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Kalle sitzt am Küchentisch und kaut lustlos an seinem Butterbrot. Mimi hat das Glas Milch vor sich nicht angerührt.

»Wann kommt Ludde nach Hause?«, fragt sie.

Harald schluckt. Er hat sich immer noch nicht überwinden können, ihnen vom Tod des Hundes zu berichten.

»Bald«, sagt er nur und gießt Kaffee in einen Becher.

»Warum frühstückt Mama nicht mit uns?«, fragt Kalle.

Er kippelt mit dem Stuhl, der über den Küchenboden schrammt, und gerät in eine gefährliche Schräglage, sodass er beinahe hintenüberfällt.

»Lass das!«, raunzt Harald ihn an.

Kalles Gesicht zieht sich zusammen. »Entschuldigung«, murmelt er und ist den Tränen nahe.

»Tut mir leid«, sagt Harald seinerseits. »Ich wollte dich nicht anschreien. Ich hatte nur Angst, dass du umkippst.«

Er stellt den Kaffeebecher weg und hockt sich neben seinen Sohn.

»Mama schläft«, sagt er in sanfterem Ton.

»Sie schläft die ganze Zeit«, sagt Mimi.

Die Kinder haben recht. Lena hat sich seit Tagen nicht blicken lassen. Sie hat sich von allen Verpflichtungen zurückgezogen. Er merkt, wie Ärger in ihm aufsteigt, er will diese Familie nicht ganz allein auf seinen Schultern tragen.

»Wisst ihr was«, sagt er. »Wie wär’s, wenn ihr nach oben geht und sie weckt?«

Vielleicht bringt es Lena dazu, aufzustehen, wenn die Zwillinge sie umarmen? Als eine Erinnerung daran, dass sie noch zwei weitere Kinder hat, die sie brauchen.

Er macht eine Geste zur Treppe.

»Geht rauf und fragt Mama, ob sie frühstücken will.«

Blitzschnell verschwinden die Kinder aus der Küche. Er hört ihre Schritte auf der Treppe, die knarrenden Türangeln, als sie die Schlafzimmertür öffnen.

Harald erhebt sich und trinkt den Kaffee aus. Öffnet den Geschirspüler, um die gröbste Unordnung in der Küche zu beseitigen.

Kalle steht in der Tür. »Mama wacht nicht auf«, sagt er.

Harald hält inne, einen Teller in der Hand.

»Was meinst du?«

»Sie liegt nur still da.«

Es ist noch keine Stunde her, seit er selbst im Schlafzimmer war, wo Lena im Bett lag und schlief. Wahrscheinlich wirken die Schlaftabletten immer noch.

»Dann musst du sie ein bisschen rütteln«, fertigt er seinen Sohn ab.

Er will die Medikamente nicht erwähnen. Die Kinder brauchen nichts davon zu wissen.

Kalle verschwindet wieder. Harald stellt mehr Teller in die Maschine. Etwas veranlasst ihn, innezuhalten. Ein Verdacht, den er vor sich selbst kaum zugeben will.

Er geht aus der Küche und mit großen Schritten die Treppe hoch. Geht ins Schlafzimmer, wo Mimi und Kalle am Kopfende des Bettes stehen und Lena anstoßen.

Er sieht, wie sie ihren leblosen Körper rütteln.

Sie reagiert kein bisschen, ihre Muskeln sind völlig schlaff.

Das Gesicht ist so bleich.

Mimi starrt ihn mit ängstlichen Augen an.

»Ist Mama auch tot?«