SEI NICHT WIKIPEDIA, SEI EIN FREAK!
E ine blonde Lego-Figur blickt mir entgegen, sie trägt einen giftgrünen Frack, Applaus ertönt, und im Hintergrund zeichnet sich unscharf ein Schloss ab. Aus dem Off kommt eine Stimme: »Guten Tag, meine Damen und Herren, ich freue mich, dass sie da sind, denn ich glaube an das Gute in jedem Einzelnen von ihnen. Kann ich irgendwas für Sie tun? Brauchen Sie was? Brauchen Sie Geld vielleicht?« Dann bricht die Stimme ab, eine menschliche Hand greift ins Bild, schiebt die Lego-Figur nach hinten und kommentiert die Aktion mit: »Vielen Dank erst mal, Fürst Myschkin. Man muss ihn immer ein bisschen bremsen. Denn um ihn geht es heute, in: der Idiot von Fjodor Dostojewski.« 77 In diesem Moment schaue ich den YouTube-Kanal »Sommers Weltliteratur to go« auf meinem iPhone. Sommer hat bereits mehr als 320 Videos hochgeladen, mehr als 90.000 Abonnenten und mehr als 13 Millionen Aufrufe. 78 Das Konzept ist einfach, aber trotzdem einzigartig: Sommer spielt mit Lego-Figuren in wenigen Minuten die Plots von Klassikern nach wie Faust und Madame Bovary. Jetzt stell dir mal vor, jemand hätte dir vor 20 Jahren gesagt: Nimm ein paar Lego-Figuren, zieh ihnen Kostüme an, spiel damit Klassiker der Weltliteratur nach, film dich dabei und zeig es möglichst vielen Menschen und das auch noch gratis! Dann hättest du ihn wohl für irre erklärt. Aber genau solche Freaks brauchen wir heute und nicht noch 100 Wikipedias!
Wir leben in einer Kreativwirtschaft, sie ändert sich immer schneller, und Aufmerksamkeit schenken wir nur noch denjenigen, die sich am besten präsentieren. Einstein wusste schon, dass Wissen begrenzt ist, doch unsere Kreativität nicht. Also musst du ein Freak werden! Freak mag negativ klingen, aber damit hast du in dieser Welt Vorteile, und die werde ich dir gleich zeigen. Leider werden wir in der Schule zum Gegenteil erzogen: zu angepassten Allgemeinwissensmaschinen. »Lernen bedeutet nicht, Fässer zu füllen, sondern Fackeln zu entzünden«, sagte Heraklit bereits vor 2500 Jahren. Allgemeinbildung muss sein, aber heutzutage sollte sich niemand mehr auf seine Schulbildung verlassen. Sonst gehst du der Erfolgslüge auf den Leim: In der Schule geht es nämlich meistens nur um einen Weg zum Erfolg. Fehler werden bestraft, mit Growth Mindset hat das nichts zu tun. Da gefällt mir das finnische Bildungssystem schon viel besser! Die Klassen sind kleiner, die Individualität ist größer. Erst ab dem elften Lebensjahr gibt es Noten, Hauptfächer spielen eine geringere Rolle, das Lernen wird individuell auf die Schüler zugeschnitten. Das Ergebnis: Finnland zählt als Zwerg mit 5,5 Millionen Einwohnern zu einem der innovativsten Ländern der Welt: Nur in Japan, Südkorea und Israel melden die Einwohner mehr Patente pro Kopf an. 79 Bei der Pisa-Studie landen die finnischen Schüler meistens ganz vorne. 80 Und auch das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf fällt für ein so kleines Land wie Finnland sehr hoch aus, – beispielsweise landen die Finnen vor Deutschland, Großbritannien und Frankreich. 81
Was steckt hinter solchen Erfolgen? In dieser Welt triumphieren nicht die Menschen ohne Schwächen, sondern die Menschen mit Stärken. Ich liebe die Idee, dass wir alle Experten werden, eben ein Freak für jene Dinge, die wir gut können und deswegen lieben. Freaks fallen auf! Und das wird immer wichtiger. Wie du dich möglichst teuer verkaufst, dazu kommen wir gleich im nächsten Kapitel, der richtige Rahmen klang ja bereits im letzten Kapitel an. Aber schauen wir uns erst mal das Problem an: Wir passen alle immer weniger auf. Laut einer Microsoft-Studie haben sogar Goldfische mittlerweile eine höhere Aufmerksamkeitsspanne – sie hält neun Sekunden, beim Menschen nur noch acht. 82
Jeder produziert heute Content, auf YouTube, Instagram, Twitter, seinem Blog oder sogar auf WhatsApp. Content ist aber nicht gleich Content. In dieser Welt zählt, wie du kommunizierst, wie du sprichst, wie du Design beherrscht. Am besten kannst du noch selber Videos produzieren oder professionelle Texte schreiben. Denn egal, ob du Lego-Figuren schauspielern lässt oder das beste Craft-Beer der Welt braust, die Welt sollte davon erfahren. Aber dafür musst du aus der Masse herausstechen! Der beste Tipp, den ich jemals dafür bekommen habe: Sei extrem, und geh dann noch einen Schritt weiter! Du erinnerst dich daran, dass eine gute Geschichte unseren Horizont überschreiten sollte. Es geht nicht darum, möglichst verrückt zu sein. Als Freak geht es darum, möglichst gut in einer Sache zu werden. Denn Freaks sind Experten! Von Zuckerberg und Co. kannst du also nicht lernen, die Uni zu schmeißen, sondern richtig gut in deinem Spiel zu werden. Eine ehemalige Kollegin von mir liebt Bier und hat ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht. Sie wurde die erste Craft-Beer-Bloggerin Deutschlands und reist seit Jahren um die Welt, um neue Biere zu testen und als Jury-Mitglied die besten Craft-Biere zu beurteilen. Am besten spielst du dein Spiel so gut und individuell, dass gar kein anderer mehr mitspielen kann. Die anderen bleiben dann höchstens die billige Kopie von dir!
In dieser Welt zählt einzigartige Arbeit immer mehr. Dafür müssen wir aber erst mal verstehen, welche Arbeit wir ausführen können. Verhaltensforscher unterscheiden zwischen algorithmischer und heuristischer Arbeit. Ein Algorithmus funktioniert in der Regel wie eine Handlungsanweisung mit mehreren Schritten, die vorab genau definiert sind und sich wiederholen: Deswegen verstehen wir darunter monotone Arbeit, beispielsweise am Fließband. Ein Beispiel für einen Algorithmus ist auch ein simples Kochrezept. Das Gegenteil ist die Heuristik. Dabei geht es ums Suchen und Finden. Ein bekanntes Beispiel ist das Prinzip trial and error , etwa eine Marketing-Kampagne auf Facebook. Sie lässt sich nicht stur für verschiedene Marken und Zielgruppen gleich umsetzen, sondern sie muss jeweils maßgeschneidert, getestet und angepasst werden. Genau diese Heuristik, das Experimentieren, zählt.
Wir leben in einer Welt, in der algorithmische Jobs überflüssiger werden. An manchen Kassen zahlst du schon selber ohne Personal, und auch am Flughafen checkst du dein Gepäck oft selber ein. Roboter und Maschinen nehmen uns Arbeit ab. Jeden Tag kommen neue Studien heraus, die uns die Wahrscheinlichkeiten dafür vorrechnen, wann uns ein Roboter ersetzen wird. Aber ich erinnere dich nur an die ewige Story der Crash-Propheten: Es muss irgendwie weitergehen, – und es wird weitergehen. Also überlegen wir uns, wie wir unsere heuristische Heldenstory schreiben.
Helden sind einzigartig, und Freaks sind eine Marke! Lass uns diese beiden Stärken vereinen, und du wirst unverzichtbar. An erster Stelle muss deine Stärke stehen: Was begeistert dich? Und worin kannst du besser werden als alle anderen? Bist du ein Freak in Sachen klassischer Musik, für Überraschungseier-Figuren oder Craft-Beer? Dann spiel dein Spiel, und du wirst der Experte in deiner Nische. Dabei hilft uns ein Tool aus dem strategischen Management von Michael Porter: Entweder besetzt du einen Nischenmarkt und verlangst dafür hohe Preise, oder du besetzt einen sehr breiten Markt und kannst die Preise dominieren. 83 Einen extremen Nischenmarkt besetzt du beispielsweise, wenn du der einzige Online-Händler in Deutschland für exklusiven Übersee-Rum bist. Dann kannst du auch höhere Preise verlangen. Das andere Extrem wäre Amazon. Dann bist du der Kostenführer und setzt auf einen hohen Marktanteil. Der größte Fehler bei diesem Modell ist, wenn du dich in der Mitte positionierst – dann bist du stuck in the middle – man könnte auch sagen: weder Fisch noch Fleisch. Diese Idee sollten wir für unser Wissen adaptieren. Wir können nicht alles wissen, und wenn wir von allem ein bisschen was können, dann braucht uns auch keiner so wirklich, denn dafür gibt es schon Wikipedia und Google. Das Ziel muss sein, »Google-proof« zu werden. Stell dir vor, du bist der Einzige in deinem Unternehmen, der jede Frage zu chinesischen Aktien oder Palladium beantworten kann. Google wäre damit schnell überfragt. Aber als Freak wirst du mit deinem Fachwissen unverzichtbar. Der ultimative Freak kombiniert sein Fachwissen dann noch mit einem Erlebnis und präsentiert sein Wissen einzigartig.
Erzähle mir eine gute Geschichte und ich kaufe dein Produkt. Und schon sind wir wieder bei unserem Freund mit den Lego-Figuren. Die entscheidende Frage ist nicht, wie viel du weißt, sondern was du weißt. Und vielleicht ist es der größte Erfolg im Leben, seine Rolle in dieser Welt zu finden und sein eigenes Spiel zu spielen. Sei extrem – und geh dann noch einen Schritt weiter.
Test yourself! Schreibe dir drei Themen auf, in welchen du dich richtig gut auskennst. Worin könntest du Experte werden? Je spezieller, desto besser.