WARUM GORDAN GEKKO FALSCH LAG ODER WARUM GIER KEINE RENDITE BRINGT
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orsicht, dieses Kapitel wird alles in Frage stellen, was du jemals geglaubt hast, über Risiko zu wissen! Denn in diesem Kapitel will ich deinen Blick fürs Risiko schärfen. In Börsenfilmen wie Wall Street
und Wolf of Wall Street
wird der riskante Lifestyle als das Ding schlechthin angepriesen. Michael Douglas predigte einst in seiner Rolle als Gordan Gekko: »Gier ist gut!« Und Leo DiCaprio feierte als Jordan Belfort rauschende Partys. Das symbolisiert für mich eines: den Glauben von Allmacht und damit den Overconfidence Bias
par excellence. Gerade Anfänger träumen vom sogenannten Tenbagger
, also von einer Aktie, die den Einsatz verzehnfacht. Ich gebe es zu, solche Ideen reizen uns alle, weil das Ego ins Spiel kommt. Gerade wenn du der Wettbewerbstyp bist, solltest du aufpassen. Börse findest du dann besonders attraktiv, wenn gezockt wird und du allen anderen zeigen kannst, wie dick deine Eier sind. Denn eines ist doch klar: Wer mehr Rendite will, muss höheres Risiko eingehen! Stimmst du diesem Satz zu? Klingt logisch, oder? So lernen es doch Betriebswirte schon im Grundstudium. Wer reich werden will, muss zocken. Aber vergiss lieber diese Weisheit. Denn alle, die sie nachplappern, haben wahrscheinlich noch nichts vom Anlageparadox und auch noch nichts von Relativität gehört.
Fangen wir langsam und mit einem Gedankenexperiment an: Es sind stürmische Börsenzeiten und der Markt schwankt, also musst du deine Finanzen in Sicherheit bringen! Stell dir vor, du hättest eine
WhatsApp-Nachricht von zwei Anlageberatern auf deinem Smartphone, und du müsstest dich mal wieder entscheiden ...
Die erste kommt von Simon Smart: »Ich habe eine besonders schlaue Methode entwickelt, um die Risiken in den Griff zu kriegen. Ich garantiere dir, dass ich niemals mehr Vola zulassen werde als der Markt. Sollte die Schwankung auch nur minimal vom Durchschnitt meiner Benchmark abweichen, kriegst du dein Geld zurück!«
Und der zweite Fondsmanager heißt Arno Autonom: »Ich schere mich nicht um den Markt, ich definiere Sicherheit ganz neu und suche dir die besten Aktien raus. Du musst nur mit einem leben: Deine Aktie wird sich komplett anders entwickeln als der Markt! Und Garantien gibt es dafür natürlich keine.«
Wen würdest du nehmen?
Der Instinkt treibt uns in die Arme von Simon Smart, denn Arno Autonom scheint ein riskanter Bursche zu sein, der sich nicht mal um den Markt schert und sein eigenes Ding durchzieht. Aber jetzt schauen wir uns doch mal an, was der Markt so getrieben hat zuletzt. Weil die Zeiten stürmisch sind, schwankt er in einem Jahr 40 Prozent ins Minus. Das holt er im Jahr darauf aber mit einem Plus von 60 Prozent wieder auf. Simon Smart hat sich fast identisch zum Markt bewegt und damit unter dem Strich Geld verbrannt. Aus 1000 Euro wären 960 Euro geworden! Aber so wird er dir das niemals verkaufen. Im Gegenteil: Er wird den Verlust verschleiern und mit einfacher Rendite rechnen. Das heißt: Er wird das Minus von 40 Prozent gegen das Plus von 60 Prozent aufrechnen. Er wird es also als ein Plus von 20 Prozent verkaufen. Aber das ist Schwachsinn: Man muss die Renditen aufzinsen, weil man so rechnen muss, als hätte man das Geld auch tatsächlich investiert, und dann bleibt eben ein Minus übrig. Doch Simon kommt noch ein wichtiger Kniff zur Hilfe: das sogenannte relative Risiko. Dabei müssen sich Investoren nur an einer sogenannten Benchmark messen lassen, beispielsweise einem Index wie dem Dax oder dem MSCI World. Wenn sie nah an der Benchmark abschneiden, dann weisen sie ein niedriges relatives Risiko auf, selbst wenn sie Geld verbrennen. Simon Smart hat das geschafft und gilt als
erfolgreicher Manager, weil er seinen Fonds im Griff hat. Aber hat er das wirklich?
Jetzt sehen wir uns zum Vergleich Arno Autonom an: Seine Aktien haben sich vom Markt entkoppelt und sind zwei Jahre in Folge um 10 Prozent gestiegen. Das wäre eine geniale Leistung, vor allem in einem wackligen Marktumfeld. Aber seine Aktien wären einmal um 50 Prozentpunkte besser als der Markt und einmal um 50 Prozentpunkte schlechter gewesen. Die relative Schwankung im Vergleich zum Markt wäre also extrem hoch ausgefallen, obwohl die absolute Schwankung tatsächlich null beträgt.
Der Geldverbrenner steht also auf den ersten Blick als umsichtiger Stratege da und der umsichtige Stratege als Draufgänger. Dieses Beispiel zeigt, wie kompliziert das Spiel zwischen Risiko und Rendite gespielt wird. Aber es ist erst der Anfang! Denn wer der Gier verfällt und zu hohe Risiken eingeht, kann am Ende dumm dastehen. Das Problem ist das Anlageparadox. Der Wirtschaftswissenschaftler Pim van Vliet beschreibt in seinem Buch
High Returns from Low Risk
, wie er zum ersten Mal auf diesen überraschenden Fakt stieß. Er war damals tatsächlich im Grundstudium und stieß auf einen wissenschaftlichen Aufsatz, der sich mit dem Paradox beschäftigte. Er traute seinen Augen damals nicht: In diesem Aufsatz wurde alles über den Haufen geworfen, was bis dahin bekannt war über Rendite und Risiko. Stell dir das mal vor: Du würdest Aktien mit dem niedrigsten Risiko kaufen und dafür die meiste Rendite kriegen. Klingt nach einem miesen Trick, oder? Ungefähr so, als würde Bier schlank machen oder der das meiste Geld bekommen, der am wenigsten arbeitet. Wo ist der Haken? Van Vliet untersuchte daraufhin US-Aktien im Zeitraum zwischen 1926 und 2018.
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Das ist eine durchaus verlässliche Zeitspanne, auch heftige Krisen fallen in diese Zeit, wie der Mega-Crash von 1929, der Zweite Weltkrieg, die Börsen-Baisse zwischen 1965 und 1981, der Dotcom-Crash 2000 und die Finanzkrise. Van Vliet schaute sich die Volatilität der 1000 größten Aktien am US-Markt an und sortierte sie nach dem Risikomaß. Er setzte Vola in diesem Fall mit Risiko gleich und bastelte schließlich zwei Depots aus den 1000 Aktien:
Die Idee war, dass er sehen wollte, ob Risiko wirklich mehr Rendite brachte. Also machte er eine Rückrechnung: Theoretisch investierte er am 1. Januar 1929 jeweils 100 Dollar in beide Portfolios. Alle drei Monate führte er ein Rebalancing durch. Das verblüffende Ergebnis war: Aktien mit niedriger Vola schlagen Aktien mit hoher Vola um mehr als den Faktor 18! Das heißt genau: Bei den langweiligen Aktien wären aus 100 Dollar 395.000 Dollar geworden. Bei den riskanten Aktien wären aus 100 Dollar nur 21.000 Dollar geworden.
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Um die Ehre des Risikos noch ein bisschen zu retten: Es zeigt sich, dass etwas mehr Risiko doch ein bisschen mehr Rendite bringt, aber dann wird es schnell unvernünftig. Van Vliet hat die 1000 Aktien in zehn Unterportfolios eingeteilt, die jeweils nach Vola gewichtet sind. Bei den Portfolios steigt die Rendite bis zum vierten Portfolio (also das Portfolio mit dem viertwenigsten Risiko) an, danach geht es aber abwärts, und das riskanteste Portfolio endet als Rohrkrepierer!
Aber warum schneiden Aktien mit niedrigem Risiko so gut ab? Die Antwort: Sie verlieren während eines Crashs viel weniger. Wenn eine hochspekulative Aktie 80 Prozent einbüßt, verlieren Langweiler wie Coca-Cola oder Johnson & Johnson nur 60 Prozent oder gar weniger. Erinnere dich daran, dass du auf deine Chips aufpassen sollst. Wer 50 Prozent verliert, muss dann wieder 100 Prozent gewinnen. Und wer 90 Prozent verliert, braucht dann ein Plus von 900 Prozent für den Rebound! Strategen sprechen in solchen Fällen auch vom Drawdown-Effekt
oder dem maximalen Verlust.
Abbildung 14: Eigene Darstellung
Der maximale Drawdown ist der prozentuale Verlust eines Wertpapiers vom Kurshöhepunkt bis zum Boden. Der Vorteil: Er bildet das Risikoempfinden der Anleger besser ab als komplizierte Maßstäbe wie Vola oder Beta (der Faktor, der angibt, wie stark eine Aktie im Vergleich zum Markt schwankt). Nun bringt der Blick in die Vergangenheit immer wenig, denn woher sollen wir wissen, wie der Drawdown beim kommenden Crash ausfallen wird. Es ist schlichtweg unmöglich, doch deuten eine niedrige Vola und ein moderater Drawdown auf eine stabile Entwicklung hin. Und wer nach der Risiko-Anomalie investiert, sucht genau solche konservativen Aktien. Börsenlegende Warren Buffett warnt sogar davor, nach Tenbaggern zu suchen.
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Er predigt stets, dass Unternehmen einen sogenannten Burggraben haben sollten, dass ihr Geschäftsmodell also so schwer von Angreifern einzunehmen ist wie im Mittelalter eine Burg. Die Experten von Morningstar haben fünf Kriterien für einen Burggraben definiert:
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Wechselkosten
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Immaterielle Assets
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Netzwerkeffekte
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Kostenvorteile
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Skaleneffekte
Aktien mit Burggraben bieten dir einen enormen Vorteil beim langfristigen Investieren. Beispielsweise bauen erfolgreiche Marken wie Apple einen Kosmos auf: Wer erst mal sämtliche Geräte von Apple besitzt und alles in der Cloud geparkt hat, für den fallen die Wechselkosten schon hoch aus. SAP macht es beispielsweise noch geschickter: Die gesamte Infrastruktur von vielen Unternehmen baut auf der Software von SAP auf. Das auszutauschen ist sehr teuer und aufwendig. Solche Weltkonzerne können nicht scheitern über Nacht. Hinter den immateriellen Assets verstecken sich beispielsweise Patente und wertvolle Marken. Kunden vertrauen Coca-Cola, Evian, Nivea oder Colgate, weil die Produkte seit Jahrzenten für Qualität stehen und die Konzerne es durch geschicktes Marketing verstehen, die Produkte in unserem Hirn zu verankern. Und die Größe solcher Giganten macht sie erst recht so stark. Gegen gewachsene Strukturen in Supermarktregalen und Online-Shops haben Nischenplayer keine Chance, allein schon, weil sie bei den Kosten massive Nachteile haben. Qualität und Tradition von Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten lassen sich nicht über Nacht kopieren. In der Betriebswirtschaftslehre spricht man von hohen Markteintrittsbarrieren. Das gilt auch für Luxusmarken wie LVMH: Taschen und Tücher des Konzerns stehen weltweit für höchste Qualität. LVMH hat sich einen Track Record aufgebaut und Maßstäbe gesetzt. Ein neuer Konkurrent könnte niemals über Nacht so ein Standing in der Branche erreichen. Burggräben schützen also vor Disruptoren und gerade die Digitalisierung gefährdet solche Unternehmen weniger.
Hohes Risiko bringt also meistens nichts außer hohem Risiko. Das verändert alles: Du musst nicht die heißesten Trendaktien suchen. Es sind die Klassiker, die langfristig die höchsten Gewinne bringen. Aber warum glauben so viele an die Risikolüge? Weil die Branche zum
Teil davon lebt. Journalisten wollen spannende Geschichten schreiben über Trendaktien. Die Glücksritter wollen reich werden. Börsenbriefe versprechen die ultimativen Geheimtipps, und junge Analysten wollen sich einen Namen machen, indem sie unbekannte Unternehmen aufspüren und mit ihnen auf der Welle nach oben mitsurfen. Es dreht sich mal wieder alles um gutes Storytelling. Wer gute Geschichten erzählt, verdient damit Geld. Und wer zu sehr an die Erzählungen der anderen glaubt, der zahlt womöglich drauf. Filme wie Wolf of Wall Street
sind genial, aber es handelt sich um Hollywood, nicht um die Realität in Bottrop oder dem Bayerischen Wald.
Du musst nichts Verrücktes tun, um verrückte Ergebnisse zu erzielen. Der smarte Investor setzt auf Einfachheit. Hast du schon mal was von Ockhams Rasiermesser gehört? Es geht verkürzt darum, die einfachste Theorie auszuwählen und nicht zu viele Variablen und Hypothesen in eine Theorie einzubeziehen. Alles, was den Weg zum Reichtum verkompliziert, schneiden wir mit dem Rasiermesser weg. Denn erinnere dich noch an das Gesetz der Antiproduktivität: Du musst dir immer überlegen, ob sich der Aufwand lohnt. Wenn du Bilanzen analysierst und Studien liest, reicht das wirklich für eine Outperformance? Sei dir nicht zu sicher, wenn du beispielsweise viel Geld in einen Geheimtipp aus Südamerika stecken willst, der Rohstoffe fördert. Und wenn du es ernst meinst, dann solltest du tatsächlich vor Ort sein und mit dem Management sprechen oder zumindest mit Analysten und Fondsmanagern sprechen, die die Aktie auswendig kennen und sich ein Bild vor Ort gemacht haben. Alles andere ist Zockerei. Ich suche mir die besten Ideen und Erkenntnisse der Experten und setze sie möglichst einfach um: Beispielsweise hat mich die Risiko-Anomalie dazu gebracht in einen ETF zu investieren, der Aktien mit der niedrigsten Volatilität abbildet. Ich muss die Aktien nicht selber auswählen, sondern im ETF finden sich stets knapp 400 Aktien mit der wenigsten Schwankung und dieser ETF schlägt den Vergleichsindex MSCI World ganz deutlich in den letzten Jahren. Ganz außer Acht lasse ich natürlich auch nicht die Erkenntnis, dass sich gezieltes Risiko lohnen kann. Deswegen investiere ich auch in Trends wie Robotik und
Automation, aber ich mache das auch per ETF, weil ich dadurch auf mehr als 100 Konzerne setze und mich nicht für eine Aktie entscheiden muss. Du solltest Risiken nur eingehen, wenn du davon überzeugt bist und nicht weil dir jemand eine gute Story erzählt oder deine Gier das Ruder übernimmt.
Learnings
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Du musst keine verrückten Dinge tun, um verrückte Ergebnisse zu erreichen.
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Hohes Risiko bedeutet nicht hohe Gewinne.
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Achte auf den maximalen Drawdown einer Aktie.
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Falle nicht auf das Storytelling von Hollywood und der Finanzindustrie herein.
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Achte auf Rechentricks mit Vergleichen zu Indizes und unterscheide zwischen aufgezinster und einfacher Rendite.
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Versuche, Aktien mit einem tiefen Burggraben zu finden.