WARUM DER TOD DICH ERFOLGREICHER MACHT
I n fünf Sekunden sind wir tot. Dann höre ich nur noch Sarahs Schrei. Reifen quietschen, Äste brechen und wir fallen. Immer weiter. Ich weiß nicht, was ich in diesem Moment denke. Aber ich weiß, dass es kein Zurück gibt. Und dann kommt der Knall, der alles verändert. Ich warte auf den Schock, auf Blut, das über mein Gesicht läuft, auf Schmerz, der durch mein Schienbein sticht. Aber nichts! Wir sitzen in einem weißen Isuzu-Pick-up und sind gerade 10 Meter in einen Urwald in Thailand gestürzt, bis endlich ein Baum den Fall gestoppt hat. Als Sarah ihr iPhone aus der Tasche zieht und die Scheibe mit den Rissen von innen filmt, spüre ich, dass wir eine Chance haben. Auch Sarah hat keinen Kratzer abbekommen. »Mir ist nur grade schlecht«, sagt sie.
Mein erster Gedanke: Wir müssen hier raus! Die rechte Tür geht nicht auf, ein Baum klemmt sie ein. Die linke Tür klemmt auch, aber ich kann sie auftreten und krieche zuerst aus dem Pick-up. Als ich nach oben schaue zum Straßenrand, blickt mir ein Thai entgegen und ruft mir fragend zu, ob ich ok sei. Aber seine Augen sagen: Das gibt es nicht, dass dieser blonde Typ einfach aus dem Auto steigt, als wäre nichts gewesen.
Eigentlich wollten wir zum Khao-Sok-Nationalpark fahren und unvergessliche Bilder auf einem Privatboot schießen. Und jetzt stehe ich mit meiner Freundin um 8:30 Uhr morgens umringt von Thailändern im Nirwana und versuche, die Nerven zu behalten. Was ist passiert? Wir waren auf einer Landstraße über eine Anhöhe gefahren und plötzlich sah die Straße vor uns so aus: Rechts auf der Gegenfahrbahn ein Lkw links auf unserer Seite ein Auto, das den Lkw überholen will, aber nicht vorbeikommt. Ich zögerte kurz und wartete auf eine Reaktion des Überholers, aber nichts passierte. Dann bremste ich, vielleicht zu früh, ich weiß es nicht. Das Auto brach aus und ich sah nur noch die Chance, dem Crash zu entkommen, indem wir im Urwald verschwanden und ich das Auto ins Nichts lenkte.
Der Thriller verläuft im Zeitraffer so: Die Thailänder sind so hilfsbereit, wie ich es selten erlebt habe. Mit Händen, Füßen und schlechtem Englisch schaffen wir es, einen Krankenwagen zu rufen und die Mietwagenfirma zu informieren. Dann werden wir zur Polizeistation in Phanom gebracht. Wir versuchen zu erklären, was passiert ist, aber der Polizist will unsere Worte nicht verstehen. Er erinnert uns an Chief Wiggum von den Simpsons . Wiggum scheint sich nur um sich selbst zu kümmern und stellt eher eine Witzfigur dar als eine Autorität. Wiggum lacht ein lautes Lachen. Menschen kommen und gehen. Alte Thailänder mit Schrotflinten betreten das Revier, wir warten und beobachten das Schauspiel, Wiggum lacht, und wir warten weiter, bis nach sechs Stunden endlich zwei junge Mitarbeiter von der Mietwagenfirma vor uns stehen und uns die Autoschlüssel für den neuen Mietwagen in die Hand drücken. Gott sei Dank haben wir die beste Versicherung abgeschlossen und selbst der Totalschaden ist abgedeckt. Aber der neue Wagen ist leider wieder ein Isuzu, sogar dasselbe Model wie der Unfallwagen. Soll ich tatsächlich am selben Tag nochmal in diesen Wagen steigen? Als der Mitarbeiter uns zur Verabschiedung die Hand schüttelt und uns mit leiser Stimme sagt, dass wir gut auf uns aufpassen sollen, wird mir schlecht. Seine Augen sagen: Ich kann nicht glauben, dass die beiden noch leben, und dann spricht er es auch noch aus und macht diese Geste mit seiner Hand an seinem Hals. Sein ausgestreckter Zeigefinger wischt über seinen Kehlkopf. Als er unseren Unfallwagen gesehen habe, dachte er, dass wir tot sein müssten.
Dieser Unfall ist im Frühjahr 2019 passiert, und er hat den Blick auf mein Leben geschärft. Bedenke, dass du sterben musst. Dieses Motto ist auch bekannt als Memento mori , es stammt aus dem mittelalterlichen Mönchslatein. 116 Aber es geht dabei nicht um Totenkult oder Esoterik, sondern aus meiner Sicht nur um eines: Wir haben keine Zeit zu verschenken. Du hast 700.000 Stunden Zeit im Leben, vorausgesetzt du wirst 80 Jahre alt. Nutze diese Stunden und genieße sie! Der Tod lehrt uns: Alles hat ein Ende, und das ist auch gut so. Niemand will sterben, aber letztendlich werden wir es dennoch alle tun. »Und so soll es auch sein, weil der Tod sehr wahrscheinlich die beste Erfindung des Lebens ist«, sagte Steve Jobs einst. 117
Ich erlebe die Stunden nach dem Unfall in Thailand so intensiv wie selten zuvor in meinem Leben. Wir wollten in den Nationalpark fahren, und wir haben es nach dem Unfall auch durchgezogen. Nach dem Warten geht die Reise weiter. Als ich schließlich mit dem Boot durch den Nationalpark von Khao Sok fahre, spüre ich nur Glück. Weil ich keine Angst mehr habe, ich bin ja gerade schon gestorben. Ich nehme alles intensiver wahr, fast wie ein kleines Kind, das zum ersten Mal die Welt sieht. Ich bin erstaunt, wie hoch die Berge sind, wie blau das Wasser. Ich bin dankbar. Wir können den Moment nicht leben, denn jeder Moment, auf den wir uns konzentrieren, ist in diesem Moment schon wieder Geschichte. Wir können nichts festhalten, weil alles vergänglich ist, aber wir können uns auf die Dinge konzentrieren, die wir lieben. Feier den Tod täglich, denn er macht dir bewusst, was wirklich zählt. Merke dir vor allem einen Satz: Kill your Darlings! Dieser Spruch kommt aus der Literatur und bedeutet, dass Autoren manchmal ihre Lieblingsfiguren opfern müssen, wenn es der Spannung dient. Für dieses Buch musste ich auch einige Passagen streichen, die mir am Herzen lagen, aber wir können nicht alles haben. Wer alles behalten will im Leben, der hat am Ende nichts! Entscheide dich!
Andre Agassi gewann 1999 zum ersten Mal die French Open und beschreibt in seiner Biografie Open, wie gut sich der Sieg für ihn angefühlt hatte, obwohl er ihm eigentlich niemals so viel hätte bedeuten sollen, und wie glücklich und dankbar er all den Menschen in seinem Umfeld in diesem Moment gewesen ist. Er schreibt: »Ich habe sogar ein bisschen Dankbarkeit für mich selber übrig, für all die guten und schlechten Entscheidungen, die hierher führten.« 118 Agassi bedeutete dieser Sieg so viel, weil er für ihn sterben musste. Der Sieg war das Comeback und somit die Wiedergeburt. Mitte der 1990er-Jahre war Agassi abgestürzt, konsumierte Drogen und fiel in Depressionen. Er stellte sogar seine Tenniskarriere in Frage, verfluchte seinen Vater, der ihn stark unter Druck gesetzt hatte und seinen früheren Trainer Nick Bolletierie, der ihn triezte. Auch in seinem Privatleben lief alles schief, und er ließ sich von seiner damaligen Frau Brooke Shields scheiden. Was brachte die Wende? Die Tochter seines besten Freundes Gil Reyes wurde von einem Auto erfasst und schwebte zwischen Leben und Tod. Agassi war schockiert und fuhr nach einer Drogennacht ins Krankenhaus. Als er den blassen Gil antraf, fand er für sich den Sinn des Lebens. Er wollte den Menschen, die er liebt, etwas zurückgeben. Gils Tochter überlebte, und Agassi wurde neu geboren. Er erkannte jetzt auch Sinn im Tennis. Früher hatte er nur den Wunsch seines ehrgeizigen Vaters umgesetzt, der ihn zum Profisport trieb, jetzt wollte er eine Stiftung für benachteiligte Kinder gründen. Und dafür musste er wieder Turniere gewinnen. Dafür trainierte er hart und kämpfte sich von ganz unten zurück an die Weltspitze. 119
Du kannst immer neu starten, selbst wenn du am Boden liegst. Das Leben hat ein Ende, aber alles andere kann auch ein Ende finden. Ich finde diesen Gedanken so wertvoll, dass ich das Leben in viele kleine Leben einteile. Wir können tausendmal sterben und neu geboren werden. Wir verlieren und stehen wieder auf. Wir streifen alte Denkmuster ab und entwickeln uns weiter. Wir werden erfolgreicher. Aber was ist Erfolg überhaupt? Es geht um das richtige Urteilsvermögen und die Veränderung. Dabei erinnere ich mich an eine Geschichte von Sherlock. Er erzählte mir von einer Frau, die einen Schinken für das Abendessen zubereitete und beide Enden abschnitt. Ihr Ehemann fragte, warum sie denn beide Enden abschneide. »So hat das meine Mutter gemacht«, antwortete sie. Am Abend kam dann die Mutter der Frau und sie erklärte, dass ihre Mutter den Schinken auch schon an beiden Enden abgeschnitten hätte. Dann wollten sie es genauer wissen, riefen die Großmutter an und fragten nach dem Schinken. »Ich habe immer beide Enden abgeschnitten, weil meine Pfanne zu klein war«, sagte sie. Leben heißt nicht, an eine ewige Wahrheit zu glauben, wir müssen unsere Zukunft selbst erkämpfen. Denk an die Genie-Falle: Wer immer Recht hat, lernt nie etwas dazu! Wir unterliegen sonst schnell dem Confirmation Bias : Unser Hirn liebt Sachen, mit denen wir übereinstimmen. 120 Gerade in dieser Welt voller Algorithmen, drohen wir in der Filterblase zu ersticken. Wir konsumieren dann nur noch Inhalte, die unsere Meinung bestätigen.
Selbst wenn du schon Erfolg hast, stell dich immer wieder auf den Prüfstand. Rafael Nadal gewann 2005 ebenfalls zum ersten Mal in seinem Leben die French Open. Nach dem Spiel kam sein Onkel und Trainer Toni Nadal in die Kabine und machte ihm klar, dass er damit nicht zufrieden sein darf. Toni Nadal hatte zuvor bei Carlos Moya und Juan Carlos Ferrero nach deren ersten Siegen bei den French Open gedacht, dass noch weitere dazukommen würden. Aber er hatte sich getäuscht. Viele, die einen Titel gewonnen haben, dachten, es wäre das erste Mal. Aber es war das letzte Mal. Das sagte er auch seinem Schützling und forderte von Rafael, dass er sich jedes Jahr verbessern muss. 121 Nadal scheint die Mahnung verstanden zu haben. Er gewann die French Open danach noch elfmal. Der Ökonom Joseph Schumpeter hat es kreative Zerstörung genannt. Erfolg besteht darin, ihn dauerhaft zu haben, und dafür müssen wir uns neu erfinden. Niemand hat etwas davon, einmal zu gewinnen. Erfolg drückt uns manchmal gegen die Wand wie ein unsichtbarerer Finger. Das gilt auch fürs Geld. Wenn einmal etwas funktioniert hat, dann wiederholen wir diese Erfolge blind. Viele trauen sich nicht, ihre Meinung zu ändern, weil die anderen einem dann ja Wankelmütigkeit vorwerfen könnten. Aber wer ist am Ende der Dumme? Der, der seine Meinung den Fakten anpasst oder derjenige, der die Wahrheit zurechtbiegt, damit sie zu seiner Meinung passt?
Wir sollten den Endowment-Effekt , auch Besitztumseffekt, im Blick haben: Was wir besitzen, schätzen wir wertvoller ein. 122 Überleg mal, wie viel du für eine Kuckucksuhr verlangen würdest, die du selbst gebaut hast. Und jetzt überleg dir, was du im Gegenzug für eine Kuckucksuhr bezahlen würdest, die dir auf einem Flohmarkt unterkommt. Wahrscheinlich würde der Unterschied gravierend ausfallen. Dieses Phänomen wurde bei diversen Untersuchungen bewiesen. Man nennt es auch Ikea-Effekt: Wir hängen am meisten an jenen Dingen, die wir selbst gebaut haben. Du wirfst ungern ein Ikea-Regal aus der Wohnung, für das du stundenlang geschuftet hast, noch schwerer trennst du dich von einem Regal, das du komplett selbst erschaffen hast. Und so kann es dir auch bei deinem Aktiendepot gehen. Du hast viel Arbeit investiert und mit manchen Aktien schon einen Crash durchgestanden, aber du solltest dich nie in eine Aktie oder Idee verlieben. Ich habe mein Depot auch schon oft umstrukturiert. Wer sich nie an die Realität anpasst, dem geht es wie Kodak und Nokia. Sie waren einst erfolgreich, aber dann erlagen sie dem Streetlight-Effekt . Sie haben nur noch dorthin geschaut, wo es am bequemsten war, also dort, wo die Straßenlaterne leuchtet. Aber Schätze verstecken sich im Dunkeln und wir müssen uns quälen dafür. Disruption wird immer wichtiger, wenn sich die Welt schneller dreht. Die Lebensdauer von Unternehmen verkürzt sich. Wenn es nach der Forschung der Babson School of Business geht, werden viele Top-Konzerne in wenigen Jahren nicht mehr existieren. 123
Weißt du, wie Google sich vor Disruption feit? Der Konzern setzt auf die sogenannte 70-20-10 Regel. 70 Prozent investiert Google in sein Kerngeschäft, 20 Prozent in angrenzende Geschäfte und 10 Prozent in die sogenannten Moonshots . Diese Projekte sind neu und hochriskant wie Google Glass oder Project Loon (Internetdienste über Ballone in der Stratosphäre), Google scheitert dabei auch, aber bleibt durch diese Strategie stets innovativ. Kill your Darlings. Liebe die Unsicherheit, und lass jeden Tag etwas sterben, das deinem Erfolg im Weg steht.
Test yourself! Schreib dir 25 Sachen auf, die du gerne machen würdest, streiche die letzten 20 und denk nie wieder drüber nach! Hier kommen nur die fünf rein, die übrig geblieben sind …