Sie fuhr direkt zur Legion Halle, die sich im Westen von Belton befand. Es lag direkt an der Autobahn, inmitten eines asphaltierten Parkplatzes, der dringend eine Reparatur brauchte. Als sie dort um 14:05 Uhr parkte, sah sie nur fünf Autos auf dem Parkplatz – eines davon schien anscheinend zu dem Mann zu gehören, der auf dem fahrbahren Rasenmäher saß, und Runden auf dem Rasen fuhr.
Sie erlaubte sich einen Moment sich zu strecken, ehe sie eintrat. Die Fahrt und die Anspannung der letzten zwei Tage hatten sie im Griff. Jeder Muskel fühlte sich angespannt an, jedes Gelenk entzündet und wund. Sie wusste, sie konnte nicht so hin und herfahren, wie es ihr passte. Nicht nur was eine gute Art den Fortschritt des Falls aufzuhalten, sondern es forderte auch seinen Tribut.
Als sie in die Legion Halle ging, war das überhaupt nicht die Art von Ort, die sie erwartet hatte.
Ehrlich gesagt, sah es mehr, wie ein Gemeinschaftszimmer in einem Altersheim aus – vielleicht ein wenig besser dekoriert. Ein Fernseher stand an der Wand und im Moment lief eine Spielshow, die ganz leise gedreht war. Sie stellte sich ihren Vater vor mit mehreren anderen Männern über Fußball redend und sie musste lächeln.
Es befanden sich noch drei weitere Menschen in dem Zimmer. Eine ältere Dame nähte etwas, während sie auf einem großen Sofa saß. Ab und zu schaute sie auf die Spielshow, während ihre Finger weiter an ihrem motorischen Gedächtnis mit dem Nähzeug auf ihrem Schoß arbeiteten. Auf der Längsseite des Zimmers spielten zwei Männer ein Spiel. Einer der Männer sah älter aus – vielleicht siebzig oder so- während der andere sicherlich nicht älter als fünfzig war.
Sie nutzte ihre Chance und ging zu den beiden Männern. Der ältere Mann sah sie an, als er sie sich nähern sah und warf ihr einen befremdlichen Blick zu.
“Hast du dich verlaufen Süße?”, fragte er. Es lag Charakterstärke in seiner Stimme, als er sie Süße nannte, sie fühlte sich nicht beleidigt.
“Nein, ich glaube nicht”, antwortete sie. Dann zeigte sie den Männern ihren Ausweis und stellte sich vor. Sie nannte ihren Namen so schnell wie möglich, in der Hoffnung, dass diese Männer sich nicht mit ihrem Nachnamen aufhielten. In Belton, wusste sie, wäre das ein Risiko, wo immer sie hinging.
“FBI?”, sagte der vielleicht Fünfzigjährige. “In Belton?”
“Ja, Sir”, antwortete sie. “Ich versuche ein wenig Informationen über einen Mord zu sammeln, der hier vor über zwanzig Jahren stattfand. Bis heute ist dieser Fall ungelöst und wir glauben, dass Mörder wieder in Omaha zugange ist.”
“Und wie können wir helfen?”, fragte der Ältere, jetzt gelangweilt von dem Kartenspiel – Rummy wie Mackenzie sah, jetzt da sie näher am Tisch stand.
“Können Sie mir Ihre Namen nennen?”
Der ältere Mann schien einen Moment argwöhnisch, gab aber dann nach. “Ed Patterson.”
“Und ich bin Bernie Toombs”, sagte der Fünfzigjährige.
“Danke, meine Herren. Ich frage mich, ob einer von ihnen einen Mann namens Benjamin White kannte. Er ist vor ungefähr achtzehn Jahren gestorben –“
Ed Patterson begann zu kichern, auf eine Art die sich irgendwie seltsam anhörte, aber aus seiner Kehle kam und ein wenig traurig schien.
“Ist irgendetwas daran lustig?”, fragte Mackenzie.
“Ja, verdammt, ich kannte Ben. Er war ein einheimischer Polizist. Guter Mann, aber er konnte kein Dart spielen.”
“Sie kannten ihn also persönlich?”, fragte Mackenzie.
“Ja. Er hat hier ab und anx rumgehangen. Wir hatten diese inoffizielle Dartliga, die in der Legion Halle stattfand. Normalerweise waren das nur eine Menge Männer, die getrunken haben. Ben war in meinem Team und man … er war nicht gut. Mein Gott … ich habe ewig nicht an Ben gedacht.”
“Und Sie?”, fragte Mackenzie den anderen Mann.
“Ich wusste, wer er war”, sagte er. “Ich habe ihn ab und zu mal gesehen. Ich war da erst dreißig oder so. Ein paar Jahre jünger als er, glaube ich. Ich habe ihn nur an Sonntagen gesehen, wenn es Fußball gab. Und ja … er schien ein guter Mann zu sein. Er war ein Chiefs Fan …das war schon ziemlich schade.”
Eine flüchtige Erinnerung blitzte in Mackenzies Kopf auf. Sie konnte ihren Vater sehen, wie er im Haus arbeitete oder Gartenarbeit machte. Ein verlottertes altes Kansas City Chief Cap auf seinem Kopf, so niedrig, dass man nur schwer seine Augen sehen konnte. Sie hatte dieses Detail von ihrem Vater nicht unbedingt vergessen, aber es war irgendwohin in die fernen Vertiefungen ihrer Erinnerungen geraten. Es so klar zum ersten Mal seit Langem zu sehen, war überwältigend.
“Also, Herr Patterson es scheint, dass sie ihn genug kannten, um ihn als Freund zu bezeichnen. Würden Sie das so sagen?”
“Ja ich nehme an schon. Ich meine, er war gut zwanzig oder fünfundzwanzig Jahre jünger als ich, aber ja. Ich glaube, ich habe ihn als Freund bezeichnet. Außerdem hatte ich schon immer viel Respekt vor Polizisten. Es ist ein dankloser Job die meiste Zeit.”
“Hat er jemals seine Familie erwähnt?”, fragte sie.
“Ja, manchmal. Er hat zwei Töchter, wenn ich mich richtig erinnere. Und seine Frau … die Arme. Ich glaube, sie ist irgendwie verrückt geworden, nachdem er gestorben ist.”
Gott sei Dank hatten sie nicht aufgepasst, als sie ihren Namen genannt hatte. Mackenzie machte weiter, ehe er eine Verbindung herstellen konnte.
“Erinnern Sie sich, ob Sie ihn kannten, bevor er Kinder hatte?”
Ed dachte eine Weile darüber nach und nickte dann langsam und zögernd. “Ich glaube ja. Ja, ich erinnere mich, dass einige unser Männer ihn ziemlich geneckt haben, als er geheiratet hat. Da habe ich ihn kennengelernt… nicht lange nach dem er geheiratet hat. Ich weiß nicht, wie lange das war, ehe er Kinder hatte. Vielleicht ein paar Jahre.”
“Und wissen Sie irgendetwas über seine Arbeit, ehe er Polizist wurde oder direkt, als er Polizist geworden ist?”
Wieder dauerte es einen Moment für Ed, um in seinen Erinnerungen zu graben. “Ich glaube nicht”, sagte er endlich. “So weit ich weiß, ist das alles, was er je gemacht hat.”
“Naja”, sagte Bernie, “er war eine Weile Vermieter. Ich habe sogar einer der Wohnungen gemietet, die er verwaltet hat.”
Danke Gott für die kleinen Städte, dachte Mackenzie.
“Sagen Sie gerade, dass Sie eine Wohnung von Benjamin White gemietet haben, als er einen Wohnkomplex verwaltet hat?”, fragte Mackenzie.
“Ja. Aber Wohnkomplex ist wohl noch zu großzügig. Der Ort war ein Loch. Er hat alles Mögliche versucht mit diesem kaputten Gebäude, das er hatte, aber es war zu viel für ihn, glaube ich. Am Ende ist er es losgeworden. Und ich bin nicht zu lange danach auch ausgezogen.”
“Ja. Ich erinnere mich, dass er darüber gemeckert hatte”, sagte Ed. Ein stolzes Lächeln erschien auf seinem Gesicht, als er kurz an diese vergrabene Erinnerung dachte.
“Und Herr Toombs, wo befindet sich das Eigentum?”
“Drüben in Elm Branch”, sagte er. “Es liegt an einer Straße die praktisch tot und stillgelegt ist, aber das Gebäude ist immer noch da. Es liegt seit Jahren still.”
Elm Branch, dachte sie während ihr Herz in einen anderen Gang schaltete. Sie kannte Elm Branch gut. Es war ein wenig größer als Belton, eine Stadt im Osten – eine Autofahrt von ca. fünfzehn Minuten.
Ihre Nerven fühlten sich wie Feuer an und sie konnte nicht schnell genug aus der Legion Halle herauskommen. Ein Teil von ihr wollte sich in der Tatsache, dass dies ein Ort war, der ihrem Vater einmal etwas bedeutet hatte, vergraben. Aber die Zeit für Nostalgie war vorbei. Was war der Punkt an den alten Geistern ihres Vaters festzuhalten, wenn sie endlich eine solide Verbindung hatte?
“Erinnern Sie sich an die genaue Adresse?”, fragte Mackenzie Toombs.
“Ja. Es war meine erste Wohnung, also ist es irgendwie bei mir im Gedächtnis geblieben – wie die erste Telefonnummer, wissen Sie? Es war 167 Spruce Straße.”
“Vielen Dank”, sagte sie. “Zu guter Letzt würden die Herren mir ihre Handynummer geben, falls ich noch mehr Informationen brauche?”
Am Ende waren beide erfreut darüber. Besonders Ed Patterson schien recht aufgeregt, Teil dieser Ermittlung zu sein. Seine wieder an die Oberfläche gekommenen Erinnerungen an einen alten Freund ließen ihn breiter lächeln, als vorher, als sie in die Legion Halle gekommen war.
Mackenzie ging mit beiden Nummern in ihrem Handy gespeichert, obwohl Sie ein Gefühl hatte, dass sie diese wahrscheinlich nicht brauchen würde. Sie hatte gelernt, die Momente in einem Fall zu erkennen, wenn die Dinge an Schwung gewannen – wenn die zahlreichen Sackgassen sich so gestapelt hatten, dass sie die Früchte eines vielversprechenden Hinweis sehen konnte.
Sie fühlte sich beschwingt, als sie ins Auto stieg und nach Elm Branch fuhr, zum ersten Mal, seit sie vierzehn war. Sie rief beinahe Stephanie an, um ihr für den Vorschlag zu danken, aber entschied sich dann dagegen. Sie kam endlich vorwärts, konnte endlich versuchen, die Vergangenheit hinter sich zu lassen. Und bis sie das erfolgreich tun konnte, dachte sie, wäre es das Beste, wenn all die anderen Dinge von ihrer Vergangenheit auch hinter ihr blieben.
Während sie zur Stadt Elm Branch fuhr, klingelte ihr Handy. Es war Harrison und er hörte sich ziemlich stolz auf sich selbst an.
“Trevor Black”, sagte er. “Ich habe Ergebnisse. Er ist kürzlich in einem Feuer in Napa gestorben. Ich habe geschaut, ob er irgendwas mit Immobilien zu tun hatte, wie du gesagt hast. Es hat sich herausgestellt, dass er tatsächlich in einem kleinen Bauprojekt involviert war, dass schwache Einkommenshäuser renoviert. Eine Art Wohltätigkeitsding, dass er als Teil seiner Bewährung gemacht hatte.”
“Wo war das?”, fragte sie.
“Lincoln, Nebraska.”
“Irgendeine Ahnung, wie er nach Napa gekommen war?”
“Er lebte mit einer Tante, so weit ich weiß. Die Tante hat es aus dem Haus geschafft, ehe das Feuer es zerstört hat. Trevor hatte nicht so viel Glück.”
“Der gemeinnützige Bau”, sagte sie. “Hat sich das als richtig herausgestellt?”
“Ja. Ich habe jemanden die Organisation anrufen lassen. Sie sagen ihre Aufzeichnungen bezeugen, dass Trevor Black sich sehr ins Zeug gelegt hat und nie irgendwelche Probleme gemacht hat. Sie haben ihn als okay Mann bezeichnet, der noch ein bisschen erwachsen werden muss.”
Dafür ist es jetzt zu spät, dachte Mackenzie sarkastisch, als sie erkannte, dass der Trevor Black Hinweis, jetzt eine Sackgasse war.
“Danke Harrison”, sagte sie und beendete den Anruf.
Sie fuhr nach Elm Branch, drückte die Sackgasse mit einem Bild von ihrem Vater in ihren Gedanken weg. Sein Chiefs Cap war auf seinen Kopf gedrückt und er trug einen Schraubenschlüssel in seiner Hand und ging hinaus, um das alte Auto, dass er auf der Einfahrt hielt, aber selten nutzte, zu reparieren.
In ihrer Erinnerung lächelte er.
Außerhalb ihrer Albträume war es die klarste Erinnerung, die sie von ihm hatte, in der er ein ehrliches Lächeln auf seinem Gesicht hatte.
Sie behielt es im Zentrum ihrer Gedanken, während sie aus Belton rausfuhr und in eine weitere kleine Stadt, in der ihr Vater versucht hatte, sich einen Namen zu machen, bevor sie überhaupt ein Funkeln in seinen Augen war.
Sie fühlte, wie der Kreis sich schloss – wenn nicht für den Fall selber, dann sicherlich für diesen verworrenen Faden in ihrer Vergangenheit.