Vierzehn

 

 

Ich habe in dieser Nacht nicht sonderlich viel geschlafen, und dass ich gerade vom Klingeln meines Handys geweckt worden bin, macht die Sache nicht besser. Ich bin noch immer müde und ausgelaugt, nicht bereit, dieses Bett auch nur für eine Minute zu verlassen. Immer wieder habe ich im Traum Seth‘ Augen vor mir gehabt. Seine Hände auf meinem Körper gespürt. Seine Lippen auf meinen … Jedes Mal, wenn ich wach geworden bin, habe ich mich gefragt, ob ich wirklich den richtigen Weg gegangen bin. Ob es nicht ein Fehler war, einfach zu gehen und nicht noch einmal mit ihm zu sprechen.

Nein, das war es nicht , sage ich zu mir selbst und seufze leise. Seth braucht die Zeit zum Nachdenken und ich … Ja, ich brauche sie auch.

Die Augen geöffnet, fahre ich mir zunächst durch das Haar, bevor ich nach meinem Smartphone greife und es an mich nehme. Ich sehe etwas verschwommen, was sich nach einigen Malen blinzeln aber schnell legt, weshalb ich die Displaysperre löse und nachsehe, wer mir da gerade geschrieben hat.

Nora …

Sie möchte sicher wissen, ob ich mit Seth gesprochen habe. Ich habe ihr gar nicht gesagt, dass ich schon längst wieder zu Hause bin.

 

Na, liebster Cousin, hast du dich mit Seth ausgesprochen? Da du dich so lange nicht gemeldet hast, gehe ich jetzt einfach mal davon aus. Es würde mich auf jeden Fall sehr freuen :)

 

Wäre es mal so. Könnte ich ihr nur sagen, dass wir geredet haben und noch immer kuschelnd zusammen im Bett liegen. Stattdessen kann ich ihr jetzt erklären, dass er nicht einmal mehr da war, als ich zurückgekommen bin.

 

Da muss ich dich leider enttäuschen. Seth war nicht mehr in der Hütte, als ich wiedergekommen bin. Stattdessen hat er mir einen Brief hinterlassen, in dem steht, dass ich nicht auf ihn warten soll, weil er nicht gut für mich ist. Das ist die Kurzfassung, aber die Lage macht das Ganze leider nicht besser. Danach habe ich den direkten Flug zurück nach Hause genommen.

 

Ich lege das Handy zur Seite, um unter die Dusche zu springen, da ich mich nicht länger als nötig in diesem Zimmer aufhalten möchte. Das Beste wird sein, ich fahre so früh wie möglich in meine Wohnung, um schon mal ein paar Sachen zusammenzupacken. Cole wird in der Firma sein und ich habe meine Ruhe, was nicht mehr der Fall sein wird, sobald er Feierabend hat. Aber wer weiß schon, wann das ist. Ich werde auf jeden Fall einen Teufel tun und ihn vorher nach Hause bitten. Das Gespräch mit ihm wird so oder so nicht schön.

Nachdem ich mich gewaschen und umgezogen habe, nehme ich erneut das Handy an mich, um nachzusehen, ob Nora mir bereits geantwortet hat. Und tatsächlich, ihre Antwort ist bereits da.

 

Wie jetzt, er war nicht mehr da? Er ist einfach abgehauen? Aber warum? Gab es einen Grund dafür? Ich meine, hätte er dir all das, was in dem Brief steht, nicht persönlich sagen können? Und was meint er mit: Er ist nicht gut für dich? O Mann, verzeih mir, das sind schon wieder viel zu viele Fragen, aber damit habe ich jetzt überhaupt nicht gerechnet. Ich habe gedacht, wenn ich dich heute anschreibe, erzählst du mir, dass du glücklich neben ihm liegst :/ Mensch, das tut mir wirklich leid. Wie geht es dir denn?

 

Seufzend überlege ich, was ich ihr antworten soll und lasse mich auf dem Bett nieder. Bei der Frage, wie es mir geht, muss ich nicht lange überlegen, aber was Seth betrifft … Es ist schwierig, da ich nicht weiß, wie sie reagieren wird. Ehrlich gesagt, traue ich ihr sogar zu, dass sie zu ihm geht und ihn fragt, ob er sie noch alle hat.

Ich muss leise lachen. Ja, genau das würde sie vermutlich tun. So direkt wie sie ist, hätte sie mit großer Wahrscheinlichkeit kein Problem damit, ihn direkt mit ihrer Meinung zu konfrontieren. Vielleicht ist es das Beste, wenn ich sie heute Abend anrufe. Um ihr genau zu erklären, was passiert ist, bräuchte ich per WhatsApp sowieso eine halbe Ewigkeit.

 

Ist es in Ordnung, wenn wir heute Abend telefonieren? Ich bin gerade auf dem Sprung zu meinem Ex. Ein paar Sachen aus der Wohnung holen und so weiter. Und am Telefon können wir uns eh viel besser unterhalten.

 

Ihre Antwort kommt relativ schnell.

 

Aber klar! Ich habe um 20:00 Feierabend. Melde dich einfach, wenn du Luft hast. Und Miles? Kopf hoch :)

 

Ich werde es versuchen, Nora.

Ich werde es versuchen …

 

•••

 

Als ich eine Stunde später vor Coles und meiner gemeinsamen Wohnung stehe, weiß ich gar nicht mehr so recht, was ich hier überhaupt möchte. Natürlich, ich werde ein paar frische Klamotten einpacken und mit ins Hotel nehmen, aber ansonsten? Ich habe weder eine neue Wohnung noch die Möglichkeit, meine Sachen irgendwo unterzustellen. Miley habe ich nach meinem Verschwinden noch nicht gefragt, auch wenn ich mir sicher bin, dass sie mir garantiert helfen wird. Sie hat mir ja bereits angeboten, bei ihnen zu übernachten, aber das möchte ich auf Dauer nicht. Allerdings ist das Hotelzimmer ebenfalls keine langfristige Lösung, da ich nicht weiß, wovon ich es bezahlen soll. Das ist doch alles scheiße. Und hier bei Cole in der Wohnung bleiben? Nein, das kommt definitiv genauso wenig infrage.

Seufzend drehe ich die Schlüssel um und öffne die Tür, bevor ich in die Wohnung trete und den gewohnten Geruch einatme, der immer in diesen vier Wänden liegt. Ein Hauch von Zitrone, der durch die Lufterfrischer erzeugt wird, und der mir in gewisser Art und Weise immer ein bisschen zu viel war.

Die Tür klickt ins Schloss, als ich sie zudrücke, doch wie zu Hause fühle ich mich ganz und gar nicht mehr. Ich weiß nicht einmal wieso, aber alles wirkt so steril und langweilig. Es fehlen Farben, und … Verwirrt über mich selbst schüttle ich den Kopf. Jetzt habe ich so lange hier gelebt und war, bis auf die offene Beziehung zu Cole, doch eigentlich zufrieden mit meinem Leben. Warum ist es jetzt ein einziger Blick in diese Wohnung, der mich an allem zweifeln lässt? Ich kann es mir nur so erklären, dass die ganze Situation gerade nicht unbedingt zufriedenstellend ist. Wäre Cole in den letzten Monaten anders zu mir gewesen, hätte ich mich sicherlich über nichts beschwert. Aber so …

Die Gedanken zur Seite geschoben, begebe ich mich auf direktem Weg ins Schlafzimmer, um meine Klamotten in einen der Koffer zu packen, die wir zum Glück immer im Schrank stehen haben. Ich denke, sie werden das Einzige sein, was ich heute, neben ein paar persönlichen Bildern, mitnehmen werde. Alles andere kann Cole für mich zusammensuchen und ich hole es in ein paar Tagen ab. Im Grunde ist es sowieso nicht viel. Das meiste der Einrichtung hat er bezahlt und selbst wenn nicht, werde ich mich sicherlich nicht mit ihm darum streiten. Das Geld, das ich auf meinem Sparbuch habe, wird reichen, um eine kleine Wohnung neu einzurichten. Und dann muss man eben weitersehen.

„Es ist schön, dass du eher zurück bist, als eigentlich geplant war.“

Ich zucke zusammen, als Cole unerwartet hinter mir in der Tür steht und lasse dabei fast die Sachen fallen, die ich gerade aus dem Schrank genommen habe. Mein Herz klopft wie verrückt. Warum zum Teufel ist er überhaupt hier?

„Hast du sie noch alle?“, frage ich kopfschüttelnd und lege die Sachen im Koffer ab. „Willst du mich zu Tode erschrecken?“

„Ich konnte ja nicht ahnen, dass du plötzlich so schreckhaft bist.“ Im Augenwinkel sehe ich, dass er grinsend auf mich zukommt. Dieser Idiot. Ich war schon immer so. „Warum hast du mir nicht gesagt, dass du wieder da bist? Ohne deine Schwester hätte ich dich heute gar nicht begrüßen können.“

„Miley hat dir Bescheid gesagt, dass ich wieder in Miami bin?“

Ich drehe den Kopf in seine Richtung, um ihn anzusehen. Noch immer liegt dieses dämliche Grinsen auf seinen Lippen.

„Da du meine Nachrichten und Anrufe blockiert hast, blieb mir ja nichts anderes übrig, als sie darum zu bitten, mir zu sagen, wenn du wieder da bist. Und als sie sich heute Morgen gemeldet hat, habe ich mir natürlich sofort freigenommen, um hier zu sein, sobald du auftauchst.“

Ehrlich gesagt muss ich mir auf die Zunge beißen, um nicht direkt all das zu sagen, was mir gerade durch den Kopf geht. Hätte er sich diese Zeit mal vorher genommen, dann hätten wir manche Probleme vielleicht gar nicht gehabt.

„Diesen Urlaubstag hättest du dir sparen können, ich bin nämlich gleich wieder weg.“ Ich gehe erneut zum Schrank und nehme die letzten T-Shirts heraus, die noch im Regal liegen. Diese packe ich ebenfalls in den Koffer und schließe ihn. „Ich wollte mir nur ein paar Sachen holen, das ist alles.“

„Das ist also alles, hm?“ Cole tritt hinter mich und legt seine Hände an meine Seiten, bevor er mich mit einem Ruck an sich zieht. Der Versuch, mich aus seinem Griff zu lösen, scheitert zunächst, da ich viel zu dicht vor dem Bett stehe. „Und was ist mit mir? Hast du mich denn gar nicht vermisst?“

Es ist schlimm für mich zu sehen, dass er auch jetzt an nichts anderes denkt als an Sex. Die Beule in seiner Hose drückt sich fest gegen meinen Hintern, während sein warmer Atem meinen Nacken streift. Wut steigt in mir auf. Dieser Kerl ist ein noch größerer Idiot, als ich immer gedacht habe.

„Sag mal, hast du unser letztes Gespräch schon wieder vergessen?“, frage ich genervt und schaffe es irgendwie, ihn von mir wegzudrücken. Daraufhin geht er ein paar Schritte zurück. „Ich habe dir gesagt, es ist aus zwischen uns. Daran hat sich nichts geändert.“

Cole runzelt die Stirn und sieht mich an, als würde er mir kein Wort von dem, was ich sage, glauben. Das Blitzen in seinen Augen wirkt amüsiert. Das Zucken seiner Mundwinkel macht mich noch wütender, als ich es eh schon bin.

„Also eigentlich habe ich gedacht, du bist entspannter, wenn du zurück nach Hause kommst. Du hattest Urlaub, kein Internet und einen verdammt heißen Mitbewohner, der dich hoffentlich um den Verstand gevögelt hat. Was also ist dein Problem, Miles? Entspann dich mal.“

„Was mein Problem ist, willst du wissen?“ Ich schüttle fassungslos den Kopf. „ Du bist mein Problem, Cole. Wenn du auch nur einmal nachgedacht hättest, dann wüsstest du, dass ich keinen Urlaub gemacht habe. Ich habe meine Eltern gesucht, aber nicht einmal das interessiert dich. Das Einzige, was dir wieder wichtig ist, ist, ob ich auch gut durchgefickt wurde. Du fragst ja nicht einmal, wie es mir geht!“

Ich weiß nicht, wann und ob dieser Mann es schon einmal geschafft hat, mich so dermaßen sauer zu machen. Was ist nur mit ihm passiert? Was hat ihn zu so einem egoistischen, empathielosen Arschloch werden lassen?

„Ich bin davon ausgegangen, dass du mir selbst davon erzählst“, sagt er nach einer ganzen Weile.

Ein schlechter Versuch, alles wiedergutzumachen.

„Zwischen einem Fick auf dem Bett und im Wohnzimmer?“

Er fährt sich durch das Haar, was ein Zeichen dafür sein könnte, dass er langsam zu begreifen beginnt. Allerdings wird das nichts an meiner Entscheidung ändern. Das mit uns ist vorbei. Endgültig.

„Tu nicht so, als wäre ich je anders gewesen. Warum hast du plötzlich ein Problem damit?“

„Du warst nie anders? Natürlich warst du anders und das ist noch keine Ewigkeit her, auch wenn es sich so anfühlt. Keine Ahnung, was in den letzten Monaten mit dir passiert ist, aber ich gebe dir mal einen Tipp: Der nächste Kerl, den du kennenlernst, sollte deine Ansichten auf eine Beziehung teilen oder du bist einfach von Anfang an ehrlich. Einem nämlich vorzuspielen, dass man treu ist und anschließend auf eine offene Beziehung umschwenken, ist nichts, was Männer wie ich brauchen.“ Ich nehme den Koffer vom Bett und stelle ihn auf dem Boden ab, bevor ich den Griff nehme und ihn hinter mir her zur Tür ziehe. Es wird Zeit, dass ich hier rauskomme, bevor ich ihm noch mehr Dinge an den Kopf werfe. „Meine anderen Sachen hole ich in den nächsten Tagen ab. Es wäre also toll, wenn du sie mir zusammenpackst.“

„Ich habe dir nichts vorgespielt“, sagt er plötzlich, weshalb ich noch einmal stehenbleibe und mich zu ihm umdrehe. „Aber es gibt nun mal Dinge im Leben, die ändern sich.“

Ich weiß nicht warum, aber Cole wirkt plötzlich vollkommen anders, als es normalerweise der Fall ist. Er scheint in Gedanken und ernsthaft betroffen zu sein.

„Das stimmt und das ist auch vollkommen in Ordnung. Aber nichts davon, rein gar nichts, berechtigt dich dazu, den Menschen, den du angeblich liebst, wie den letzten Dreck zu behandeln. Und ich rede jetzt nicht zwangsläufig von der offenen Beziehung. Es war dumm von mir, ihr zuzustimmen, obwohl ich sie eigentlich gar nicht wollte. Das war ganz allein mein Fehler. Aber deine Ignoranz und dein Desinteresse haben unsere Beziehung am Ende kaputt gemacht. Dir war egal, was ich fühle oder wie es mir geht. Hauptsache war doch nur, dass ich im Bett so funktioniere, wie du es gewollt hast.“ Sein Schweigen und die Tatsache, dass er mir nicht einmal mehr in die Augen sehen kann, zeigen mir, dass es keinen Sinn hat, sich weiterhin mit ihm darüber zu unterhalten. Selbst wenn es einen bestimmten Grund hat, warum er sich so verändert hat, er wird ihn mir sowieso nicht erzählen. Alles, was zwischen Cole und mir war, ist nun endgültig vorbei. Und das ist auch gut so. „Melde dich, wenn du alles zusammen hast. Ich werde die Blockierung deiner Nummer rückgängig machen.“

Ohne ihn noch einmal anzusehen, verlasse ich den Raum und schließlich unsere gemeinsame Wohnung. Nicht wissend, was mir die Zukunft bringt, schließe ich mit einem Kapitel ab, das schon viel länger hätte beendet werden müssen. Doch es ist noch zu früh, um ein neues aufzuschlagen. Es braucht Zeit. Und ich … Ich brauche sie auch.