öffnen lässt.

Dunkles, mitleidiges Braun sieht mich an und durchbohrt mich bis mitten ins Herz.

„Scheiße“, murmle ich und setze mich in Bewegung.

Die Tür zum Schlafzimmer knallt zu und ich sinke zutiefst verletzt auf den Boden.

 

•••

 

Irgendwann muss ich auf dem Bett eingeschlafen sein, denn ich schrecke hoch, als außerhalb dieses Raumes plötzlich etwas laut zu Boden knallt. Ein anschließendes „Scheiße“, lässt mich mich aufsetzen und schwerfällig die Augen reiben. Wie es aussieht, ist unserem Autoren gerade irgendetwas zu Bruch gegangen.

„So kann man seinen Ich-würde-am-liebsten-auf-ewig-schlafen-Gedanken auch beenden“, murmle ich und lasse mich zurück auf die Matratze fallen.

Was habe ich eigentlich gedacht, als ich mich vorhin hierher gelegt und die Augen geschlossen habe? Dass ich aufwache und alles war nur ein selten dämlicher, blöder Traum? Falsch gedacht, Miles , denke ich, schüttle den Kopf und lege die Hände auf meine Augen. Cole ist weg und er wird nicht wiederkommen. Ich bin ihm scheißegal. So egal, wie ich ihm schon seit Monaten bin. Doch dumm, wie ich bin, wollte ich es einfach nicht wahrhaben. Und jetzt? Jetzt liege ich hier, versuche mich von den Tränen zu erholen, die ich die letzten Stunden geweint habe, und überlege, wie es weitergehen soll. Zurück nach Hause werde ich definitiv nicht fliegen. Ich bin und bleibe hier, um meine leiblichen Eltern zu finden. Koste es, was es wolle.

„Miles?“ Es klopft an der Tür. Es ist … O Mann, ich kenne seinen Namen immer noch nicht. „Kann ich reinkommen?“

„Ich wüsste nicht wozu“, rufe ich zurück, da ich gerade absolut keine Lust auf Kommunikation habe. Er hat sowieso schon viel zu viel mitbekommen. Ich bin nicht scharf darauf, ihm das alles zu erklären. „Geh und lass mich allein.“

Doch statt dass sich seine Schritte von der Zimmertür entfernen, sehe ich diese plötzlich aufgehen. Ich möchte schon dementieren und ihn wieder rausschicken, da er jedoch ein Tablett mit Essen in den Händen hält, lasse ich ihn zunächst reinkommen. Schwerfällig setze ich mich auf und lehne mich nach hinten an die Wand.

„Was wird das?“, frage ich aber dennoch und beobachte ihn dabei, wie er das Tablett auf der Nachtkonsole abstellt.

„Nach was sieht es denn aus? Ich habe dir etwas zu essen gemacht, damit du mir nicht umkippst. Meinst du nicht, dass du nach so vielen Stunden Schlaf auch mal was zwischen die Zähne brauchst?“

Ich hebe verwirrt eine Augenbraue. „Was heißt hier, nach so vielen Stunden Schlaf? Wie spät ist es denn?“

„Gleich acht“, erwidert er und verdreht die Augen. „Ich hatte zwischendurch schon Angst, dass du dir etwas angetan hast, also habe ich ein paar Mal nach dir gesehen.“ Er seufzt, schüttelt den Kopf und wendet sich anschließend von mir ab. „Moment, ich bin gleich wieder da.“ Noch bevor ich ihm antworten und fragen kann, was zur Hölle er überhaupt noch hier macht, hat er das Zimmer bereits verlassen. Ich verstehe das alles nicht. Wieso habe ich so lange geschlafen und warum ist er nicht längst in der anderen Hütte? Der Vermieter wollte doch vorbeikommen und … „So, da bin ich wieder.“ Perplex starre ich ihn an, als er die Decke und das Kissen, das Cole ihm gestern Abend gegeben hat, neben mir auf das Bett wirft. Anschließend setzt er sich neben mich und stellt das Tablett auf seinem Schoß ab. „Was ist?“, fragt er, während er einen Teller mit Nudeln und Soße an sich nimmt und ihn mir gibt. Nicht in der Lage, ihm zu antworten, stelle ich den Teller auf meinen Oberschenkeln ab. „Falls du glaubst, dass ich die nächsten Tage auf der Couch schlafe, hast du dich geschnitten. Falls es dich stört, kannst du diesen Part aber gerne übernehmen.“

„Mo … Moment mal.“ Ich schüttle den Kopf und versuche die Worte, die er gerade von sich gegeben hat, irgendwie zu ordnen. Hat er mir gerade tatsächlich mitgeteilt, dass er in meinem Bett schlafen will? „Du wirst bitte was?“, hake ich nach, während er bereits mit voller Leidenschaft seine Nudeln isst.

„Ich sagte, ich werde nicht . Das ist ein großer Unterschied.“

Okay, Miles. Tief einatmen und ganz ruhig bleiben.

„Du wirst also nicht auf der Couch schlafen, das habe ich verstanden. Und warum genau sitzt du jetzt in meinem Bett? Wollte der Vermieter nicht kommen und dir Schlüssel für eine andere Hütte bringen?“

„Jap, der war auch hier, aber ich habe abgelehnt.“ Er beugt sich zu mir herüber, dreht die Nudeln auf die Gabel und hält sie mir anschließend vor den Mund. Warum auch immer öffne ich diesen und er schiebt das Essen hinein. Kauend suche ich nach Worten und verschlucke mich fast dabei. Bin ich im falschen Film? „Du solltest wirklich essen, sonst wird es noch kalt.“

„Moment, jetzt mal langsam und für ganz Dumme.“ Er dreht den Kopf zur Seite und sieht mich an, sagt jedoch zunächst nichts. Sein Blick allerdings verrät mir, dass er bereits den nächsten Spruch auf Lager hat. „Der Vermieter war hier, um dir die Schlüssel für deine Hütte zu bringen, aber du hast sie abgelehnt? Weil? Ist dir die Ruhe plötzlich doch nicht mehr ganz so wichtig? Oder legst du dich immer bei wildfremden Männern ins Bett, um mit ihnen Spaghetti zu essen, bevor du mit ihnen schläfst? Also ich meine Schlafen im Sinne von Augen zumachen und … Keinen Sex. Ich meine …“

Da ich mich gerade um Kopf und Kragen rede, spare ich mir jegliche weiteren Worte und stelle stattdessen fest, dass Mister Ach-ich-bin-doch-so-toll offensichtlich seinen Spaß hat. Er schmunzelt und lacht sogar leise, bevor er den Blick nach vorn auf seinen Teller richtet.

„Also erstens ist mir die Ruhe sehr wohl noch wichtig, aber ich schätze, ein wenig Unterhaltung tut selbst einem Menschen wie mir ganz gut. Zweitens …“ Er nimmt den Teller, der mittlerweile leer ist, und stellt ihn zur Seite. Dann sieht er mich wieder an. „Zweitens habe ich schon seit Ewigkeiten nicht mehr bei einem Mann im Bett gelegen. Weder mit noch ohne Spaghetti, noch mit dem Gedanken, neben ihm einzuschlafen. Allerdings dachte ich, dass du nach dem Streit mit diesem Idioten jemanden brauchst, mit dem du reden kannst. Außerdem habe ich, seit du hier bist, mehr geschrieben als in den letzten Wochen zuvor. Mein Kopf scheint zu glauben, dass du die perfekte Muse für mich bist. Also kann ich dich wohl unmöglich einfach allein lassen.“

Überrascht über seine Worte weiß ich zunächst erneut nicht, was ich sagen soll. Er ist schon ein merkwürdiger Kerl. Auf der einen Seite versucht er das, was er macht und sagt, ins Lächerliche zu ziehen. Auf der anderen ist er aber verdammt ehrlich.

„Hast du nicht heute Morgen erzählt, dass du in deinen Büchern Menschen vergiftest?“

„Unter anderem, ja.“

Ich runzle die Stirn. „Ich bin mir gerade nicht sicher, ob ich deine Muse sein möchte.“

Er beginnt zu lachen. „Tja, das Risiko wirst du wohl eingehen müssen.“

Ich schüttle den Kopf und sage zunächst nichts weiter dazu. Stattdessen nehme ich die Gabel, die auf meinem Teller liegt, und fange an, meine Nudeln zu essen. Es ist irgendwie süß, dass er mich nicht allein lassen möchte und sich Sorgen um mich macht. Cole wäre das nicht einmal als mein Freund in den Sinn gekommen.

„Danke, das war wirklich sehr lecker“, sage ich nach einer ganzen Weile und halte ihm den Teller hin, welchen er mir abnimmt und ebenfalls zur Seite stellt. Gespannt darauf, ob er noch irgendetwas zu sagen hat, lehne ich mich zurück an die Wand und betrachte ihn von der Seite. Doch er gibt kein Wort von sich, sieht mich nicht einmal an. „Eine Frage habe ich noch.“

Jetzt dreht er den Kopf in meine Richtung. „Du darfst auch gern mehrere haben.“

Meine Mundwinkel verziehen sich zu einem schiefen Lächeln. „Bevor du neben mir einschläfst und mich als mörderische Muse benutzt, wüsste ich gern deinen Vornamen. Oder ist der so geheim, dass du ihn mir nicht verraten kannst? Dann müsste ich mir tatsächlich noch einen Spitznamen für dich überlegen.“

„Einen Spitznamen, hm? Ich bin mir sehr sicher, dass ich den nicht hören möchte.“ Er grinst und ich tue es ebenfalls. „Ich heiße Seth. Seth Anthony Brewster. Und wenn du jetzt sagst, dass er passend für Pornofilme ist, werde ich dich eigenhändig aus der Hütte werfen.“

Ich beginne zu lachen, da ich diesen Gedanken definitiv nicht hatte, er mir aber absolut gefällt. „Hm, jetzt wo du es sagst.“ Ich lache erneut. „Nein, Spaß. Ich schätze, der Zweitname gilt deinem Dad?“

Er zuckt die Schultern. „Möglich, ich weiß es nicht.“ Mehr, als ihn zu betrachten, ist in diesem Augenblick nicht drin, da ich nicht weiß, wie ich seine Aussage deuten soll. Er klingt traurig, hat aber auf der anderen Seite wieder dieses sehr sympathische Grinsen auf den Lippen. „Möchtest du reden?“

Seth dreht sich in meine Richtung und setzt sich in den Schneidersitz, während seine Augen ununterbrochen auf meinen liegen. Es ist mir unangenehm aber auch irgendwie nicht. Das Problem ist, dass ich diesen Mann absolut nicht einschätzen kann.

„Worüber soll ich denn reden?“

„Ach, ich weiß auch nicht …“ Seth seufzt. „Vielleicht über diesen Schwachkopf, der dich nach nicht einmal einem Tag wegen seiner Firma hier sitzen lässt und von dem du dich vor ein paar Stunden getrennt hast? Oder über die Tatsache, dass du dich mit ihm auf die Suche nach deinen Eltern machen wolltest? Wir können natürlich auch über euer viel zu lautes Sexleben sprechen, wenn dir das lieber ist. Vielleicht bin ich danach ja nicht mehr abgeneigt, seiner Aussage, mit dir in die Kiste zu springen, nachzugehen.“ Er legt den Kopf zur Seite und ich bin zunächst sehr davon angetan, diesem Idioten meine Meinung zu sagen. Doch die Art und Weise, wie er mich ansieht und ja, anlächelt, besänftigt mich sofort. Mir ist klar, dass er mich nur aus der Reserve locken möchte, aber ich weiß nun mal nicht, wo ich anfangen soll. „Ist er immer so? Ich meine, wie kann er denn einfach seine Sachen packen und dich hier allein zurücklassen?“

Ich zucke die Schultern und spiele nervös mit meinen Fingern. „Weil es ihn schlicht und einfach nicht interessiert. Aber nein, er war nicht immer so. Natürlich, Cole ging es schon immer viel um Geld und auch um die Firma. Aber seit sein Vater in den Ruhestand gegangen und er an seine Stelle getreten ist, hat sich einiges verändert. Er lebt quasi nur noch für die Firma, geht früh aus dem Haus und kommt erst spät zurück. Und dann kam er vor ein paar Monaten noch auf die Idee, eine offene Beziehung zu führen. Ich schätze, dass er tagsüber mehr Lust auf Sex hat als abends, wenn er müde nach Hause kommt …“

Allein der Gedanke daran macht mir klar, wie unglücklich ich in der letzten Zeit doch eigentlich war. Die Zustimmung zu dieser idiotischen Beziehung war nur die Hoffnung, Cole nicht ganz zu verlieren. Aber dieses Vorhaben ist ja gerade gescheitert.

„Ich verstehe.“ Seth betrachtet mich noch immer. Ich glaube, er hat den Blick bisher nicht eine Sekunde von mir abgewandt. „Weißt du, ich finde, du solltest stolz darauf sein, dass du die Stärke hattest, das Ganze hier und jetzt zu beenden. Nicht jeder hat die Kraft dazu, sich von so jemandem zu lösen. Vor allem, wenn man glaubt, dass die Beziehung trotz allem noch eine Chance hat. Ich weiß, es tut weh, aber in ein paar Tagen wirst du erkennen, dass es das absolut Richtige war. Der Kerl ist es echt nicht wert, dass du ihm nachweinst. Vor allem nicht, nachdem er sein Versprechen gebrochen hat.“

Und da ist er wieder, dieser Schmerz in seinen Augen. Schmerz, den ich absolut nicht deuten kann, der aber definitiv vorhanden ist. Ob er selbst etwas Ähnliches erlebt hat?

„Ich werde sie auch allein finden“, sage ich nach einer ganzen Weile, da er ja sowieso weiß, worum es geht. Er hat alles mitbekommen. Und genau aus diesem Grund sitzt er hier. „Wer braucht dafür schon einen arroganten Firmenchef.“

„Stimmt, aber wie wäre es mit einem arroganten Thrillerautoren?“

Ich hebe den Kopf und sehe ihn überrascht an. „Wie meinst du das?“

„Na ja.“ Er zuckt erneut die Schultern. „Wenn du möchtest, dann werde ich dich auf der Suche nach deinen Eltern begleiten. Ich weiß zwar nicht, worum es genau geht, aber das kannst du mir ja immer noch in Ruhe erklären. Ich möchte damit nur sagen, dass du das nicht allein machen musst. Ich bin da, wenn du mich lässt.“

Es gibt wahrscheinlich tausende Dinge, die ich jetzt sagen könnte, aber mir fällt kein einziges dazu ein. Stattdessen sitze ich nur da und lächle, genieße das gute Gefühl, das mich gerade umgibt. Seth kennt mich seit gerade mal vierundzwanzig Stunden und trotzdem möchte er mir helfen, meine Eltern zu finden. Einfach so, ohne großartige Hintergedanken. Schätze ich.

„Warum willst du mir helfen? Ich meine, du kennst mich nicht. Ich kenne dich nicht. Und wie du gerade so schön sagtest, weißt du nicht einmal, worum es genau geht. Wieso, Seth?“

Seth reibt sich über den Nacken und streckt sich ein wenig, was mir nur zeigt, dass er langsam müde wird. Dennoch brauche ich auf diese Frage noch eine Antwort. Ich muss es wissen.

„Weil ich nachvollziehen kann, wie du dich gerade fühlst. Ich bin in einem Waisenhaus groß geworden, weil man mich dort abgegeben hat, als ich noch keinen Tag auf der Welt war. Das ist im Grunde alles, was ich über mich weiß, neben meinen beiden Vornamen. Danach wurde ich von einer Pflegefamilie zur nächsten gereicht. Niemand wollte mich haben, weil ich kein leichtes Kind gewesen bin. Anstrengend, nicht erziehbar, aggressiv, unbelehrbar. Das sind nur wenige der Worte, die mir noch im Kopf herumschwirren, aber glaube mir, ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man keine Ahnung hat, wo man herkommt. Wenn du möchtest, dass ich dir helfe, dann werde ich das sehr gerne tun, aber jetzt …“ Er steht auf und nimmt das Tablett mit den Tellern von der Nachtkonsole. Ich schätze, dass er den Versuch wagt, um ein weiteres Gespräch herumzukommen. Dass ihn seine Erzählung sehr mitnimmt, erkenne ich an seinen leeren Augen, doch ich werde erst einmal nicht weiter nachhaken. Wir haben noch genug Zeit, um uns voneinander zu erzählen. „Ich bringe die Sachen weg und dann verschwinde ich kurz im Bad. Es ist schon spät und ich bin müde, also würde ich mich gleich gern hinlegen. Falls dir das zu früh ist, dann …“

„Nein, nein, schon gut“, dementiere ich sofort und schenke ihm ein Lächeln. „Ich bin auch müde, trotz der vielen Stunden Schlaf.“

„In Ordnung. Dann bin ich gleich wieder da, okay?“

„Ja, okay …“