Kapitel 26

Jack stellte seine Reisetasche im Vorzimmer von Toms Haus ab und sah seinen Bruder an. »Legen wir am besten gleich los, bevor Laurie zurückkommt. Wie viel Zeit haben wir?«

»Molly hat Laurie vorhin abgeholt und ins Maple Lake Inn gebracht. Während sie zum Flughafen weitergefahren ist, sorgen Pamela und Lilly für Unterhaltung – alle sind eingeweiht. Offiziell warten sie auf Dorothys Ankunft. Und ist sie erst da, gibt es auf jeden Fall viel zu reden. Du verstehst? Zeit ohne Ende.«

Jack stieß einen murrenden Laut aus. »Jaja. Hast du alles hergerichtet?«

»Der Bauplan des Hauses liegt in der Küche bereit – am Esstisch hast du den meisten Platz –, und Nat hat extra eine Skizze mit den Echtmaßen der Scheune für dich gezeichnet.«

»Bestens. Mehr benötige ich vorläufig nicht. Den Istzustand kenne ich.« Jack setzte sich in Bewegung und lief in die Küche, wo er sofort am Esstisch Platz nahm.

Tom setzte sich ihm gegenüber und beobachtete seinen Bruder, der den Plan sogleich ausbreitete und sich darauf konzentrierte. Schon als Jack zur Tür hereingekommen war, hatte Tom die dunklen Ringe unter seinen Augen bemerkt, außerdem hatte er abgenommen. Entgegen seiner sonst fröhlichen und frechen Art wirkte er ernst und angespannt. Vorerst wollte Tom ihn aber nicht auf Dorothy ansprechen, das würde sich ohnehin automatisch ergeben. Als Jack schließlich aufsah, fragte Tom: »Und, lässt sich etwas Brauchbares daraus zaubern?«

Jack nickte. »Ja, allemal … Ich überlege nur, warum du hier ausgerechnet ein Kinderzimmer inklusive Bad anbauen willst?«

»Das habe ich dir doch bereits am Telefon erläutert.«

»Klar, du willst einen Raum dazu und ein zweites Bad. Das ist auch durchaus vernünftig, aber …« Jack zog Nats Skizze heran und positionierte sie an der richtigen Stelle neben dem Plan. »Sieh her. Hier sind das Gästezimmer, das bestehende Bad und direkt daneben euer Schlafzimmer. Dreh es um!«

»Was meinst du mit umdrehen?«

»Diese eben genannten drei Räume ergeben eine Einheit.« Jack tippte auf die Zeichnung. Dann lehnte er sich zurück und lächelte. »Das Gästezimmer bleibt einstweilen unverändert, bis ihr mich nochmals zum Onkel macht. Euer Schlafzimmer funktionieren wir zum Kinderzimmer um, und im Anbau schaffen wir eine kleine Oase für die Eltern, sprich für Laurie und dich.«

»Du meinst, wir sollen in den neuen Trakt ziehen?«

»Ja, klar. Das wird ein Traum. Hier eine Fensterfront mit Außenbeschattung, dazu ein großzügiges Bad, ebenfalls mit viel Glas, das man mit einer hübschen Holzterrasse erweitern könnte – es wäre der geeignete Platz für einen Whirlpool. Auch eine kleine Sauna ist drinnen. Hast du genug finanzielle Mittel? Weil das Ganze Mehrkosten mit sich bringen würde.«

»Laurie und ich arbeiten rund um die Uhr. Zum Geldausgeben kommen wir kaum, also haben wir einiges gespart. Ich muss sicherlich kein Darlehen aufnehmen«, antwortete Tom. Sein Blick schwenkte von Jacks Gesicht zu dem Plan. »An diese Variante habe ich gar nicht gedacht. Sie ist toll, ehrlich.«

»Deshalb bin ich der Architekt und du der Gastronom.« Jack grinste. »Wie ist denn nun dein Zeitplan, und wann willst du es Laurie sagen? Da ich unbedingt heute anreisen musste, nehme ich an, der Hut brennt.«

»Nat beginnt auf der Stelle mit der Arbeit, wenn die Genehmigung durch ist. Das Projekt soll so rasch wie möglich durchgezogen werden. Und Laurie bekommt die Überraschung präsentiert, sobald du den Plan gezeichnet hast – den übergebe ich ihr, mit Blumen und Schleife. Könntest du dafür auch so eine hübsche Skizze anfertigen? Du weißt schon, mit Bleistift, damit sie sich etwas darunter vorstellen kann.«

»In Toronto zerreißt es mich gerade – das habe ich dir erzählt –, aber ich bleibe bis Montagabend hier. Samstag und Sonntag wird gearbeitet, am Montag fahren wir zu einer Druckerei und lassen alles ausfertigen. Bei den Behördenwegen soll Nat dir helfen. Wir werden das Baby schon schaukeln, keine Sorge, zum Glück ist es nicht viel«, entgegnete Jack.

Tom schmunzelte. »Der Spruch passt perfekt: Das Baby schaukeln. Du bist der Beste, echt. Danke.« Er stützte die Hände auf der Tischplatte ab, als wollte er aufstehen. »Fahren wir hinüber zu den Mädchen ins Hotel und warten mit ihnen auf Dorothy? Dann kannst du auch gleich dein Zimmer beziehen, und Pam zeigt dir, wo du ausreichend Platz zum Zeichnen hast.«

Jack verzog den Mund. »Euer Gästezimmer ist also noch immer eine Rumpelkammer?« Zögerlich stand er auf. »Was soll’s? Mit Laurie im Nacken ist Arbeiten hier ohnehin nicht möglich. Also schleppe ich meine Reisetasche wieder ins Auto.«

»Du wirst ihr früher oder später so und so begegnen und musst mit ihr reden. Oder willst du es ganz bleiben lassen?«, erwiderte Tom.

Jack hob die Arme. »Was weiß ich? Ich bin verrückt nach ihr, und viel verrückter macht mich die Situation – zähl eins und eins zusammen, und du hast das Ergebnis, was verrückt und verrückter zusammen ergibt. Mal ehrlich, was bringt es? Ich habe dir die Story erzählt. Sie war eine regelrechte Furie am Telefon, nur weil ich den Urlaub abkürzen muss. Himmel, da geht es um meinen Job! Solch eine Beziehung ist zum Scheitern verurteilt, oder nicht?«

»Ich habe erfahren, warum Dorothy durchgedreht hat – wobei ich anzweifle, dass der Ausraster wirklich so unglaublich schlimm gewesen ist. Vergiss nicht, ich bin mit Laurie verheiratet. Sie tritt von null auf hundert das Gaspedal durch«, bemerkte Tom.

»Mir hat es ausgereicht.«

»Okay, vielleicht hat Dorothy tatsächlich überreagiert, aber eben bestimmt nicht wegen des Urlaubs beziehungsweise deiner Arbeit.«

»Und warum sonst?« Jack blickte seinen Bruder herausfordernd an.

»Nimm das Brett von deiner Stirn, damit du die Fakten erkennst. Ernsthaft. Sie wollte mit dir nach Toronto weiterreisen, und du hast abgelehnt. Was glaubst du, wie das auf sie gewirkt hat? Hätte ich Laurie am Beginn unserer Beziehung so behandelt …« Tom schnalzte mit der Zunge. »Die apokalyptischen Reiter wären liebreizende Teddybären gegen sie gewesen.«

»Deshalb?« Jack fuhr sich mit den Fingerspitzen über die Augen. »Herrgott. Was sollte sie in Toronto machen? In meiner Wohnung herumsitzen und Däumchen drehen? Ich bin von früh bis spät unterwegs. Wenn ich weiß, sie wartet auf mich, will ich bei ihr sein und unsere wenige Zeit ausnutzen. Außerdem habe ich das Gefühl, ich muss sie betreuen. Das setzt mich unter Druck, dabei benötige ich einen klaren Kopf.«

»Sag mir nicht, dass Letzteres der Hauptgrund ist?«

Jack grinste schief und nickte. »Doch. Ich kenne das zur Genüge. Wann kommst du? Warum bist du nicht da? Was soll ich tun? Wieso hast du keine Zeit für mich? Da kann ich hundertmal vorher klarstellen, dass ich arbeiten muss.«

»Bruderherz, du spinnst. Ist dir überhaupt bewusst, welche Frau du an deiner Seite hast … hattest? Dorothy ist mit deinen bisherigen Freundinnen nicht einmal im Ansatz zu vergleichen – zumindest mit denen, die ich kennengelernt habe. Um es auf den Punkt zu bringen: Dorothy will dich, aber sie braucht dich nicht – weder als Freizeitbespaßer noch als Beziehungsoberhaupt. Ist sie mit dir zusammen, dann wegen deiner Person und nicht, um sich durch dich zu definieren«, entgegnete Tom.

»Du hast keine Ahnung, wie sehr ich sie vermisse«, antwortete Jack leise.

»Sehr gut, sie dich nämlich auch. Halt nur bloß die Klappe – du weißt von nichts. Und beeil dich mit der Versöhnung. Bei euch zählt jede Stunde.« Tom lächelte zufrieden. Alles lief sogar besser, als er es sich gedacht hatte. Natürlich war ihm längst klar gewesen, dass Jack sich keineswegs von Dorothy abgewandt hatte, jedoch kannte er die Sturheit seines Bruders – wie Molly Dorothys. Sie war ihrerseits gerade dabei, entsprechend auf Dorothy einzuwirken. Je schneller sich die beiden einigten, desto eher kehrte Ruhe und Glück ein.