JEDER KANN ES SCHAFFEN – DU MUSST ES NUR WOLLEN
R ay Charles verlor mit sieben Jahren sein Augenlicht. Mit 15 Jahren starb seine Mutter und er musste miterleben, wie sein jüngerer Bruder ertrank. Laut eigener Aussage hatte er die Wahl, sich entweder als blinder Bettler auf die Straße zu stellen oder »alles daranzusetzen, um Musiker zu werden«. 16 Dirk Nowitzki gilt als Basketball-Legende, nur fünf Spieler haben mehr Punkte in der NBA erzielt. Aber er ging am Anfang durch die Hölle in den USA: Nachdem Nowitzki von Würzburg zu Dallas gewechselt war, hatte er nicht genügend Muskeln, um sich gegen die anderen Power Forwards durchzusetzen. Nowitzki schwächelte in der Verteidigung, Dirk konnte keine Defense. Die US-Journalisten strichen ihm deswegen das »D« für Defense aus seinem Namen und verpassten ihm den Spitznamen »Irk«, und die eigenen Fans buhten ihn aus. 17 Nowitzki war frustriert und zweifelte, überlegte sogar, zurück nach Würzburg zu wechseln. Aber dann kämpfte er für seine Punktlandung. Er trainierte so hart, bis er den Durchbruch schaffte. Er schlich sich nachts mit seinem Mitspieler Steve Nash in die Halle und warf Korb um Korb. Im Play-off-Duell gegen San Antonio verlor er einen Schneidezahn und spielte blutverschmiert mit einem provisorischen Tampon im Mund weiter. »Irk« wurde zum Relikt, heute kennt man ihn nur noch als »German Wunderkind« und »Dirkules«.
Was bringt Menschen wie Nowitzki oder Charles dazu, sich durchzubeißen, bis sie ihr Ziel erreichen? Philosophisch lässt sich die Frage mit der Lehre der Stoiker beantworten. So war Epiktet der Meinung, dass man sich von Dingen, die man nicht beeinflussen kann, nicht beeinträchtigen lassen und sich stattdessen besser auf die Dinge konzentrieren sollte, die man ändern kann. 18 Charles und Nowitzki haben ihr Schicksal akzeptiert und sich auf das konzentriert, was sie ändern können. Epiktet wäre stolz, aber ihr Mindset lässt sich auch mit der Psychologie erklären.
Bereits seit den 1950er-Jahren untersuchen Psychologen die sogenannte Kontrollüberzeugung und erkennen, dass die innerliche Kontrollüberzeugung im Zusammenhang mit wissenschaftlichem Erfolg, Selbstmotivation, wenig Stress oder Depressionen und einem längeren Leben gesehen werden muss. 19 Es dreht sich alles um den sogenannten Locus of Control , also den Ort der Kontrolle. Pari Majd erklärt bei ihrem Ted Talk Can you change your perception in four minutes? , dass es darum geht, ob Menschen daran glauben, dass sie den Ausgang eines Ereignisses beeinflussen können. 20
Für unsere Selbstwahrnehmung gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder liegt der Locus of Control intern oder extern. Schauen wir uns zwei Beispiele an. Edward Extern kennt nur ein Gefühl: Er hat die Kontrolle über sein Leben verloren. Wenn er in der Schule eine schlechte Note bekommt, dann ist natürlich der Lehrer schuld. Er hasst ihn sowieso – und dann hatte Edward beim Test auch noch seinen Glücksbringer vergessen. Dagegen fühlt sich Isabel Intern so, als hätte sie alles selber in der Hand: Sie hat beim Test versagt, weil sie zu wenig gelernt hat. Wer wird es weiterbringen?
Wir sollten uns nicht einbilden, wir könnten alles beeinflussen. Und wir sollten uns nicht für alles verantwortlich fühlen, sonst kann es Selbstvertrauen kosten. Beispielsweise kann man sich nicht mit jedem Menschen auf der Welt gut verstehen, und man sollte für Konflikte nicht immer die Schuld bei sich selber suchen. Aber wir sollten grundsätzlich auf der internen Seite stehen. Dann nehmen wir unser Leben in die eigene Hand. Das belegt die Forschung: Isabel wird beim nächsten Test mehr lernen und am Ende eine bessere Karriere hinlegen. Edward wird zwar seinen Glücksbringer dabeihaben, aber wohl wieder eine Fünf kassieren. Majd führt bei ihrem Talk noch ein Zitat von Muhammed Ali an, der einmal bekannte, dass er jede Minute des Trainings gehasst, aber sich selber gesagt habe: »Gib nicht auf. Leide jetzt – und lebe für den Rest deines Lebens als Champion.« So geht interne Kontrollüberzeugung.
Auf YouTube, Instagram und in Büchern hagelt es Empfehlungen fürs perfekte Mindset: Du sollst einfach dran glauben – und dann kann dich keiner stoppen. Solche Weisheiten greifen zu kurz. Wir müssen erst unser Hirn verstehen, bevor wir uns verbessern können. Am anschaulichsten erklärt das Mindset die Psychologin Carol Dweck. Sie hat bei ihrer Forschung ebenfalls zwei Pole ausgemacht: Sie unterscheidet zwischen statischem und dynamischem Selbstbild. Im Englischen drücken es die Begriffe noch besser aus, was sie damit meint: Growth Mindset und Fixed Mindset . 21 Als ich auf diese Theorie stoße, sehe ich mich wieder in der Schule sitzen: In der fünften Klasse habe ich mich nicht getraut, mich zu melden, wenn ich etwas nicht verstand. Die anderen hätten einen ja für dumm halten können. Aber der Dumme war am Ende ich, weil ich nichts gelernt habe. Und genau hier klärt sich die Frage: Sind wir Dynamiker oder Statiker?
Der Statiker liebt Aufgaben, die er blind erledigen kann. Er holt sich Selbstvertrauen, indem er Routinearbeit erledigt und nicht scheitern kann. Es geht ihm um Bestätigung. Kennst du diese Freunde, die Angst davor haben, eine attraktive Person zu daten? Man könnte ja nicht gut genug sein. Oder sich auf einen anspruchsvollen Job bewerben? Das geht bestimmt schief! Aber reicht das aus, um erfolgreich zu werden? Der Dynamiker sagt: nein. Er sucht sich immer schwierigere Aufgaben und scheitert besser. Ich bin froh, dass ich mein Mindset um 180 Grad drehen konnte und gelernt habe, die Herausforderung zu lieben. Der Politologe Benjamin Barber bringt es auf den Punkt: »Ich teile die Welt nicht in Schwache und Starke, oder Gewinner und Verlierer ein. Ich teile die Welt in Lerner und Nicht-Lerner ein.« 22
Wenn dich der Mut jemals verlassen sollte, dann erinnere dich an den griechischen Philosophen Kallikles. Es geht wieder um das Problem, das in der Schule seinen Anfang findet: Wenn einer mehr wissen will – und die anderen mit dem Finger auf ihn zeigen und »Streber« schreien. In unserer Gesellschaft müssen wir früh gegen Widerstände ankämpfen, wenn wir besser sein wollen. Kallikles wäre wohl einer von den Strebern gewesen. Aber er hätte es genossen und nur daran gedacht, dass er später mal das größere Haus und die schönere Frau haben würde. Für ihn bestand das Problem nicht darin, dass wir zu viel wollen. Die Mehrheit hatte vielmehr entschieden, dass dies moralisch verwerflich sei. Du hast bestimmt auch schon diese Menschen getroffen, die hartnäckig behaupten, dass die Reichen und Berühmten in Wirklichkeit unglücklich wären? Natürlich gibt es Manager, die sich zu Tode schuften. Aber rechtfertigt das ein Plädoyer für Mittelmäßigkeit oder gar Armut? Wohl kaum. Es gibt auch genug Menschen aus der Unter- und Mittelschicht mit kaputten Familien. Für Kallikles war das Mehr-haben-Wollen sogar ein Naturgesetz. 23 Jeder soll sich genau so viel nehmen, wie er will: der eine wenig, der andere viel. Doch du solltest es niemals in Frage stellen, wenn du mehr willst. Der Pädagoge Benjamin Bloom macht jedem Mut, indem er nach vierzig Jahren intensiver Forschung zu dem Schluss kam, dass fast jeder lernen könne, was ein Mensch lernen kann, solange das Lernumfeld stimmt. 24 Wir müssen nur wollen!
Test yourself! Wo liegt dein Locus of Control? Mache den Test und finde heraus, wie stark du daran glaubst, dass du dein Leben selbst im Griff hast: https://psychologia.co/locus-of-control/