Feldarbeit

Die Lagerleitung hatte in der Umgebung, etwa zwei bis drei Kilometer außerhalb des Dorfes, ein Stück Acker in Beschlag genommen, durch den ein Bach floss. Auf diesem Feld war in diesem Jahr zum ersten Mal wieder etwas angebaut worden, um die Versorgung des Lagers zu verbessern. Es wurden vor allem Weißkohl, aber auch Rote Beete angebaut. In dem Teil, der sich zum Dorf hin erstreckte, hatte man große Gemüsebeete für Zwiebeln, Karotten und Kohlrabi angelegt.

Jeden Morgen zog ein Trupp Kinder mit Gartengeräten und Eimern dorthin. Die Mädchen jäteten, harkten und ernteten gelegentlich etwas, wir Jungen schleppten mit den Eimern Wasser aus dem Bach nach oben, um besonders die kleinen Pflanzen zu bewässern. Dazu wurde das Wasser in Gießkannen gefüllt, die andere Jungen ausleerten. Gegen Abend kamen wir immer sehr müde und erschöpft zurück. Die Arbeit war anstrengend für ausgehungerte Kinder, hinzu kam der Weg von zweimal zwei Kilometern.

Der längere Feldrand wurde von der Landstraße begrenzt, die nach Pobethen führte. Im rechten Winkel dazu lag ein Waldstück, und in Richtung Dorf ging das Feld in Brachland über. Zur anderen Längsseite hin fiel das Gelände erst langsam, dann immer steiler ab bis zu dem Bach, und auf der anderen Uferseite stieg es wieder leicht an. Der Bach war recht flach und etwa zwei Meter breit. Mit Anlauf konnte man hinüberspringen, leichter war es allerdings, einen Feldstein in der Bachmitte zu nutzen, um hinüberzukommen.

Ich fragte mich, wie die Russen es angestellt hatten, diese große Ackerfläche zu pflügen und die Gemüseanbaufläche zu glätten. Meine neuen Kameraden erzählten es mir. Es waren anfangs noch einige wenige deutsche Bauern auf ihrem Land geblieben und von den Russen geduldet worden. Einem von ihnen hatte der Kommandant des Lagers befohlen, das Feld zu pflügen, und hatte ihm auch den notwendigen Treibstoff besorgt. Der Bauer wurde später zusammen mit anderen Richtung Westen vertrieben.

Nach dem erfolgreichen Pflügen hatte der Kommandant eine Egge aufgetrieben, die er mit seinem Motorradgespann von der Wehrmacht, einem Zündapp-Fabrikat, bis zum Feld hinter sich hergezogen hatte, die Spieße nach oben. Es wurden ein paar Jungen, meine jetzigen Kameraden, mit Stricken davorgespannt, um die Egge zu ziehen. Das war eine schwere Arbeit, und sie waren danach sehr erschöpft.

Der Lagerleiter trank sehr viel, war motorradbegeistert und fuhr so oft wie möglich stolz mit seiner Zündapp durch die Gegend. Deshalb trug er auch die Lederjacke. Das Gefährt hatte beim Transport der Egge offenbar gelitten und einen Motorschaden bekommen, vielleicht hatte es diesen aber auch schon vorher gehabt. Jedenfalls schaffte es die winzige Steigung von der Straße auf unser Grundstück nicht. Jedes Mal, wenn der Kommandant von einer Fahrt zurückkam, hupte er laut an der Straße, und alle, die in der Nähe waren, mussten schieben helfen. Dabei fluchte er laut, was gewiss an den Unmengen Alkohol lag, die er getrunken hatte. Vielleicht kam er auch im Suff einfach nicht mit den Gängen klar.

Es war Mai geworden. Neben der Arbeit auf dem Feld und im Gemüsegarten mussten wir auch Heu ernten. Vorwiegend als Futter für die Kühe, die sich die Russen im Dorf hielten. Das war eine höchst komplizierte Angelegenheit, da die Wiesen hoch unter Wasser standen. Offenbar hatten die Russen das alte Entwässerungssystem nicht begriffen, das über sorgfältig angelegte Gräben und Wehre funktioniert hatte. So musste das Gras im knietiefen Wasser gemäht werden. Dies machten die im Lager lebenden russischen Soldaten. Wir stapften hinterher, mit Holzrechen bewaffnet, und zogen das gemähte Gras auf höhergelegenes Land, wo es zum Trocknen ausgebreitet wurde.

Eines Tages trat ich bei der Arbeit im Wasser auf einen harten Gegenstand. Es war eine russische Maschinenpistole, außen leicht verrostet, aber noch funktionsfähig. Das stellten wir fest, nachdem wir vorher sorgfältig die Trommel entfernt hatten.

»Da liegt bestimmt noch irgendwo der tote Russe, dem sie gehört hat«, sagte ein Junge. »Igitt! Nie wieder harke ich hier Gras!«, sagte ein anderer. Ich stocherte daraufhin in der Umgebung des Fundortes mit dem Rechenstiel herum, fand aber nichts. Da waren sie beruhigt. Eine Woche lang bewahrten wir die Pistole in einem Versteck auf, am Ende brachten wir sie doch zum Kommandanten.

Wenn wir auch wenig von dem Heu hatten, das wir da ernteten, denn die Milch ging ja an die Russen und wir hatten nur die Molke, so hatte doch die Arbeit im Wasser einen sehr angenehmen Nebeneffekt. Wir fanden nämlich eine Unmenge Poggen, also Frösche. Zuerst liefen sie uns nur zufällig über den Weg, bald suchten wir gezielt nach ihnen. Wenn sie vor unseren Rechen flüchteten, fing sie ein anderer von uns auf. So eine Pogge wurde an den Hinterbeinen gepackt und mit dem Kopf gegen den Rechenstiel geschlagen. Das war ein schneller Tod, und wir machten uns bei dem Hunger, unter dem wir dauernd litten, sowieso kaum Gedanken darüber. Abends, nach dem sogenannten Abendbrot, machten wir uns ein kleines Bruzzelfeuer und brieten die abgezogenen Froschschenkel. Das war mehr als eine Delikatesse. Es war sehr gute Nahrung.