EINE KLEINE GESCHICHTE DES GROSSEN UNSINNS ODER WIE DU BESSERE ENTSCHEIDUNGEN FÜR DEIN GELD TRIFFST
2 0.000 Entscheidungen trifft der Mensch jeden Tag. Viele davon fällen wir unterbewusst, oder es fällt uns nicht schwer: wenn wir aufstehen, essen, sprechen oder wieder ins Bett gehen. 206 Aber wie treffen wir die besten Entscheidungen, wenn es darauf ankommt? Dazu will ich dir eine Geschichte erzählen. Stell dir vor, du bist ein Torwart und stehst einem Schützen gegenüber. 11 Meter trennen euch voneinander, und gleich wird er gegen den Ball treten. Aber wo schießt er hin? Viele Torhüter neigen dazu, sich früh für eine Ecke zu entscheiden und abzutauchen, bevor der Ball den Fuß des Schützen verlässt. Eine Studie belegt, dass sich 94 Prozent der Torhüter entweder für links oder rechts entscheiden. Was würdest du tun? Es erscheint logisch, sich früh zu entscheiden, denn je früher der Torwart springt, umso früher landet er auch in der Ecke. Aber was ist eigentlich mit der Mitte? Anscheinend neigen die Torhüter zu einem Action Bias , sie fühlen sich also gezwungen zu handeln. Denn die Reaktion der Torhüter passt nicht zum Verhalten der Schützen. Bei einer Studie wurden 311 Elfmeter in den besten Ligen der Welt untersucht. Und die Schüsse verteilten sich erstaunlicherweise gleichmäßig: jeweils ungefähr ein Drittel nach links, rechts und in die Mitte. Aber die Torhüter sind nur in 6 Prozent der Fälle stehen geblieben. Dieses Beispiel zeigt also, dass wir immer Entscheidungen treffen müssen. Auch in der Mitte stehen zu bleiben, ist eine Entscheidung. Aber wir sollten uns wie die Torhüter fragen, ob wir nicht zu viel wollen und da gilt dann wieder die Weisheit des Investierens: Hin und her macht Taschen leer. Denn der geradlinige Weg muss nicht der schlechteste sein, auch wenn er uns bequem und uninspiriert vorkommen mag.
Bill Gates wird gerne mit den Worten zitiert, er stelle faule Menschen ein, denn sie würden für Probleme eine möglichst einfache Lösung finden. Das ist eine mächtige Idee: Wer die Effizienz steigert und mit möglichst wenig Aufwand und Kosten die besten Ergebnisse erzielt, dürfte die Nase vorne haben. Bei den Torhütern kommt noch ein wichtiger Fakt dazu: Wenn sie tatsächlich in der Mitte stehen blieben, hielten sie 60 Prozent der Schüsse, in den Ecken schnitten sie viel schlechter ab. Aber warum tauchten sie so oft ab und verfielen dem Action Bias ? Die Torhüter wurden dazu befragt und antworteten meistens, dass sie sich wenigstens bemühten, wenn sie in eine Ecke springen würden. Es fühlt sich für die meisten Menschen wohl schlimmer an, wenn sie scheitern und das Gefühl haben, dass sie nichts dagegen unternommen haben. Aber es stellt sich immer die Frage, ob eine Entscheidung unsere Lage tatsächlich verbessert. 207
Ich habe dir ja schon mehrfach ans Herz gelegt, dass die beste Entscheidung diejenige ist, die du nicht treffen musst. Dazu müssen wir verstehen, wie unser Hirn funktioniert. Steht eine Entscheidung an, wird diese zunächst unbewusst eingeschätzt und zwar im limbischen System, einem Hirnareal, das sich an emotionalen Vorgängen beteiligt. Dort sind individuelle Erfahrungen gespeichert, die wir in unserem Leben gemacht haben; nennen wir es das emotionale Erfahrungsgedächtnis. Wenn wir nun eine Entscheidung treffen müssen, werden unbewusst die passenden Assoziationen zu der aktuellen Entscheidung abgerufen und in Millisekunden bewertet. Option A: Die Erfahrungen waren gut. Dann sind sie mit dem Belohnungssystem verknüpft. Option B: Sie waren schlecht. In dem Fall sind sie mit dem Bestrafungsnetzwerk verknüpft. Daraus leitet sich ab, in welche Richtung wir tendieren. Erst dann schaltet sich das Frontalhirn ein. Darin sitzen die höheren geistigen Funktionen wie das Analysieren, Planen und Denken. Nun kommt es zur großen Sitzung, bei der die Handlungsoptionen ausgelotet werden, es tagen die emotionalen Hirnregionen mit den rationalen. Das unbewusst und rasant arbeitende Gefühlsnetzwerk dominiert dabei. Aber warum sind wir nur so irrational? Die Antwort liefert wie so oft die Evolution: Früher war es ein Überlebensvorteil, emotional zu handeln, beispielsweise wenn es im Busch raschelte. Denn nicht selten schoss ein Säbelzahntiger daraus hervor. Wenn schließlich die Sitzung zwischen den Hirnregionen beendet ist, wird uns das Ergebnis dieses Austauschs als Entscheidung bewusst.
Durch die Dominanz der emotionalen Hirnregion schleichen sich gerne Muster in unserem Hirn ein. Wenn eine Aktie oder ein Index bei einem bestimmten Wert steht, signalisiert uns unsere Erfahrung, dass wir kaufen oder verkaufen sollen. Wir alle kennen diesen Einfluss des Belohnungssystems: Wenn wir uns an bestimmte Dinge erinnern, dann haben wir einfach ein gutes Gefühl dabei. Beispielsweise passiert sowas auch oft bei Sportwetten. Man bildet sich ein, dass ein Spieler oder eine Mannschaft nicht verlieren könne, wenn man gute Erfahrungen damit gemacht hat. Aus rationaler Sicht ist das Schwachsinn. Wenn wir mit einer Aktie gute Gewinne gemacht haben, dann glüht natürlich auch das Belohnungssystem.
Jetzt sind wir beim Investieren noch mit einem Problem konfrontiert, das uns in vielen anderen Lebensbereichen auch die Chancen auf den Erfolg verbaut: die Auswahl. Es ist auch unter dem Begriff choice cripples bekannt. Eine höhere Auswahl kann uns einschränken, verwirren und am Ende dazu bringen, dass wir gar nichts tun. Stellen wir uns einen Supermarkt vor, in dem es Hunderte von Marmeladen zur Auswahl gibt und einen Supermarkt, der nur fünf Marmeladen anbietet. In welchem Laden kaufen die Kunden mehr? Studien zeigen, dass Kunden bei einer kleinen Auswahl öfter zuschlagen. 208 Ich leide tatsächlich darunter, dass ich mich beruflich mit Aktien beschäftige und ständig auf spannende Unternehmen stoße, aber sie natürlich nicht alle kaufen kann. Wo käme ich da hin? Ich würde mindestens 500 Unternehmen finden, in die es wert wäre zu investieren. Aber wir haben bereits gelernt, dass Diversifikation ihre Grenzen hat, und wir müssen uns einfach eingestehen, dass jede Aktie, die wir uns mehr ins Depot holen, auch mehr Aufwand bedeutet. Denn du solltest zumindest bei jedem Unternehmen, in das du investiert bist, grob Bescheid wissen, was dort vor sich geht.
Aber selbst wenn wir uns in Bescheidenheit üben, bleiben noch viele Entscheidungen übrig. Und dann droht wieder die Gefahr, dass wir auf Erfahrungen zurückgreifen oder auf Weisheiten, die in unserem Hirn abgespeichert sind. Erfahrungen können Gold wert sein, aber es lauern auch Gefahren, wenn sich Muster einschleichen in unsere Gedanken, die gar nicht der Realität entsprechen. Wenn du dieses Buch so weit gelesen hast, dann hoffe ich, dass du eines gelernt hast: Nichts ist sicher! Aber ich will dir noch mehr mitgeben. Insbesondere die Sachen, die viele für gegeben halten, sind manchmal die gefährlichsten Lügen. Weisheiten haben schon viele Menschen Geld gekostet und darauf solltest du besser nicht reinfallen. Deswegen möchte ich dir im Schnelldurchlauf die gefährlichsten zeigen und auch eine andere Perspektive darauf …
1. Schulden sind immer schlecht
Fast hätten 2010 zwei Star-Forscher aus Harvard das Rätsel der Schulden endgültig gelöst: Kenneth Rogoff, ehemaliger Chefökonom des Internationalen Währungsfonds (IWF), und die Wirtschaftswissenschaftlerin Carmen Reinhart. Die beiden erforschten die Historie und kamen zu folgendem Ergebnis: Das Wirtschaftswachstum von Staaten fällt immer dann rapide, wenn das Verhältnis von Verschuldung und Wirtschaftsleistung, also das Bruttoinlandsprodukt (BIP), über 90 Prozent steigt. Demnach lag das durchschnittliche Wachstum bei einer Schuldenquote zwischen 60 und 90 Prozent noch bei 2,8 Prozent, oberhalb dieser scheinbar magischen Grenze sackte es auf minus 0,1 Prozent ab. Die Sache schien eindeutig. 209 Die goldene Schuldenregel dominierte die Debatte über die Euro-Krise und sämtliche Politiker, die sich für einen rigorosen Sparkurs aussprachen, beriefen sich auf die magischen 90 Prozent. Doch dann änderte sich auf einmal alles: Der Student Thomas Herndon sollte zu Übungszwecken die Studie von Rogoff und Reinhart nachrechnen, und er kam dabei zu einem anderen Ergebnis. Die beiden Starökonomen hatten in einer Excel-Tabelle verschiedene Länderdaten nicht berücksichtigt und Einzelfälle zu stark gewichtet. Statt um 0,1 Prozent zu schrumpfen, wie von Reinhart und Rogoff behauptet, wachsen Volkswirtschaften mit einer Schuldenquote von mehr als 90 Prozent demnach um 2,2 Prozent und sind damit nur einen Prozentpunkt schwächer als Länder mit einem niedrigeren Schuldenstand zwischen 60 und 90 Prozent. 210
Wer mit Excel rechnet, der kennt das Problem, wenn sich ein Fehler eingeschlichen hat. Ich habe das Programm selber schon oft verflucht. Aber wer hätte damit gerechnet, dass in einer solchen Studie einfach mal die Zahlen verdreht sind. Rogoff räumte den Rechenfehler zwar ein, verteidigte aber das Ergebnis. Wie sich Schulden auf das Wachstum auswirken, können wir hier nicht final klären, und ich will auch nicht bewerten, ob Schulden gut oder schlecht sind. Es geht nur darum, dass sie nicht zwingend eine Katastrophe sind und dass es sich wahrscheinlich nicht so einfach in eine Excel-Tabelle pressen lässt, wie Rogoff das versucht hat. Denn die Vergangenheit lässt sich auch anders interpretieren, und es gibt durchaus Beispiele, die zeigen, dass sich hohe Schulden nicht unmittelbar auf das Wachstum auswirkten. Aber betrachten wir erst mal, wie sich die Situation der Schulden grundsätzlich darstellt. Ständig rufen Crash-Propheten den Untergang aus, weil die Schulden angeblich noch nie so hoch ausfielen wie heute. Aber stimmt das? Blicken wir auf die USA und das Verhältnis von Schulden und Wirtschaftsleistung.
Abbildung 16: Eigene Darstellung; Quelle: Federal Reserve Bank of St. Louis 211
Es zeigt sich eindeutig, dass die Schulden schon mal höher ausfielen als heute. Natürlich lässt sich anführen, dass die USA sich damals in den Zweiten Weltkrieg eingeschaltet hatten, aber das ändert nichts an den Fakten. Denn die Schulden interessieren sich wohl kaum dafür, ob das Geld für Panzer, Rente oder Umweltschutz ausgegeben wird. Gerade nach dem Schuldenhoch in den 1950er-Jahren wuchs die Wirtschaft sehr stabil und dieses Jahrzehnt gilt als sehr innovativ. In den 1970er-Jahren fielen die Schulden dagegen extrem niedrig aus. Das Wachstum schwächelte trotzdem zwischendurch und Aktien performten schwach in dieser Periode. Diese Erkenntnisse sprechen noch lange nicht für Schulden und beweisen gar nichts. Aber wir wollen uns noch ein anderes Land anschauen. Die Daten von Großbritannien reichen noch weiter zurück und belegen, dass von Rekordschulden in diesen Tagen keine Rede sein kann.
Abbildung 17: Eigene Darstellung; Quelle: UKpublicspending.co.uk 212
Die Briten trieben die Schulden zwischen 1750 und 1850 auf die Spitze und lagen praktisch immer über der magischen Grenze von 90 Prozent. In der Spitze gipfelten die Schulden sogar bei mehr als 250 Prozent. Aber gerade in dieser Phase dominierte Großbritannien die Weltwirtschaft und führte die industrielle Revolution an. Das soll jetzt nicht heißen, dass Schulden die Lösung sind und es soll auch keine Lobeshymne auf den Keynesianismus sein. Es geht nur darum, dass hohe Schulden für dich nicht bedeuten, dass du sofort deine Aktien verkaufen musst und die Weltwirtschaft zusammenkracht.
2. Die Aktie ist schon ganz schön teuer
Unser Hirn spielt uns ständig Streiche: Einer der Klassiker an der Börse ist der Preis. Wenn wir auf eine Aktie schauen, verhalten gerade Anfänger sich so wie im Supermarkt: Wenn eine Aktie 3,99 Euro kostet, dann halten sie sie für billig. Wenn sie dagegen 1500 Euro kostet, dann halten sie sie für teuer. Das ist leider sehr gefährlich. Denn der reine Preis sagt gar nichts aus. Er ist ein nominaler Wert, der erst etwas aussagt, wenn man ihn in ein Verhältnis setzt.
Die »teuersten« Aktien der Welt bringen Preise auf die Waage, die besonders für Anfänger absurd erscheinen. Beispielsweise kostet ein Anteilsschein von Warren Buffetts Imperium Berkshire Hathaway mehr als 311.000 US-Dollar (Stand: Oktober 2019). Auf Platz zwei folgt die Aktie vom Schweizer Schokoladenkonzern Lindt & Sprüngli mit mehr als 71.000 Euro. Wie soll ein normaler Mensch sich so eine Aktie leisten können? Bei Berkshire Hathaway ist das kein Problem, es gibt nämlich schon lange eine sogenannte »B-Aktie«. Die kostet im Vergleich zur sündhaft teuren »A-Aktie« nur 190 Euro, und somit kann jeder Investor einsteigen. Wenn eine Aktie optisch zu teuer wird, dann denken Unternehmen gerne über einen sogenannten Aktiensplit nach, um den nominalen Wert der Aktie zu drücken. Dabei setzt eine Aktiengesellschaft den Nennwert der Aktien herab oder erhöht die Anzahl der ausgegebenen Aktien, um den Kurs einer börsennotierten Aktie zu reduzieren und die Aktie damit leichter handelbar zu machen.
Wenn du etwas über den Wert eines Unternehmens erfahren willst, dann solltest du auf die Marktkapitalisierung achten: Sie berechnet sich aus dem Preis einer einzelnen Aktie, also dem Aktienkurs, multipliziert mit der Anzahl der umlaufenden Aktien. Es kann also vorkommen, dass eine Aktie mit einem geringen Kurs wie beispielsweise E.ON mit weniger als 9 Euro trotzdem einen viel höheren Börsenwert auf die Waage bringt als ein kleineres Unternehmen. E.ON bringt es auf eine Marktkapitalisierung von mehr als 23 Milliarden Euro (Stand: Oktober 2019), weil sich insgesamt 2,64 Milliarden Aktien im Umlauf befinden. Größere Konzerne müssen natürlich mehr Aktien ausgeben, sonst würden ihre Aktienkurse so in die Höhe schießen, dass sie illiquide würden. Beispielsweise würde eine Aktie von einem großen Dax-Konzern wie der Allianz dann schnell 89.000 Euro kosten, wenn nur 1 Million Stück gehandelt würde. Dann wäre eine solche Aktie nur zugänglich für große Fonds, und jeder normale Mensch müsste die Finger davon lassen .
Wenn du von den wertvollsten Unternehmen der Welt hörst, dann dreht es sich auch stets um die Marktkapitalisierung. Hier liefern sich die Tech-Giganten Apple, Amazon, Alphabet und Microsoft in den letzten Jahren ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Spannend als Vergleichsgröße ist auch der Enterprise Value . Damit lässt sich der Wert eines Unternehmens messen unabhängig von seiner Finanzierung. Er errechnet sich aus der Summe von Marktkapitalisierung zuzüglich Schulden minus Kassenbestand und minus anderer Aktiva, die unmittelbar in Cash umgewandelt werden könnten. Die Kenngröße ist bei Übernahmen wichtig, um das notwenige Fremdkapital abzuschätzen. Der Cash-Bestand wird abgezogen, weil der Käufer dieses Unternehmens sofort darüber verfügen könnte. Die Schulden werden hinzuaddiert, weil er diese sofort übernehmen muss. An solchen Kennzahlen orientierte sich auch der Vater des Value-Investing, Benjamin Graham, zu Beginn seiner Karriere. Als er in den 1930er-Jahren anfing, möglichst günstige Unternehmen ausfindig zu machen, suchte er vor allem welche, die weniger als die Hälfte ihres Bargeldbestandes kosteten. Daher stammt auch die Idee, dass man einen Dollar für 50 Cent kaufen solle.
Aufpassen solltest du besonders beim Gewinn eines Unternehmens. Er sagt alleine wenig aus: Warnen will ich dich vor allem vor dem Ebit, also dem Ergebnis vor Steuern und Zinsen. Grundsätzlich sollte ein Konzern Gewinn machen, bevor er Zinsen und Steuern zahlt, rein nach den Zahlen wären solche Unternehmen sonst nicht überlebensfähig. Solche Unternehmen werden gerne als Zombie-Unternehmen gebrandmarkt, weil sie angeblich nur überleben könnten wegen der niedrigen Zinsen seit Jahren. Aber wehe, wenn die Zinsen steigen, dann fallen die Untoten endgültig um und stehen nie wieder auf. Bei vielen Unternehmen mag es stimmen, dass sie sich nur noch mit Mühe über Wasser halten, aber ein schlechtes Ebit macht noch lange keinen Zombie. Sonst wäre Amazon auch einige Jahre lang einer gewesen, aber das hat dem Erfolg nur mäßig geschadet .. .
3. Der Markt lässt sich timen
Der Mann sitzt in seinem Bürostuhl und schlägt mit Drumsticks auf seine Oberschenkel, er hat Kopfhörer im Ohr und hört Heavy-Metal-Musik bis zum Anschlag. Er trägt ein ausgewaschenes blaues Shirt, eine kurze Hose und ist barfuß, um ihn herum stehen auf dem Schreibtisch drei Bloomberg-Terminals, und die Zahlen leuchten orange auf schwarzem Untergrund. Sein Name ist Michael Burry, er ist gelernter Mediziner, arbeitet aber als Fondsmanager. Im Hollywood-Blockbuster The Big Short wird er gespielt von Christian Bale. Aber wer ist dieser Michael Burry? Er ist derjenige, der das gemacht hat, was anscheinend die wenigsten machen: Er schaute genau hin und wurde dadurch reich. Anfang des Jahrtausends identifizierte Burry eine Blase beim US-Häusermarkt. Er hatte Hypotheken und Anleihen analysiert und war sich danach sicher, dass der Markt kollabieren würde. Schließlich war der Immobilienmarkt auch schon in den 1930er-Jahren zusammengebrochen. Burry war nach seiner Analyse entschlossen, den Häusermarkt zu shorten, also gegen ihn zu wetten. Allerdings stieß er auf ein Problem: Es gab nicht mal ein Wertpapier, mit dem er seine Idee umsetzen konnte. Der Markt galt als viel zu stabil. Also musste er einen Weg finden: Burry schaffte es tatsächlich, die Investment-Bank Goldman Sachs und andere Häuser davon zu überzeugen, dass sie ihm sogenannte Credit Default Swaps (CDS) verkauften, also Kreditausfallversicherungen, gegen die zweitklassigen Kredite. Er ging die Wette ein und damit einen steinigen Weg. Denn der Häusermarkt kollabierte nicht sofort, die Investoren von Burrys Fonds wurden immer nervöser. Denn du musst dir das so vorstellen: Burry saß auf einem Berg von diesen Versicherungen, den CDS. Und die würden ein Vermögen wert werden, sobald die Kredite ausfielen. Aber für diese Versicherungen musste Burry Prämien zahlen, und das kostete mit jedem Tag mehr Geld. Um das zu finanzieren, musste Burry andere Aktienpositionen auflösen. Am Ende ging die Rechnung doch noch auf: Die Immobilienblase platzte und Burry verdiente Millionen. Er hatte den Big Short geschafft. 21 3
Auch Sherlock träumt ihn seit Jahren, den Traum vom Big Short, und ich habe mich auch immer wieder anstecken lassen. Gerade als ich anfing mit dem Börsenthema, faszinierten mich Put-Optionsscheine, also jene Werkzeuge, mit denen man wie Burry auf fallende Kurse wettet. Es war alles so einfach und es ging natürlich schnell. Dieses Gefühl ist unbeschreiblich, wenn sich der Markt nur um wenige Prozent verändert und der Schein um das Zehnfache steigt. Ich kann mich noch sehr gut an den Oktober 2014 erinnern. Ich war damals auf einem Trip nach Lissabon unterwegs und hatte einen Put auf den Dax gekauft. Ich gewann also Geld, wenn der Dax im Gegenzug fiel. Und das funktionierte. Der Dax stand bei rund 9400 Punkten und rauschte dann runter auf 8600 Punkte. Es ist ein mächtiges Gefühl, wenn jedes Mal, wenn man F5 drückt, um den Bildschirm zu aktualisieren, mehr Geld auf dem Konto steht. Aber unter dem Strich ist es nur eines: Zockerei! Trading mag manchen gelingen, vor allem, wenn sie sehr viel Zeit investieren. Es bleibt jedem selber überlassen, ob er den ganzen Tag vor Bildschirmen verbringen will. Ich mache lieber etwas anderes mit meinem Geld und lasse es arbeiten.
Trotzdem träumen so viele vom Big Short und davon, dank des nächsten Crashs den großen Reibach zu machen. Aber was ist eigentlich dieser Crash? Wenn die Kurse um 30 Prozent einbrechen? Oder erst, wenn sie um mehr als 70 Prozent abstürzen? Oder sollte man von einem Crash erst dann sprechen, wenn nicht nur die Börsenkurse kollabieren, sondern auch das gesamte Banken- und Finanzsystem in die Knie geht? Es gibt eine Faustregel: Ein Crash findet dann statt, wenn die Kurse in kurzer Zeit sehr schnell fallen, und es gilt ein Minus von 30 Prozent als Richtschnur. Aber eigentlich bringt uns das auch nicht weiter. Denn jetzt stell dir mal vor, die Kurse würden sehr langsam fallen und sich über Jahre nach unten bewegen, wenn sie beispielsweise 90 Prozent verlieren, aber eben über eine Dauer von fünf Jahren. Dann wäre es eher ein Siechtum als ein Crash, aber die Katastrophe wäre umso größer. Voraussagen kann den Anfang und auch das Ende eines Crashs niemand. Wenn es schlimmer nicht mehr sein könnte, dann sollst du kaufen, so besagen es die ältesten Börsenweisheiten, aber definiere bitte erst mal schlimm. Es ist beinahe unmöglich. Einfacher definieren lassen sich da schon die Kosten, die bei sehr aktiven Investoren anfallen. Gerade für Privatanleger gilt immer noch die Weisheit, die ich bereits weiter vorne schon erwähnt habe: Hin und her macht Taschen leer. Du musst immer die Gebühren beachten und auf deine reale Rendite schauen!
Aber uns fällt es eben allen schwer, einfach nichts zu tun. Unser Hirn und die Medien liefern uns jeden Tag Gründe, um zu kaufen oder vor allem zu verkaufen. Gerade die Kritiker finden am meisten Gehör: Wer den Crash ausruft, der hat gemeinhin den Durchblick. Denn Kritiker oder auch Schwarzmaler werden tatsächlich als kompetenter wahrgenommen. Eine Studie belegt zum Beispiel, dass kritische Literaturkritiken auf besseres Feedback stoßen als positive. Probanden bewerteten den kritischen Text 14 Prozent intelligenter und räumten ihm 16 Prozent mehr literarisches Urteilsvermögen zu. »Schwarzmaler erscheinen eben leicht als scharfsinnig und weitsichtig, während positive Äußerungen schnell als naiv abgetan werden«, kommentiert die Harvard-Psychologin Teresa Amabile ihr Experiment mit der Literaturkritik. 214 Die Crash-Propheten brüsten sich gerne damit, dass sie ja nur die Wahrheit aussprechen würden, und man müsse sie erst mal widerlegen. Aber es muss natürlich eine umgekehrte Beweislast gelten. Zu behaupten, dass irgendwann etwas Schlimmes passiert, ist an sich keine Leistung. Denn irgendwann wird man wahrscheinlich Recht haben. Das Problem ist die Dauer zwischen der Behauptung und dem Eintreten der These.
Tipps gibt es viele für die Jünger der Crash-Propheten: Gewinne mitnehmen beispielsweise, also Aktien verkaufen, die bereits im Plus sind. Dadurch lassen sich höhere Cash-Bestände aufbauen und bei einem Rücksetzer billiger wieder einkaufen. Es reizt jeden Investor, die Rendite zu verbessern und durch Handeln die Gewinne an der Börse zu beschleunigen. Eine Frage, die ich mir auch schon oft gestellt habe: Was wäre, wenn man bis zum großen Krach wartet und dann mit 100 Prozent des verfügbaren Kapitals All In geht? Sagen wir mal, du wartest auf einen Crash von 50 Prozent und parkst das Geld solange auf einem Tagesgeldkonto. Klingt nach einer genialen Idee: Du kannst praktisch nichts verlieren, und wenn alle anderen verloren haben, sammelst du billig ein und verdoppelst nach einer Erholung in nur wenigen Monaten oder Jahren dein Kapital. Es wäre nicht der Big Short, aber der Big Abstauber. Immerhin schlagen doch Legenden auch genau dann zu, wenn das Blut in den Straßen fließt. Wie ich vorher schon erwähnt hatte, kaufte Warren Buffett während der Finanzkrise Aktien von Goldman Sachs und machte damit gute Gewinne. 215
Aber geht das so einfach? Der Vermögensberater Gerd Kommer hat es nachgerechnet: Er nennt seinen theoretischen Market-Timing-Ansatz »mechanisches Verlustschwellen-Timing« (MVT). Für die Abstauberidee hat er einen Backtest gemacht: Er verwendete dafür die historischen Monatsrenditen des globalen Aktienmarktes von 1970 bis 2018, also für 49 Jahre. In diesem Zeitraum brachten Aktien eine Bruttorendite von durchschnittlich 7,5 Prozent pro Jahr, die Nettorendite hätte sich auf 4,7 Prozent jährlich belaufen. Die Idee: Für jeden einzelnen Startmonat berechnete Kommer, ob eine bestimmte Verlustschwelle, beispielsweise 50 Prozent, nach dem Ablauf des Monats gerissen worden wäre. Für den Untersuchungszeitraum von 49 Jahren macht das 588 Monate. Das erste Szenario beginnt am 1. Januar 1970 und ist damit 49 Jahre lang. Das letzte beginnt am 1. Dezember 2018 und ist damit nur noch einen Monat lang. Was kommt dabei heraus? Eine Verlustschwelle von 10 Prozent wurde in 296 der insgesamt 588 Monate gerissen, was einer Abstauberquote von rund 50 Prozent entspricht. Allerdings sind es die 10 Prozent wohl kaum wert, darauf jahrelang zu warten und dann alles zu investieren. Denn es gibt folgendes Problem: Die Überrendite beläuft sich gerade mal auf 0,4 Prozent pro Jahr, wenn du auf einen Rücksetzer von 10 Prozent wartest und dann alles hereinstellst. Dieses Bild zieht sich auch durch die anderen Szenarien hindurch. Bei allen, die wahrscheinlich sind, fällt die Überrendite bescheiden aus, und wenn es spannend wird, beispielsweise ab einem satten Verlust von 30 Prozent oder mehr, dann sinken die Wahrscheinlichkeiten für einen Erfolg rapide. Dafür, dass du nach einem Rücksetzer von 50 Prozent abstauben kannst, liegt die Erfolgsquote gerade mal bei 1 Prozent (!), aber wärst du dann wenigstens reich? Leider nicht: Im Vergleich zu Buy-and-Hold beläuft sich der Vorsprung gerade mal auf 2,5 Prozent jährlich. 216 Das würde sich langfristig durch den Zinseszins-Effekt zwar deutlich bemerkbar machen, aber trotzdem erscheint die Strategie mehr als fragwürdig.
Was lernen wir daraus? Wenn du anfangen willst mit dem Investieren, dann mach es einfach. Niemand kennt den perfekten Zeitpunkt. Timing funktioniert in der Regel nicht und gerade als Anfänger solltest du die Finger davon lassen. Aber natürlich lässt sich ein Crash niemals ausschließen, deswegen erscheint es sinnvoll, besonders als Anfänger einen Sparplan abzuschließen und eine zeitliche Streuung einzubauen. Möglicherweise verschenkst du dadurch ein wenig Rendite, aber du beruhigst dein Gewissen. Nehmen wir mal als Beispiel an, du hättest 50.000 Euro zum Investieren. Dann könntest du morgen alles auf einmal in den Aktienmarkt stecken, oder du kaufst alle sechs Monate für 5000 Euro Aktien. Ich würde dir die zweite Variante empfehlen. Dabei solltest du immer die Gebühren im Blick haben, nicht dass du es mit der zeitlichen Streuung übertreibst. Theoretisch ließe sich ja auch jede Woche für 200 Euro kaufen. Doch das treibt nur die Gebühren hoch und macht die Sache unnötig kompliziert.
Du solltest also nie alles auf eine Karte setzen und blind investieren, denn eines muss ich fairerweise sagen: Bei Rückrechnungen handelt es sich immer um Theorie, und es müssen Annahmen getroffen werden. Beispielsweise rechnet Kommer beim Beispiel oben mit einer Monatsbetrachtung. Wer mit Halbjahren rechnet, kommt wahrscheinlich auf ein ganz anderes Ergebnis. Aber im Kern zeigt das Beispiel eben einen Fakt: Timing funktioniert nur mit Glück, und es gehört im Zweifel sehr viel Erfahrung und Recherche dazu. Aus dem Handgelenk oder einem Gefühl heraus lassen sich eine Aktie oder ein Markt nicht bewerten. Denn dann landen wir wieder beim Preis oder KGV. Es sagt wenig aus. Genauso wenig sagt es aus, wenn die Märkte schon seit einigen Jahren gestiegen sind. Burry hat am Ende Recht behalten, aber die Luft wurde sehr dünn. Vertraue lieber auf die Zeit und eine Strategie und nicht auf Timing .
4. Anleihen sind sicher
Es gibt im Finanzjargon einen schönen Ausdruck: risikoloser Zins. Früher waren damit normalerweise Anleihen gemeint, also genauer gesagt Staatsanleihen. Das bedeutet: Du leihst beispielsweise dem deutschen Staat Geld und bekommst dafür Zinsen als Entschädigung, das nennt sich dann Bundesanleihe. Reich geworden ist damit noch niemand, aber Bundesanleihen galten als eine der sichersten Anlagen der Welt und brachten Anfang des Jahrhunderts immerhin noch zwischen 3 bis 4 Prozent Rendite mit einer Laufzeit von zehn Jahren. Mittlerweile gelten solche Papiere immer noch als relativ sicher, aber es gibt praktisch keine Zinsen mehr, und viele Investoren zahlen sogar drauf, dass sie einem solventen Staat wie Deutschland Geld leihen dürfen. Ja, du liest richtig, man bezahlt heute Geld dafür, dass man einem Staat Geld leihen darf. Die Welt der Zinsen spielt schon seit einigen Jahren verrückt und die EZB hält den Leitzins seit Jahren auf tiefstem Niveau. Die Gründe sind mannigfaltig: Zum einen versucht die Notenbank, die Inflation anzukurbeln, so das offizielle Storytelling. Zum anderen müssen die Zinsen relativ niedrig gehalten werden, weil sonst viele Staaten mit hohen Schulden wie beispielsweise Italien unter Druck kommen würden.
Wie verrückt die Welt der Zinsen mittlerweile spielt, zeigte sich im August 2019. Anleihen stehen noch für Sicherheit, aber hauptsächlich ist sicher, dass es keine Zinsen mehr gibt! Rund 30 Prozent der weltweiten Anleihen notierten im negativen Bereich. Eine der sichersten Anlageformen der Welt und Zinsgarant für lange Zeit vernichtet also mittlerweile Geld. Spätestens jetzt solltest du dir einen Satz markieren: Nichts ist sicher! 217
5. Sell in May and go away
Kommen wir zur wohl bekanntesten Börsenweisheit: Sell in May and go away. Der Sell-in-May-Effekt bezeichnet das Phänomen, dass die Kapitalmarktrenditen in den Monaten Oktober bis April überdurchschnittlich ausfallen sollen. Aber stimmt das wirklich? Schauen wir uns mal eine langfristige Betrachtung des S&P 500 an (siehe Tabelle unten). 218
Monatliche Durchschnittsrendite des S&P 500
1928-2019
Monatliche Durchschnittsrendite
Januar
1,20%
Februar
0%
März
0,60%
April
1,30%
Mai
– 0,20%
Juni
0,80%
Juli
1,60%
August
0,60%
September
– 1,0%
Oktober
0,40%
November
0,80%
Dezember
1,30%
Die Idee von Sell in May besagt: Ende April aussteigen und Ende September beziehungsweise im Oktober wieder investieren. Der September schneidet in unserem Beispiel tatsächlich sehr schlecht ab, allerdings hätte jeder, der der Weisheit gefolgt wäre, die drei guten Monate Juni, Juli und August verpasst. Bei solchen Analysen spielt der Zeitraum natürlich immer eine große Rolle. Wer die letzten 30 Jahre analysiert, mag zu ganz anderen Zahlen kommen. Beispielsweise gibt es eine Untersuchung von 1970 bis 1988, die zeigt, dass es einen sogenannten Wintereffekt an den weltweiten Kapitalmärkten gibt. Demnach konnten mit Ausnahme von Neuseeland in 37 Ländern überdurchschnittliche Renditen in den Wintermonaten erzielt werden. 219 Allerdings erscheinen 18 Jahre als Untersuchungszeitraum sehr kurz und es geht um etwas anderes: Es lässt sich kein klares Muster erkennen und alle Experten, mit denen ich in meiner Journalisten-Karriere gesprochen habe, bestätigten mir, dass es keinen endgültigen Beweis für den Sell-in-May-Effekt gebe. Es gibt höchstens Indizien dafür.
Es kann auch schnell zu Verzerrungen kommen, wenn prägnante Börsenereignisse in einen bestimmten Monat fallen: Beispielsweise gipfelte die Dotcom-Blase im März 2000 und ab April ging es dann abwärts. Auch die Euro-Krise kochte besonders im Spätsommer 2011 hoch. Dadurch fiel der August katastrophal aus. Und auch die Finanzkrise 2008 machte den Sommermonaten zu schaffen. Solche Ausreißer solltest du auf dem Schirm haben, wenn du dich mit Mustern beschäftigst.
6. Dividenden sind immer gut
»Die Dividende ist der neue Zins.« Dieser Satz ist in den letzten Jahren zum geflügelten Wort an der Börse geworden. Denn das Problem kennen wir: Es gibt praktisch keine Zinsen mehr. Da klingt es eigentlich nach einer genialen Idee, Dividenden statt der Zinsen einzusammeln. Stell dir das mal vor: Du kaufst eine Aktie einen Tag vor der Ausschüttung und du kriegst quasi Geld geschenkt. Du kannst mit wenigen Klicks recherchieren, wann BMW oder Bayer zum nächsten Mal Geld an ihre Aktionäre zahlen. Aber wahrscheinlich kannst du es dir schon denken, dass es so einfach nicht läuft. Denn im Leben gibt es nichts geschenkt und an der Börse erst recht nicht. Der Traum vom Free Lunch bleibt leider einer. Denn die Dividende gibt es nicht einfach gratis obendrauf! Das Unternehmen muss sie ja finanzieren, also fließt auch Geld aus dem Unternehmen, und das macht sich beim Kurs bemerkbar. Betrachten wir dazu ein einfaches Beispiel. Eine Aktie notiert vor dem Tag der Ausschüttung bei 100 Euro. Nun zahlt das Unternehmen eine Dividende in Höhe von 4 Euro. Nachdem die Dividende einen Tag nach dem Dividenden-Stichtag gezahlt wird, fällt der Aktienkurs von 100 Euro auf 96 Euro. Der Aktienkäufer hat unter dem Strich nichts verdient. Die Dividende schmälert also den Aktienkurs: Der Kassenbestand des Unternehmens nimmt in Höhe der Dividendenzahlung ab, in gleicher Höhe verringert sich das Eigenkapital.
Woher kommt die Dividende überhaupt? Wenn ein Unternehmen Gewinn macht, muss es sich überlegen, was es damit anstellt. Der Gewinn lässt sich entweder einbehalten oder als Dividende an die Aktionäre auszahlen. Eine weitere Option ist der Rückkauf eigener Aktien, das lässt natürlich den Kurs steigen und freut die Aktionäre ebenfalls. Aber wann ist eine Dividende nun sinnvoll? Weniger sinnvoll erscheint sie, wenn ein Unternehmen sich in einem frühen Stadium befindet und wachsen will. Dann sollten die Gewinne lieber einbehalten und in Innovation oder Marketing investiert werden. Allerdings gibt es auch viele Konzerne, die in reifen Märkten unterwegs sind. Dann sinkt die Kapitalrendite und es ergibt keinen Sinn, viel Geld in Expansion zu stecken. Solche Unternehmen fahren durchaus gut damit, ihre Gewinne auszuschütten.
Übertreiben sollten Investoren die Liebe für Dividenden aber nie, denn das Geld kann eben nicht investiert werden in neue Gewinne. Konzerne wie Apple werden gerne dafür kritisiert, dass sie auf zu hohen Cash-Bergen sitzen und nicht wissen, was sie mit ihrem Geld machen sollen. Sind solche Unternehmen und ihr Management risikoscheu und ideenlos? Natürlich sollte ein Unternehmen Gewinne machen und wachsen, es geht nicht darum, eine Bank zu werden und möglichst viel Kapital zu verwalten. Aber die Gewinne vorschnell auszuschütten, sollte die letzte Option sein, denn von Kursgewinnen haben auch die Aktionäre mehr als von Dividenden. Das beste Beispiel ist Amazon: Der Konzern brachte seinen Aktionären seit 2001 mehr als 8000 Prozent, zahlte aber null Dividende. 220 Es stellt sich eben eine Frage: Wie hoch fällt die Eigenkapitalrendite aus? Wenn sich Renditen von 20 oder 30 Prozent erzielen lassen, dann sollte sich jeder Aktionär lieber ins Knie schießen, statt eine Dividende zu verlangen.
Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Wer auf Dividenden setzt und sich eine Strategie bastelt, macht damit keinen grundsätzlichen Fehler. Aber wir sollten Dividenden auch nicht als Allheilmittel verklären. Denn es wird gerne ein Aspekt angeführt, um die Macht der Dividenden zu beweisen: wie wichtig sie sind für den Gesamtertrag von Aktien, also für Kursgewinne plus Dividenden. Solche Schätzungen geben an, dass 30, 40 Prozent oder gar die Hälfte der gesamten Zuwächse nur auf Dividenden zurückgehen würden. Wer also keine Dividenden kassiert, der macht auch keine Rendite. Aber Vorsicht: Die Gesamtrendite ergibt sich eben aus der Summe von Kursgewinnen und Dividenden. Wenn Dividenden niedriger sind, werden Kursgewinne entsprechend höher sein. Warum das wahrscheinlich so ist, habe ich dir bereits oben erklärt. Kursgewinne und Dividenden kommen aus derselben Quelle: dem Gewinn. Und eine abschließende Frage musst du dir auch stellen: Was passiert, wenn ein Unternehmen Dividende zahlt? Die Dividende wird aus dem bereits versteuerten Gewinn gezahlt, und diese Steuer belastet die Aktionäre. Du musst die Abgeltungssteuer in Höhe von 25 Prozent zahlen. Einschließlich Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag ergibt sich eine Steuerbelastung beim Aktionär von insgesamt etwa 28 Prozent auf die erhaltene Dividende.