Hanna hat Mühe, nach dem Abend im Supper zur Ruhe zu kommen. Sie liegt auf dem Rücken in Lydias dunklem Gästezimmer, die Arme über dem Kopf verschränkt, und ist kein bisschen schläfrig.
Der Abend war schön und das Essen sehr lecker, aber beängstigend teuer, obwohl sie sich nur einen einzigen Drink gegönnt hat. Zum Glück haben sie sich nicht die gesamte Rechnung geteilt, sondern jede hat für sich bezahlt.
Sie will lieber nicht daran denken, wie wenig sie auf dem Konto hat oder woher sie das Geld für eine neue Wohnung nehmen soll, jetzt wo Christian die Dreizimmerwohnung für sich behält. Wie es aussieht, hat sie ab Januar weder einen Job noch ein Dach überm Kopf.
Sie will auf keinen Fall Lydia anpumpen, die schon so großzügig gewesen ist. Ihre Eltern um Geld zu bitten, ist ausgeschlossen.
Es knackt in den Holzwänden, aber davon abgesehen ist es vollkommen still.
Die Stille hier oben ist eine ganz andere als in der Großstadt, eine, bei der die Seele zur Ruhe kommt. In Sadeln ist es noch ruhiger als im Ort, weil die Grundstücke größer sind und die Häuser weiter auseinanderstehen. Außerdem gibt es abends und nachts kaum Autoverkehr.
In den Bergen schläft man gut, das hat Papa früher immer gesagt, wenn er sie zugedeckt hat.
Hanna lächelt leicht bei dem Gedanken und dreht sich auf die Seite. Sie kann sich nicht erinnern, dass ihre Mutter ihr je eine Gutenachtgeschichte vorgelesen hätte, das haben etweder Lydia oder Papa gemacht, aber hin und wieder muss doch auch Mama ihr ein Märchen erzählt haben?
Sie ist jedenfalls froh, dass sie heute Abend mit ins Supper gegangen ist. Es war schön, mal aus dem Haus zu kommen und neue Leute kennenzulernen. Die Frauen waren nett, es war leicht, sich einfach von der Unterhaltung wegtragen zu lassen und für ein paar Stunden alle Sorgen zu vergessen. Das einzig Merkwürdige war nur, dass Karro sich so sträubt, mit ihrem Bruder über diesen Freund zu reden. Aber vielleicht haben sie in ihrem geschwisterlichen Verhältnis unausgesprochene Regeln, von denen Hanna nichts weiß.
Aus irgendeinem Grund fällt es ihr schwer, die Sache fallenzulassen. Der Gedanke an Viktor Landahls Vergangenheit lässt ihr keine Ruhe. Wenn sie an den Ermittlungen beteiligt wäre, würde sie großen Wert auf eine solche Information legen.
Und wenn sie sich an die Ermittler wenden würde? Nur um sicherzugehen, dass sie den Hintergrund des Jungen kennen.
Karro ist nicht verheiratet, sie und ihr Bruder Anton müssten denselben Nachnamen haben. Es kann nicht mehr als einen Polizisten in Åre geben, der Anton Lundgren heißt.
Karro braucht es nicht einmal zu erfahren.
Hanna schiebt das Kissen zurecht und zieht die Bettdecke hoch. Sie muss endlich schlafen, es ist schon spät.
Vielleicht ist es dumm, sich in einen Fall einzumischen, der sie nichts angeht. Das ist genau das Verhalten, das dazu geführt hat, dass man sie bei der Citypolizei in Stockholm nicht mehr haben will.
Aber was, wenn keiner der Ermittler weiß, was der Freund getan hat?