GAME OF CHANCE! WARUM NICHT ALLES AUS EINEM GRUND PASSIERT
D er Schauspieler Anthony Hopkins sollte 1972 in einem Film die Hauptrolle spielen, der auf dem Roman Das Mädchen von Petrovka basiert. Um sich auf die Rolle vorzubereiten, klapperte er alle Buchläden Londons ab. Er wollte sich ein Exemplar des Buches besorgen, doch keine Buchhandlung hatte eines vorrätig. Er machte sich auf den Heimweg und wartete an der U-Bahn-Station Leicester Square. Da stach ihm plötzlich auf einer Bank ein zerfleddertes Buch ins Auge: Es war tatsächlich Das Mädchen von Petrovka . Das klingt jetzt schon nach dem schlechten Ende einer Romanze, aber es kommt noch besser. Nach den Dreharbeiten lernte er den Autor des Romans kennen, George Feifer. Und der klagte darüber, dass sein eigenes Exemplar des Buches verloren gegangen war. Er hatte es einem Freund im November 1971 geliehen und der hatte es irgendwo im Londoner Stadtteil Bayswater verloren. Ein großer Verlust, denn Feifer hatte überall an den Rand Anmerkungen geschrieben. Hopkins zog sein U-Bahn-Fundstück aus der Tasche, überprüfte die Notizen, und tatsächlich: Es war das Original, das der Freund des Autors verloren hatte. 108
Im Film Weil es dich gibt greifen Sara und Jonathan gleichzeitig nach einem schwarzen Paar Kaschmir-Handschuhe in einem Kaufhaus. Sie brauchen beide ein Last-Minute-Weihnachtsgeschenk für ihren Partner, aber in diesem Moment funkt es zwischen den beiden, und sie haben danach ein spontanes Date in einem Café namens »Serendipity«. Es funkt immer heftiger, aber die Vernunft hält vor allem Sara zurück. Sie findet den Zeitpunkt falsch, vertraut aufs Schicksal, steigt ins nächste Taxi und verschwindet. Der Ruf ans Schicksal sieht am Ende so aus: Jonathan schreibt seine Nummer auf einen Fünf-Dollar-Schein, sollte er Sara jemals wieder in die Hände fallen, dann kann sie ihn anrufen. Und Sara schreibt ihre Nummer in ein Exemplar von Die Liebe in den Zeiten der Cholera von Gabriel García Márquez. Am Ende fällt Jonathan das Buch mit Saras Nachnamen und ihrer Nummer in die Hände, so wie Hopkins Das Mädchen von Petrovka . Weil es dich gibt heißt im Original Serendipity . Das Wort steht für einen glücklichen Zufall, und davon gab es schon mehrere in der Geschichte. Der bekannteste ist wohl die Entdeckung Amerikas durch Christopher Kolumbus. Eigentlich hatte er einen Seeweg nach Indien gesucht, der Zufall machte ihn zum berühmtesten Entdecker der Geschichte. Viagra sollte eigentlich gegen Angina Pectoris helfen, heute hilft es bei der Erektion. Und Champagner entstand durch die verfehlte Gärung. In der Bibel steht: »Der Mensch wirft das Los; aber es fällt, wie der HERR will.« 109 Hatte Gott am Ende die Hand im Spiel bei Viagra? Wollte er der Menschheit besseren Sex verschaffen? Und spielte beim Champagner eine höhere Macht mit? Nassim Taleb beschreibt es in seinem Buch Das Risiko und sein Preis so: »Nicht alles, was geschieht, geschieht aus einem bestimmten Grund; aber alles, was überlebt, überlebt aus einem bestimmten Grund.« 110 In dieser Welt dominieren Naturgesetze. Deswegen überleben Fische im Wasser, und Wasser gefriert wiederum bei null Grad Celsius. Aber es gibt keine Bedienungsanleitung für Glück oder die Liebe und auch nicht für die Börse. Willkommen beim Game of Chance!
Doch gerade am Aktienmarkt glauben wir nie an Zufall. Unser Gehirn funktioniert wie eine Bedeutungsmaschine und deswegen suchen wir nach einem Grund. Ich habe selber die Erfahrung mit Kryptowährungen gemacht. Im Dezember 2017 gipfelte der Hype um Bitcoin und Co. in immer höheren Kursen und ich hatte das Gefühl, die Kurse einschätzen zu können. Es ließen sich kurzfristig Muster ausmachen. Doch das war ein Trugschluss! Wenige Wochen später war es vorbei mit den Mustern: Der Zufall schlug zurück, und die Kurse sprangen hin und her wie nie zuvor. Im dritten Teil dieses Buches werde ich dir noch genauer erklären, warum scheinbare Muster so gefährlich für dein Geld sein können. Das Problem ist, dass im Nachhinein Gründe dafür gesucht werden. Wir Menschen sind süchtig nach Erklärungen. Dein Instagram-Feed würde dir darauf so antworten: EHFAR. Dieses Akronym steht für den Slogan »Everything happens for a reason«. Und dieser Slogan scheint das Mantra einer digitalen Generation geworden zu sein. Aber hat alles einen Grund? Es wird schon einen Grund haben, warum jemand single, übergewichtig und unbeliebt ist. Aber macht es uns erfolgreicher, wenn wir immer einen Grund für unser Scheitern suchen? Nein! Damit verschaffen wir uns nur ein Alibi und riskieren die Selbstaufgabe, dann scheiterst du schon im Kopf, bevor du etwas versucht hast.
Hast du auch diese Freundin, die einfach keinen Mann findet, weil sie angeblich zu uncool ist, zu klein, zu groß, zu dick oder zu rothaarig? Aber eigentlich verlässt sie nicht mal das Haus und sitzt jeden Abend gemeinsam neben ihrem Selbstmitleid auf der Couch. Es passiert für sie alles aus einem Grund. Aber das Schicksal dient nur als Ausrede, und sie gerät in die Spirale der erlernten Hilflosigkeit. Das ist eine Katastrophe! Denn eine solche Hilflosigkeit gefährdet alle Grundlagen, die Motivation und Erfolg ausmachen. Dann spukt auch noch der Attributionsfehler durchs Gehirn. Demnach wird einem Ergebnis ein Verhalten zugeschrieben. 111 Wer beispielsweise durch eine Prüfung fällt, ist per se faul. Und weil das der Grund sein soll, rasselt er beim nächsten Mal wieder durch – so erzählt es ihm sein Gehirn – weil alles aus einem Grund passiert. Und diesen Grund erzählt das Gehirn dir jeden Tag, bis du es als Wahrheit akzeptierst. Und genau das darf nicht passieren! Wer ein Growth Mindset will, der akzeptiert den Zufall, konzentriert sich auf die nächste Chance und bemitleidet sich nicht selbst. Wer für alles einen Grund sucht, der lebt in der Vergangenheit und verpasst die Zukunft.
Wie sehr unser Hirn den Zufall verdrängt, zeigt die Wissenschaft. Der Psychologe Fritz Heider führte am Smith College mit seiner Studentin Marianne Simmel ein Experiment durch und veröffentliche 1944 zwei berühmte Aufsätze dazu, wie sich der Zufall mit Bedeutung aufladen lässt. Für ihre Studie drehten die beiden einen Film. Darin bewegen sich geometrische Formen: zwei Dreiecke, ein Rechteck und ein Kreis. Diesen Film zeigten sie Probanden und ließen sich die Bewegungen beschreiben. Nur ein Proband beschrieb das Szenario so, wie es sich tatsächlich abspielte: als geometrische Figuren, die sich auf einer Fläche bewegen. Alle anderen erkannten soziale Interaktion. Sie schrieben den Dreiecken Emotionen und Absichten zu. Sie sahen ein unschuldiges kleines Dreieck und ein großes Dreieck, blind vor Wut. 112 Und genauso laden wir Geld mit Emotionen und Sinn auf.
Hast du schon mal was vom sogenannten Superbowl-Indikator gehört? Anfang Februar kommt er meistens zum Einsatz, in den USA spielen dann zwei Teams das Finale um die Vince Lombardi Trophy. Die Fans fiebern beim Superbowl für ihr Team, aber die Investoren haben immer einen Favoriten: den Vertreter der NFC. Die National Football League (NFL) besteht aus zwei Teilen: der National Football Conference (NFC) und der American Football Conference (AFC). Der Clou ist, dass der Sportreporter Leonard Koppett Mitte der 1970er-Jahre feststellte, dass der Aktienindex S&P 500 immer dann stieg, wenn ein Team der NFC gewann. Triumphierte dagegen ein Team der AFC wie beispielsweise die Denver Broncos, dann fiel der Markt. Die Statistik belegt: In 40 von 51 Fällen lag der Indikator richtig! 113 Aber wie wahrscheinlich ist es, dass die Börse sich nach einem Sportergebnis richtet? Wir finden für alles einen Grund, aber unser Schicksal können wir trotzdem beeinflussen.