Auf dem Weg nach Belton entschied sie sich, ein paar Stunden zu schlafen und dann gegen vier Uhr morgens aufzubrechen. Dann wäre sie gegen neun oder zehn wieder in Omaha und hätte einen ganzen Tag Zeit sich wieder in den Fluss der Dinge zu bringen.
Sie bemerkte unterwegs, dass Ellington nicht versuchte, sie zu einer Antwort zu seinem letzten Text zu bringen. Sie versuchte herauszufinden, warum sie so wütend auf ihn war. Sie war schon vorher mal wütend auf ihn gewesen, aber dann hatte sie immer einen Grund gehabt. Vielleicht vernebelte dieser Fall ihr Urteilungsvermögen. Jetzt wo sie ihre Mutter gesehen hatte, war sie in der Lage die Quelle ihrer Reizung herauszufinden, wenn sie wieder bei ihm war.
Sie war um 16:45 Uhr wieder in ihrem Hotelzimmer und bestellte etwas aus dem einzigen China Restaurant der Stadt. Während sie auf das Essen wartete, duschte sie und stieg in Jeans und ein T-Shirt. Sie öffnete ihren Laptop, suchte alle Dateien heraus, die sie zu dem Fall hatte, und tauchte schon bald in den Fall und in einen Teller von Orangen Hühnchen ein.
Sie fügte einige Notizen zu ihren digitalen Dateien hinzu, ein paar Details, die ihr der Gerichtsmediziner und Reggie Thompson erzählt hatten. Als sie jede Notiz hinzufügte, dachte sie darüber nach, als wenn sie inmitten eines imaginären Tatorts stand.
Spekulationen, dass er Undercover an einem Drogenfall ermittelt hat. Ebenso Gerüchte, dass Jimmy Scotts Verbindungen zu einem Drogenkartell in Mexiko hatte. Es ist eine Verbindung, aber in dem Fall von Scotts wurde diese nach gründlicher Überprüfung fallen gelassen.
Polizeiliche Ermittlungen haben den Fall aus dem Nichts fallen lassen, aber warum? Befehle von höheren Vorgesetzten? Waren die Beamten zu nah an die Wahrheit gekommen, die vielleicht Probleme verursachen könnte? Die Gerichtsmedizin hatte nichts Außergewöhnliches ergeben. Kopfschuss aus nächster Nähe, keine Frage.
Mit den aktualisierten Notizen war es klar, dass es noch viele Richtungen in diesem Fall abzudecken gab. Das Schlimmste daran war, dass sie nicht fühlte, dass sie irgendeinen Fortschritt machte.
Nachdem sie ihr Abendessen gegessen hatte und der Fall begann sich schal anzufühlen, ging Mackenzie zu ihren Taschen und holte eine kleine Flasche Melatonin heraus. Sie bewahrte es für solche Fälle auf, wenn sie nicht schlafen konnte, sie brauchte es normalerweise nur, wenn sie sich selbst überarbeitet hatte.
Sie nahm es vor acht Uhr. Obwohl es früh war, hoffte sie, dass sie gegen drei Uhr wach werden würde und innerhalb einer Stunde los nach Omaha fahren konnte. Sie spielte mit dem Gedanken, sofort zu fahren aber sie wusste, dass sie dann morgen den ganzen Tag müde und stümperhaft wäre.
Sie legte sich ins Bett und hoffte, dass die Hilfe des Melatonins die Albträume von ihr fernhielt. Als sie irgendwann später aufwachte, war sie zufrieden, dass sie einen traumlosen Schlaf genossen hatte, aber sie kannte auch die Gewissheit, dass ein Anruf zu so einer Stunde nie gut war … besonders nicht in ihrem Beruf.
Sie suchte ihr Handy und sah, dass es Ellington war. Sie war zu überrascht und erschöpft, um sauer zu sein, als sie mit einem weichen und müden: “Hallo?” antwortete.
“Hey, Mac”, sagte er. “Tut mir leid, dass ich so spät anrufe. Oder so früh. Oder was auch immer. Aber ich muss wirklich wissen, wann du wieder hier sein kannst.”
“Warum? Was ist los?”
“Es gab einen weiteren Mord. Ein weiterer Landstreicher. Und dieser hier ist ganz neu. Ich bin gerade auf dem Weg zum Tatort mit Penbrook. Wie wir bis jetzt wissen, kann der Mord nicht länger als vor einer Stunde stattgefunden haben.”
“Mist”, sagte Mackenzie und war plötzlich hellwach. Sie schaute auf die Uhr und sah, dass es 2:15 Uhr war.
“Mach dich nicht verrückt, hier herzukommen”, sagte er. “Aber naja … komm so schnell es geht.”
“Ich komme”, sagte sie. “Kannst du mir die Adresse des Tatorts geben?”
“Ja.”
Sie wollte weiter mit ihm sprechen, um seine Stimme zu hören, während sie ganz wach wurde. Aber es gab keine Zeit für Sentimentalitäten … oder für was immer auch für unterdrückten Ärger sie für ihn fühlte, seit sie Omaha verlassen hatte. Sie sagte also nur “bis gleich” und legte auf.
Sie nahm sich ein wenig Zeit im Bad, um sich ein wenig mit Wasser das Gesicht zu waschen. Dann sammelte sie alles in ihre Tasche und ging zum Hauptbüro. Der Mann hinter dem Schalter schnarchte in einem Stuhl mit einem Buch auf seinem Schoß. Mackenzie klopfte mit ihren Händen gegen die Theke, um ihn zu wecken.
Während er sie auscheckte, eilte Mackenzie zur kleinen Kaffee-Ecke, die zwischen dem Tresen und dem Eingang des noch offenen Frühstücksbereichs lag. Sie schnappte sich einen Kaffee, nahm ihre Quittung vom Angestellten und ging zu ihrem Auto.
Weniger als zehn Minuten, nachdem Ellington angerufen hatte, war Mackenzie auf der Straße und fuhr zurück nach Omaha. Sie fühlte sich okay mit der Fahrt, da sie annahm, dass es in Belton nichts mehr für sie zu tun gab. Sie hatte hier herkommen müssen, hatte getan, was sie tun wollte und hatte dennoch keine echten Ergebnisse bekommen. Aber jetzt wusste sie das zumindest.
Auch hatte sie sich einem Geist gestellt, der sie ewig verfolgt hatte – der Geist in Form ihrer Mutter.
Sie war gut und fast unverletzt dabei herausgekommen.
Und etwas daran erfüllte sie mit einem Gefühl von Hoffnung. Egal, ob wegen des Falls oder ihrer Fähigkeit jetzt die Ketten, die sie an ihrer Vergangenheit gehalten hatten loszulösen, sie wusste es nicht.