Das Wasser in der Wanne ist handwarm, als Daniel die kleine Alice vorsichtig für das abendliche Bad hineinhält.
Sie strampelt ein bisschen, wie sie es am Anfang immer tut, bevor sie sich mit seiner stützenden linken Hand im Rücken zufrieden entspannt.
Er kniet auf den weißen Badezimmerfliesen, vor sich in der Dusche die rosa Plastikwanne. Das ist ihr gemeinsamer kleiner Moment. Daniel versucht immer, rechtzeitig zu Hause zu sein, um seine Tochter zu baden.
Das ist einer der großen Vorteile an seiner Arbeitsstelle hier oben, es gibt regelmäßige Dienste und kaum größere Verbrechen aufzuklären. Auch wenn er sich manchmal ein etwas schnelleres Tempo wünscht, vermisst er seinen alten Arbeitsplatz im Drogendezernat von Göteborg nicht. Die meist nutzlosen Versuche, viel zu viele Ermittlungen gleichzeitig abzuarbeiten. Das Gefühl, dass auf jedes aufgeklärte Verbrechen sofort zwei neue folgen. Die Bandenkriege und die Schießereien, die kein Ende nehmen.
Außerdem ist er Norrländer, aufgewachsen in Sundsvall. Die Atmosphäre in Åre ist eine willkommene Erinnerung an seine alte Heimat. Als er Sundsvall verließ, war es das Großstadtleben in Göteborg, das ihn lockte, aber er hat schnell Bekanntschaft mit dessen Kehrseite gemacht.
Er seift Alice ein, die zufrieden gluckst. Das feine blonde Haar legt sich weich in seine Handfläche, als er das Köpfchen abspült. Zum Schluss wäscht er den Nabel mit der Kuppe seines Zeigefingers.
Er wünschte, seine Mutter Francesca hätte Alice noch kennenlernen können. Zehn Jahre ist der Unfall jetzt her, und er hat gelernt, mit dem Verlust zu leben. Bevor Alice geboren wurde, hat er manchmal tage-, ja wochenlang nicht an seine Mutter gedacht.
Inzwischen vergeht fast kein Tag, an dem sie nicht in seinen Gedanken bei ihm ist.
Er war erst sechsundzwanzig, als sie starb. Sie wohnte noch in Sundsvall; ein kurzer Spaziergang, um Milch einzukaufen, sollte das Letzte sein, was sie tat. Der Fahrer flüchtete vom Unfallort. Der Verkehrsunfall ist immer noch nicht aufgeklärt, eine Wunde, die nicht heilt. Daniel arbeitete in Göteborg und fuhr wie betäubt heim, um die Beerdigung zu organisieren.
Er hat sich nie die Mühe gemacht, seinen Vater zu informieren. Warum sollte ihn interessieren, dass Francesca tot war, wenn sie ihm doch so gleichgültig gewesen war, als sie noch lebte?
Sein Vater hatte sie dazu gebracht, Italien zu verlassen, aber nur wenige Jahre später, als Daniel noch klein war, machte er sich aus dem Staub. Als Mutter unverheiratet zu sein, war für sie eine zu große Schande, deshalb war sie nicht in ihre Heimat zurückgekehrt, sondern in Schweden geblieben.
Daniel hat keine Verbindung zu seiner italienischen Verwandtschaft, und der Kontakt zu seinem schwedischen Vater ist gleich null. Er wohnt in Umeå, ist wieder verheiratet und hat neue Kinder, ein Mädchen und einen Jungen. Daniel hat sie nur einige wenige Male getroffen, bei seinen seltenen Besuchen, die irgendwann ganz aufhörten, als er ins Teenageralter kam.
Der Verrat sitzt tief, unvergessen und nicht verziehen. Daniel hat sich oft geschworen, eine andere Art von Vater zu sein.
Er wird Alice niemals im Stich lassen, ganz gleich, was passiert.
Sie soll auch nie Angst vor ihm haben müssen, so wie seine Mutter Angst vor ihrem Vater hatte, Daniels cholerischem Großvater, den er nie kennengelernt hat.
Er ist mit Geschichten über die Tobsuchtsanfälle seines Großvaters aufgewachsen. Francesca hat oft erzählt, wie ihr Vater explodierte und der Rest der Familie sich verkriechen musste, bis er sich wieder beruhigt hatte. Es klang wie eine leichtfüßige Anekdote, aber in Wirklichkeit muss es sehr belastend gewesen sein. Bei einem Mann aufzuwachsen, der die Familie mit seinen Launen terrorisierte, war ganz sicher nicht lustig.
Daniel hat sich fest vorgenommen, dass er sein aufbrausendes Temperament, das er manchmal nur schwer kontrollieren kann, nicht an Alice auslassen wird.
»Wie war’s bei der Arbeit heute?«
Ida steht mit frisch geföhnten Haaren in der Tür. Sie wirkt fröhlich, Daniel hat früh Feierabend gemacht und war schon um vier zu Hause. Sie konnte ein Nickerchen machen und sogar die Küche weihnachtlich schmücken.
Jetzt ist sie wieder wie früher, sieht eher aus wie die fesche Skilehrerin, die er vor einem guten Jahr im Bygget kennengelernt hat, nicht mehr wie eine erschöpfte Säuglingsmama.
Er zuckt die Schultern.
»Nichts Besonderes. Ein paar Besprechungen per Video mit Umeå. Morgen ist Östersund dran, wie üblich.«
Rein formal ist er der Abteilung Schwerverbrechen in Östersund zugeordnet, aber seine Vorgesetzte hat nichts dagegen, dass er an drei Tagen in der Woche von Åre aus arbeitet. Obwohl er viel Zeit im Auto verbringt, ist er froh über diese Regelung. Das gibt ihm die Chance, in Åre heimisch zu werden. Hier gehört er jetzt hin, zusammen mit Ida und Alice.
Seinen Mädels.
Er hebt Alice aus der Wanne und hüllt sie in ein großes Badetuch, das Ida bereitgehalten hat.
»Was hältst du von Lasagne zum Abendessen?«, fragt er. »Mit selbstgemachter Tomatensoße?«
Daniel liebt es, zu kochen, er hat schon immer gern in der Küche gestanden. Er witzelt oft über seine italienischen Gene, seine Leidenschaft für Pasta und Parmesan.
»Klingt gut«, sagt Ida lächelnd.
Sie streckt die Arme aus und nimmt ihm Alice ab.
»Mein Schnubbelchen«, gurrt sie. »Komm zu Mama.«
Daniel drückt ihr einen Kuss auf die Stirn.
In diesen Momenten, wenn Alice sie beide mit ihrem zahnlosen Lächeln anstrahlt, kann er sich kaum daran erinnern, warum in der letzten Zeit so viel Zank und Streit zwischen ihnen geherrscht hat.