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Kapitel Elf
H eather, wir sollten uns unterhalten.“ Tanner stand im Türrahmen zum Wohnzimmer, während sie gerade noch auf ihren Händen und Knien die letzten Stückchen Popcorn vom Boden aufsammelte. Sie beeilte sich, eine etwas würdevollere Position zu finden und setzte sich hastig auf den Rand des Sofas.
Tanner setzte sich in den Sessel, behielt eine körperliche Distanz zwischen ihnen bei. Er fuhr sich aufgebracht mit seiner Hand durch sein Haar.
„Sie sollten wissen, dass ich nicht … Nun, ich war nicht wirklich derjenige, der … Sie hierher eingeladen hat“, beendete Tanner seinen Satz lahm.
„Was meinen Sie damit?“ Heather verschränkt ihre Arme vor ihrer Brust.
„Na ja. Ich habe das Antragsformular nicht abgeschickt. Das war Chloe.“ Tanner würgte die Worte heraus und hob dann seinen Blick, um ihrem zu begegnen. „Ehrlich gesagt hatte ich nicht die geringste Ahnung, was hier vor sich ging, bis Sie bereits hier waren.“ Er zwang sich zu einem halben Lächeln und hoffte, dass sie lustige Seite dieser Situation sehen würde.
Heathers Herz sank. Das wurde sehr schnell von der Hitze absoluter Scham und Erniedrigung ersetzt, die sich in ihrem Körper ausbreitete.
„Oh, mein Gott. Was müssen Sie von mir gedacht haben.“ Sie zog ihre Arme fester um ihren Körper, umarmte sich selbst, als könne sie sich damit so klein machen, dass sie unsichtbar werden würde.
„Nein, bitte. So ist es nicht, Heather. Es tut mir leid, wenn ich …“ Tanner zögerte, suchte nach den richtigen Worten. „Wenn wir Sie belästigt haben.“
„Dann war der Brief also gar nicht von Ihnen, nicht wahr?“ Sie war solch ein Idiot gewesen.
„Brief? Nein. Das war Chloe. Ich habe diesen Brief nicht einmal gesehen.“
Heather schloss ihre Augen, als ob sie damit die Realität ihrer derzeitigen Situation ausblenden könnte. Sie hatte sich selbst vollkommen zum Narren gemacht – vor einem Mann, der nicht nur ein totaler Fremder war, sondern der absolut keine Ahnung hatte, wer sie war. Aber auch ein totaler Fremder, für den sie unangebrachte Gefühle entwickelte.
„Ich werde noch heute Nacht abreisen. Das tut mir so furchtbar leid.“ Heather starrte auf den Teppich und wollte nichts lieber tun, als aus diesem Raum zu entfliehen.
„Nein!“, platzte es aus Tanner heraus, bevor er etwas leiser weitersprach: „Ich meine, nein. Bitte gehe nicht.“ In Anbetracht der Situation, verzichtete er auf die formelle Anrede, weil er hoffte, dass es weniger harsch klingen würde. „Es würde Chloe das Herz brechen, wenn sie am Morgen herausfindet, dass du abgereist sind. Ich dachte mir, dass wir vielleicht … vielleicht könnten wir das hier versuchen.“ Er schwieg für einen Moment und wartete darauf, dass Heather antwortete. Er bekam nur vollkommenes Schweigen zur Antwort, also fuhr er fort: „Chloe zuliebe. Vielleicht ist das hier gar keine so schlechte Idee?“
Heather war von seinen Worten verletzt. Auf der einen Seite war es eine Erleichterung, dass sie nicht abreisen musste, ohne sich von Chloe zu verabschieden, aber es war gleichzeitig unglaublich qualvoll, als ihr klar wurde, dass Tanner eindeutig nicht an ihr interessiert war und absolut keine romantischen Absichten hatte. Der gefühlvolle Brief, der ihr so geschmeichelt hatte, den sie wieder und wieder gelesen hatte und auf den sie ihre wilden Träume basiert hatte … Dieser Brief war von einer Zehnjährigen geschrieben worden.
„Ich brauche etwas Zeit zum Nachdenken. Ich bin nicht … Ich bin nicht sicher, ob dies so okay ist, Tanner.“ Heather sah trostlos aus. Er hatte gesehen, wie ihr Gesichtsausdruck bei seiner Offenbarung zusammengefallen war, und er wollte einen Weg finden, um sie zu trösten, aber er hatte keine Ahnung, was er tun sollte – ohne sie mit der Intensität seiner wahren Gefühle zu verschrecken. Gefühle, die sogar er selbst beängstigend fand. Es war besser, wenn er von ihr Abstand hielt. Zumindest vorerst.
„Ich verstehe. Aber bitte denke darüber nach. Sowohl Chloe als auch ich hätten es sehr gern, wenn du bei uns bleiben würdest.“ Tanner verfluchte sich selbst stillschweigend. Warum musste er so hölzern klingen?
Heather stand auf. Sie lächelte ihn an, wenn auch nur kurz und gezwungen. Anscheinend gab es nichts weiter dazu zu sagen. Er war ein netter Mann. Er war höflich und vielleicht hatte er recht. Vielleicht könnte das hier funktionieren. Vielleicht könnte sie bleiben, sich um Chloe kümmern und hier in der frischen Luft und der wilden Landschaft von Jackson leben. Es würde ihr eine Art Freiheit geben, weg von dem Chaos von New York City, weit weg von der leeren Hülle des Lebens, das sie zuvor gelebt hatte – die anwidernde Welt von Bertram und AyerCooke.
„Heather, warte.“ Tanner bewegte sich zum Türrahmen, um sie aufzuhalten. „Ich sage das alles falsch.“ Er streckte seine Hand nach ihr aus und legte sie auf ihren Oberarm. Er hielt sie dort fest, auf Distanz, während sie ihren Blick auf seiner Brust behielt. Sie wagte es nicht, aufzuschauen und zu riskieren, dass er die Enttäuschung und Niedergeschlagenheit in ihren Augen sah.
Tanner hatte die Reaktion nicht erwartet, die er spüren würde, wenn er sie berührte. Seine Nerven spielten verrückt, Energie pulsierte durch ihn hindurch – heiß und drängend. Seine Sinne fokussierten sich auf sie, verschärften sich, und ihm wurde übermäßig die Weichheit ihrer Lippen und deren geschwungener Amorbogen auf ihrer Oberlippe bewusst, die hellen Sommersprossen, die um ihre Nase herum und über ihre Wangenknochen tanzten, die dicke Kurve ihrer Augenbrauen und die schimmernden Wellen ihres Haares, das über ihren Rücken und um ihre Schultern fiel.
„Heather. Sieh mich an.“ Seine Stimme klang rau und gebrochen. Es war sein Tonfall, nicht sein Befehl, der Heather aufschauen ließ. Sie sah in seine braunen Augen und ihr fielen zum ersten Mal die goldenen Flecken um die Iris herum auf. Und der intensive, brennende Blick, der so gar nicht zu dem passte, was er vor einem Moment gesagt hatte.
Tanner neigte seinen Kopf, um ihrem näher zu kommen. Sie zog sich verwirrt einen Zentimeter zurück und war unsicher, was er beabsichtigte. Ihr Zögern hätte ausreichen sollen, um Tanner aufzuhalten. Um ihn wieder in die Realität zurückzubringen. Aber trotz der Verwirrung in Heathers Augen, sah er, dass seine eigene Lust erwidert wurde. Er schloss die Distanz zwischen ihnen und presste seine Lippen sanft auf ihre.
Heather unterbrach den Kuss zuerst und trat einen Schritt zurück. Er erlaubte es ihr und ließ seine Hand von ihrem Arm wegfallen. Sie blieben für die Dauer eines Herzschlages so stehen. Keiner von beiden atmete.
„Tanner, ich sollte …“ Er erlaubte ihr nicht, den Satz zu beenden. Er fuhr mit seinen Fingern tief in ihr Haar, wickelte dessen Strähnen um seine Finger und zog sie mit ihrem Hinterkopf vorwärts. Seine Lippen tauchten ab, um ihre zu treffen. Dieses Mal drängender. Er drückte seinen Mund hungrig tiefer in den süßen Geschmack ihres Mundes, presste ihre vollen Lippen gegen seine.
Heather griff mit ihren Händen um seine Taille, schob sie nach oben und klammerte sich an seinem breiten Rücken fest, um ihre Körper fester aneinander zu drücken. Als er ihre Bereitschaft spürte, tauchte Tanner mit seiner Zunge in ihren Mund und streichelte ihre mit einer Bewegung, die ihre Innereien zerschmelzen ließ und lustvolle Empfindungen durch ihren Körper bis in ihre Zehenspitzen schossen.
Tanners Hände wanderten herab zu ihrem Hintern, packten gierig ihre Pobacken und zog sie näher an sich heran. Sein Körper trieb ihn weiter voran, suchte nach der Befriedigung in Heathers warmem, süßen Duft und ihrer Weichheit. Heather stöhnte leise an seinem Mund und Tanner spürte ein familiäres Gefühl, das in der Grube seines Magens wuchs. Er war kurz davor, sich zu verwandeln. Sein Bär wollte sie für sich beanspruchen.
Mist! Tanner fluchte stillschweigend. Das konnte er nicht zulassen. Nicht hier, nicht jetzt. Er zerrte seine Lippen unter Anstrengung von ihren fort. Seine gesamte Brust schmerzte, als er um Atem rang. Er trat ein paar Schritte zurück und streckte einen Arm nach ihr aus – als Warnung, nicht näher zu kommen.
„Heather. Es tut mir leid. Ich kann nicht …“, keuchte er.
„Nein. Es tut mir leid. Das hätte nicht passieren dürfen.“ Heather kämpfte darum, ihre Vernunft wiederzuerlangen. Ihr Kopf drehte sich von der schwindelerregenden Intensität des Kusses und der jetzigen instinktiven Reaktion von Tanner. Was zur Hölle war hier soeben geschehen? Sie drehte sich um und ging ohne zu ihm zurückzuschauen. Dieses Mal hielt Tanner sie nicht auf.