Mackenzie dankte Sheriff Fredericks für seine Hilfe und bat darum einen Polizisten zu bekommen, der sie zu ihrem Motel fahren würde, wo sie sofort in ihr eigenes Auto stieg und Ellington anrief. Er antwortete sofort und hörte sich wütend an.
“Warum gehst du nicht an dein Scheißhandy?”, knurrte er. “Ich habe mir solche Sorgen gemacht!”
“Der Mörder ist hier in Belton”, sagte sie. “Er hat eine Nachricht für mich auf der letzten Visitenkarte hinterlassen. Die Dinge werden hier gerade klar und ich hatte keine Zeit dich wegen der Updates anzurufen, bis jetzt. Ist das Okay?”
“Eine Nachricht? Was für eine Nachricht?”
Sie erzählte ihm kurz vom Tatort und was sie auf der Rückseite der Visitenkarte gefunden hatten, nachdem Fredericks sie entfaltet hatte. Als sie es erzählte, bekam sie immer noch eine Gänsehaut und sie musste sich wieder an die schrecklichen Fakten erinnern, die alle in der letzten halben Stunde an die Oberfläche gekommen waren.
Der Mörder ist hier in Belton. Und er weiß, dass ich hier bin. Aber warum jagt er mich? Will er meine Aufmerksamkeit? Wird er als Nächstes zu mir kommen?
“Also hast du ein gutes Gefühl, dass der Fall aus welchem Grund auch immer jetzt quasi sich verlegt hat? Der Mörder dort, der letzte Mord ist dort … Belton ist der Hotspot?”
“Scheint so.”
“Dann komme ich dahin.”
Sie wollte fast widersprechen, wollte die Wichtigkeit seiner Anwesenheit im Büro hervorheben. Aber es machte Sinn – sowohl logisch, als auch zu ihrer eigenen Sicherheit.
“Vielleicht solltest du erst mal schlafen”, sagte sie und erkannte, dass dies bereits für sie eine schlaflose Nacht werden würde.
“Du hast gut reden. Irgendwelche Hinweise?”
“Wir haben eine Zeugin, die vor ca. zwanzig Minuten den Notruf gewählt hat. Ich bin auf dem Weg zu ihr, um mit ihr zu sprechen. Sie scheint ziemlich aufgeregt. Ich denke, wir werden etwas bekommen.”
“Hört sich vielversprechend an. Hör zu … geh aber nicht allein. Bitte sei vorsichtig.”
“Werde ich”, sagte sie, gerührt von seiner Sorge.
Sie beendete den Anruf und suchte die Adresse hervor, die Amanda Napier hinterlassen hatte, als sie angerufen hatte. Fredericks war einverstanden Mackenzie so schnell wie möglich an dem Wohnort zu treffen, aber Mackenzie sah keinen Sinn darin, zu warten. Sie fuhr vom Motel Parkplatz und fuhr die kurze Sieben minütige Strecke zu Amandas Haus.
Es war 12:26 morgens und für Mackenzie war der Tag bereits im vollen Gange.
***
Zu ihrer Überraschung lief Sheriff Fredericks bereits Amanda Napiers Treppe hoch, als sie in die Einfahrt fuhr. Es war ein kleines Haus, aber es sah nett aus – es gehörte zu den schöneren, die sie bei ihrer Rückkehr in Belton gesehen hatte. Er wartete, bis sie aus dem Auto stieg, aber schien in keiner großer Eile zu sein. Er war fast sechzig und hatte die Art von Gesicht, das nur wenig Emotionen zeigte. Es war schwer zu sagen, wie er sich in dem Moment fühlte, aber sie musste annehmen, dass es wohl die typische Kleinstadt Polizistenreaktion auf einen grausamen Mord war.
“Wir müssen es noch bestätigen, um sicher zu sein”, sagte Fredericks, “aber es sieht so aus, als wenn Wanda Young mit einer Art Hammer oder einer stumpfen Axt geschlagen wurde. Zwei Mal in die Seite des Kopfes und dann in den Magen. Der in den Magen ist tief eingedrungen. Anscheinend ist er bis in die Gedärme gedrungen.”
Mackenzie speicherte die Informationen in ihrem Gedächtnis, nickte und klopfte dann an Amanda Napiers Vordertür. Mackenzie konnte sofort Fußschritte hören, die sich näherten.
“Noch eine Sache”, sagte Fredericks. “Ich kenne Amanda ziemlich gut. Wenn Sie mich mit den Fragen beginnen lassen, wird das einfacher. Sie dürfen dann aber gerne beenden.”
Mackenzie hatte keine Zeit zu antworten. Amanda kam sofort zur Tür. Man sah, dass sie geweint hatte. Aber sie sah auch beunruhigt wegen etwas aus. Sie sah von Fredericks zu Mackenzie, hin und her, als wenn sie darauf warten würde, dass sie sie für etwas bestraften. Sie schien den seltsamen Fluchtreflex, der sie zur Tür getragen hatte, dann abzuschütteln und lud sie mit einer Handbewegung dazu ein, einzutreten.
Amanda führte sie in ihr Wohnzimmer, ein nett dekorierter Raum gefüllt mit Büchern und Kissen. Amanda ließ sich auf ihre Couch fallen und umarmte ein Kissen neben ihr. Mackenzie nahm an, dass die Frau in den frühen Dreißigern war, auch wenn man das schwer feststellen konnte, bei der Röte unter ihren Augen und dem gesamt zerzausten Zustand, in dem sie sich befand.
“Amanda”, begann Fredericks, “Ich wollte Ihnen noch einmal die Möglichkeit geben, mir zu erzählen, wie Sie gesehen haben, was mit Wanda passiert ist. Können Sie das?”
Amanda nickte, aber es war klar, dass sie das nicht wollte. Mackenzie beobachtete ihr Verhalten, während sie Fredericks antwortete und es war klar, dass sie etwas versteckte. Jedes rote Warnsignal, das zur Verfügung stand, ging in Mackenzies Kopf an.
“Ich sah, wie sie die Stufen zu ihrem Haus hochging. Und dann ist jemand aus dem Nichts gekommen und hat sie irgendwie … angegriffen. Ich habe einen Schlag gesehen … vielleicht zwei.”
“Hatte der Mann irgendetwas in der Hand?”, fragte Mackenzie.
“Ich glaube schon, aber ich konnte nicht sehen, was es war.”
“Um ehrlich zu sein Amanda”, sagte Fredericks, “ich bin mir nicht sicher, wie Sie etwas gesehen haben können. Wandas Haus ist ziemlich weit weg von der Straße. Ich weiß, man kann die Seite davon von der Straße aus sehen, aber nicht die Veranda. Außer ich liege völlig falsch. Aber ich glaube, damit Sie so etwas gesehen haben können, müssten Sie schon auf der Einfahrt gewesen sein.”
Mackenzie sah zu, wie Amandas Augen sich auf den Boden richteten. Ihre Schultern spannten sich an und ihre Finger verkrampften sich um das Kissen, dass sie hielt.
“Was ist los, Amanda?”, sagte Fredericks. “Was mit Wanda passiert ist, ist eine Tragödie, aber da ist doch mehr dahinter. Wir glauben, dass sie das neueste Opfer eines Mannes ist, der mehrere Menschen getötet hat. Wenn Sie also noch etwas wissen, müssen Sie uns das jetzt sagen.”
Amanda schaute sie wieder an und wog ab, ob das was Fredericks gesagt hatte, stimmte. Als sie die Ehrlichkeit in den Gesichtern sah, begann ihre Oberlippe zu zittern.
“Sheriff Fredericks … Sie dürfen das keinem sagen. Es kann mich ruinieren, wenn …”
“Was ist denn?”, fragte Fredericks. Er behielt eine ruhige, kühle und gefasste Stimme bei. Es erinnerte Mackenzie an einen Arzt, mit ausgezeichnetem Verhalten, der versuchte seine schlechten Nachrichten in etwas zu verwandeln, das nicht zu schlimm war.
“Ich war in der Einfahrt. Ich hatte sie gerade nach Hause gebracht.”
“Sie beide waren in der Nacht zusammen?”
“Ja. Wir … wir haben uns privat getroffen.”
“Getroffen?”, fragte Fredericks, als wenn er das Wort noch nie zuvor gehört hatte. Er schien ehrlich verblüfft, sodass Mackenzie dachte, sie sollte ihm ein wenig zur Hilfe kommen, ehe das hier merkwürdig wurde.
“Amanda, meinen Sie, dass Sie und Wanda eine intime Beziehung haben?”
Amanda nickte. Als Fredericks diese Bestätigung sah, schaute er auf den Boden. Mackenzie war sich ziemlich sicher, dass sein Gesicht ein wenig rot wurde. Er seufzte und schaute zu Mackenzie und gab ihr ein zustimmendes Nicken weiter zu machen.
“Wie lange geht das schon?”, fragte sie.
“Vielleicht zwei Monate. Wir haben uns normalerweise hier getroffen, weil ich so etwas wie ein Niemand bin. Zweiunddreißig Jahre alt und geschieden. Aber Wanda hat Geld und hat diesen Superruf. Missionsarbeit durch die Kirche. Niemand hat je ein schlechtes Wort über sie verloren. Also habe ich sie normalerweise zu Hause oder an irgendeiner Stelle in der Stadt abgeholt. Manchmal haben wir uns ein Hotelzimmer genommen.”
“Und heute …. war sie hier?”, fragte Mackenzie.
“Ja.”
“Wann haben Sie sie abgesetzt?”
“Ich erinnere mich nicht. Aber ich erinnere mich an die Zeit, als ich sah, was in ihrem Haus passiert. Ich habe auf die Uhr auf meinem Armaturenbrett geschaut, weil ich wusste, dass ich die Polizei rufen musste. Es war dreizehn Minuten nach elf.”
“Und als Sie gesehen haben, was auf der Veranda passiert, was haben Sie getan?”, fragte Mackenzie.
“Ich bin ausgestiegen und bin ein paar Schritte gegangen. Ich habe gerufen, irgendetwas Dummes. Etwas wie Hey, aufhören! Ich kann mich nicht erinnern, wirklich. Aber dann hörte ich das Geräusch … etwas hat etwas wirklich hart getroffen … es hat sich angehört wie jemand, der ein Steak auf den Teller wirft.” Sie keuchte hier, nahm einen Zug und machte dann mit einem Zittern in ihrer Stimme weiter. “Ich habe das gehört und wusste, dass es zu spät war. Also bin ich zurück zu meinem Auto gerannt und bin abgehauen.”
“Und warum haben Sie so lange gewartet, bis Sie die Polizei gerufen haben?”, fragte Mackenzie.
“Weil ich mich wie ein Feigling fühlte. Und weil … ich nicht sicher war, wie ich es machen sollte. Ich habe mir Sorgen darüber gemacht, was die Leute denken würden, wenn sie es herausfinden. Ich weiß, dass es egoistisch ist, aber es ist die Wahrheit und es tut mir leid.”
“Haben Sie den Angreifer sehen können?”
“Ich habe sein Gesicht nicht gesehen”, antwortete Amanda. “Er trug einer dieser Kostüm Masken. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich Haar da herausstehen sehen hab, als wenn er eine Vokuhila hätte.
Er sah aus wie ein durchschnittsgebauter Mann. Und seine Kleidung war ziemlich schäbig. Ich glaube, er war die Art von Mann, der wahrscheinlich seit Tagen nicht gebadet hat, wissen Sie?”
Es wurde einen Moment ruhig, während Mackenzie und Fredericks das sacken ließen. “Amanda”, sagte Fredericks mit derselben ruhigen Sicherheit in seiner Stimme. “Bitte verstehen Sie … wir reden über Wanda Young. Ich werde sicherstellen, dass das nicht öffentlich wird, aber damit wir die Geschichte stützen können … gibt es irgendeinen Beweis für die Beziehung?”
Amandas Gesicht schien sich zu straffen, als sie nickte und wieder auf den Boden schaute. “Wir haben uns selbst gefilmt. Zwei Mal. Ein Mal war im Motel. Wir haben ihr iPad dazu benutzt, also bin ich mir nicht sicher, wo sie es gespeichert hat. Vielleicht auf ihrer iCloud oder ihrem Computer.”
“Sind Sie sich sicher?”, fragte Fredericks.
“Ziemlich sicher, ja.”
“Vergeben Sie mir, dass ich frage”, sagte Mackenzie. “Sie sagen, Sie sind zweiunddreißig. Und Wanda war … mindestens fünfzig?”
“Genau fünfzig”, sagte Amanda.
“Wenn man sich ihren Status in der Stadt und den Altersunterschied anschaut, muss ich das fragen: War es eine einvernehmliche Beziehung?”
“Ja. War es. Wir haben einfach … Spaß gehabt am Anfang. Aber dann wurde es mehr und es fühlte sich gefährlich an – aber echt, wissen Sie?”
“Und wissen Sie zufällig, worum es bei ihren Missionstrips ging?”, fragte Mackenzie.
“Bauprojekte irgendwo in der Nähe von Zimbabwe, glaube ich. Sie redete schon darüber, nächstes Jahr wieder hinzufahren.”
Mackenzie nickte und schaute zurück auf die Vordertür. Sie war sich ziemlich sicher, dass sich jemand an einem Punkt die Videos von Amanda und Wanda anschauen müsste. Aber das war nicht relevant für heute, so weit Mackenzie sich bewusst war. Sie konnte von dem emotionalen Status und den peinlichen Details die Amanda Napier mit Ihnen geteilt hatte, sehen, dass sie nichts mit dem Mord zu tun hatte.
“Danke, Amanda”, sagte Mackenzie. “Sheriff, würde es Ihnen etwas ausmachen, draußen mit mir zu sprechen?”
Fredericks stand auf und folgte Mackenzie nach draußen, wo sie auf der kleinen Vorderveranda standen. Sie flüsterten unter sich in der Ruhe der Nacht, als es 1:00 Uhr wurde und die Zeit verran.
“Sie ist unschuldig bei allem”, sagte Mackenzie. “Darauf könnte ich wetten.”
“Hier auch”, sagte Fredericks. “Und sie machte keine Witze: Wenn die Presse von der Affäre Wind bekommt, würde sie gemieden und Wandas Name würde in den Dreck gezogen werden.”
“Sie hatten recht mit dem Beweis”, sagte Mackenzie. “Warum übergeben Sie das nicht dem FBI, als Teil des Falles an dem ich arbeite, da es offenbar Teil davon ist. Wir werden die Videos suchen, um das aufzuklären. Sie sind nicht mehr verantwortlich und lassen die Stadt im Unwissen. Kein Risiko für jemanden aus ihrem Team der Gerüchte verbreiten kann.”
“Wahrscheinlich das Beste”, sagte Fredericks.
“Jetzt gehe ich zurück ins Motel. Ich muss meinen Partner auf den neusten Stand bringen und mir ein paar Akten anschauen. Können Sie die Dinge hier klären?”
“Sicherlich. Und vielen Dank für Ihre Hilfe.”
Mackenzie schüttelte seine Hand und ging dann zum Auto. Während sie plante Ellington aufzuklären und dann die Akten durchzugehen, um alles, was mit Missionsarbeit, Homosexualität oder den Namen Amanda Napier und Wanda Young zu tun hatte durchzusehen, gab es noch mehr viel bedeutendere Gründe zurückzugehen.
Sie wurde von dem Anblick der Nachricht auf der Visitenkarte verfolgt, die aus Wandas Mund kam.
WILLKOMMEN ZUHAUSE, AGENTIN WHITE.
Jemand hieß sie willkommen. Und ein typisches Willkommen bedeutete, dass es irgendwann ein Treffen geben würde. Sie war sich nicht sicher wo und wann, aber Mackenzie war sich sicher, dass sie dafür bereit war.