Kapitel 44

Nat reichte Molly ein Glas Wein und setzte sich zu ihr. »Nun musst du mir in Ruhe alles berichten. Bis jetzt weiß ich nur, dass Nora bei Jim übernachtet hat.«

Molly nickte. »Viel mehr habe ich im Grunde auch nicht erfahren. Jedenfalls wollen sie die gemeinsame Zeit genießen, als wäre es die Ewigkeit schlechthin. Ich war so perplex, dass ich kaum etwas sagen konnte. Was meinst du dazu?«

»Ehrlich? Ich finde, sie tun das einzig Richtige. Da treffen zwei Menschen aufeinander, die bereits im Vorfeld viel über einander nachgedacht und Wunschträume entwickelt haben. Die Realität ist offensichtlich noch viel besser als die Vorstellung, also: Bingo!«

»Auch wenn es für Nora und Jim keine Zukunft im eigentlichen Sinn gibt? Der Schmerz danach muss doch schrecklich sein«, antwortete Molly nachdenklich.

»Woher willst du das wissen? Eventuell finden sie einen gangbaren Weg. Du darfst nicht außer Acht lassen, dass Nora und Jim an die fünfzig Jahre alt sind. Beide haben ihren jeweiligen Platz längst gefunden und fühlen sich wohl. Jim benötigt eine Frau, die seinen intellektuellen Ansprüchen genügt und seinen Charakter nachempfinden kann. Bei Nora erscheint es mir umgekehrt genauso. Der Schwerpunkt ihrer Beziehung ruht auf anderen Säulen als bei uns. Es geht nicht mehr um das Gründen einer Familie mit Haus und Garten, und in ihren Jobs sind sie gefestigt und haben alles erreicht.«

»Qualität vor Quantität?«, fragte Molly.

Nat schmunzelte. »Ja. Wobei ich betonen möchte, dass es auch Menschen nicht an Qualität fehlen muss, die zusammenleben. Das spräche gegen uns selbst.«

Molly schmiegte sich an ihn. »Es geschieht so vieles in Maple Creek. Ich komme gar nicht nach mit dem Denken.«

»Würdest du gerne einen Blick auf uns alle in einem Jahr werfen?«, wollte Nat wissen.

»Das nicht gerade, aber ich wäre schon neugierig, wie es dann sein wird.«

»Laurie und Tom werden ihr Baby haben, Pamela und Laurie auf ein Kind warten …«, sinnierte Nat.

Molly lächelte. »Dorothy und Jack reisen hoffentlich nach wie vor zwischen Toronto, New York und Maple Creek hin und her, lieben sich heiß und stecken weiterhin voller Emotionen.«

»Und du, meine Liebe, wirst stellvertretende Chefredakteurin der Maple Creek News Time sein, mit Elisabeth als eine deiner Redakteurinnen.« Nat lachte auf. »Übrigens ein erstklassiges Beispiel für den Lauf des Lebens. Hättest du dir das vor einigen Monaten vorstellen können? Die spitzzüngige Elisabeth mitten in unserer Runde und darüber hinaus im Job an deiner Seite? Ich konnte sie nicht ausstehen, und nun finde ich sie sogar überaus sympathisch.«

»Meine wildesten Phantasien haben es nicht geschafft, ein Bild von Elisabeth und mir in einem angenehmen Gespräch zu malen, geschweige sie als Mitarbeiterin zu sehen. Wenn ich unter diesem Gesichtspunkt an Nora und Jim denke, ist ebenfalls alles möglich und um ein Vielfaches wahrscheinlicher.«

»Und was ist mit uns beiden?«, murmelte Nat.

Molly hob die Hand und betrachtete den Ring. »Wenn du darauf anspielst, habe ich eine gute Antwort für dich. Wann es so weit sein wird, hat keine Bedeutung. Es passiert, und ich warte, bis du so weit bist. Was den Zeitpunkt betrifft, ist eine Ruhe in mir eingekehrt, die ich selbst nicht verstehe. Eines weiß ich jedoch mit Sicherheit: Es wird der schönste Moment, den ich mir vorstellen kann.«

»Wie wäre es mit kommendem Sommer?«, bemerkte Nat lakonisch.

Mollys Kopf ruckte hoch. »Was meinst du damit? Dass wir im Sommer mit aller Vorsicht beginnen werden, darüber zu sprechen?«

»Nein, dass wir im Sommer heiraten.«

Molly schnappte nach Luft und starrte Nat entgeistert an. »Aber dann … dann müssten wir …«

»Ja, genau. Dann müssten wir wohl oder übel jetzt starten und bald mit der Planung loslegen – nicht erst in acht, zehn oder zwölf Monaten.«

Noch immer konnte Molly nicht fassen, was Nat eben gesagt hatte. Vorsichtig fragte sie: »Ist das dein Ernst?«

»Ich würde niemals scherzen, wenn es um unsere Hochzeit geht, mein Schatz«, entgegnete er und schnalzte sichtlich erheitert mit der Zunge.

Endlich löste sich Molly aus ihrem betäubungsähnlichen Zustand, und mit einem freudigen Aufschrei warf sie sich in Nats Arme.