Molly machte es sich auf ihrem Schreibtisch in der Redaktion der Maple Creek News Time bequem und aktivierte ihren Laptop. Franklin hatte ihr das kleine Zimmer neben seinem angeboten, doch Molly wollte lieber im Geschehen sitzen, darüber hinaus hätte sie sich in dem winzigen Raum beengt gefühlt. Um dennoch die Nähe zu Franklin zu gewährleisten, hatten sie kurzerhand einen Schreibtisch direkt vor seinem Büro platziert – auch so funktionierte die Kommunikation auf Zuruf, zumal Franklins Tür ohnehin fast immer offen stand.
Noch war Molly nicht dazu gekommen, einen ersten Artikel für die Maple Creek News Time zu schreiben. Zunächst arbeitete sie stundenweise in der Redaktion – erst im Januar würde sie offiziell die Position der stellvertretenden Chefredakteurin bekleiden –, und die Einweisungen in die organisatorischen Tätigkeiten nahmen sie vollends ein. Molly war überzeugt, dann voll durchstarten zu können. Franklin lieferte ihr das Rüstzeug dazu. Er war ein erfahrener Journalist sowie Chefredakteur, der sich als herausragender und enthusiastischer Lehrmeister erwies.
Jim hatte ihr erzählt, dass Franklin in jungen Jahren als erfolgreicher Enthüllungsjournalist tätig gewesen war, und schon einige Male hatte sie ihn darauf angesprochen, aber keine ausführliche Auskunft erhalten. So umfassend er sie in die Aufgaben eines Chefredakteurs einführte und ihr sämtliche Informationen gab, verhielt er sich zurückhaltend, was seine Vergangenheit betraf. Wenngleich Molly neugierig war, fragte sie seit einiger Zeit nicht mehr nach und vermied es auch, in öffentlichen Archiven nachzusehen. Wenn Franklin diesen Teil seines Lebens nicht offenbarte, hatte er bestimmt gute Gründe dafür, und es lag nicht an ihr, weiter vorzudringen. Außerdem gab es wahrlich Wichtigeres, als sich daran festzuklammern. Zu all den neuen Aufgaben kam hinzu, die Mitarbeiter der Redaktion Schritt für Schritt besser kennenzulernen.
Neben einigen freiberuflichen Redakteuren, die je nach ihrem Schwerpunkt mehr oder weniger Berichte ablieferten, setzte sich die Stammmannschaft exklusive Franklin aus fünf Personen zusammen. Mit Silvana, einer seriösen Redakteurin, und Logan, dem Fotografen der Zeitung, hatte sie bereits im Zuge der Eröffnung des Maple Lake Inn zusammengearbeitet und verstand sich gut mit den beiden. Auch William und Harry – sie hießen durch Zufall wie das britische royale Brüderpaar – waren sehr nett und hilfsbereit. Allein mit Emilia White konnte sie sich nicht so recht anfreunden. Zu deutlich spürte sie die Ablehnung der Kollegin, die wohl darauf basierte, dass Emilia die Position der stellvertretenden Chefredakteurin für sich erhofft hatte. Was Molly aufgeschnappt hatte, war sie äußerst erbost darüber gewesen, von einer Fremden aus New York ausgebootet worden zu sein.
Wenn man an den Teufel denkt, erscheint er prompt, schoss es Molly durch den Kopf, als Emilia von ihrem Platz aufstand und direkt auf sie zusteuerte.
»Ich war gestern bei Franklin wegen meines neuen Artikels über die Auswirkungen der Baumrodungen drüben im Valley. Er hat mir mitgeteilt, dass ich mich mit dir abstimmen soll«, sagte Emilia und nahm auf dem Stuhl vor Mollys Schreibtisch Platz.
Kaum merklich zog Molly die Brauen hoch. Inzwischen hatte sie einige Berichte freigegeben, Emilia war bisher allerdings immer von Franklin persönlich betreut worden. »Ja, klar. Was hast du bis jetzt?«
»Als Erstes habe ich die zu vergleichenden Unwetter der letzten zwanzig Jahre herausgefiltert und stelle sie den aktuellen Resultaten gegenüber. Dann gibt es einen Exkurs über den Klimawandel, ebenfalls auf die Region bezogen, aber in einem größeren Radius.« Emilia zuckte mit den Schultern. »Franklin scheint zu meinen, dass du dich bereits gut genug in der Gegend auskennst, um die Qualität der Inhalte überprüfen zu können.«
Molly setzte ein verbindliches Lächeln auf. Bei der NY Woman war sie durch eine harte Schule gegangen, wo Missgunst, Neid und Konkurrenzdenken vor allem bei jungen Redakteurinnen an der Tagesordnung waren. Mit Emilia würde sie auf ihre Art schon fertigwerden. »Hast du auch Interviews eingeplant?«
»Nein. Welche?«
»Mit Aussagen der Menschen, die dort leben, erreichst du die Nähe zum Leser. Außerdem stellt deren Meinung eine eigenständige Sichtweise dar, die sich wiederum hervorragend mit den Fakten vergleichen lässt. Würdest du ausschließlich mit Zahlen hantieren, fiele der Artikel zu unpersönlich aus«, entgegnete Molly. Wollte sie sich in ihrer zukünftigen Position behaupten, musste sie klare Weisungen erteilen und ihre Wünsche formulieren, dabei auf einer sachlichen Ebene bleiben und dem Gegenüber die Beweggründe erklären.
»Tja, wenn du meinst, dass das gut passt. Mir schwebt eigentlich ein unbeeinflusster Artikel vor.«
Molly faltete die Hände. Keinesfalls würde sie auf eine Diskussion eingehen – die Befragung der Einwohner dieser Gegend gehörte dazu, das war kein strittiger Punkt. »Ein solcher muss es natürlich werden, aber die beiden Elemente widersprechen einander nicht, vielmehr ist es eine Ergänzung. Vereinbare Termine, und nimm Logan dazu mit, er soll ein paar hautnahe Fotos vom Istzustand machen.«
»Ja.« Abrupt stand Emilia auf und lief, ohne ein weiteres Wort zu sagen, zu ihrem Schreibtisch.
Obwohl Molly das Bedürfnis verspürte, Emilia zu beobachten, fokussierte sie den Bildschirm ihres Laptops. Es war verlorene Zeit, sich zu lange mit dem Gespräch zu beschäftigen. Auf sie wartete eine Menge Arbeit. Mit ihrer Einstellung hatte Franklin einige Modernisierungen der Maple Creek News Time angeregt. Die beiden größten Projekte daraus waren das Errichten einer Onlinepräsenz und das Angleichen des veralteten Layouts der Druckversion. Darauf hatte ihr Fokus zu liegen.
»Molly! Kannst du zu mir kommen?«, ertönte Franklins Stimme aus seinem Büro.
Sofort erhob sie sich und ging zu ihm.
Franklin zeigte auf die Tür. »Schließ sie bitte und setz dich.«
Molly tat wie ihr geheißen. »Was gibt es denn?«, erkundigte sie sich und überlegte im selben Atemzug, was Franklin von ihr wollte. Ohne Zweifel hatte er das Gespräch zwischen ihr und Emilia von seinem Zimmer aus mitverfolgt.
»Ich fand es gut, wie du gerade bei Emilia vorgegangen bist.« Franklin beugte sich vor. »Hör mir gut zu: Ich habe nichts dagegen, wenn sie sich ein wenig gegen dich auflehnt. Verschärft sich die Situation allerdings, musst du hart durchgreifen. Auf jeden Fall will ich von dir diesbezüglich auf dem Laufenden gehalten werden – solch ein Verhalten dulde ich nicht.«
Molly nickte. »Sie wird sich schon beruhigen. Es scheint kein Geheimnis zu sein, dass sie gern deine Stellvertreterin geworden wäre und enttäuscht ist.«
Franklin hob den Zeigefinger und schüttelte ihn. »Emilias Wünsche in allen Ehren, aber ihr diese Position zu geben, stand für mich nie zur Diskussion. Sie liefert ordentliche Artikel ab, besonders wenn ihr der Storyinhalt gefällt. In keiner Weise bringt sie jedoch die notwendigen Voraussetzungen mit, um einmal die Redaktion zu übernehmen.« Er lehnte sich zurück. »Ich habe gehört, Laurie bekommt ein Baby.«
Offensichtlich war das Thema Emilia für Franklin damit abgeschlossen. »Ja, sie ist schwanger, im ersten Trimester. So nennt man das – die Info stammt von Laurie selbst«, entgegnete Molly und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, dass ihre Gedanken sehr wohl noch um Emilia und vor allem um Franklins Aussage kreisten: Gegebenenfalls sollte sie hart durchgreifen.
Als sie zugesichert hatte, die Position zu übernehmen, war dieser Bereich des Jobs für sie nicht fassbar gewesen. Aber er gehörte dazu und war mit Emilia substanziell geworden – sie würde Menschen einstellen und entlassen. Ihre Chefin Nora bei der NY Woman agierte stets korrekt, wenn ein Mitarbeiter jedoch gegen den Strom schwamm, zögerte sie nicht, ihn aus der Gruppe zu entfernen. Auch Nat verhielt sich nicht anders. Während ihres ersten Monats in Maple Creek hatte sie es hautnah miterlebt. Timothy, der bei Pamela und Lilly hervorragende Arbeit leistete, war auf der Baustelle fehl am Platz gewesen und hatte demzufolge gehen müssen.
Molly atmete tief durch. Sie würde lernen, diese Hürde zu nehmen.