Als sie am dritten Stock ankam, gingen Ellington und Penbrook gerade an den Fahrstühlen vorbei und irgendwo den Flur weiter runter. Als Ellington sie sah, entschuldigte er sich bei Penbrook und kam in ihre Richtung. Als er das tat, war sie bereits auf den Weg in den Konferenzraum am Ende der Halle.
Er beeilte sich, sie einzuholen. Als er an ihrer Seite war und mit ihr Schritt hielt, kicherte er. “Du bewegst dich schnell. Ich nehme an du bist auf was gestoßen?”
“Vielleicht. Erinnerst du dich an die Visitenkarte auf meiner Windschutzscheibe?”
“Ja.”
“Sie war falsch. Jemand in DC hat mich beschissen.”
“Was?”
Sie erzählte ihm alles, während sie in einen leeren Konferenzraum gingen. Als sie fertig war und ihm von Harrisons Anruf vor zehn Minuten erzählte, arbeitete er schnell, um ihr Handy mit dem Laptop und dem Projektor auf dem Tisch zu verbinden. Es machte sie glücklich zu erkennen, dass sie auch trotz der Spannung zwischen ihnen reibungslos zusammenarbeiteten – sowohl während, als auch nach der Arbeit. Sie hatte ihm nicht einmal gesagt, was sie mit dem Projektor vorhatte und vom Live Stream erzählt, er hatte es einfach gewusst.
Der Projektor lief und die Konferenzraumtür war geschlossen und Mackenzie machte einen FaceTime Anruf. Harrison antwortete sofort. Es tat Mackenzie ein wenig gut, die Aufregung auf seinem Gesicht zu sehen.
“Kann’s los gehen?”, fragte er. “Ja. Ellington ist auch hier.”
“Okay. Es wird einen kleines Echo geben, während ich dich in den Verhörraum verbinde. Aber warte eine Sekunde.”
Harrison legte das Handy weg, drückte auf einen Kopf und das Echo ließ den Bildschirm scheinbar vibrieren. Dann zwei Sekunden später sah sie den Verhörraum. Agentin Yardley saß am Tisch in der Mitte des Zimmers. Ihr gegenüber war ein Gesicht, dass sie mehrmals gesehen hatte, aber nicht so gut kannte. Es war ein südamerikanischer Mann in ihrem Alter. Er hatte kurz geschnittenes Haar und sah sehr nervös aus.
Eine Stimme sprach aus dem Hintergrund. Mackenzie war sich ziemlich sicher, dass es McGrath war, der außerhalb der Kamerareichweite stand. Er sagte ihr, dass sie loslegen konnte, und wies darauf hin, dass Mackenzie im Feed war.
“Agent Fernandez, seit wann sind Sie schon Agent?”, fragte Yardley.
“Drei Monate”, sagte der Mann.
“Als sie also in die Akademie gekommen sind, war Agentin Mackenzie White nicht in ihrer Ausbildungsklasse, stimmt das?”
“Das stimmt.”
“Aber Sie wussten, wer sie war?”
“Ja, die meisten von uns kannten sie. Sie war wie diese Geschichte, die wir erzählt bekamen … ein Beispiel dafür, wie jemand der gerade angefangen hat, so schnell aufsteigen kann.”
“Und haben Sie Ihre Karriere verfolgt?”
“Nicht wirklich. Sie hat diesen Ruf doch nur, weil sie so krass drauf ist. Ich habe von einigen Fällen gehört, die sie abgewickelt hat, aber ich war nur interessiert, weil sie so jung ist. Solche Geschichten sind eine tolle Motivationsquelle für alle in der Akademie.”
“Natürlich. Aber sie hat den Ruf, weil sie sich den Arsch aufgerissen hat”, sagte Yardley. “Das und weil sie einfach gut ist, bei dem was sie tut.”
Yardley lehnte sich zurück und sah in Richtung McGrath, der immer noch nicht im Bild zu sehen war. Sie wollte anscheinend sehen, ob er etwas hinzufügen wollte. Aber wollte er anscheinend nicht.
“Sie wissen, warum Sie hier sind, korrekt?”, fragte Yardley Fernandez.
“Weiß ich und es tut mir leid –“
“Ich will keine Entschuldigungen”, schnitt ihm Yardley das Wort ab. “Ich will wissen, woher Sie überhaupt von den Visitenkarten wussten. Wie haben Sie von den Barker Antiquitäten Visitenkarten erfahren?”
“Jemand hat mir davon erzählt.”
“Wer?”
“Ich weiß es nicht mehr. Ehrlich. Wir haben mit ein paar Leuten etwas getrunken, in einer Bar. Jemand hat von diesem Fall in Nebraska erzählt, der vielleicht mit dem Mörder von Whites Vater verbunden war. Das fand ich interessant.”
“Den Mörder?”
“Nein. Den Fall. Weil er so weit zurückgeht. Ich habe also gefragt, was sie noch so wissen.”
“Und sie wussten von den Visitenkarten?”
Fernandez nickte. Obwohl Mackenzie es irritierend fand, dass ihre Vergangenheit von den Mitgliedern der Akademie in einer Bar diskutiert und analysiert wurde, wusste sie auch, dass es dabei keinen wirklichen Schaden gab. Außerdem waren die größeren Details des Falles nicht einmal klassifiziert. Jeder ohne Moral und mit der Neigung innerhalb des Büros Dreck aufzuwühlen, hätte es herausfinden können. Und anscheinend hatten sie das.
“Ja. Sie sagen der Mörder hinterließe Visitenkarten an den Tatorten. Sie sagten, da war vielleicht auch eine, als Whites Vater ermordet wurde.”
“Und wer hat Ihnen das alles erzählt?”, fragte McGrath, seine Stimme klang wie ein unsichtbarer Gott im Hintergrund.
Fernandez schaute weg und fand seine Hände plötzlich sehr interessant. Mackenzie war sich sicher, dass er keinen Namen verraten würde. Es gab einen Sinn von Kameradschaft unter denjenigen in der Akademie, der von Zeit zu Zeit mit denen der Männer im Militär konkurrierte. Merkwürdigerweise respektierte sie ihn dafür. Sie wusste, dass McGrath es trotz des Mangels an Kooperation ebenfalls zu schätzen wusste.
“Warum also der Streich?”, fragte Yardley.
“Eifersucht”, antwortete Fernandez. “Die Gerüchte gehen um, wissen Sie? Klar, wir sehen White alle schon fast als Vorbild … hey, das kann dir auch passieren. Die Art. Aber es war auch ziemlich offensichtlich, dass sie vorgezogen und ausgewählt wurde, für ihren schnellen Aufstieg von Beginn an.”
“Wie das?”, fragte Yardley.
Fernandez zuckte mit den Schultern. “Sie wurde mit Agent Ellington als Partner eingestellt. Einige sahen sie zum Büro des Chefs gehen. Es war … Gott, es hört sich so kindisch an, aber es schien einfach ungerecht. Und es hat nicht lange gedauert für diese Person, zu der wir hochgeschaut haben, dieses Symbol dafür zu werden, wie Menschen manchmal einfach nach vorne kommen, aufgrund ihrer Situation.”
“Sie wollen mir damit sagen”, mischte McGrath sich ein, ”dass Sie glauben, dass der Fall Ihres Vaters ihr irgendwelche Vorzüge in Fällen und Partnern gibt, denen sie zugeteilt wurde?”
“Ich weiß jetzt, dass das nicht der Fall war. Aber es sah so aus. Die Visitenkarte … wir haben ein paar gemacht. Wir dachten, das wäre lustig.”
“Whites Vater ist tot”, sagte Yardley. “Verstehen Sie das? Wie zum Teufel können Sie glauben, dass ein Scherz mit diesen Sätzen lustig ist?”
Mackenzie fühlte Ärger in sich aufsteigen. Ehe sie das überkam, beendete sie den FaceTime Anruf. Sie nutzte ihr Handy, um Harrison eine Nachricht zu schreiben. Sie können mit ihm machen was sie wollen, schrieb sie. Ich werde keine Anklage erheben.
“Willst du nicht den Rest hören?”, fragte Ellington.
“Nein, ich habe genug gehört und ich weiß, wie es enden wird.”
“Bist du Okay?”
Sie nickte, lehnte sich mit verschränkten Armen gegen die Wand. “Mir geht es besser, als es sollte. In den letzten Tagen habe ich meine Mutter getroffen, herausgefunden, dass ich mit der Visitenkarte in DC verascht wurde und jetzt glaube ich, werde ich zu meiner Schwester fahren.”
“Wegen des Falles …. oder privat?”
“Beides.”
“Willst du, dass ich mitkomme?”, fragte Ellington. Aber er fragte auf eine Art, die sie glauben ließ, dass er ihre Antwort bereits kannte – und es enttäuschte ihn.
“Nein, danke. Sie ist gerade in Kansas City. Wenn ich jetzt fahre, bin ich um Mitternacht oder so zurück. Wenn die Dinge gut laufen.”
“Mac … Hör zu. Ich weiß nicht, was mit dir los ist – mit uns – aber …”
“Ich auch nicht. Und jetzt ist nicht die Zeit das herauszufinden. Macht es dir etwas aus, hier zubleiben, während ich mit meiner Schwester rede?”
“Gibt es einen Hinweis, der es wert ist, angeschaut zu werden?”
Sie warf ihm einen wütenden Blick zu, aber sie nahm an, sie schuldete ihm ein Update. Sie verbrachte also die nächsten fünf Minuten damit, ihm von ihrem späten Mittagessen mit Peterson zu erzählen. Es war klar, das ihm das nicht gefiel, dass sie sich mit ihm getroffen hatte, aber er sagte nichts. Am Ende schien er aufgeregter über den möglichen Hinweis, als über das Mittagessen selbst.
“Und trotzdem willst du nicht, dass ich mit dir mitgehe? Auch wenn ich Gefahr laufe, meinen Rank zu riskieren, das ist auch mein Fall.”
“Wenn es irgendjemand anderes außer meiner Schwester wäre, dann wäre das gar keine Frage. Aber du verstehst nicht, wie das zwischen uns ist. Wenn ich als Agentin mit einem Partner an meiner Seite auftauche, wird sie nutzlos sein. Wenn nur ich es bin, dann gibt es zumindest eine kleine Chance.”
Er nickte und gab sich mit der Tatsache zufrieden, dass sie recht hatte. Aber das hieß nicht, dass er damit glücklich war.
“Gut”, sagte er. Dann ging er zur Tür und Mackenzie konnte sich nicht erinnern, ihn jemals schon so sauer gesehen zu haben. “Pass nur auf, dass du nicht vergisst, mir die Details zu erzählen, wenn du Zeit hast.”
Er verließ den Raum, noch ehe Mackenzie ein weiteres Wort sagen konnte. Und das war okay für sie, … sie hatte sowieso nichts zu sagen. Sie blieb dort an der Wand gelehnt sitzen, die Arme in einer abwehrenden Haltung verschränkt.
Auch als sie sich von der Wand entfernte und sich an den Tisch im Konferenzraum setzte, fühlte sie sich immer noch starr und angespannt, immer noch in einer abwehrenden Haltung. Das kam von der Tatsache, dass sie wusste, dass sie mit ihrer Schwester sprechen musste. Daher zog sie ihr Handy heraus, suchte Stephanies Nummer zum ersten Mal nach einem Jahr und starrte eine Weile darauf, ehe sie handelte.