ZU BESUCH BEI ZWEI-STERNE-KOCH Alexander Herrmann

Alexander und ich kennen uns schon lange. Wir sind uns immer mal wieder bei Fernsehproduktionen über den Weg gelaufen und hatten dann nette und lustige Gespräche hinter den Kulissen. Und: Meine Freundin Christine, die übrigens auch die beste Farmsitterin der Welt ist, arbeitet in seinem Management. Auch deshalb traute ich mich zu fragen, ob der Zwei-Sterne-Koch, der noch dazu mit TV-Produktionen komplett ausgebucht ist, mit mir ein Menü für dieses Buch kochen würde.

Alexander sagte sofort zu und ich rief ihn begeistert an und erklärte mein Konzept: »Ich kann Zutaten aus meinem Garten mitbringen. Ich habe hier gerade fast alles, was im Herbst wachsen kann. Was soll ich einpacken?« Er antwortete trocken: »Wir kochen ein Huhn.« Ich erwiderte: »Vergiss es!« und wir mussten beide lachen.

Natürlich fragte er sofort nach: »Ist das okay, wenn wir ein Huhn zubereiten? Bist du Vegetarierin?« Und ich sagte: »Nein, ich esse Fleisch. Ich habe die Rasse meiner ersten Hühner damals sogar extra so ausgesucht, dass man sie auch essen kann. Weil ich dann ehrliches Bio-Fleisch habe. Aber ich bringe es nicht übers Herz, sie zu schlachten. Ich bepuschele die den ganzen Tag. Wir müssen ein Fremdhuhn nehmen.« Alexander lachte erneut: »Ein Fremdhuhn?« »Ja, eins, das keinen Namen hat und das ich nicht kenne. Ich kann das sonst nicht. Ich weiß, das ist bigott. Aber so ist es halt.« Alexander zeigte Verständnis: »So geht es doch vielen. Ich besorge ein Bio-Huhn von meinem Landwirt und dann zeige ich dir, wie wir dieses Huhn komplett und ganz und gar verarbeiten können. Denn auch das ist Wertschätzung: wenn wir ihnen ein gutes Leben ermöglichen, einen angemessenen Preis bezahlen und sie komplett verwerten und nichts wegwerfen.« Ich antwortete: »So machen wir es.«

Und so kam ich tatsächlich zu einem Kochdate mit Alexander Herrmann, der mit seiner fränkischen Herzlichkeit in der Welt der TV-Köche so etwas wie das Synonym für Bodenständigkeit ist. Seine Familie betreibt in Wirsberg bei Kulmbach seit 150 Jahren »Herrmanns Posthotel & Restaurant«. Schon Alexanders Vater hatte einen Michelinstern. Doch die Eltern starben früh. Autounfall. Alexander beschreibt diesen Schicksalsschlag als »brutale Zäsur«. Er wuchs bei seinen Großeltern und bei Onkel und Tante auf, die das Restaurant übernahmen. In der Schule tat er sich schwer, ging nach der mittleren Reife ab und fand seine Bestimmung: Nach dem Besuch der Hotelfachschule und einer Kochlehre kehrte er als Jahrgangsbester mit Auszeichnung als Küchenmeister ins Posthotel zurück.

Der Rest ist Karriere vom Feinsten: 2008 und 2019 erkochte er sich zwei Michelinsterne, wurde erst zum Fernsehkoch und dann zum Fernsehstar und eröffnete drei weitere Restaurants in Nürnberg. Er moderiert Kochsendungen im Radio und schreibt Bücher. Zu dem Kochbuch »Weil’s einfach gesünder ist« hat ihn seine Oma Herta inspiriert, die 104 Jahre alt wurde. Eine Frau, über die wir jetzt sprechen.

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Obwohl Alexander unbedingt ein Huhn zubereiten wollte, hatten wir einen friedlichen Nachmittag.

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Zum Kochen haben wir uns in Alexander Herrmanns Restaurant »Imperial« in Nürnberg getroffen. Stylishes, aber reduziertes Ambiente mit toller Dachterrasse.

Alexander, wie war deine Oma Herta?

Sie war die Grande Dame und zugleich die Seele unseres Hotels. Abends kam sie immer schick angezogen herunter, setzte sich an die Hotelbar und trank Rotwein. Mit 85 machte sie noch einen Fallschirmsprung und mit 90 änderte sie plötzlich ihre Trinkgewohnheiten. Sie füllte den Rotwein von da an zur Hälfte mit Sekt auf.

Das ist ja fast wie im Skiurlaub, wenn man Rotwein mit Cola mischt (lacht)…

Ja, das war ihr Getränk. Erst mit 100 tauschte sie den Rotwein gegen Rote-Bete-Saft, weil sie das gesünder fand. Der Sekt blieb und der Farbe wollte sie auch treu bleiben.

Ich liebe deine Oma schon jetzt. (lacht) Hat sie in der Küche mitgeholfen?

Nein. (lacht) Nie. Sie ging da immer nur durch und kontrollierte. Sie war keine Köchin, gab aber ständig Anweisungen. Je älter sie wurde, desto schlimmer wurde es. Am Ende brauchte man viel Humor. Aber alle mochten sie. Weil sie einfach unglaublich authentisch war und weil sie dazugehörte.

Du schreibst in deinem Buch »Weilś einfach gesünder ist«, dass du auch viele gute Tipps in Sachen Kochen von ihr bekommen hast. Welche waren das denn zum Beispiel?

Sie hat jeden Tag mit einem Sauerkrautsaft begonnen, hat reichlich gefrühstückt, viel Körnerbrot gegessen und dann hat sie einen langen Spaziergang gemacht. Mittags hat sie wenig gegessen – fast nie Nudeln, dafür aber nachmittags einen Kuchen, bei dem sie den Boden gerne übrig gelassen hat. Und abends hat sie fast gar nichts mehr gegessen. Da reichte ihr der Rotwein und der Krystle-Carrington-Moment, wenn sie die Treppe herunterkam. Aus heutiger Sicht hat sie damit ernährungstechnisch gleich mehrere Trends bedient.

Welche Ernährungstrends meinst du konkret?

Mit wenig Pasta hat sie Low Carb gelebt und die Essenspausen vom Kuchen am Nachmittag bis zum Frühstück am nächsten Tag nennt man heute intermittierendes Fasten. Sie hat sekundäre Pflanzenstoffe wie die Polyphenole mit dem Rotwein in ihren Tag integriert und mit dem Sauerkrautsaft für eine gesunde Darmflora gesorgt. Alles instinktiv. Meine Oma war bis ins hohe Alter fit, hatte nie Diabetes, Arthrose oder Herz-Kreislauf-Probleme. Sie hat offenbar vieles richtig gemacht.

Meine Oma hat nachmittags immer gern ein Likörchen getrunken. Sie hatte einen großen Obst- und Gemüsegarten und hat Kompott eingeweckt und Marmeladen gekocht. Hat Herta das auch gemacht?

Ich habe sie nicht einmal in meinem Leben Marmelade machen sehen. (lacht)

Und du? Machst du Marmelade? Weckst du ein?

Oh ja! Es gibt sowieso einige Unterschiede zwischen mir und meiner Großmutter. Ich zum Beispiel LIEBE Pasta. Und ich wecke ein. Wir haben in Wirsberg eine große Vorratskammer, wo wir eingemachte, zum Beispiel in Öl oder Essig eingelegte Zutaten und Fermentiertes lagern. Wir fermentieren viel selbst. Das gehört mit zu meiner Küche einfach dazu.

Warum ist dir das so wichtig?

Weil ich flexibel sein möchte in der Küche. Es ist wunderbar, mit den Zutaten zu kochen, die saisonal auf dem Feld wachsen, aber ich möchte auch im Winter eine Kirschtomate nutzen können. Und bevor die Zutaten dann aus dem Gewächshaus kommen oder lange Transportwege haben, nehme ich lieber welche aus dem Vorrat. Dann kann ich sie nämlich regional einkaufen und auf dem Höhepunkt ihres Geschmacks, zur besten Erntezeit konservieren. Eine August-Tomate, die in der Sonne gereift ist, schmeckt doch ganz anders als eine, die aus irgendeinem Gewächshaus kommt und nur künstliches Licht gesehen hat. Und ich möchte in meiner Küche die besten Zutaten mit dem besten Geschmack verarbeiten.

Heißt das, dass ihr in den Erntemonaten wie wild einmacht und fermentiert in Wirsberg? So wichtig ist dir der regionale Bezug der Zutaten?

So ist es. Meine Lieferanten liefern die Zutaten dann kistenweise und wir sitzen da und wecken Hunderte Gläser ein – neben dem normalen Restaurantgeschäft. Bei einem der Gerichte, die ich dir im Menü zeige, arbeiten wir zum Beispiel mit abgezogenen Kirschtomaten. Wenn man die einweckt, hat man im Winter eine köstliche regionale Zutat. So machen wir es mit vielen Lebensmitteln, die im Winter und Frühjahr nicht frisch und regional zur Verfügung stehen.

Du könntest es dir einfacher machen, oder?

Ja, könnte ich. Aber dann schmecktś nicht so gut.

Der Punkt geht an dich. Einmachen und einwecken hat der ein oder andere ja vielleicht schon mal gemacht. Dazu gab es in meinem ersten Buch auch schon etwas Hilfestellung. Aber wie fermentiert man? Das habe ich noch nie versucht …

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Erst häuten, dann in Sud einlegen und einwecken. Schon ist die Kirschtomate winterfit.

Wir machen das gleich zusammen mit Spitzkohl. Du könntest auch Weißkohl nehmen, dann hättest du ein ganz klassisches Sauerkraut. Denn der Weg ist der gleiche: Du lässt das Gemüse gären, dabei starten Bakterien und Enzyme einen Fermentationsprozess und wenn dieser abgeschlossen ist, kannst du das Gemüse lange lagern. In der absoluten Basisversion brauchst du dafür nur einen Spitzkohl oder Weißkohl, reines Salz, ein großes Fermentierglas mit Deckel und Ventil und ein Messer.

Mit Ventil? Die fehlen noch in meiner Küche …

Ja, wegen des Gärprozesses. Beim Fermentieren entstehen Gase und die müssen entweichen können. Das Basisrezept ist so: Du schneidest den Kohl in sehr schmale Streifen und wiegst die Menge genau ab. Nur so kannst du die Salzmenge ermitteln, denn die muss exakt stimmen: zwei Prozent Salz sind nötig. Bei 500 kg Kohl also 10 g Salz. Du mischst den Kohl mit dem Salz und knetest beides in einer Schüssel richtig gut durch. Mehrere Minuten lang. Dann stopfst du den Kohl ganz dicht in das Glas und füllst mit der Flüssigkeit auf, die du vorher rausgedrückt hast.

Reicht die Flüssigkeit denn aus? Da kam gar nicht so viel raus, wenn ich drücke?

Du musst wirklich mit Kraft kneten. Nicht nur so alibimäßig drin herumdrücken. Wenn es trotzdem nicht reicht, kannst du Wasser mit Salz aufkochen und damit auffüllen. Aber im gleichen Verhältnis: 2 Prozent Salz müssen ins Wasser. Und wenn das Glas fertig befüllt ist, muss es eine Woche bei Zimmertemperatur gären. Wenn keine Bläschen mehr aufsteigen, ist der Fermentationsprozess abgeschlossen. Jetzt kann der Kohl an einem dunklen und kühlen Ort gelagert werden und hält sich etwa ein Jahr.

Und wie unterscheidet sich der fermentierte Kohl eines Sternekochs vom Sauerkraut meiner Oma?

(Lacht) Ich packe schon noch ein paar Gewürze mit ins Glas, wie du gleich sehen wirst, und am Ende kommt es natürlich darauf an, was du mit den einzelnen Zutaten dann insgesamt kreierst. Der fermentierte Spitzkohl ist bei mir eine Zutat, aus der ich dann mit anderen Zutaten etwas Neues kreiere. Keine fertige Beilage, die nur warm gemacht wird.

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Man hört immer wieder, dass es schwer für die Sterneköche ist, ihr Niveau zu halten, weil der Aufwand so groß ist, den man mit der Qualität seiner Zutaten betreiben muss. Ist es bei dir so, dass deine TV-Jobs da quer finanzieren?

Ja, es ist eine Mischkalkulation. Das Hotel mit Bistro und Gourmetrestaurant in Wirsberg, die drei Restaurants in Nürnberg, meine Sendungen und Bücher. Letztlich baust du mit alldem ja eine Marke auf, von der alle Aktivitäten profitieren. Aber – und das ist zentral: Du musst dieses Versprechen auch einhalten.

Weil man damit auch eine Erwartungshaltung weckt?

Ja, genau. Ich erinnere mich noch, wie ich mal in einem Bio-Laden stand und Salzbrezeln kaufen wollte. Das Produkt gab es in so vielen Ausführungen, dass ich einfach nicht wusste, welches ich nehmen sollte, weil ich keine der Marken kannte. Und so geht es dir vielleicht auch, wenn du in einer fremden Stadt bist und ein Restaurant suchst. Es gibt so viele, für die du dich entscheiden könntest, aber du weißt nicht, was dich da erwartet. Und dann siehst du mein Restaurant und denkst vielleicht »Ah, der Herrmann. Das sagt mir was« und entscheidest dich dafür. Aber wenn mein Restaurant dich dann enttäuscht, nimmst du beim nächsten Mal auf jeden Fall ein anderes. Fluch und Segen von Erwartungshaltung.

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Alexander gießt seinen fermentierten Spitzkohl mit Sauerkrautsaft auf.

Hat man es bei den Michelintestern einfacher, wenn man die schon mal begeistert hat und sie deshalb mit einer positiven Erwartungshaltung zum geheimen Testessen kommen?

Auch hier gilt: Du darfst die Erwartung nicht enttäuschen. Aber natürlich hilft sie auch. Wenn ein Sternekoch in ein anderes Haus – also Restaurant – wechselt, dann bleiben die Sterne erst mal beim ehemaligen Arbeitsplatz. Dort muss die Küche dann beweisen, dass sie auch ohne ihren bisherigen Küchenchef das Niveau halten kann. Und der Sternekoch, der wechselt, muss sich den Stern am neuen Arbeitsplatz erst wieder verdienen. Aber auch hier hilft die Erwartungshaltung: Da er es ja schon mal geschafft hat, muss er dem Anspruch nur gerecht werden. Er muss ihn sich nicht von Grund auf erarbeiten.

Wie ist denn deine Erwartungshaltung ans Essen? Magst du nur Zwei-Sterne-Essen?

(Lacht) Überhaupt nicht. Es darf für mich privat auch sehr gerne die ganz einfache Pasta sein. Wenn du zu Hause in deinem Selbstversorgergarten zur richtigen Zeit eine Tomate pflückst, dann ist diese Zutat perfekt, denn frisch geerntet hat sie ihr volles Aroma. Bei langen Transportwegen für den Handel wird sie in der Regel runtergekühlt und dabei verliert sie fast 50 Prozent ihres Geschmacks. Aber die Tomate aus dem eigenen Garten ist geschmacklich top. Da muss dann auch gar nicht viel dran an Saucen oder Schaum – Nudeln dazu, etwas Olivenöl, Salz und Pfeffer. Perfekt.

Und doch hast du dir keine Tomaten gewünscht, als ich fragte, was ich aus meinem Garten mitbringen soll. Sondern du hast trocken gesagt: »Ein Huhn« (lacht).

(Lacht ebenfalls) Ja, weil ich zeigen möchte, wie man ein Huhn komplett verarbeiten kann. Deshalb habe ich auch nicht drei klassische Gänge mit Vorspeise, Hauptgericht und Dessert vorbereitet für dich, sondern drei Gerichte mit Huhn. Bei denen wir das ganze Huhn verarbeiten. Ohne dass etwas ungenutzt bleibt. Da kommen wir noch mal auf das, was die Generation unserer Großeltern einfach noch richtig gemacht hat. Da wurde nichts weggeworfen.

Ich finde, du hast absolut recht damit. Trotzdem bin ich froh, dass hier jetzt nicht meine Henne »Schatzi« und Hahn »Giovanni« auf der Küchenarbeitsplatte liegen.

Deinen Giovanni würde ich auch niemals filetieren. Aber er ist doch gestorben, hast du mir erzählt, oder?

Ja, der Habicht hat ihn geholt und er hat die Hälfte übrig gelassen, der Schurke.