VORSICHT VOR EXPERTEN!
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etzt kommst du zu einer besonderen Ehre: Du darfst dich wie Sherlock fühlen. Du wirst gleich drei Chartverläufe des Dax sehen, und nachdem du schon die meisten Kapitel dieses Buches gelesen hast, solltest du mittlerweile erkennen, welche Linie den echten Verlauf des Dax widerspiegelt, denn zwei der drei Linien sind frei erfunden.
Abbildung 15: Eigene Darstellung in Anlehnung an Weber und Jacob
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Also eins, zwei oder drei? Erkennst du einen Unterschied zwischen den drei Linien? Mach dir keine Sorgen, es ist unmöglich, den echten Dax zu identifizieren. Aber um dich nicht weiter auf die Folter zu spannen: Die dritte Linie zeigt den echten Verlauf des Dax. Erfunden hat diesen Test Professor Martin Weber, er ist Professor für Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Bankbetriebslehre an der Universität Mannheim, und in seiner Forschung spielt der Zufall an den Finanzmärkten eine große Rolle. Deswegen hatte er sich mit seinem Team schon vor einigen Jahren an diesen Versuch gewagt, um zu beweisen, wie bedeutend der Zufall sein kann. Die zwei erfundenen Charts haben Weber und sein Team einfach ausgewürfelt.
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Genau diesen Aspekt will ich dir mit diesem Buch klarmachen: Der Zufall spielt eine wichtige Rolle, und nicht alles passiert aus einem Grund! Besonders bei kurzfristiger Betrachtung wird die Börse von Stimmungen dominiert: Angst und Gier machen die Kurse. Der englische Philosoph John Gray schreibt, dass es im alten Griechenland Tatsache war, dass jedermanns Leben durch blindes Schicksal und den Zufall regiert wurde und dass Ethik zwar eine Frage von Güte, Weisheit und Tapferkeit war, doch selbst die mutigsten und weisesten Menschen konnten von Ruin und Verderben ereilt werden. Doch, so Gray weiter, wir ziehen es, zumindest in der Öffentlichkeit, vor, so zu tun, als würde sich gutes Handeln am Ende auszahlen. Doch so wirklich glauben wir es nicht, denn im Grunde wissen wir, dass nichts uns vor dem Zufall schützen kann.
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Kommen wir zurück zum Aktienmarkt. Der Aktienkurs ergibt sich nach einer mathematischen Formel so: Der Preis von morgen (Pt+1) folgt aus dem Preis von heute (Pt) plus einer sogenannten Drift (µ) und einer Zufallskomponente (ε
t+1
).
Ein Beispiel dazu: Wenn der Aktienkurs heute 100 Euro beträgt, dann entspricht der Aktienkurs von morgen dem Wert von 100 plus dem Wert eines Würfelwurfes minus 3,5 (das ist der Erwartungswert beim Würfeln). Wir haben bereits gelernt, dass sogar Affen als Experten
durchgehen würden. Trotzdem bilden wir uns ein, die Zukunft einschätzen zu können. Denk an Lottospieler, die dir erzählen, dass die 49 an diesem Samstag nicht kommen wird, weil sie ja schon beim letzten Mal kam. Das nennt sich Fehlschluss des Spielers. Die Wahrscheinlichkeit wird beurteilt nach dem, was in der Vergangenheit passiert ist. Nach dem Motto: Wenn der Dax die letzten fünf Tage gefallen ist, dann muss er morgen doch endlich wieder steigen. Muss er nicht! Die Wahrscheinlichkeit lässt sich so nicht berechnen, und die 49 kann auch gezogen werden, selbst wenn sie in 100 Ziehungen davor schon dran war.
Trotz der Macht des Zufalls bilden wir uns gerne ein, den Durchblick zu haben. Wer beispielsweise seinen Lottozettel selber ausfüllt und die Zahlen studiert, fühlt sich dem Geld einen Schritt näher. Die psychologische Erklärung dafür heißt: Kontroll-Illusion. Am besten zeigt sich dieses Phänomen beim Würfeln: Hast du schon mal einen Spieler im Casino beobachtet, wenn er möglichst hohe Zahlen braucht? Spieler neigen dazu, dann stärker zu werfen. Wenn sie niedrige Zahlen forcieren, würfeln sie dagegen sanfter.
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Darum zählt es für deinen Erfolg an der Börse, dass du anfängst – und zwar mit echtem Geld. Du musst dir deine Finger verbrennen, damit du dir diese Denkfehler austreibst. Sonst treibt dich am Ende der
Hindsight Bias
in den Ruin. Dieser Rückschaufehler besagt, dass wir die Vorhersehbarkeit eines Ereignisses überschätzen, nachdem es eingetreten ist.
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Stell dir vor, du schaust ein Fußballspiel, und du sollst nach dem Spiel sagen, auf wen du theoretisch vor dem Spiel gesetzt hättest. Wir bilden uns gerne ein, dass wir Recht gehabt hätten, wenn wir denn nur etwas gemacht hätten. Deswegen musst du an der Börse ein wenig Schmerzensgeld zahlen, um dir die Selbstüberschätzung auszutreiben. Sonst bleibst du über Jahre ein hervorragender Theoretiker und steigerst die Illusion der Kontrolle, bis du schließlich mit viel Geld einsteigst und dann möglicherweise teuer dafür bezahlst. Du kannst nicht auf den richtigen Moment warten. Er ist im Zweifel immer jetzt!
Gerade Anfänger verlassen sich an der Börse auf die Meinung von Experten, denn sie suchen jemanden, der die Dinge für sie einordnet.
Stell dir vor, du könntest dir die Tipps der besten Experten der Börsenwelt zusammenstellen. Die Avengers, also die Liga der außergewöhnlichen Geldexperten, versammelte 1989 Louis Rukeyser für seine berühmte Börsensendung
Wall Street Week
: Er wählte zehn Börsenanalysten aus, und ihre kollektive Meinung spiegelte sich wider im Elves-Index.
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Die Meinung jedes Analysten wurde mit +1 für bullish, 0 für neutral und – 1 für bearish gewertet. Theoretisch konnte der Elves-Index also maximal +10 und minimal – 10 Punkte ausmachen. Die Idee war, dass Anleger kaufen sollten, wenn die zehn Analysten mehrheitlich dazu rieten. Das offizielle Kaufsignal war +5 und das offizielle Verkaufssignal – 5. Wie schnitten die Avengers der Börse ab? Im Oktober 1990 erreichte der Elves-Index mit – 4 den negativsten Stand seit der Auflegung und war damit nahe am Verkaufssignal. Das Problem ist nur: Heute wissen wir, dass der Markt damals einen Boden bildete und die Kurse danach jahrelang nach oben strebten. In den Folgejahren lieferte der Index einige Fehlsignale. Aber es lässt sich wohl mit einem Beispiel am besten festmachen: In der Zeit von Ende 1999 bis Anfang 2000 trat eine Serie der höchsten je vom Index verzeichneten Werte auf. Im Dezember 1999 erreicht der Index sein damaliges Allzeithoch mit einem Wert von +8. Kurze Zeit später erreichten aber auch die Aktienindizes weltweit ihre Höchststände. Der Dax stieg beispielsweise im März 2000 auf mehr als 8000 Punkte und stürzte in den Monaten danach auf weniger als 2800 Punkte ab.
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Im alten Rom mussten sich Brückenbauer selber unter die Brücke stellen und zeigten damit, wie sehr sie ihrem eigenen Bauwerk vertrauten. Und auch die Kaiser stürzten sich früher auf dem Schlachtfeld noch selber in den Kampf. Im Kapitalismus sollte die Handlung eigentlich auch nicht von der Verantwortung getrennt sein, aber spätestens seit der Finanzkrise wissen wir, dass Banken im Notfall vom Steuerzahler gerettet werden. Bei Experten zeigt sich dagegen ein anderes Bild: Sie verlieren nicht mal ihr eigenes Geld, sondern es bezahlen nur diejenigen, die ihre Tipps befolgen. Auch Nassim Taleb warnt davor, sich auf jemanden zu verlassen, der einem einen Ratschlag mit dem Argument erteilt, dass es gut für einen, aber auch gut für ihn sei. »(…) de
r Schaden allerdings, den Sie dadurch haben, wirkt sich auf die betreffende Person nicht direkt aus.«
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Sei also vorsichtig mit dem Rat von Experten. Nimm immer einen guten Rat an, aber niemals einen schlechten. Und sei dir immer bewusst, dass du die Verantwortung trägst, egal ob die Idee für ein Investment von einem Börsenbrief, You-Tuber oder aus der Zeitung kommt. Die Entscheidung zum Kauf triffst immer du, also bilde dir selber eine Meinung.
Das gilt auch für die tödlichen Zahlen, die ich dir im vorherigen Kapitel gezeigt habe. Denn wie berechnen Analysten die Zukunft? Sie können auch nur Schätzungen anstellen. Warum manche Analysten zu euphorisch sind, ist klar. Sie hegen dieselbe Hoffnung wie Spekulanten und suchen den Tenbagger. Sie wollen attraktive Aktien entdecken, damit auffallen und ihre eigene Karriere pushen. »Nur an der Wall Street gibt es das: Die Leute fahren mit dem Rolls-Royce vor, und die, die sie um Rat fragen, fahren mit der U-Bahn«, sagt Warren Buffett.
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Manchmal schreiben Analysten auch einfach die Vergangenheit fort. Wenn die Gewinne der letzten fünf Jahre linear in die Zukunft projiziert werden, dann solltest du hellhörig werden. Wenn du dir die Kaufempfehlung eines Analysten anhörst, solltest du dir auch die Argumente eines Pessimisten anhören und die Argumente abwägen. Vor allem die Vergangenheit darf nicht der Grund für den Kauf einer Aktie sein: Denn Rückrechnungen sind gefährlich. Gerne bringen Anbieter neue Fonds oder Produkte auf den Markt und erklären uns, dass sie in den letzten zehn Jahren den Markt geschlagen hätten. Das nützt allerdings wenig, denn die besten Aktien der letzten Jahre raussuchen, das könnte auch ein Schimpanse, wenn er denn nur lesen könnte. Trotzdem verfallen wir so gerne dem sogenannten
Performance Chasing
: Wir neigen dazu, die Erfolge der Vergangenheit für das Nonplusultra zu halten und jagen ihnen hinterher. Das lässt sich sehr oft bei Fonds beobachten. Die erfolgreichen Fonds der letzten Jahre bekommen viel mehr Mittel der Anleger als die schlechten.
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Bei Fonds musst du auch noch auf den
Survivorship Bias
achten. Denn es werden meistens nur die positiven Beispiele genannt.
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Es
läuft genauso wie bei den Zuckerbergs dieser Welt. Der Facebook-Gründer hat sein Studium abgebrochen und schaffte es zum Milliardär. Aber jetzt überleg mal, wie viele ihr Studium abgebrochen haben und es heute bereuen. Von ihnen liest du aber nichts in der Zeitung. Genauso läuft es bei Fonds. Auf der Website des deutschen Fonds-Verbands (BVI) lassen sich die Renditen von rund 5000 Investmentfonds herunterladen, die deutsche Privatanleger kaufen können.
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Wenn du für diese Fonds die Durchschnittsrendite der letzten fünf Jahren errechnest, wirst du eine Zahl bekommen, die die Realität verzerrt. Warum? Jedes Jahr verschwinden rund 5 Prozent aller Fonds vom Markt. In manchen Jahren mehr, in manchen weniger. Die toten Fonds sind nicht mehr in der BVI-Datenbank enthalten, hatten aber meistens besonders schlechte Renditen. Denn das ist ja genau der Grund, warum ein Fonds liquidiert wird. Ein weiteres Zuckerberg-Phänomen zeigt sich ebenfalls bei den Analysen der Experten: die falsche Kausalität. Es werden zwei Dinge in Beziehung zueinander gesetzt. Nehmen wir Mark als Beispiel. Er ist erfolgreich geworden, weil er sein Studium geschmissen hat. Das kann ein Grund sein, muss es aber nicht. Wahrscheinlich sind 100 andere Gründe viel entscheidender für seinen Durchbruch. So machen Analysten bei Aktien auch gerne Faktoren für den Erfolg aus.
In diesen Tagen spielt die Digitalisierung die dominante Rolle. Beispielsweise ließe sich nun ein Zusammenhang aus den Ausgaben für Digitalisierung und der Performance herleiten, dieses Problem habe ich dir bereits bei der Erfolgslüge und dem Problem des Resulting
gezeigt. Wir würden bestimmt Top-Aktien aus dem Nasdaq finden, die besonders digital aufgestellt sind und mehr als 30 Prozent ihres Umsatzes für Forschung und Entwicklung ausgeben. Daraus errechnen wir dann noch eine Kennzahl: die »Sales-to-Digitization-Ratio«. Und sie gilt nun als Schlüssel zum Börsenerfolg. Allerdings ließen sich Dutzende anderer Unternehmen finden, die genauso viel investierten wie unsere Digitization-Gewinner, die jedoch schlechter als der Markt abschnitten. Dann landen wir wieder beim Phänomen des Undersampling of failure
: die zu geringe Berücksichtigung von Fehlschlägen in der Stichprobe.
Anders ausgedrückt: Ein Konzern aus dem Silicon-Valley wie Facebook lässt sich eben nicht mit einem Stahlkonzern aus dem Ruhrpott vergleichen, egal, wie viel beide für Digitalisierung ausgeben.
Learnings
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Glaube nicht an einfache Erfolgsrezepte.
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Suche nicht verzweifelt nach Mustern und klammere dich nicht an die Vergangenheit.
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Überschätze niemals einen Experten.
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Übernimm immer selber die volle Verantwortung.
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Lauf niemals blind den Gewinnern des Vorjahres hinterher.
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Habe immer den Survivorship Bias auf dem Zettel, schau dir also nicht nur die Überlebenden an, sondern auch die Opfer.
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Verwechsle niemals Ursache und Wirkung.
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Überschätze keine »Ratios«.