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hloe hatte den ganzen Nachmittag an ihrem Fenster gewartet. Sie hatte das Taxi gesehen, als es durch das Tal beim Cache Creek entlanggefahren war. Sie rannte die Treppe hinunter und stieß Josiah aus dem Weg.
„Wo brennt’s?“, rief er ihr hinterher. Chloe ignorierte ihn vollkommen, eilte zur Tür und stürzte dann auf die Veranda hinaus, wo sie sich entschloss, dass sie dort warten wollte. Es würde ihr ermöglichen, Heather mit ihren Taschen zu helfen und Heather könnte sofort sehen, was für eine großartige Tochter sie sein würde.
Josiah kam und gesellte sich zu ihr auf die Veranda. Auch er hatte den Wagen die Einfahrt hinauffahren sehen.
„Wer kommt uns besuchen, Chloe? Dein Vater hat nichts von Besuchern gesagt“, fragte er das Mädchen, die mittlerweile vor lauter Aufregung beinahe hyperventilierte.
„Das ist deshalb, weil Dad nichts davon weiß.“
„Aber du weißt davon?“ Josiah beäugte sie misstrauisch.
„Nein“, log Chloe, verschränkte ihre Arme und schob ihr Kinn hervor, ohne ihren Blick von dem heranfahrenden Fahrzeug zu nehmen.
„Nein?“, fragte Josiah noch einmal. Er ging vor Chloe in die Hocke, um sie auf Augenhöhe anzusehen. „Bist du dir sicher, dass du nichts weißt?“
Bevor Chloe antworten konnte, öffnete sich die Tür des Taxis und Heather stieg aus.
Chloe rannte die Stufen von der Veranda herunter und galoppierte über die Wiese, um ihre neue Mutter zu begrüßen. Sie hielt direkt vor ihr an, bewunderte ihr langes Haar, die wunderschönen braunen Augen, die sie voller Wärme und Freundlichkeit ansahen, und das einladende Lächeln, das perfekte, weiße Zähne zeigte.
„Bist du Chloe?“, fragte die Frau.
„Hi“, antwortete Chloe, die plötzlich verlegen und ein wenig überwältigt war. „Bist du Heather?“
„Das bin ich. Ich habe mich wirklich sehr darauf gefreut, dich kennenzulernen.“ Heather öffnete ihre Arme und lud das Mädchen ein, sie zu umarmen. Chloe trat verschüchtert in ihre Umarmung und atmete tief die Düfte von frisch gewaschener Wäsche und einem delikaten, blumigen Parfüm ein. Ihre Umarmung fühlte sich solide und liebevoll an – wie die ihres Vaters – aber sie fand, dass Heather dabei viel weicher und sanfter war. Chloe hatte das Gefühl, dass sie für immer in Heathers Armen bleiben könnte, wo sie sich klein und sicher und warm fühlte.
Schlussendlich löste sie sich aus der Umarmung und schaute zu Heather auf. Ihre Augen waren ein wenig feucht und Chloe hoffte, dass sie die Frau nicht traurig gemacht hatte.
„Darf ich dir das Haus zeigen, Heather? Würdest du gern mein Zimmer sehen?“
Heather lachte. „Liebend gern …“ Sie hielt inne und schaute zur Veranda auf. „Ist das dein Daddy, Chloe?“, fragte sie.
„Nein! Das ist Josiah. Er ist mein Babysitter. Und er arbeitet auf der Ranch mit meinem Dad. Mein Daddy ist nicht hier – er musste Billy Nelsons Zaun reparieren. Es tut ihm sehr leid, dass er dich nicht sofort sehen kann und er hat mich gebeten, dir mitzuteilen, dass er es zutiefst bereut“, beendete Chloe selbstbewusst. Sie strahlte zu Heather auf.
„Das ist schade. Na gut, dann freue ich mich darauf, ihn später kennenzulernen“, antwortete Heather. Sie war enttäuscht, dass er nicht hier war, um sie zu begrüßen, allerdings konnte man einen Notfall auf der Ranch nicht ignorieren. Sie zuckte mit ihren Schultern und bedankte sich beim Taxifahrer, dass er ihre Reisetaschen aus dem Kofferraum geholt hatte. Er nickte ihr zu und fuhr dann mit seinem Taxi wieder über den Feldweg zurück.
Josiah trat vor und nahm Heather die Taschen ab.
„Das wollte ich tun, Josiah!“ Chloe zerrte ihm eine aus seiner Hand und obwohl die Reisetasche beinahe so groß war, wie sie selbst, stolperte sie damit mutig die Stufen hinauf.
„Hallo. Ich bin Heather.“ Heather streckte ihre Hand nach ihm aus und Josiah lächelte, als er sie entgegen nahm.
„Freut mich, Sie kennenzulernen, Heather.“ Josiah war zu höflich, um nachzufragen, wer sie war und was sie hier wollte, also trug er die andere Tasche einfach zum Haus hinauf.
„Ich kann das übernehmen“, sagte Heather und fühlte sich furchtbar schuldig zuzulassen, dass ein junges Kind und ein alter Mann ihre Taschen für sie trugen. „Wirklich, überlassen Sie es mir.“
„Auf keinen Fall“, antwortete Josiah mit einem Augenzwinkern. „Nicht in diesem Teil der Welt. Wir lassen unsere Gäste nicht ihre eigenen Taschen über die Schwelle tragen.“ Heather lächelte und folgte ihm ins Haus.
Sie konnte sich gerade noch zurückhalten, laut zu seufzen, als sie den vorderen Raum betraten. Durch die großen Fenster an der vorderen Seite des Hauses schienen die roten, gelben und pinken Farbtöne des Sonnenuntergangs herein. Es war atemberaubend. Aber trotz des prächtigen ersten Eindrucks wirkte das Haus unglaublich einladend und gemütlich. Die Möbel sahen bewohnt
aus, nicht wie in einem Museum. Zwei riesige Ledersofas besaßen die klassischen Knitter und Falten einer gut eingesessenen Couch – ein Vintage-Aussehen, wofür Leute in New York City ein Vermögen bezahlen würden. In einem riesigen Kamin in der Mitte des Raums, dessen Schacht bis durch die Decke hinauf reichte, knisterte ein einladendes Feuer. Das gesamte Haus roch nach einem Hauch von Zedernholz und Heather konnte regelrecht spüren, wie sich ihr Körper entspannte, als sie von Raum zu Raum geführt wurde.
„Das hier ist dein Gästezimmer“, erklärte Chloe an der Tür eines äußerst hübschen Zimmers mit einem Kleiderschrank, einer Kommode und einem recht großen Doppelbett. Heather ging zum Fenster hinüber und bewunderte die Aussicht ins Tal.
„Es ist wunderschön. Vielen lieben Dank, Chloe.“ Sie drehte sich wieder zu dem Mädchen um, und während sie das tat, fiel ihr eine Vase mit den Wildblumen auf, die auf der Kommode stand.
„Sind die von dir?“, fragte sie Chloe.
„Von mir und meinem Dad“, antwortete Chloe stolz. „Gefallen sie dir?“
„Sie gefallen mir sogar sehr!“, rief Heather aus.
Chloe strahlte sie an. „Wir freuen uns wirklich sehr, dass du hier bist. Mein Dad kann es kaum erwarten, dich kennenzulernen. Ich hoffe, dir gefällt es hier. Wir haben Pferde und andere Tiere. Ich kann sie dir morgen zeigen. Und wir können im See angeln gehen, wenn du magst. Es gibt hier so viele Dinge, die wir tun können.“ Chloe beendete ihren Satz beinahe atemlos.
„Ich liebe es hier, Chloe. Es ist wundervoll“, versicherte Heather ihr. Chloes Gesicht rötete sich bei dem Kompliment.