Als sie ins Büro kam, nahm sie eine Tasse Kaffee und ging in den Konferenzraum, in dem das kurze Meeting stattfinden sollte. Personen gingen mit Geschwindigkeit und Emsigkeit aus dem Konferenzraum hinein und heraus, die normalerweise nur auftrat, wenn ein Fall kurz vor dem Abschluss stand. Sie mochte die Energie und den Enthusiasmus aber gleichzeitig fühlte sich alles wie eine Verschwendung an.
Sie fürchtete, dass sie wie die graue Sturmwolke auf ihre Motivation wirkte und so hielt Mackenzie sich in einer Ecke des Zimmers auf. Sie nahm sich eine Kopie der vorläufigen Funde vom Tatort und schaute hinein, während Penbrook und ein paar andere in den Raum kamen.
Ellington saß neben ihr und während sie immer noch das Gefühl genoss, ihn nahe bei sich zu haben, war da auch ein kleiner Teil in ihr, der das ganze alleine durchziehen wollte. Sie spürte, dass sie sich das Selbst schuldete und das Ellington am Ende nichts weiter als Zuschauer war.
Es war das Gespräch mit meiner Mutter, dachte sie. Mit ihr zu sprechen und zu erkennen, dass trotz ihrer Fehler, ihre Hände in diesem Fall sauber waren und ich bin so motiviert wie noch nie, diesen Fall abzuschließen.
Sie bemerkte, wie Ellington sie ansah, und warf ihm ein dünnes Lächeln zu. Er kannte sie gut – wann sie Raum brauchte und wann sie herausgefordert werden musste. Sie schätzte das an ihm, und es erinnerte sie wieder daran, wie sehr sie sich so schnell in ihn verliebt hatte, nachdem die anfängliche körperliche Anziehungskraft sie aufgewühlt hatte. Da er wusste, in welchem Zustand sie sich befand, wählte er, sie das aussitzen zu lassen, als wenn es irgendein anderer alter Fall wäre.
Nach einer Weile ließ Penbrook jemand in der Nähe der Tür zurück und nahm dann die Position am Kopfe des Tisches ein. Er blieb stehen und setzte sich nicht hin und sah wie ein nervöses Nervenbündel aus. Bis jetzt hatte er noch kein Wort mit Mackenzie gesprochen. Sie fragte sich, wie sauer er war, dass sie für zwei Tage nach Morrill County gefahren war.
“Okay, okay, alle hinsetzen”, sagte Penbrook laut. Die Dutzend Menschen innerhalb des Raumes setzten sich und die Gespräche ebbten ab und dann war es ruhig.
Er nahm sich zwei Minuten Zeit, um jeden im Zimmer auf den neuesten Stand zu bringen, über die Dinge, die hinter dem alten Gemüseladen am frühen Morgen passiert waren. Die Geschichte, die er erzählte, passte genau zu den Vorfällen, die der Obdachlose Mackenzie vor nicht fünfzig Minuten erzählt hatte.
“Also im Moment”, fügte er hinzu, als er mit der Erzählung fertig war, “kennen wir die Identität des Mannes immer noch nicht. Es gab keinen Ausweis, aber das könnte auch daher kommen, dass ein weiterer Landstreicher in der Gegend seine Taschen durchsucht hatte, nachdem er getötet worden war und dann geflohen ist. Wir wissen nichts über diesen Mann, außer die Tatsache, dass er auf dieselbe Art wie die anderen Landstreicher getötet wurde. Von dem Schuss aus nächster Nähe, bis zur Visitenkarte, ist es alles das Gleiche. Das ist bis jetzt alles, was wir haben.”
Damit ging er ein paar Dias des Tatorts durch. Mackenzie besah sich jedes einzelne, und hoffte auf eine Art Hinweis oder Zeichen, dass sie übersehen hatte, als sie vorhin dort gewesen war. Aber es gab nichts. Überhaupt nichts.
“Was ist mit der Maske?”, fragte einer der Agenten am Tisch. “Wenn es eine einzigartige Maske ist, dann könnten wir die Suche auf die Kostümläden einschränken.”
“So weit wir von den Zeugen erfahren haben, ist es eine normale Theatermaske”, sagte Penbrook. “Das bedeutet, dass wir jeden Walmart und Dollar Laden im Staat anschauen müssten.”
Es war einen Moment still im Raum, während Penbrook seine Diashow beendete. Als er fertig war, drehte er sich zu Mackenzie. Es lag ein leichtes Grinsen auf seinem Gesicht, das sich für Mackenzie ein wenig zu streitlustig anfühlte.
“Konnten Sie etwas während Ihres Aufenthalts in Morrill County herausfinden?”
Es war eine eklatante Art und Weise, sie vor der versammelten Menge herauszufordern. Sie sah Ellington aus dem Augenwinkel. Er zuckte zusammen, obwohl sie sich nicht sicher war, ob es wegen ihr war. Er kannte sie gut genug, um zu wissen, was nach einer solchen Herausforderung kam.
“Habe ich tatsächlich”, sagte sie. Obwohl die paar Dinge die sie herausgefunden hatte, eher unbedeutend waren, dachte sie, sie könnte sie als größere Hinweise darstellen, wenn es sein musste. Und nachdem er sie auf so eine Art aufgerufen hatte, wäre es genau das, was sie tun würde.
“Wollen Sie es uns mitteilen?”, fragte Penbrook.
“Naja, ich habe am Anfang angefangen … bei dem Mord an Benjamin White, meinem Vater. Wie die dickere Fallakte zeigt, war es der erste Mord vom dem auf so eine Art berichtet wurde. Schuss aus nächster Nähe in den Hinterkopf, mit der Visitenkarte dabei präsent. Jimmy Scotts und Gabriel Hambry wurden später auf dieselbe Art getötet. Ich habe mit dem Polizisten gesprochen, der den Fall meines Vaters geleitet hat und er sprach darüber, wie der Fall ins Nichts führte, sie aber trotzdem weiter machten. Dann aus dem Nichts wurde der Fall plötzlich ignoriert. Es war eine Anordnung, die von ganz oben kam und es wurde nie ein Grund dafür genannt.
Es gab auf jeden Fall Gerüchte, dass mein Vater undercover gearbeitet hat, in einem Versuch einen Drogenring auffliegen zu lassen, der in Mexiko gegründet wurde. Es wurde angenommen, dass sein Mord damit verbunden war, aber das ist zu einfach … Besonders wenn der Mörder jetzt Landstreicher tötet.”
“Also nichts Neues”, sagte Penbrook.
“Auf lange Sicht nein. Sagen Sie mir … welche bahnbrechenden Informationen, haben Sie hier erhalten, während ich für zwei Tage weg war? Sie hatten ein ganzes Team an Ihrer Seite. Sicherlich haben Sie etwas herausgefunden, während ich anscheinend meine Zeit verschwendet habe.”
“Das habe ich nicht gesagt, Agentin White. Und ich würde es zu schätzen wissen, wenn wir hier beim Thema bleiben könnten.”
“Das kann ich mir denken”, sagte sie.
Und dann, noch ehe ihr bewusst war, was sie tat, griff sie ihren Briefingbericht und stand auf. Sie ging wortlos zur Tür. Sie konnte die Augen aller auf sich ruhen fühlen – besonders die von Ellington, bis sie aus dem Zimmer war und die Tür hinter sich schloss.
Sie lief den Flur herunter, als sie langsam erkannte, dass obwohl Penbrooks Herausforderung schon grenzwertiges Mobbing verhalten war, ihre Reaktion total kindisch gewesen war.
Zur Hölle damit dachte sie. Auch wenn er McGrath anruft, um sich zu beschweren, was ich bezweifel, weil er mich vor den anderen herausgefordert hat, dass Schlimmste was ich bekomme, ist einen Klaps auf die Hand.
Mehr frustriert als je zuvor nahm sie den Fahrstuhl nach unten in die Lobby und ging zu ihrem Mietauto. Sie hatte keine Ahnung, wo sie hingehen oder was sie tun sollte. Sie musste einfach alleine mit ihren Gedanken sein, eine Weile weg von den Menschen. Sie wusste tief in ihrem Herzen, dass sie sich nicht genug Zeit erlaubt hatte, das kurze Treffen mit ihrer Mutter zu verarbeiten. Es nagte immer noch an ihr und lenkte jede Entscheidung, die sie traf – sowohl logisch, als auch emotional. Und bis dieser Fall abgeschlossen war, hatte sie Angst, dass dies auch weiterhin passieren würde.
Keine Hinweise. Keine potenziellen Fährten zum Aufnehmen. Die ganze Sache ist nur eine große Sackgasse. Und der schlimmste Teil daran war, weil sie Ellington immer noch nichts über ihre Vergangenheit erzählt hatte, konnte sie das alles nicht mit ihm verarbeiten. Denn auch wenn sie irgendwie ihr Berufsleben und ihr emotionales Leben trennen konnte, niemand kannte ihre privaten Gedanken über den Tod ihres Vaters und die Tentakeln des Hasses die dieser Fall in ihr aufzuwühlen schien.
Im Grunde genommen war sie alleine, so wie sie es wollte, als sie das Meeting verlassen hatte. Ganz alleine, mit niemanden zum Sprechen.
Nur …. Das stimmte nicht ganz.
Sie nahm ihr Handy und sah einen Moment darauf. Sie scrollte durch ihre Kontakte und hielt an einer Nummer an, die sie eine Weile nicht benutzt hatte – bei einem Namen, an den sie lange Zeit nicht mehr gedacht hatte.
Als sie ANRUFEN drückte, fühlte sie sich verzweifelt und ein wenig verloren. Aber da es absolut keine Anzeichen gab, dass dieser Fall bald zu einem Ende kam, war sie vielleicht wirklich verzweifelt.
In dem Fall war sie gewillt Hilfe zu suchen, wo immer sie sie finden konnte.