VERKAUFE DEINE SEELE – UND ZWAR SO TEUER WIE MÖGLICH
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tell dir vor, du hättest zwei Dates an einem Abend und müsstest dich danach entscheiden, welche Frau du heiraten wirst. Darf ich dir Kate vorstellen, sie ist 28 Jahre alt und erfolgreiche Ärztin, spezialisiert auf Gehirnchirurgie. Du fragst Kate, warum sie Ärztin geworden ist. Ihre Antwort: »Ich wollte schon immer anderen Menschen helfen. Es gibt doch nichts Vernünftigeres, was man der Gesellschaft zurückgeben kann, oder? Mich macht es besonders stolz, dass meine Eltern so glücklich damit sind, dass ihre Tochter etwas Anständiges gelernt hat! Gerade bei der Chirurgie hat man eine immense Verantwortung. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, die Macht zu haben, sogar den Tod aufzuhalten.«
Und jetzt stelle ich dir die zweite Dame vor: Sandra. Sie ist 30, ebenfalls Ärztin, und sie holt nach der Frage nach ihrem Warum erst mal ein Foto aus ihrer Handtasche: Darauf ist sie zu sehen, wie sie ein kleines schwarzes Kind im Arm hält und in die Kamera lächelt, und dann erzählt sie dir ihre Geschichte: »Das auf dem Foto ist die kleine Nala, das Bild ist in Namibia entstanden. Ich habe dort für ein halbes Jahr gearbeitet, und es war die beste Erfahrung meines Lebens. Man kann so viel helfen, selbst mit den einfachsten Mitteln. Du kannst dir nicht vorstellen, wie glücklich es mich macht, wenn ich in die strahlenden Augen dieser Kinder blicke. Das erinnert mich immer wieder daran, warum ich überhaupt Ärztin geworden bin. Damals war meine beste Freundin mit 14 Jahren an Leukämie erkrankt. Ihr konnte ich leider nicht mehr helfen, aber es gibt so viele Menschen auf der Welt, denen ich noch helfen kann.
«
Beide haben sich verkauft, aber für wen würdest du dich entscheiden? Kate hat uns erzählt, dass für sie Prestige zählt, ohne dass sie es gesagt hat. Sandra hat uns dagegen erzählt, dass sie die Welt zu einem besseren Ort machen will, ohne dass sie es gesagt hat. Kate hätte uns jetzt auch noch zehnmal versichern können, dass sie eine fürsorgliche Freundin wäre und eine verantwortungsbewusste Mutter, aber hättest du es ihr geglaubt? Sandra hat uns dagegen gezeigt, warum sie liebenswert ist, weil sie eine Geschichte erzählt hat.
Springen wir kurz ins Jahr 2009: Ich träume in diesen Tagen davon, einen Krimi zu schreiben und arbeite wie besessen neben meinem Studium daran. In der Früh bin ich spätestens um 5 Uhr wach und schreibe Kapitel um Kapitel. Zu der Zeit hatte ich noch nicht mal ein Praktikum bei einer Regionalzeitung gemacht, aber man soll sich ja immer große Ziele setzen. Ich merke schnell, dass das Ziel noch zu groß ist und mir noch einiges fehlt zum neuen Grisham. Ich melde mich deswegen zu einem einwöchigen Krimi-Schreibkurs an. Kurz darauf sitze ich am Schreibtisch in einem Ferienhaus in Farnese, ein Dorf mit 1500 Einwohnern in der italienischen Region Latium, auf halber Strecke zwischen Rom und Florenz. Wir sollen eine Kurzgeschichte schreiben, die dann von einem Lektor und einem erfahrenen Krimiautoren auseinandergenommen wird. Ich schreibe mir einen Wolf und will zeigen, wie gut ich Szenen darstellen kann. Ausführlich, lebendig und emotional soll es sein. Deswegen beschreibe ich alles detailliert und schmücke viel mit Adjektiven aus, aber ich weiß damals noch nichts über das Schreiben. Um es kurz zu machen: Aus dem Krimi wurde bislang nichts, aber ich lerne in Farnese bei der Manöverkritik einen der wichtigsten Sätze meines Lebens: Don‘t tell it, show it! Merk dir diesen Satz am besten für alles, was du in diesem Leben machst. Denn jeder, der Geschichten erzählt und sich verkaufen muss, sollte nach diesem Motto handeln. Was bedeutet es genau? Ein Beispiel dazu aus der Literatur: Du kannst entweder beschreiben, welchen Charakter eine Figur besitzt oder du zeigst es, indem du Bilder im Kopf des Lesers erzeugst.
Tell it:
Johnny Bloed war ein richtig harter Kerl, sehr gefährlich, alle hatten Angst vor ihm. Und sein Mut war unbeschreiblich
.
Show it:
Johnny Bloed nahm einen Schluck von seinem Bourbon, stellte das Glas an der Bar ab und ballte die Hand zur Faust. Dann drehte er sich um und streckte den Typen mit einem Schlag nieder, der ihn zuvor blöd angemacht hatte.
Wir sind wieder beim alten Problem: An ihren Taten sollt ihr sie messen. In der Theorie sind alle mutig, aber Mut lässt sich eben nur beweisen, indem du handelst. In der Spieltheorie gibt es das sogenannte Chicken Game
, auch Feiglingsspiel genannt: Es geht darum, wer zuerst zurückzieht beim Spiel mit dem Untergang. Am besten lässt es sich mit dem Szenario einer Mutprobe beschreiben. Stellen wir uns folgende Szene vor: Zwei Autos fahren aufeinander zu. Die Spielregeln lauten: Wer zuerst ausweicht, beweist damit seine Angst und verliert. Ein Unternehmensberater hat mir mal verraten, dass er bei Bewerbungsgesprächen gerne dieses Szenario anführt und die Frage stellt, wie man dem Gegenüber bei diesem Chicken Game
beweisen kann, dass man keine Angst hat. Denk an das Motto: Don’t tell it, show it. Also wird es nicht reichen, dem Rivalen zu sagen, dass man niemals ausweichen würde. Was würdest du also tun? Dir einen ernsten Blick aufsetzen und deinen Gegner fixieren? Dich aufplustern? Ganz nett, aber ich verrate dir jetzt die Antwort: Wirf am besten dein Lenkrad aus dem Fenster, mehr »show it« geht nicht.
Manche Menschen können sich gut verkaufen, indem sie sich hinter verschachtelten Sätzen verstecken und Kompetenz oder Leidenschaft vortäuschen. Aber sie werden irgendwann auffliegen. Es gibt das Sprichwort: »Deine Taten sprechen so laut, ich kann dich nicht hören!« Wenn gesprochenes Wort und Tat nicht zusammenpassen, wird es peinlich. Es geht immer um Glaubwürdigkeit. Kant hat sich auf den guten Willen des Menschen berufen, aber Sartre hat es aus meiner Sicht besser auf den Punkt gebracht in seinem Aufsatz »Der Existenzialismus ist ein Humanismus«, indem er erklärt, dass der Mensch das ist, wozu er sich macht. Wir sind also die Summe unserer Handlungen.
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Kann ein Chef von seinen Mitarbeitern Leistung einfordern, wenn er jeden Tag um 14 Uhr nach Hause geht? Du kannst einer Frau auch leicht erzählen, dass du ein mutiger Kerl bist, aber zeig ihr lieber,
dass du sie beschützen kannst. Show it, don’t tell it. Hast du schon mal darüber nachgedacht, warum Männer ihren Frauen Blumen kaufen und bei der Hochzeit einen teuren Ring anstecken? Weil Taten Liebe eben besser beweisen als Worte.
Wir verkaufen uns ständig selber in dieser vernetzten Welt: auf Tinder, bei LinkedIn, Instagram oder bei einer Konferenz im Büro. Aber wie erzählen wir unsere Geschichten? Der größte Fehler in dieser Welt der Reizüberflutung ist es, den Leuten etwas verkaufen zu wollen. Du hast bestimmt auch schon diese Werbungen auf YouTube und Instagram gesehen, in denen es heißt: »Ich zeige dir, wie du mit dem perfekten System 3000 Euro Umsatz pro Monat machst.« Jeder erkennt, dass es sich um Marionetten handelt. Gute Geschäftsmänner verkaufen dagegen ihre Seele, und zwar teuer. Steve Jobs hat seinen Fans mit dem iPhone ein kleines Stück »anders sein« in die Hand gegeben. Wer sich ein iPhone kauft, der zeigt der Welt: Ich lege Wert auf Design und gebe dafür auch gerne Geld aus. Jobs hat es geschafft, mit seinem Motto »Think Different« zu zeigen, warum Apple das Leben verändert.
Ein zweites Beispiel für den Verkauf mit Seele ist Elon Musk. Er verkauft mit Tesla Autos, aber eigentlich verkörpert diese Marke etwas ganz anderes: Pioniergeist und den Traum davon, die Welt zu verändern. Was Tesla und Musk wollen, steht schon von Anfang an auf Papier geschrieben: Tesla will die Welt von fossilen Brennstoffen befreien. Und genau das überzeugt so viele Menschen, sich für Musk zu begeistern. Er lebt seine Vision, war bereits pleite, hat aber immer wieder sein ganzes Geld in seine Projekte gesteckt. Würde es ihm nur ums Geld gehen, hätte er niemals so gehandelt.
Was können wir uns von Musk und Jobs abschauen? Wenn du dein Warum kennst, geht es darum, die richtige Erzählstimme zu finden. Dabei helfen dir die Archetypen von C. G. Jung weiter (s. Abbildung auf der nächsten Seite).
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Der Psychologe ging davon aus, dass wir uns alle in diesen Typen wiederfinden. Die Grafik zeigt dir die zwölf wichtigsten Typen im Überblick, die Autorin Carol S. Pearson hat die Arbeit von Jung vereinfacht.
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Abbildung 5: Eigene Darstellung in Anlehnung an C. G. Jung und Carol S. Pearson
Für einen Comedy-Kanal auf YouTube müsstest du wahrscheinlich den Narren spielen, und es ginge dir darum, Freude zu verbreiten. Ein bekanntes Beispiel für eine Marke, die den Narren verkörpert, ist Media Markt. Nehmen wir an, du berichtest jeden Tag auf Twitter über Tech-Aktien, dann wäre Innovation wahrscheinlich der richtige Typ für dich, und du würdest dich in die Rolle des Schöpfers begeben. Damit wärst du in bester Gesellschaft mit Musk und Jobs. Aber sie würden auch als Helden, Zauberer und Rebellen durchgehen. Du musst dich nicht für einen Typ entscheiden, es können auch zwei oder drei sein. Vielleicht mögen Rollen befremdlich auf dich wirken, weil es ja darum geht, möglichst echt zu sein. Aber wir wollen unsere persönliche Geschichte schreiben und uns gut verkaufen. Beispielsweise helfen dir solche Typen auch bei einem Bewerbungsgespräch. Dein künftiger Chef möchte wissen, wer du bist. Wenn du bei Musk vorsprechen
würdest, wäre es klug, dich als Rebell zu verkaufen und zu erklären, dass du beim alten Arbeitnehmer nicht genug Innovationen umsetzen konntest. Wenn du dich dagegen bei der Sparkasse vorstellst, solltest du dich lieber als Jedermann und Betreuer präsentieren. Egal welche Rolle du ausfüllst in deiner Erfolgsgeschichte, der gute Wille mag die Ehre retten, aber es zählen am Ende nur die Handlungen. Also sei bitte kein Kant, sondern Sartre.
Test yourself!
Überlege dir für ein Projekt, das du schon umsetzt oder umsetzen willst, wie du es mit einer Tonalität verbessern kannst. Nutze dazu am besten eine oder bis zu drei Erzählstimmen, du kannst dich dabei an den Archetypen orientieren. Du kannst es auch für deinen privaten Instagram-Account oder dein LinkedIn-Profil übernehmen, um es zu testen und ein Gefühl dafür zu bekommen. Denn denk dran: Egal, was wir machen, wir verkaufen uns immer.