Die vier Musketiere

Wenn wir bei unseren Suchaktionen in den Ruinen nichts fanden, gingen wir, Gunther, Peter, Kurt und ich, auch zu den Häusern, in denen die Russen wohnten, und bettelten um Brot. Die meisten Haushalte dort bestanden aus Offiziersfamilien mit Kindern, die Mannschaften waren in den Kasernen unter einfachsten Bedingungen stationiert. Die Offiziersfamilien besaßen dagegen offensichtlich alles, was man zum Leben brauchte.

Im Allgemeinen hatten wir beim Betteln Glück. Es gab aber auch sehr unangenehme Erlebnisse. Einmal öffnete mir ein junges Mädchen mit sogenannten Affenschaukeln – Zöpfen, die zu Schlaufen oben festgesteckt waren –, die Tür und sagte, ich solle warten. Ich freute mich schon darauf, dass ich etwas Brot bekommen sollte, doch dann erlebte ich eine böse Überraschung. Fluchend und brüllend stand plötzlich der Vater vor mir, und ich rannte schnell wie der Blitz die Treppe hinunter. Am Treppenabsatz holte er mich ein, versetzte mir einen gewaltigen Tritt mit seinem Stiefel, und ich stürzte nach unten. Ich hatte noch Glück im Unglück. Es schmerzte heftig, aber ich hatte mir offenbar nichts gebrochen. Ich humpelte nach Hause und wusste, dass ich dieses Haus in Zukunft meiden musste.

Eines Tages schlich ich mich mit Gunther, Kurt und Peter in den Garten eines von Russen bewohnten Hauses. Dort stellen wir fest, dass sie sämtliche Küchenabfälle einfach aus dem Fenster warfen. Von Zivilisation keine Spur, aber gut für uns. Wir fanden nämlich ein großes Stück Speck, nahmen es schnell an uns und machten uns mit der reichen Beute davon. Erst als wir uns den Speck näher ansahen, entdecken wir, dass die Russen ihn nicht ohne Grund weggeworfen hatten. Er wimmelte von Maden. Doch so schnell gaben wir uns nicht geschlagen. Wir versteckten auch diesen Speck in unserer »Vorratsruine« und kamen am nächsten Tag wieder zurück. Ich hatte von einem Kleinmotorrad die Aluminiumkappe der Lichtmaschine abgeschraubt. Mit unseren Messern zerschnitten wir auf einem angekohlten Balken den Speck in kleine Stücke und machten zwischen zwei Ziegelsteinen ein Feuer. Wir legten die erste Hälfte der Stücke in den Deckel und ließen den Speck aus. Die Maden schöpften wir wenigstens teilweise mit einem Löffel ab. Das flüssige Fett gossen wir in einen Blumentopf, dessen Loch wir mit einem Holzstück zugestopft hatten, und darauf machten wir mit der zweiten Hälfte des Specks ebenfalls Schmalz.

In den Tagen danach hoben wir uns immer unser Stück Brot auf, bestrichen es in der Ruine mit Schmalz und aßen es mit Genuss. Auch mein kleines Patenkind, das übrigens Gunthers jüngere Schwester war, bekam ihre Ration ab. Leider weiß ich ihren Vornamen nicht mehr. Damals interessierte ich mich mehr für Jungen als für Mädchen. Später wäre es sicher umgekehrt gewesen. Jedenfalls waren wir mit der Zeit eine so vertrauenswürdige Clique geworden, dass uns die Schwestern auch »die vier Musketiere« nannten.