Kapitel 46

Pamela nahm die Kaffeetasse und setzte sich an den Küchentisch. Eigentlich hatte sie vorgehabt, in die Tavern zu fahren, es sich aber dann doch anders überlegt. Der Tag im Hotel war anstrengend gewesen, und sie war müde. Eine neue Reisegruppe war angekommen, außerdem hatte sie einige Bewerbungsgespräche geführt. Timothy, der soeben die Abendschicht im Maple Lake Inn begonnen hatte, arbeitete immer öfter in der Agentur, und mit Mary allein konnte sie die anfallenden Tätigkeiten nicht kompensieren. Lilly benötigte Timothy dringend, und ihren gemeinsamen Plänen entsprechend würde er in Zukunft ohnehin vermehrt dort zum Einsatz kommen. Lilly selbst würde heute sicherlich nicht vor zehn Uhr das Büro verlassen. Sie steckte inmitten der Marketingplanungen ihrer Kunden für das nächste Jahr. Die meisten Konzepte sollten längst fertig und unterzeichnet sein, doch wegen Charlotte hatte es einige Verzögerungen gegeben.

Beim Gedanken über den Grund der Mehrarbeit kam bei Pamela von selbst Ärger hoch. Charlotte und ihre Intention störten sie gewaltig, aber was konnte sie dagegen unternehmen? Sie zur Rede zu stellen, würde das Feuer bloß weiter anfachen, der Angelegenheit mit Ignoranz zu begegnen, war allerdings ebenfalls unmöglich. Lilly hatte den einzig richtigen Weg gewählt, indem sie eine eigene Kampagne starten wollte, und Pamela war stolz auf sie. Ob sie selbst mit einer solchen Sachlichkeit und Bedacht an die Sache hätte herangehen können, wusste sie nicht.

Pamela hob gerade die Tasse und trank einen Schluck Kaffee, als ihr Handy klingelte – es war Jim. Er und Nora hatten ihr am Nachmittag erzählt, dass sie einen gemeinsamen Abend bei Jim zu Hause verbringen würden und Nora deshalb nicht ins Hotel zurückkäme. Was konnte er um diese Uhrzeit von ihr wollen? Hoffentlich war nichts geschehen. Sie nahm ab. »Hi, Jim. Ist alles in Ordnung bei euch? Nora und dir geht es doch gut?«

Er lachte. »Alles bestens, keine Sorge. Ich hoffe, ich störe dich nicht. Eben habe ich mir eine Zigarre aus dem Büro geholt – Nora liebt den Geruch, also darf ich auch im Wohnzimmer rauchen – und dabei einen Blick auf meine Mails geworfen. Es gibt Neuigkeiten zu dem Adoptionsthema, und Nora meinte, ich soll dir auf der Stelle Bescheid geben.«

Abrupt richtete Pamela sich auf. »O ja! Welche denn?«

»Ich habe dir die Adresse einer Organisation zugeschickt, die sich speziell mit Kindern aus dem syrischen Krisengebiet beschäftigt. Die Abstimmung läuft nicht direkt, sondern ebenfalls über die jeweilige Adoptionsagentur. Ihr müsstet also dort euer Interesse bekannt geben. Grundsätzlich sind alle üblichen Schritte zu durchlaufen, die Organisation ist allerdings daran interessiert, die Kinder so rasch wie möglich in gute Obhut zu übergeben. Es wird nicht morgen so weit sein, aber die Wartezeit könnte sich verkürzen.«

»Das klingt ja großartig! Vielen Dank, Jim. Ich sage sofort Lilly Bescheid. Sie kann gute Nachrichten gebrauchen. Die lästige Sache mit Charlotte setzt ihr zu«, erwiderte Pamela.

Jim stöhnte auf. »So gern ich helfen würde, sind mir die Hände gebunden. Charlotte bewegt sich innerhalb der gesetzlichen Grenzen. Lilly hat mit der Kampagne die bestmögliche Entscheidung getroffen.«

»So ist es. Danke nochmals, Jim. Ich wünsche euch einen schönen Abend.« Pamela legte das Handy zur Seite und trank einen weiteren Schluck Kaffee. Unwillkürlich musste sie lächeln. Was zählte schon eine Charlotte? Sie war nichts als ein kleiner Stolperstein auf Lillys und ihrem gemeinsamen Weg.