Kapitel 21

»Gefällt dir der Text?«, fragte Molly und reichte Laurie über ihren Schreibtisch hinweg ein Blatt Papier.

»Super. Ich glaube, deutlicher lässt sich auf höfliche Weise nicht formulieren, was ich suche.« Laurie grinste. »Mir tut die Person leid, die den Zuschlag erhält. Ich habe im Laufe meiner Arbeitszeit in den großen Hotels einige Köche ausgebildet, aber jetzt verhält es sich ganz anders – die Küche der Tavern ist meine, und ich weiß nicht, ob ich je mit einem fremden Koch darin zufrieden sein kann. Verstehst du das?«

»Sehr gut sogar. Du und Tom habt mit der Sycamore Tavern eine wahre Perle erschaffen und seid in der Gegend berühmt für die herausragenden Speisen. Du willst diesen Ruf nicht verlieren«, antwortete Molly und fügte hinzu: »Außerdem ist es bestimmt nicht einfach, das Zepter aus der Hand zu legen.«

»Bestens zusammengefasst. Das Niveau muss unbedingt erhalten bleiben, das ist das Allerwichtigste. Auch die Tatsache, dass ich die Dinge bald nicht mehr steuern kann, bereitet mir richtiggehend Übelkeit. Am liebsten würde ich alles zusammen bewerkstelligen: Kinder bekommen und voll weiterarbeiten, die Worte der Ärztin haben mir jedoch zu denken gegeben. Ich spüre ja bereits, wie sich mein Körper verändert.«

»Belastet das die Freude über die Schwangerschaft?«, fragte Molly.

»Seltsamerweise überhaupt nicht. Ist das zu verstehen? Paradox, nicht wahr? Trotz all dieser Gedanken und Ängste bin ich überglücklich. Bis heute hat sich in Toms und meinem Leben alles um die Tavern gedreht. Sie ist auch heute wichtig, und wir lieben unsere Arbeit, aber das Kind hat dem Lokal eindeutig den Rang abgerungen.« Laurie lächelte. »Ich bilde mir ein, schon zu merken, wie es sich bewegt. Dabei kann das – glaube ich – gar nicht sein. Allein dieses Gefühl ist wie ein Tornado, der alles wegfegt.«

Bevor Molly etwas erwiderte, trat Franklin aus seinem Büro. Er streckte Laurie die Hand entgegen und sagte: »Wie wäre es mit einem Sonderbericht über die Chefin der Sycamore Tavern? Bald Mutter und Unternehmerin …«

»Untersteh dich, Franklin! Für so etwas bin ich nicht geeignet. Über die Tavern selbst dürft ihr natürlich jederzeit liebend gern schreiben – und über Tom. Er ist der geborene Showman.« Laurie stand auf. »Sycamore Tavern ist mein Stichwort. Dorthin muss ich nämlich, sonst gibt es abends nichts zu essen. Noch darf ich mich nicht auf der Couch ausstrecken und dem Müßiggang ergeben.«

Sie verabschiedeten sich voneinander.

Molly sah Laurie nach, bis sie das Redaktionsbüro verlassen hatte, dann blickte sie zu Franklin hoch. »Die Idee ist nicht übel, Porträts über bekannte Menschen in der Gegend zu machen. Gewerbetreibende, Künstler, unsere Ärzte, querdurch …«

»Was ich zu Laurie gesagt habe, war eigentlich scherzhaft gemeint, genauso gut könnte es eine Eingebung sein. Die besten Einfälle entstehen manchmal aus solch einem Moment. Komm zu mir ins Büro – lass uns ein wenig brainstormen.«

»Das geht leider nicht.« Verhalten deutete Molly in die Richtung von Emilias Schreibtisch. »Ich habe ihr angekündigt, nach meinem Termin mit Laurie mit ihr zu reden. Das will ich unbedingt einhalten«, erklärte sie leise.

»Völlig korrekt.« Franklin beugte sich zu Molly vor und flüsterte: »Du hast komplett freie Hand, nutze sie und bedenke, in welcher Position du dich befindest. Du hast fest durchzugreifen, sonst macht schließlich jeder, was er will. Also, bringe es hinter dich.« Er drehte sich um und verschwand in seinem Büro.

Molly atmete tief durch und erhob sich. Sie wollte Emilia nicht durch den Raum zurufen, also ging sie zu ihrem Schreibtisch und sagte: »Ich bin so weit. Gehen wir ins Besprechungszimmer.«

Emilia nickte, entgegnete jedoch nichts. Auch auf dem Weg schwiegen sie.

Obwohl Molly die Situation als unangenehm empfand, spürte sie, wie ihre Unsicherheit mit jedem Schritt schwand und eine neue Seite an ihr hervortrat. Franklin sollte sie nicht umsonst als seine Vertretung und Nachfolgerin ins Boot geholt haben. Er hatte sich mit ihrer Arbeit und ihrem Verhalten bei der NY Woman beschäftigt und sie für geeignet erachtet. Dennoch war es ein Vertrauensvorschuss gewesen, und diesem würde sie Rechnung tragen.

Dachte sie an ihre Anfangszeit bei der New Yorker Zeitschrift zurück, hatte sie auch dort um ihre Position kämpfen müssen – hart und nachhaltig. Dabei war sie immer fair vorgegangen, hatte sich aber gegen unlautere Angriffe mit Vehemenz gewehrt. Die Probleme mit Emilia waren anders gelagert, allerdings galt dasselbe Prinzip: Sie musste bestehen.

Als sie Platz nahmen, hatte Molly jenes Zutrauen zu sich gefunden, das sie für ein solches Gespräch benötigte. Sie hielt sich aufrecht und sagte: »Emilia, wir müssen über deinen aktuellen Artikel und unsere grundlegende Lage sprechen …« Bewusst setzte sie keinen Punkt.

Emilia verschränkte die Arme. »Der Bericht ist mir gelungen. Ich habe eingehend recherchiert und viel Zeit investiert.«

»Das ist richtig, er gefällt mir sogar sehr gut, doch fehlt der vereinbarte Teil mit den Interviews«, entgegnete Molly.

»Ach, ich hatte den nicht geplant und finde, er ist nicht notwendig.«

»Ich werde nicht wiederholen, warum die Befragung der Menschen, die dort zu Hause sind, relevant ist. Ohne dieses Element wird dein Artikel nicht gedruckt.«

»Das kannst du nicht machen!« Emilia fuhr hoch.

Offensichtlich hatte sie nicht mit einer solch unumwundenen Ansage gerechnet. Molly beugte sich einen Tick vor. »Emilia, ab Januar werde ich offiziell die Position der stellvertretenden Redaktionschefin übernehmen. Siehst du keine Möglichkeit, meinen Anweisungen zu folgen, wird es für dich hier keine Zukunft geben.«

»Da hat Franklin ebenfalls ein Wort mitzureden. Er ist der Boss.«

Molly schob ihren Stuhl zurück – ein Zeichen, dass die Unterredung für sie als beendet galt. »Du kannst gerne mit Franklin darüber sprechen.«

»Oh, das werde ich tun, und zwar sofort.« Unvermittelt sprang Emilia auf und stürmte aus dem Raum.

Kurz blieb Molly noch sitzen und schloss die Augen. Auch wenn sie auf eine positive Reaktion von Emilia gehofft hatte, war dieses Szenario vorauszusehen gewesen – die Ablehnung sowie der Ärger. War sie zu direkt vorgegangen? Nein, Emilia hatte sie bewusst herausgefordert und damit genau das heraufbeschworen, was Molly ausgesprochen hatte. Warum verspürte sie dann aber dieses schmerzliche Ziehen in sich? Die Worte darzubringen, war nicht schwer gewesen, sie jetzt zu bewerten, umso mehr.