Kapitel 5

Molly kuschelte sich unter der Decke an Nat, der sie umschlungen hielt. Wenngleich sie müde war, konnte sie nicht einschlafen. Ihre Gedanken kreisten um Lauries und Toms wunderbare Neuigkeit. Wie nahe Glück und Leid manchmal doch beieinanderlagen. Erst hatten sie über Elisabeths Krankheit gesprochen, und schon im nächsten Augenblick kam eine genau gegenteilige Nachricht. Beide Male war sie den Tränen nahe gewesen, zuerst vor Mitgefühl und Anteilnahme, dann aus Freude und Rührung.

Ob sie und Nat jemals Kinder haben würden? Noch nie hatten sie dieses Thema nur im Ansatz berührt. Natürlich war es viel zu früh, um über so etwas nachzudenken, allerdings kannte sie nicht einmal Nats prinzipielle Meinung dazu. Möglicherweise wollte er keine? Als sie in New York mit Jackson gelebt hatte, war ihr nie in den Sinn gekommen, Mutter zu werden. Es hatte wohl an ihrem arbeitsreichen, intensiven Leben dort gelegen und – wenn sie restlos ehrlich zu sich war – vor allem an Jackson. Sie hätte ihn sich nicht als Vater vorstellen können.

Mit Nat verhielt es sich gänzlich anders. Zwar spielten auch in seinem Leben die Arbeit und der Erfolg eine große Rolle, ebenso war er ein typisches Mannsbild, wie es im Buche stand, doch trug er die besten Werte in sich, die ein Mensch innehaben konnte: Einfühlungsvermögen, das Bemühen, ihre Denkweise zu verstehen, Achtsamkeit, Toleranz – die Aufzählung war nahezu unendlich fortsetzbar. Nat war schlichtweg ihre große Liebe, und letztlich wünschte sie sich eine Familie mit ihm.

»Kannst du nicht schlafen?«, flüsterte Nat.

»Ich bin zu aufgewühlt. Laurie und Tom sind so glücklich, Morris hingegen wirkt wie ein Schatten seiner selbst.« Einige Sekunden ließ sie schweigend verstreichen. »Hast du jemals über Kinder nachgedacht?«

Nat lachte leise auf. »Wäre das nicht ein wenig zu schnell? Wir sind gerade dabei, unser neues gemeinsames Leben zu erforschen, dann die Arbeit … Du beginnst in Kürze Vollzeit als stellvertretende Chefredakteurin bei der Maple Creek News Time, dazu deine Kolumne bei der NY Woman, und ich stecke im Ausbau meiner Zimmerei. Du kennst meinen momentanen Stundenplan, an ihm wird sich so rasch nichts ändern.«

Ein Schauer lief über Mollys Rücken. Sie hatte eine emotionale Erwiderung erhofft, keine sachliche. »Ich spreche nicht von jetzt, sondern von irgendwann.« Am liebsten hätte sie sich spontan von ihm weggedreht. Warum trafen sie Äußerungen dieser Art dermaßen? Alles, was Nat gesagt hatte, entsprach der Wahrheit. Weshalb bin ich so empfindlich?, fragte Molly sich im Stillen. Vielleicht, weil Laurie mit ihrer Neuigkeit etwas tief Verwurzeltes angeregt hat, das sich in fast jeder Frau verbirgt, gab sie sich die Antwort. Aber daran lag es nicht allein. Sie fand genügend andere Beispiele, wo sie ähnlich überzeichnet gefühlt hatte. Im Grunde begleiteten sie diese Gemütsbewegungen bereits ihr ganzes Leben.

»Okay, ich verstehe. Du meinst grundsätzlich. Ehrlich? Ich habe noch nie überlegt – wann, ob, wie viele … keine Ahnung.« Nats Stimme klang unbeschwert.

Jäh bildete sich ein Knoten in Mollys Hals, und sie schluckte mehrmals, um ihn loszuwerden, doch er blieb fest sitzen. Was sollte sie darauf entgegnen? Hatte ihn dieser Abend denn in keiner Weise emotional berührt? Dorothy meinte zwar, so weit voneinander befänden sich Frauen und Männer nicht entfernt, der Unterschied liege vor allem in den Feinheiten, aber manches Mal bezweifelte Molly diesen Ansatz. Konnten sich Feinheiten tatsächlich so gravierend auswirken oder übersah sie etwas? Immerhin gab es zwischen den Empfindungen selbst und dem Darstellen dieser enorm viel Raum.

Nat drückte sie an sich. »Versuch zu schlafen. Es ist spät, und wir müssen morgen beide früh aufstehen. Gute Nacht.« Er küsste sie und drehte sich zur Seite.

Es vergingen keine zwei Minuten, und Molly hörte, wie Nats Atemzüge flacher und langsamer wurden. Auf einmal fühlte sie sich allein, und Einsamkeit überflutete sie. Was war nur los mit ihr, und woher kam diese innere Unruhe? Inzwischen war auch ihre Müdigkeit verflogen. Wenn sie liegen blieb, würde sie sich bloß hin und her wälzen, jedoch mit Sicherheit keinen Schlaf finden.

Vorsichtig, um Nat nicht aufzuwecken, rutschte Molly von ihm weg und schwang die Füße über den Bettrand. Kurz verharrte sie, dann stand sie auf und schlich aus dem Schlafzimmer die Treppe hinunter in die Küche.

Für Dorothy und sie hatte es noch nie feste Zeiten gegeben, wann sie miteinander telefonierten. Öfter hatte eine von ihnen in der Nacht angerufen, wenn es notwendig gewesen war. Kurzerhand griff Molly nach dem Handy, das auf der Küchentheke lag, und wählte Dorothys Nummer.

Sie hob sofort ab. »Kannst du auch nicht schlafen? Ich habe ebenfalls überlegt, dich anzurufen, aber du bist nicht alleine – vielleicht hätte ich euch bei etwas gestört.« Dorothy kicherte. »Ach, egal. Findest du das mit Laurie und Tom nicht aufregend und wunderschön? Ich werde so etwas Ähnliches wie Tante.«

»Du weißt es also schon?«

»Jack hat mir Bescheid gegeben, Tom hatte ihn angerufen. Sie wollten es offenbar allen gleichzeitig mitteilen. Stell dir vor, wenn wir später wahrscheinlich auch Babys haben werden. Du und ich … womöglich von Nat und Jack.«

Molly seufzte auf. »Auf dieses Thema reagiere ich im Moment ziemlich mimosenhaft. Nat war eben so seltsam.«

Auf der Stelle schaltete Dorothy um. »Oh, ich hatte gefolgert, dass du wegen Lauries Schwangerschaft nicht schlafen kannst. Ist alles in Ordnung mit dir? Was ist denn los gewesen mit Nat?«

»Ich habe ihn gefragt, ob er je darüber nachgedacht hat, eine Familie zu gründen. Und möchtest du erfahren, was seine Antwort zusammengefasst gewesen ist? Nein, lass uns schlafen. Wir müssen morgen früh raus. Das hat mir echt einen Stich versetzt.«

»Beschäftigst du dich gar damit? Aktuell, meine ich«, entgegnete Dorothy.

»Nein, nicht direkt. Aber als Laurie und Tom uns heute von der Schwangerschaft erzählt haben, war ich so gerührt und beseelt von diesem Ereignis. Es hat mich irgendwie beflügelt, und ich war der Meinung, Nat erginge es gleich wie mir.«

Dorothy stieß einen Lacher aus. »Dich haben die Hormone übermannt, und Nat ist bloß ehrlich zu dir gewesen. So ist er. Hättest du lieber einen Mann an deiner Seite, der dir verspricht, sämtliche Wolken am Himmel für dich einzufangen, und dann mit einem Wattebausch vor der Tür steht?«

Unwillkürlich musste Molly schmunzeln. »Ich gebe dir dieselbe Antwort wie eben: Nein, nicht direkt. Jedoch hätte ich mir ein wenig mehr Empfindungen und Träume in diese Richtung von ihm erwartet. Irgendwie bin ich komplett durcheinander. Einerseits will ich mit ihm reden, andererseits nicht. Wenn er etwas zu diesem Thema sagt, soll es aus seinem tiefsten Inneren kommen – nicht, damit ich beruhigt bin.«

»Molly, Nat liebt dich über alles, und ich prophezeie dir hiermit, dass du in wenigen Jahren unser jetziges Gespräch als komisch bis drollig erachten wirst – mit einem Baby im Arm. Bis dahin erfreue dich an eurer Zweisamkeit und übe, was das Zeug hält.«

Nun war es Molly, die auflachte. »Du denkst wirklich nur an das Eine.«

»Nennt man es nicht die wunderbarste Nebensache der Welt? Ich muss es vorübergehend verdrängen, sonst wird meine Sehnsucht nach Jack zu groß. Befände ich mich allerdings an deiner Stelle, wüsste ich weitaus Besseres mit meiner Zeit anzustellen, als am Handy zu hängen und zu flennen. Mal ehrlich, du warst schon immer eine Spur zu zart besaitet. Spielte ich mit Wortkreationen, würde ich dich als introvertierte Dramaqueen bezeichnen.«

Molly atmete tief durch. Dorothys Darlegung berührte sie, aber ihre Freundin lag nicht falsch. Hatte sie doch selbst erst vorhin darüber nachgedacht und sich gescholten. »Nat schläft bereits, und er muss früh raus«, reagierte sie leise auf Dorothys Vorschlag. Die introvertierte Dramaqueen kommentierte sie hingegen nicht.

»Ich möchte wetten, dass du ihn innerhalb von zehn Sekunden wach bekommst, und das Läuten des Weckers in einigen Stunden wird ihn nicht interessieren. Er ist auch nur ein stinknormaler Mann und wird sich über deine nonverbale Überraschung freuen.«

»Meinst du?« Mollys Bemerkung war rhetorischer Natur. Sie wusste, dass Dorothy recht hatte.

»Du vergisst manches Mal, dass ich eine erfolgreiche Buchautorin für Beziehungsratgeber bin und meine Tipps nicht aus der Luft greife. Sie basieren auf jahrelanger Recherche und unzählbaren Interviews. Die an den Mann gerichtete Frage: ›Was wünschen Sie sich von Ihrer Partnerin?‹ ist oft genug eindeutig beantwortet worden«, merkte Dorothy an und fügte hinzu: »Was sagt dir das?«

»Dass deine häufige Beteuerung, Männer und Frauen würden ähnlich ticken, verkehrt ist: Männer stammen doch aus einem anderen Universum. Dennoch werde ich Nat jetzt aufwecken, weil ich dank dir ganz kribbelig geworden bin.«

»Dann wünsche ich dir viel Vergnügen. Laufe zu deinem Liebsten und mache ihn glücklich, dich natürlich ebenso.« Ohne ein weiteres Wort legte Dorothy auf.

Bevor Molly das Handy zurück auf den Tresen legte, blickte sie eine Weile lang versonnen auf das schwarze Display, worin sich ihr Gesicht spiegelte. Im Grunde bräuchte jeder Mensch eine Freundin wie Dorothy. Seit sie sich auf der Uni ein Zimmer geteilt hatten, waren sie unzertrennlich, selbst wenn sie Tausende Kilometer voneinander entfernt waren. Ihre grundverschiedenen Charaktere hatten sie dabei nicht entzweien können. Genau genommen verhielt es sich sogar gegenteilig: Dorothy und sie waren wie zwei Pole, die einander Kraft wie Halt gaben und sich stets in der Mitte trafen.

Mit einem verschmitzten Lächeln verließ Molly die Küche und schlich zurück ins Schlafzimmer.