Ich bekomme einen Posten

Dies sprach sich schnell herum. Auch Herr Düsselbach, der andere deutsche Kriegsgefangene, hatte von unserer mit Strom brennenden Lampe gehört und kam neugierig in unser Zimmer, um sie sich aus der Nähe anzusehen. Wegen meiner freizügigen Bastelei hatte ich ein furchtbar schlechtes Gewissen, und als ich wenige Tage später zum Kapitan gerufen wurde, war ich ziemlich aufgeregt und erwartete eine heftige Gardinenpredigt. Es kam ganz anders. Der Kapitan empfing mich sehr freundlich und fragte in seinem recht guten Deutsch: »Willst du der Gehilfe von Herrn Düsselbach werden, jetzt, wo wir wieder Strom haben?« Wir sollten überall Lampen, Steckdosen und Schalter reparieren und Glühlampen besorgen. »Ja, das möchte ich gern«, sagte ich überglücklich.

Auf einmal hatte ich eine richtige schöne Arbeit und brauchte mich nicht mehr an der lästigen, aufreibenden und sehr anstrengenden Brennholzgewinnung zu beteiligen, sondern durfte mit Herrn Düsselbach die verschiedensten Arbeiten im Haus erledigen. Zunächst ging es um die Küche. Der Suppentopf aus der Lehrküche des Mädchenheims war zu klein geworden für die über hundert Kinder, die im Haus lebten. Ein größerer musste her. Wir gingen in den hinteren Raum des Gartenpavillons, der früher die Waschküche gewesen war, und fanden dort einen kupfernen Waschkessel. Zusammen mit anderen Jungen schleppten wir ihn in die Küche im Haupthaus, wo wir ihn wieder aufbauten, nachdem wir den Ablaufhahn demontiert und das Loch im Kesselboden mit einer Kupferscheibe von etwa acht Zentimeter Durchmesser zugelötet hatten. Den ursprünglichen Unterbau bauten wir originalgetreu wieder auf.

Fortan wurde in diesem Waschkessel unsere Suppe gekocht. Die Menge reichte für alle Kinder. Manchmal passten die Köchinnen jedoch nicht richtig auf, die Lötnaht schmolz und die Scheibe wurde mit dem Rührlöffel beiseitegeschoben. Die Suppe floss aus, das Feuer erlosch, weg war das kostbare Mittagessen.

Es war wirklich schade um diese Suppe, denn seit der Kapitan da war, hatte sich unsere Ernährung verbessert. Obwohl die Russen selbst sehr bescheiden lebten, war es ihm gelungen, ein paar Grundnahrungsmittel zu beschaffen, und es gab tatsächlich Tage, an denen wir den größten Hunger stillen konnten. Was für ein seltenes Gefühl, dass man sich fast satt essen konnte! Nach dem Missgeschick mussten wir die Naht wieder zulöten, und Herr Düsselbach ermahnte die Köchinnen, in Zukunft besser aufzupassen.

Um die elektrische Versorgung des Lagers auf Vordermann zu bringen, waren Herr Düsselbach und ich tagelang in den Ruinen der Stadt unterwegs. Es fehlte an Material und wir konnten so gut wie alles gebrauchen. So bauten wir alles ab, was wir an nicht verbrannten elektrischen Teilen finden konnten: Lampenfassungen und Glühbirnen, Sicherungsfassungen und Sicherungen, Steckdosen und Schalter. Dieses Prozedere war nicht ganz ungefährlich, denn wir wussten nicht, ob die Sachen unter Strom standen. Und so fingen wir uns da und dort deftige Stromschläge ein.

Um ein brauchbarer Elektrogehilfe zu sein, brachte mir Herr Düsselbach unter anderem bei, wie ein Wechselschalter funktioniert. Das war ziemlich kompliziert, aber am Ende begriff ich es. Ich hatte den unbedingten Ehrgeiz, das Vertrauen, das der Kapitan in mich setzte, zu rechtfertigen. Herr Düsselbach erklärte mir auch, was zu tun war, wenn er einen Schlag bekommen sollte. Dann sollte ich fest an ihm ziehen, dabei aber nicht seine Haut berühren, sondern den Stoff seiner Uniformjacke anfassen. Ich hoffte natürlich, dass so eine Situation nie eintreten würde.

Einmal geschah es doch. Plötzlich klebte Herr Düsselbach wie gelähmt mit der Kombizange in der Hand an einer Leitung im Sicherungskasten. Ich war tieferschrocken. »Los, zieh mich am Ärmel, schnell!«, rief er, und ich riss an ihm, so fest ich konnte. Herr Düsselbach kam frei, und alles ging gut aus. Aber der Schreck saß mir in den Gliedern. Was wäre gewesen, wenn es ihn erwischt hätte! Ich wollte es mir lieber nicht vorstellen.

Wochenlang waren wir auf Materialsuche. Eines Tages aber erklärte Herr Düsselbach, nun hätten wir alles, was wir brauchten, zusammen. Es vergingen ein paar weitere Wochen, und die Elektrik in beiden Häusern war wieder instand gesetzt. Überall brannte nun Licht, es gab Strom, und die Mädchen konnten sogar bügeln. Besonders freute das den Kapitan, der eine gutgebügelte Uniform sehr zu schätzen wusste. Die Mädchen taten das gern für ihn, denn auch für sie war er so etwas wie ein Vater geworden.

Dass Herr Düsselbach und ich die Elektrik des Lagers auf Vordermann gebracht hatten, sprach sich unter den russischen Offizieren herum. Unser Kapitan hatte auf Einladungen erzählt, da seien zwei tüchtige Deutsche, die sich damit auskennen und auch bei größtem Materialmangel wieder Licht ins Haus zu bringen vermögen. So dauerte es nicht lange, bis wir überall als große Spezialisten galten und von immer mehr russischen Offiziersfamilien gebeten wurden, auch in ihrem Haus die Stromzufuhr wieder in Ordnung zu bringen. Wir bekamen eine Menge Komplimente – »Du große Spezialist, deutsch alles gut, Chitler kaputt!« Die Leute waren außer sich vor Freude, wenn bei ihnen wieder Licht brannte.

Unsere Arbeit bezahlten sie mit Lebensmitteln. Was konnte es Schöneres geben! Sie zahlten nicht nur mit einfacher Graupenkascha. Es war sogar Fleisch darin. Wir bekamen auch Kohlsuppe mit Speck oder etwas Schinken darin, eine wunderbare Mahlzeit nicht nur für uns, selbst für die genügsamen Russen. Es war das Beste, was sie zu bieten hatten. Auch der Kapitan profitierte von unseren Wunderwerken. Sein Ansehen bei den Kameraden stieg, und das wiederum versetzte ihn in die Lage, Dinge zu erreichen, die eigentlich undenkbar waren. Aber davon später.